Hartwig Berger

Sonnenkraft aus der Sahara?

Fragen zum schnellen Einstieg in die solare Gesellschaft

 

 

Wächst die Einsicht in rettende Schritte? Eine vollständige Neuorientierung der Energienutzung auf solare Quellen – bei gleichzeitig deutlicher quantitativer Einschränkung der Energienutzung in den entwickelten Weltregionen – stellt die einzig machbare Alternative zum Energiesystem auf der Basis fossil gebildeter Ressourcen dar. Technisch gesehen ist die Kehrtwende durchführbar, volkswirtschaftlich rentabel ist sie erst recht: Angesichts des Klimawandels wird das Weitermachen mit dem heutigen Energiesystem um das 5- bis 20-Fache über dem Aufwand einer weltweiten Solarwende liegen. Auf die Gestaltung dieser Wende kommt es an.

Solare Alternative

Sackgassen und Abwege zeichnen sich ab, wenn die Zerstörung von Regenwald für Palmöl- oder Soja-Plantagen die regionale Ökologie schwer schädigt und den Klimawandel noch beschleunigt.(1) Auch die solare(2) Wende bedarf eines Umdenkens beim globalen Energiehandel und der Verankerung des Gedankens der Energieautonomie.

Ein vorab zu bedenkendes Problem stellt sich mit einer Neustrukturierung der Stromerzeugung. Hier gilt es Abschied zu nehmen von der fixen Idee eines Energiemix erneuerbar/fossil/nuklear. Die enormen Risiken der Kernspaltung, ihre kriegstechnische Verwendbarkeit, die ungelösten Entsorgungsprobleme und nicht zuletzt die begrenzte Verfügbarkeit des Brennstoffs Uran schließen diese Technik für eine zukunftsfähige Umgestaltung des Stromsektors aus.

Für die Kohle wird seit einiger Zeit die Möglichkeit einer CO2-freien »sauberen« Verstromung angekündigt, doch ist Skepsis da mehr als angebracht. Das Verfahren, Kohlendioxid aus dem Verbrennungsprozess in Kraftwerken abzuscheiden und unterirdisch zu deponieren, ist bisher keine verfügbare Technik, sondern ein Forschungsprogramm mit vielen Unwägbarkeiten. Ob die Abscheidung in großtechnischem Maßstab überhaupt machbar ist, wird selbst nach Auskunft der Strombranche nicht vor dem Jahr 2020 feststehen. Sicher ist schon jetzt, dass eine CO2-Abscheidung nicht vollständig gelingt, dass die gegenwärtig geplanten Kohlekraftwerke für die versprochene Technologie ungeeignet sind und dass die Technik einen hohen energetischen Zusatzaufwand, also die Stromerzeugung für den eigenen Bedarf, erforderlich macht. Schließlich sind geologische wie ökologische Wirkungen und Folgeprobleme der unterirdischen Lagerung noch völlig offen, so dass deren Vertretbarkeit gegenwärtig nicht verantwortlich bejaht werden kann. Selbst im unerwartet günstigen Fall würde eine CO2-arme Kohleverstromung weit teurer kommen, als bereits heute an Kosten in der Windkraftnutzung anfallen.

Es ist daher schlüssig, für die Zukunft der Stromerzeugung vollständig auf erneuerbare Energien zu setzen und – statt aufwendig/strittige oder hochriskante Übergangstechnologien fortzuschleppen – eine möglichst schnelle Realisierung dieser Zukunft zu betreiben. Es erscheint dabei sinnvoll, die solare Vollversorgung durch einen gleichsam internen Mix erneuerbarer Energieträger zu sichern. Das ist insbesondere erforderlich, weil ein Großteil der Erneuerbaren starken saisonalen, tageszeitlichen und wetterbedingten Schwankungen unterworfen ist. Als scheinbar ideale Ausgleichsenergie für solche Schwankungen bietet sich die Bioenergie an, deren Einsatz zeitlich variabel gestaltet werden kann. Die Alternative der Energiespeicherung würde hingegen hohe zusätzliche Energieaufwände erfordern und ist daher eher zweite Wahl.

Gegen eine Verwendung der Bioenergie als Grundlast gibt es allerdings Zweifel. Biogene Treibstoffe sind derzeit der einzige Weg, um im großen Maßstab das Erdöl als Schmierstoff der mobilisierten Mobilität zu ersetzen. Auch wenn sich das noch nicht herumgesprochen hat: Ökologisch verträglich und ohne schwere Schädigung der ohnehin angespannten Welternährung wird das nur im kleinen Umfang gelingen.(3) Die Mobilität der Gegenwart ist nach gegenwärtigem Stand nur mit Biosprit zu sichern, wird aber zugleich in ihrem jetzigen Ausmaß in den entwickelten Ländern wie in ihren weltweiten Wachstumsraten nicht mehr möglich sein. Unter diesen Umständen ist damit zu rechnen, dass Biogas nur in geringen Umfängen zur Strom-/Wärme-Erzeugung verfügbar ist und stärker zur Abdeckung von Mobilität benötigt wird.

Wir sollten daher überlegen, wie die unstrittig hohen Potenziale von Sonne und Wind trotz ihrer stark wechselnden zeitlichen Verfügbarkeit verfügbar gemacht werden können. Dazu hat Detlev Matthiessen, anknüpfend an eine detaillierte Analyse von Gregor Czisch,(4) in Kommune 2/07 Chancen wie Vorteile einer großräumigen Stromvernetzung auf Basis solarer Energieträger dargestellt, die über den europäischen Kontinent hinausreicht und zumindest die südlichen Mittelmeer- und Ostatlantik-Regionen einschließt.

Neben technischer Machbarkeit und ökonomischer Vertretbarkeit ist vor allem der Zeitfaktor ein Argument für Interkontinental-Netze, die solare Potenziale aus Europa, Nordafrika und Vorderasien verknüpfen. Die Abkehr vom fossil/nuklearen Energiesystem ist eine Jahrhundertaufgabe auch in dem Wortsinn, dass sie binnen weniger Jahrzehnte vollzogen werden muss. Denn selbst wenn es gelingt, in den Industrieländern bis zum Jahr 2050 80 Prozent der 1990 emittierten Treibhausgase zu vermeiden und ihren Anstieg in anderen Weltregionen stark zu begrenzen, wäre der Klimawandel mit 2 bis 3 Grad Celsius so durchschlagend, dass schwerwiegende Folgen auf Wasserressourcen, Landnutzung und Welternährung nicht zu vermeiden sind.

Revolutionäre Ungeduld, um die Solarwende schneller durchzusetzen, ist also eine durchaus realitätstüchtige Haltung. Es reicht erst recht nicht, dass der Europäische Rat sich im März 2007 auf das Ziel »20 Prozent solare Energien bis 2020«, und auch das nur halb verbindlich,(5) verständigt hat und dass er mit der Selbstverpflichtung, ebenfalls bis 2020 die Treibhausgase um 20 Prozent zu verringern, in die anstehenden internationalen Klimaverhandlungen einsteigt. Der Schwenk zur Solargesellschaft kann und muss deutlich schneller erfolgen.

Die Industrieländer sind mit der Entwicklung solarer Energienutzung um Jahrzehnte zu spät gestartet. Die Weichenstellung wurde in den USA Anfang der Fünfzigerjahre verpasst, als sich die dortige Bundesregierung für die Entwicklung der »friedlichen« Kernenergienutzung entschied und die zugleich in Erwägung gezogene Alternative »solar« verwarf. Die westeuropäischen Staaten setzten etwa zur selben Zeit völlig auf die Restauration der kriegsgeschädigten Kohleindustrie und ebenfalls auf die nukleare Energieerzeugung. Die europäische Vergemeinschaftung ist mit der Montanunion 1951 und Euratom 1957 in ihren wirtschaftspolitischen Ursprüngen ein Produkt beider Optionen. Sie wirkte in puncto Frieden, Demokratie und wirtschaftlicher Entwicklung ebenso überzeugend, wie sie in ihrer energiewirtschaftlichen Strategie gänzlich fehlgeleitet war. Heute sollte die EU sich daher umso konsequenter und schneller in eine Solarunion wandeln.

Auf den Tigern der Vergangenheit reiten?

Der verspätete Beginn einer Solarwende erzwingt ihre Beschleunigung. Gleichwohl sind die Mühen der Ebene nicht unbeträchtlich, und so tun sich auch mit dem Weg in ein solarelektrisches Transeuropa vom Nordkap bis zum Äquator Fallstricke auf:

Da nicht die Energieprobleme der südlichen Mittelmeerländer, sondern der Strombedarf Europas den Anstoß und das Hauptziel des Projekts darstellt, liegt die Gefahr einer neo-imperialistischen Ausgestaltung auf der Hand. Dabei geht es nicht nur um die Struktur der energiewirtschaftlichen Beziehungen als solche, sondern ebenso um ihre Wahrnehmung in den betroffenen Regionen. »If men define situations as real, they are real in their consequences.«(6) Europäische Staaten haben Nordafrika über hundert Jahre kolonisiert, ausgebeutet und der Bevölkerung in Kriegen gegen Befreiungsbewegungen schweres Leid zugefügt. Die Nutzung der Solarpotenziale von Sahara und subtropischem Atlantik kann durchaus als Wiederholung einer ungleichen Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie wahrgenommen werden. Sie soll vor allem den im Weltvergleich weit überhöhten Strombedarf Europas abdecken, während sich zugleich immer deutlicher abzeichnet, dass der Klimawandel das nördliche Afrika weit einschneidender in den Lebensbedingungen schädigt als den nicht-mediterranen Teil Europas. Zugespitzt: Afrika als Kontinent ist Opfer, Europa der neben Nordamerika zentrale Täter des Klimawandels. Europa entdeckt nun ehemals beherrschte und ausgebeutete Regionen neu, um seinen opulenten Bedarf an Energie in Zukunft sichern zu können. Der gesellschaftliche Sprengstoff in solchen Konstellationen und Deutungsmustern drängt sich auf.

Allerdings können der Export solarer Energien eine Devisenquelle für die Lieferantenländer und die mit europäischer Unterstützung errichteten Solaranlagen ein Entwicklungsimpuls zur Lösung der inneren Energieprobleme dieser Länder sein. Jedoch zeigt die Historie, dass Ausbeutung und globaler Handel mit Energieressourcen eher als Entwicklungsschranke und Konfliktherd für die Lieferantenregion gewirkt haben. Zudem sind die Energieprobleme der bäuerlichen oder nomadischen Bevölkerung Afrikas nicht mit großtechnischen Anlagen und weiträumiger Stromvernetzung zu lösen; die ländlichen Zonen, in denen die Mehrheit der AfrikanerInnen noch lebt, brauchen vielmehr eine kleinteilige Erschließung ihrer solaren Potenziale vor Ort. Dezentrale Energieversorgung ist hier eine angemessene Strategie, die ländlichen Lebensbedingungen und die regionale Ökonomie zu verbessern.

Ein weiterer Fallstrick auf dem Marsch in ein interkontinentales Netz für Solarstrom spannt sich mit der Finanzierung der Erzeugungsanlagen und Fernleitungssysteme. Die eigentumsrechtliche Trennung von Herstellung und Netz und eine öffentlich-rechtliche Inhaberschaft über das Netz sind allein deshalb ein richtiger Schritt, um die übermäßige Machtakkumulation privater Energiekonzerne und eine Verknüpfung des Solarnetzes mit dem Weiterbetrieb von fossilen und nuklearen Kraftwerken auszuschließen.

Mit der Forderung jedoch sind die Schwierigkeiten nicht aus dem Weg geräumt. Soll etwa die Europäische Union Eigentümer des Supernetzes werden? Allein die Vermeidung neo-imperialistischer Konstellationen spricht eher dafür, dass sämtliche beteiligten Staaten eine Dachgesellschaft zum Bau und Betrieb des Netzes bilden. Diese staatenübergreifende Konstruktion ist zwar nicht unmöglich, in und mit einer Region der massiven inner- und zwischenstaatlichen Gegensätze und Konflikte allerdings schwer und damit schwerlich zeitnah zu realisieren.

Ein zweites Problem folgt aus der starken Machtstellung der großen Energiekonzerne innerhalb der EU. So konnten diese zu Jahresbeginn 2007 über ihren Einfluss auf die Regierungen in Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien erreichen, dass die Europäische Kommission ihren Vorschlag, Netz und Betrieb bei leitungsgebundenen Energien wie Strom generell eigentumsrechtlich zu trennen, wieder zurückziehen musste. Von eigentumsrechtlicher Übertragung an öffentlich-rechtliche Träger war – bei der Dominanz neoliberalen Denkens in der Kommission nicht überraschend – überhaupt nicht die Rede.

Ich sehe prinzipiell zwei Wege zur Errichtung eines afro-europäischen Stromnetzes. Erstens: die öffentliche Auftragsvergabe durch die beteiligten Staaten für den Bau der Wind- und Solaranlagen wie des »Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsnetzes«. Ein solches Projekt bedürfte einer umfangreichen Finanzierung, die im institutionellen Rahmen der EU gegenwärtig keinen Hebel findet. Energiepolitik ist in Europa – in totaler Verkennung ihrer grenzüberschreitenden Bedeutung – weiterhin souveräne Vorbehaltsaufgabe der Mitgliedsstaaten. Eine Finanzierung über die Erhebung europaweiter Ökosteuern wäre zwar eine sinnvolle Lösung, jedoch angesichts der Engstirnigkeit der national betriebenen Finanz- und Energiepolitiken und der zu erreichenden Einstimmigkeit im Europäischen Rat nicht aussichtsreich.

Eine Alternative dazu wäre die Übernahme des afro-europäischen Solarstromprojekts durch die großen europäischen Energiekonzerne wie EdF, British Energy, Enel, e.on, Vattenfall, ENDESA. Diese Konzerne verfügen aufgrund ihrer Milliardengewinne über die nötigen finanziellen Kapazitäten. Wie der Bieterkampf um die spanische Endesa belegt, können sie auch kurzfristig jeweils zweistellige Milliardenbeträge – in diesem Fall zum Kauf der Aktienpakete – mobilisieren.(7)

Den Ritt ins solare Zeitalter auf den Tigern der fossil-nuklearen Energiewirtschaft zu wagen, wäre von einer unnachahmlichen Dialektik. Bisher allerdings gibt es in den Revieren der fossilen Tiger wenig Anzeichen zur solaren Kehrtwende. Die französische EdF setzt, nicht von des Gedankens Blässe an Risiken angekränkelt, ganz auf Fortsetzung und Erneuerung der 80-prozentigen nuklearen Stromversorgung und weiß zwar nicht unbedingt die Bevölkerung, aber die große Mehrheit der politischen Klasse im Land hinter sich. Mit der mächtigen EdF ist Frankreich weiter westeuropäisches Schlusslicht in der Entwicklung der Windenergie. Und die Kooperation mit dem Maghreb konzentriert sich auf eine Unterstützung der Pläne Marokkos, eines oder mehrere Atomkraftwerke am Atlantik zu errichten.

Die in Deutschland dominierenden Energiekonzerne haben sich, anderslautenden Verlautbarungen zum Trotz, bisher als Bremser gegen solare Strategien engagiert und ihren politischen Einfluss zur Umgestaltung des Klimaschutzinstruments »Emissionshandel« in eine Schatzkammer für Extragewinne genutzt, die über die weitere kostenlose Austeilung der Emissionszertifikate und die großzügige Ausstattung der Kohlekraftwerke mit gratis-Emissionsrechten möglich wird. In ihrer Zukunftsplanung haben gegenwärtig Modernisierung und Neubau von Kohlekraftwerken und das Betreiben um Laufzeitverlängerung für Atommeiler eindeutig Vorrang.

Die institutionellen Voraussetzungen für eine afro-europäische Stromvernetzung scheinen also gegenwärtig nicht vorzuliegen. Die Dringlichkeit des Projekts einzufordern und in den betroffenen Regionen vom Nordkap bis Mauretanien oder von Irland bis Ägypten bei gesellschaftlichen Kräften und Akteuren Unterstützung zu suchen, bleibt gleichwohl so notwendig wie sinnvoll.(8) Auch erscheint es wichtig, die Diskussion um weiträumige solare Austauschnetze in andere Weltregionen zu transportieren. So wäre China besser beraten, würde der Staat die Stromversorgung der weiter wachsenden Millionenstädte durch Koppelung der Solarpotenziale innerasiatischer Wüsten mit Windkraftnutzung am Pazifischen Ozean aufbauen, statt weiter vor allem – und im Fall der Nuklearenergie eher teurer – in Kohle- und Atomkraft-Verstromung zu investieren.

Solargesellschaft und Energieautonomie

Die Chancen der großräumigen Solarvernetzung und ihre politischen Folgekonflikte bleiben jedoch fraglich. Daher sollte die Entwicklung der Solarwende in und mit kleinräumigen Strukturen auch im Stromsektor nicht zurückgestellt, sondern deutlich beschleunigt werden.

Zweifellos wird es schwieriger, über die Vernetzung kleinräumiger Strukturen die solare Vollversorgung mit Strom zu erreichen. Auch wird dieser Weg entweder mit den zeitbedingten Schwankungen des Energieangebots leben und/oder mehr auf Speichertechniken setzen müssen – und damit einen erhöhten Kosten- und Energieaufwand in Kauf nehmen müssen. Umgekehrt liegt die Stärke der solaren Energien gerade darin, dass sie die Potenziale der Umgebung eines Betriebs beziehungsweise einer Siedlung zur Deckung – oder Vermeidung – des Energiebedarfs erschließt. Das Rocky Mountain Institute von Hunter und Amory Lovins hat das exemplarisch illustriert. Selbst unter Hochgebirgsverhältnissen mit nur 52 frostfreien Tagen ist in diesem vollbiologischen Bürohaus Energieautonomie realisiert und zudem betriebswirtschaftlich rentabel.

Langfristig liegt die Zukunft der solaren Gesellschaft in der schrittweisen Dezentralisierung der Energiesysteme. Je schneller Länder und Regionen sich für eine Dezentralisierung der Energieversorgung entscheiden, desto größer sind ihre Chancen, nicht mit den absehbaren Engpässen und Dysfunktionen des fossilen Systems in ein wirtschaftliches und gesellschaftliches Chaos zu stürzen. Sofern Länder und Regionen auf den Import fossiler Energieträger angewiesen sind, nimmt die Möglichkeit zu, dass ihre Energieversorgung wegen der begrenzten Verfügbarkeit der Ressourcen und sich deshalb zuspitzender Gewaltkonflikte zusammenbricht oder nur unter enorm gestiegenen Kosten aufrechtzuerhalten ist.

Energieautonomie(9) wird nicht in gleichen Schritten und unter ungleichen Ausgangsbedingungen herstellbar sein. Eine gute Startposition haben stark ländlich geprägte Gesellschaften, in denen gegenwärtig noch etwa die Hälfte der Menschheit lebt. Sowohl bio-energetische wie solare Potenziale, oft auch Windkraft, sind zumeist mehr als benötigt verfügbar – die technische Aufgabe ländlicher Entwicklung in den kommenden Jahren ist es vor allem, diese Potenziale auch zu erschließen. Der energetische Um- wie Ausbau kann auch die Umweltbedingungen vieler ländlicher Gebiete verbessern. Ein Beispiel dafür ist die Einführung von Solarkochern, die den Raubbau an Holz einstellen helfen. Ein anderes ist die Kultivierung ölhaltiger Trockenpflanzen wie der Jatropha in Afrika und Südasien, deren Pflanzung zugleich Erosion und Desertifikation eindämmt.

Indem die dezentrale Erschließung energetischer Potenziale ländliche Lebensverhältnisse verbessern hilft, kann sie zugleich Teil einer Entwicklungsstrategie werden, die den Abwanderungsprozess in die Elendsquartiere der ausufernden Megastädte in nachkolonialen Regionen beschränkt. Energieautonomie schafft bei vorausgesetztem intellektuellem Transfer im digitalen Zeitalter bessere Möglichkeiten, die Ökonomie ländlicher Gebiete zu stärken und so die Migration in Megastädte abzubauen.

Das wiederum kann zur Lösung des Energiedilemmas beitragen, das sich in stark urbanisierten Zonen der Erde auftut. In Ballungszentren ein regionales Gleichgewicht von Energiebereitstellung und Energienutzung zu schaffen, erscheint ungleich schwieriger. Die Bedeutung und die ideologische Vorherrschaft der urbanisierten Zentren der Erde ist überhaupt ein Argument wie ein Grund dafür, dass die großräumige Entwicklung der Energieversorgung sich entwickelt hat und nun unvermeidlich erscheint. Auch hier ist die Fixierung auf Denk- und Handlungszwänge des fossilen Zeitalters unverkennbar. Die Urbanisierung, die im 19. Jahrhundert in Europa und Nordamerika begann, wurde erst möglich durch die Entwicklung des fossilen Energiesystems, die Bereitstellung von Energie aus fern gelegenen Förderzentren – zunächst den Kohlelagern – in die wachsenden Städte.(10) Ein Entfall der energetischen Fernversorgung ließe daher, unter gleich bleibenden Umständen, Wirtschaft und Gesellschaft in den urbanen Zentren zusammenbrechen.

Ein solches Schicksal steht aber den Ballungszentren der Erde gerade dann bevor, wenn die zu erwartenden Engpässe in der fossilen Energieversorgung in den nächsten Jahren und Jahrzehnten eintreten. Deshalb sind gerade die urbanen Zentren der Erde gut beraten, rechtzeitig die Weichen für eine stärker dezentralisierte Energieversorgung zu stellen. Die Möglichkeiten dazu sind im Fall der verstärkten Nutzung erneuerbarer Energien verbessert. Über ihre Hausdächer kann jede Stadt die weitgehende Versorgung mit Solarstrom und Solarwärme erreichen, durch dem Milieu angepasste Gebäudestrukturen lässt sich der Energiebedarf um ein Mehrfaches verringern. Der motorisierte Privatverkehr ist in städtischen Zonen für Umwelt, Gesundheit und Lebensqualität nachteilig und weitgehend durch öffentliche Systeme und Fahrradverkehr ersetzbar. Geothermie kann auch innerhalb urbaner Zonen erschlossen werden, Windanlagen lassen sich als vertikale Rotoren kleiner und geräuscharm gestalten und auf Gebäuden errichten. Die bisher ausschließlich eingesetzte Technik von Groß-Windmühlen folgt insofern noch dem Muster des fossilen Zeitalters, als sie dazu zwingt, Energie fernab der Städte zu gewinnen. Auch in der Windkraft sind aber innovative Entwicklungssprünge zu mehr Energiesouveränität nicht ausgeschlossen. Kleinere Dachanlagen liefern Windstrom in den Städten selbst, nur den Zusatzbedarf an Strom decken Windkraftwerke in ländlichen oder küstennahen Zonen (»offshore«) im Meer ab.

Erste Option der Energiewende sollte daher bleiben, vorrangig energetische Lösungen vor Ort und in kleinräumiger Vernetzung zu suchen und einzusetzen. Mit einer strikt dezentralen Strategie die Solarwende in der erforderlichen kurzen Zeit durchzusetzen, wird allein aufgrund der Verstädterung und der Bildung urbaner Großräume kaum möglich sein. Im Stromsektor bleibt die verstädterte Gesellschaft zumindest für längere Zeit auf großräumige solare Austauschnetze angewiesen, die Regionen mit zeitlich wie saisonal unterschiedlichen Energieangeboten miteinander verbinden und eine durchaus zentrale Versorgung der Ballungsräume gewährleisten.

Dabei wird sich die Europäische Union möglicherweise mit der Nutzung ihrer örtlich wie zeitlich unterschiedlichen Potenziale vom Nordatlantik bis zum Mittelmeer begnügen müssen. Der Import von Sonnenstrom aus der Sahara und Windstrom vom subtropischen Atlantik wäre da eine starke zusätzliche Hilfe. Solange allerdings die Energiepolitik der Mehrheit der europäischen Länder wie der süd-mediterranen Länder vergangenheitsorientiert bleibt und solange die großen Energiekonzerne mit ihrer Kapitalmacht nicht »solar umdenken«, stehen die Aussichten für eine Realisierung des Großprojekts nicht gut. Weil zweifellos Gefahr besteht, sollte das Rettende nicht zuerst in der Ferne der Sahara und der tropischen Passatwinde gesucht werden, sondern in der energischen Mobilisierung der energetischen Möglichkeiten vor Ort.

1

Siehe dazu: Hartwig Berger: »Bio im Tank. Mobilität jenseits der Erdölwirtschaft«, in: Kommune 4/05, S. 76 ff.

2

Ich verwende »solar« synonym zu »erneuerbar«: Die erneuerbaren Energien, die auf unserem Planeten nutzbar sind, werden durch Aktivität der Sonne ermöglicht.

3

Hartwig Berger: »Alkohol im Tank – Bio-Kraftstoffe und die Grenzen moderner Mobilität«, in: Prokla, Heft 136 (2004).

4

Gregor Czisch: »Interkontinentale Stromverbünde – Perspektive für eine regenerative Stromversorgung« und: »Szenarien zur zukünftigen Stromversorgung – Kostenoptimierte Variationen zur Versorgung Europas und seiner Nachbarn mit Strom aus erneuerbaren Energien«.

5

Der Kampf um die Verteilung auf nationalstaatliche Verpflichtungen steht noch aus.

6

Das so genannte Thomas-Theorem der Soziologie. Viele politische Konfliktanalysen leiden darunter, dass sie die Situationsdefinitionen der Akteure nicht als handlungsrelevantes Datum nehmen, sondern lediglich danach beurteilen, ob sie der Wirklichkeit angemessen sind.

7

E.on erhöhte sein Angebot zuletzt auf rund 40 Mrd. Euro, wurde jedoch von Enel um einige Milliarden noch übertroffen.

8

Der »kleine Parteitag« der deutschen Grünen am 14.4.07 hat daher – auf Betreiben der Bundesarbeitsgemeinschaft »Energie« u. a. – die Einberufung einer Konferenz der Mittelmeer-Anrainerstaaten, im so genannten Barcelona-Prozess, vorgeschlagen. Aktivitäten anderer politischer Gruppierungen zum Problem sind mir nicht bekannt.

9

Die Überlegungen zu diesem Punkt sind stark von Hermann Scheer beeinflusst: Hermann Scheer: Energieautonomie, München 2005.

10

Hartwig Berger: Entgrenzte Städte, Münster 2003.

 

Aus: Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur – Ausgabe 3/2007