Karl-Martin Hentschel

Bürger, Kommune und Staat

Über die kommunale Basis des skandinavischen Sozialstaates

 

 

Vor fünfzehn Jahren kamen die Dänen in Scharen über die Grenze nach Schleswig-Holstein, um dort zu arbeiten. Auch Schwedens Ökonomie ächzte unter den Soziallasten. Damals schien der skandinavische »Sozialismus« am Ende. Heute hat sich die Entwicklung umgekehrt. Nördlich der Grenze ist die Arbeitslosigkeit mit 4,3 Prozent auf den tiefsten Stand seit 32 Jahren gesunken. Trotz grundlegender Reformen unter sozialdemokratischen Regierungen ist der Sozialstaat unverändert vorbildlich und wird selbst unter den »bürgerlichen« Regierungen in Schweden und Dänemark nicht wirklich in Frage gestellt. Grund genug, sich anzuschauen, was dort anders gemacht wird und ob wir davon etwas lernen können.

Viele Fragen

Obwohl ich mich seit vielen Jahren mit dem skandinavischen System(1) beschäftige, machte ich erst vor kurzem bei einem Gespräch mit der schwedischen Steuerbehörde eine Entdeckung, die mich dazu brachte, das Verhältnis zwischen Bürger, Kommune und Staat neu zu überdenken: Diese Entdeckung war die Stellung der Kommunen im skandinavischen Staatswesen. In diesem Aufsatz geht es mir darum, ausgehend von der Rolle der Kommunen dem Geheimnis des skandinavischen Erfolges auf die Spur zu kommen. Dabei lande ich dann bei einigen interessanten Konsequenzen auch für die aktuellen Diskussionen, die in Deutschland über unsere Steuern, unser Sozialsystem, unser Bildungswesen und die Föderalismusreform geführt werden.

Ich versuche folgende Fragen zu beantworten:

– Warum sind die Skandinavier bereit, so viel mehr Steuern und Abgaben zu bezahlen?

– Stimmt es, dass der Sozialstaat in Skandinavien in den letzten Jahren erheblich abgebaut wurde?

– Warum floriert die Wirtschaft trotz der hohen Staatsquote(2)?

– Ist Skandinavien liberal?

– Warum schafft es Skandinavien, mehr Geld für die Bildung auszugeben?

– Warum werden in Schweden mehr Kinder geboren?

– Wie unterscheiden sich die Gesundheitssysteme in Skandinavien zu unserem?

– Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für unsere Föderalismusdiskussion?

Das skandinavische Paradox

Dem Dogma aller Wirtschaftsliberalen zum Trotz gehören die skandinavischen Staaten zu den in den letzten Jahren ökonomisch erfolgreichsten Staaten der Erde (Platz 1, 3, 4 und 7 beim Bruttoinlandprodukt pro Kopf, ohne Zwergstaaten), obwohl sie zugleich den höchsten Staatsanteil am Bruttoinlandsprodukt von allen OECD-Staaten haben. Zugleich liegen sie auch beim Grad der sozialen Gerechtigkeit an der Spitze. (Siehe die weiter unten stehende Tabelle »Bruttoinlandsprodukt und Gini-Index«). Sie widerlegen anscheinend das verbreitete Credo der Wirtschaftswissenschaft, dass niedrige Steuern gut für die Wirtschaft sind.

Mindestens genauso erstaunlich ist allerdings, dass die skandinavischen BürgerInnen die damit verbundene Steuerlast akzeptieren. Immerhin sind die Steuern mehr als doppelt so hoch und die Summe von Steuern und Abgaben insgesamt noch ein Drittel höher als in Deutschland.

Für uns ist es ebenso erstaunlich, dass die wiederholten Versuche von konservativen Politikern, mit der Forderung nach Steuersenkungen Wahlen zu gewinnen, nur geringen Erfolg hatten. Die letzten Wahlsiege der Konservativen und Liberalen in Dänemark und Schweden waren denn auch erst möglich, nachdem die dänischen Liberalen sowie die schwedischen Moderaten versprochen hatten, den Sozialstaat nicht anzutasten.(3)

Warum floriert die Wirtschaft trotz der hohen Staatsquote?

Anfang der Neunzigerjahre befanden sich die skandinavischen Länder in der Krise. Die Arbeitslosigkeit war auf über zehn Prozent gestiegen und die Staatsverschuldung nahm rapide zu.(4) Heute ist das umgekehrt. Die Arbeitslosigkeit in Schweden und Dänemark liegt seit Jahren um die fünf Prozent und der Staatshaushalt ist im Plus, so dass jedes Jahr Schulden abgezahlt werden können. Noch bemerkenswerter ist allerdings, dass die Beschäftigungsquote mit 74 Prozent der Erwerbsbevölkerung um circa 20 Prozent höher liegt als in Deutschland (59 %), insbesondere weil viel mehr Frauen und ältere ArbeitnehmerInnen berufstätig sind. Hätten wir eine Beschäftigungsquote wie in Schweden, dann müssten nicht nur alle Arbeitslosen arbeiten, sondern in beträchtlichem Umfang Hausfrauen zu arbeiten beginnen.

Da ein Vergleich der Steuersysteme nicht der Schwerpunkt dieses Artikels ist und wesentlich mehr Raum bräuchte, beschränke ich mich hier nur auf einige Anmerkungen.

Die nominalen Unternehmenssteuern liegen mit 28 bis 30 Prozent niedriger als in Zentraleuropa. Dies gilt nicht für die real gezahlten Steuern – sie sind höher –, ist aber wichtig für die kleinen und mittleren Betriebe, die in der Regel wie Kapitalgesellschaften besteuert werden und nicht, wie in Deutschland, benachteiligt werden. Da die kleinen Betriebe entscheidend sind für die Masse der Arbeitsplätze, gerade die, die neu geschaffen werden, mag dieser Unterschied eine wichtige Rolle spielen.

Der Anteil der indirekten Verbrauchssteuern liegt höher als anderswo, wobei die Mehrwertsteuer von 25 Prozent hervorsticht. Die Finanzierung von Sozialabgaben über die Mehrwertsteuer ist im internationalen Wettbewerb ein Wettbewerbsvorteil, denn sie wird nicht auf Exporte erhoben, wohl aber auf die Importe. Anders als Steuern auf Arbeit ist sie also wettbewerbsneutral und führt sogar dazu, die Importe am Steueraufkommen zu beteiligen.

Ebenso elegant ist die Erhebung von Verbrauchssteuern auf Waren, die überwiegend importiert werden. Dies gilt für die meisten Ökosteuern (Kohle, Mineralöl, Gas), aber auch für die hohen Fahrzeuganschaffungssteuern in Dänemark (Registration Tax: 190 %!).

Ein wichtiger Unterschied besteht darin, dass das Sozialsystem überwiegend über Steuern finanziert wird. Dies gilt besonders für Dänemark. Damit werden zwei Effekte erreicht: Die hohen Einkommen werden wesentlich stärker an der Finanzierung des Sozialsystems beteiligt und die Abgaben der unteren Einkommen sind deutlich niedriger. Dies war auch eine wichtige Veränderung durch die Reformen Anfang der Neunzigerjahre und mag eine Rolle dafür spielen, dass es gelungen ist, gerade im Dienstleistungssektor viele neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Anzumerken ist auch, dass beide Staaten eine relevante Vermögenssteuer, vor allem eine Grundsteuer, zu aktuellen Einheitswerten erheben, während diese in Deutschland als »Substanzsteuer« weitgehend abgeschafft wurde, beziehungsweise die Einheitswerte nur ein Bruchteil der Vermögenswerte ausmachen.

Die Bedeutung der Kommunen

Bei einem Gespräch der grünen Landtagsfraktion bei der schwedischen Steuerbehörde bekamen wir das Formular (tatsächlich eine Seite), auf dem die schwedischen Bürger ihre Steuererklärung machen und diskutierten Fragen wie Kindergeld, Wirkung von Verbrauchssteuern und wie man erreicht, dass die Wirtschaft tatsächlich Steuern bezahlt.

Dann erwähnte der Vortragende einen Punkt, der mir in Jahren Beschäftigung mit Skandinavien nie aufgefallen war: Bürger bis circa 30 000 Euro Jahreseinkommen zahlen in Schweden nur Steuern an die Gemeinde und den Län (eine Art Großkreis). Nur wer über 30000 Euro verdient, muss dafür zusätzlich eine progressive Einkommenssteuer an den Zentralstaat bezahlen. Dorthin gehen ebenfalls Mehrwertsteuern, Verbrauchssteuern, Unternehmenssteuern und so weiter.

Bei der systematischeren Beschäftigung mit der Rolle der Kommunen im Staat stellte ich fest, dass in Schweden fast 25 Prozent des BIP durch die Kommunen ausgegeben werden. In Dänemark sind es sogar noch mehr. Der Anteil der Kommunen am Bruttoinlandsprodukt liegt traditionell in den skandinavischen Staaten weitaus höher als im Rest der Welt. Das bedeutet, dass in Dänemark etwa zwei Drittel aller staatlichen Ausgaben durch die Kommunen erfolgen, in Schweden ist es immerhin fast die Hälfte. Im Vergleich dazu fristen die deutschen Kommunen ein Kümmerdasein.

Man kann es auch so ausdrücken: Für die skandinavischen BürgerInnen besteht der Staat überwiegend aus seiner Kommune. Der Zentralstaat hat für das tägliche Leben der Bürger eine vergleichsweise geringe Bedeutung. Alle wesentlichen Bereiche des täglichen Lebens und des Sozialstaates gehören in die Zuständigkeit der Kommunen und werden auch von den Kommunen finanziert.

Bei größeren Investitionen wird in Dänemark im Gemeinderat etwa diskutiert, ob man für zwei Jahre die Einkommenssteuer um zwei Prozent anhebt, um sich nicht zu verschulden. Nach zwei Jahren ist dann die neue Schule finanziert und die Steuern können wieder gesenkt werden.

Was ist eine Kommune?

In Schweden unterscheidet man Kommune und Region (Län). Es gibt jetzt noch 290 Gemeinden in Schweden bei 8,7 Millionen Einwohnern. Also durchschnittlich 30000 EinwohnerInnen pro Kommune. Allerdings gibt es im dünn besiedelten Norden auch Kommunen mit wesentlich weniger EinwohnerInnen auf riesigen Flächen, im Süden sind es dafür mehr. Schweden ist gegliedert in 20 Läns, die durchschnittlich 435000 Einwohner haben.

In Dänemark unterscheidet man Kommune und Region. Nach der letzten Gemeindereform gibt es in Dänemark ab 2007 nur noch 90 Kommunen bei 5,2 Millionen Einwohnern. Die Kommunen haben also im Durchschnitt 58000 EinwohnerInnen. Rechnet man Kopenhagen und einige andere Städte raus, dann hat die normale Landkommune circa 30000 EinwohnerInnen, wie in Schweden.

Dänemark ist seit der Reform gegliedert in fünf Regionen mit durchschnittlich etwas über 1 Million EinwohnerInnen. Die Regionen haben also durchaus die Größe kleiner föderaler Bundesländer/-staaten von Bundesstaaten wie Deutschland, Österreich oder der USA.

Ein wesentlicher Unterschied zu den Verhältnissen in vielen deutschen Bundesländern besteht darin, dass in Skandinavien die Kommunen meist aus einer Stadt und dem darum liegenden Umland bestehen. Stadt und Umland gehören also zusammen – der typische Gegensatz zwischen armen Zentralorten und vergleichsweise besser gestellten Landkommunen gibt es nicht.

Aus dem Kasten Aufgaben der Kommunen in Schweden und der Ausgaben in dänischen Kommunen ist ersichtlich, dass praktisch die gesamte Daseinsvorsorge kommunal organisiert ist. Für alles, was den Bürger interessiert und was ihm wichtig ist, ist die Kommune oder die Region zuständig. Mit dem Zentralstaat hat der normale Bürger nur zu tun, wenn es um Militär, Polizei, die Justiz und so weiter geht – also die historischen Funktionen des Obrigkeitsstaates. Es ist also kein Wunder, dass die Bürger bereit sind, hohe Steuern zu zahlen. Sie sehen ja direkt, was damit gemacht wird. Die Ausgaben des Zentralstaates sind dagegen nur für die oberen Einkommensschichten und die Wirtschaft relevant.

In Deutschland dagegen hängen die Kommunen weitgehend am Gängelband des Bundes und der Länder. Das letztere ist besonders fatal, da die Länder keine eigene Steuerhoheit haben und die Kommunen deshalb für die Länder oft der letzte Spartopf sind. Wenn man verstehen will, warum die BürgerInnen in Skandinavien bereit sind, wesentlich mehr Steuern zu zahlen als in Zentraleuropa, dann muss man diese Zusammenhänge berücksichtigen. Ein Bürger, der tagtäglich sehen kann, was mit seinem Geld gemacht wird, zahlt eben lieber Steuern, als wenn das Geld in anonyme Töpfe fließt.

Die Einnahmen der Kommunen

In Rahmen der Föderalismusdiskussion wurde in der grünen Bundestagsfraktion, aber auch von vielen Landespolitikern, die Auffassung vertreten, dass ein eigenes Steuerheberecht für die Länder die sozialen Ungleichheiten noch verstärken würde. Dänemark und Schweden liefern dafür keine Argumente. In beiden Staaten haben die Kommunen mehr Rechte als in Deutschland die Bundesländer. Denn sie haben das wichtigste Recht: Sie entscheiden selbst über ihre Steuereinnahmen. Die kommunalen Steuern machen den größten Teil der Einnahmen aus. In Schweden ist die kommunale Steuer eine Flat Tax, also ein einheitlicher Steuersatz auf alle Erwerbs- und Renteneinkommen. Die Kommunen und die Läns legen die Steuersätze selbst fest. Insgesamt schwanken die addierten Kommunalsteuersätze erheblich zwischen 28,9 und 34,04 Prozent (2004).

Natürlich gibt es auch einen Finanzausgleich. Er besteht aus zwei Komponenten:

1. Einem Ausgleich der Steuerkraft, die die Steuerkraft der Kommunen fast vollständig nivelliert. Haben die Kommunen einen höheren oder niedrigeren Steuersatz als der Durchschnitt, dann haben sie eben entsprechend mehr oder weniger Einnahmen. Das hat aber auf die Höhe des Finanzausgleichs keine Auswirkung.

2. Einem Strukturausgleich. Er berücksichtigt die Zahl der Kinder, die Beschäftigungssituation, die Bevölkerungsdichte, die Verkehrsdichte, das Klima (Strukturausgleich für die nördlichen Gebiete) und einen Zuschlag für Gebiete mit Bevölkerungsrückgang. In der Konsequenz kann dies durchaus zu einer Überkompensation ärmerer Gebiete führen.

Auch in Dänemark legen die Kommunen ihre Steuersätze selbst fest. Allerdings erheben die dänischen Kommunen neben der Einkommenssteuer auch noch Grundsteuern und bekommen einen Anteil an der Körperschaftssteuer. Der kommunale Finanzausgleich beschränkt sich aber im Unterschied zu Schweden allein auf den Ausgleich der Steuerkraft. Zeitweise enthielt er zusätzlich eine Komponente, die dazu führte, dass die Kommunen mit Steuersätzen über dem Durchschnitt davon etwas abgeben mussten. Damit sollte ein Anreiz zur Senkung der Kommunalsteuern geschaffen werden. Dieser Anreiz wurde aber wieder abgeschafft, nachdem die Staatsfinanzen in den letzten Jahren saniert wurden.

Wie sozial ist Skandinavien?

Wie oben schon erwähnt durchliefen auch Dänemark und Schweden zu Beginn der Neunzigerjahre eine Krise, die zu Veränderungen im Steuer- und Sozialsystem geführt hat. In den deutschen Diskursen wird diese Entwicklung häufig so dargestellt, als hätten die Skandinavier dabei weitgehend vom hohen Niveau des Sozialstaates Abschied genommen. Dies trifft aber nur begrenzt zu.

Tatsache ist, dass der Arbeitsmarkt in Skandinavien schon immer liberaler war als in Deutschland. So gibt es in Dänemark keinen gesetzlichen Kündigungsschutz, wohl aber tarifvertragliche Vereinbarungen. Es gibt auch keine allgemeine Arbeitslosenpflichtversicherung. Allerdings sind über 90 Prozent der Beschäftigten in Dänemark und Schweden Mitglied in einer Arbeitslosenversicherung, die von den Gewerkschaften organisiert wird. Dies ist auch ein Grund für den sehr hohen Organisationsgrad. Die Arbeitslosenversicherung in Schweden zahlt immer noch 80 Prozent des bisherigen Lohns, aber nur bis zu einer Höhe von etwa 1500 Euro. In Dänemark liegt sie jetzt bei 76 bis 87 Prozent (mit Kindern) gegenüber früher 90 Prozent. Die Bezugsdauer wurde von sieben auf vier Jahre verkürzt.

In Schweden gibt es seit 1998 nun auch eine staatliche Grundleistung von circa 600 Euro – entspricht also dem ALG 2. Vorher fiel jemand ohne Einkommen und Versicherung direkt in die Sozialhilfe. 90 Prozent der Beschäftigten sind aber versichert.

Wesentliche Änderungen in den Sozialsystemen waren die Wiedereinführung von Karenztagen für Arbeitslose und Kranke sowie die höhere Eigenbeteiligung beim Arztbesuch.

Das Rentensystem basiert in beiden Ländern nach den Reformen auf einer steuerfinanzierten Grundrente und einer beitragsfinanzierten Zusatzrente. Die volle Grundrente bekommt, wer 40 Jahre im Land seinen Wohnsitz hatte. Das Renteneintrittsalter ist in Schweden flexibel zwischen 61 und 70 Jahren, wobei die Leistungen vom Renteneintrittsalter abhängen. In Dänemark wurde das Regelalter für den Rentenantritt auf 67 Jahre angehoben.

Zusammenfassend kann man feststellen: Die sozialen Leistungen sind nicht in allen, aber in den meisten Bereichen besser als in Deutschland. Der Gesamtumfang der sozialen Leistungen ist im internationalen Vergleich unverändert sehr hoch. Das Gleiche gilt für die Ausgaben für das Bildungssystem (siehe Schaubild). Daran haben die Reformen in den Neunzigerjahren wenig geändert. Ein Teil der Reformen wurde sogar, nachdem die Wirtschaftskrise überwunden war, wieder zurückgenommen.

Zur Struktur des Sozialsystems

Beim Vergleich der Sozialsysteme fällt jedoch nicht nur der Umfang der sozialen Leistungen ins Auge. Viel wichtiger scheinen mir die Strukturunterschiede zu sein. Diese Strukturunterschiede haben unmittelbar mit dem kommunal geprägten Staatsaufbau der skandinavischen Staaten zu tun.

Während es beim Rentensystem und der Arbeitslosenversicherung überwiegend um monetäre Leistungen geht, handelt es sich bei dem Gesundheitssystem, der Kinderbetreuung, dem Schulsystem und der Altenbetreuung einschließlich der Pflege um institutionelle Dienstleistungssysteme. Deswegen will ich die Unterschiede in der Organisation dieser Systeme darstellen.

Das Gesundheitssystem ist in Skandinavien eine staatliche Infrastruktur, die von den Kommunen (in Schweden die Läns) bereitgestellt wird. Es gibt deshalb kaum private Ärzte, sondern kommunale Gesundheitszentren und Krankenhäuser, die überwiegend steuerfinanziert sind, auch wenn in den letzten Jahren durch eine Kostenbeteiligung der kostenlose Zugriff auf das System etwas eingeschränkt wurde.

Erstaunlich ist, dass das staatliche skandinavische Gesundheitssystem keineswegs teurer ist als das deutsche. Der Anteil der Kosten am Bruttoinlandsprodukt liegt sogar um 20 Prozent niedriger als in Deutschland. Trotzdem liegt die Lebenserwartung in Schweden zwei Jahre höher als in Deutschland, in Dänemark allerdings niedriger. Die Zufriedenheit war wiederum 2002 – also noch vor der Reformdebatte in Deutschland – in Dänemark mit Abstand am größten, in Deutschland sogar niedriger als in Großbritannien.

Dies lässt möglicherweise auf größere Effizienz schließen. Das kann daran liegen, dass ein System staatlicher Gesundheitszentren andere Schwerpunkte setzt. Es wird erheblich mehr Wert auf Vorsorge gelegt, dafür ist die Ausstattung der Krankenhäuser in der Spitzenmedizin deutlich schlechter. Während in Deutschland das meiste Geld für teure Operationen im hohen Alter ausgegeben wird, setzt ein System mit begrenzten staatlichen Ressourcen automatisch andere Schwerpunkte. Die Krankenhäuser sind eben nicht darauf angewiesen, durch teure Operationen und Medikamente möglichst viel Geld zu verdienen. Ein kommunal verantwortetes Gesundheitswesen ist vielmehr darauf angewiesen, seinen BürgerInnen aller Altersgruppen einen möglichst guten Service zu bieten.

Ähnlich ist es mit der Altenpflege. Jede Kommune ist bemüht, eine gute und möglichst ambulante Pflege vor Ort zu bieten, attraktive Altenwohnungen anzubieten. Nicht teure Transferleistungen, sondern gute kommunale Einrichtungen und ambulante Dienstleistungen stehen im Vordergrund und werden von den Bürgern bei den nächsten Kommunalwahlen belohnt.

Das schwedische Familienwunder

Am deutlichsten ist der Unterschied bei der Kinderbetreuung.(6) Hier bestätigt sich zunächst die Erwartung, dass Schweden mit 3,31 Prozent des Bruttoinlandsproduktes mehr Geld für die Kinderbetreuung ausgibt als Deutschland mit nur 2,73 Prozent. Eine genauere Analyse ergibt jedoch Überraschendes: Entgegen allen Vermutungen gibt Schweden den Familien weniger finanzielle Unterstützung als Deutschland. In Deutschland fließen 1,93 Prozent des Bruttoinlandsproduktes direkt an die Familien: Kindergeld, Steuerfreibeträge, Baukindergeld und vor allem das Ehegattensplitting sind davon die größten Faktoren. Und davon profitieren zu einem erheblichen Teil auch noch Familien ohne Kinder.

Schweden zahlt nur ein Kindergeld von circa 100 Euro und das so heiß diskutierte Elterngeld für 390 Tage. Sonst gibt es an monetären Leistungen fast nichts. Der größte Anteil der Familienförderung fließt in Schweden stattdessen in die hervorragend ausgestatteten Kinderbetreuungseinrichtungen. Jedes schwedische Kind, das ein Jahr alt ist, hat einen Anspruch auf einen Platz in der Kinderkrippe – mit in der Regel drei BetreuerInnen für eine Gruppe mit 13 Kindern. Eine davon ist ausgebildete Elementarlehrerin und ist für die Konzeption der Erziehung und Bildung der Kleinkinder zuständig.

Das Geheimnis des schwedischen Kindersegens liegt also darin, dass in Schweden die junge Mutter nicht vor der Entscheidung steht: Beruf oder Kind. Junge Eltern wissen, dass nach der Geburt und dem Ablauf des Elterngeldes beide Eltern weiterarbeiten können, ohne sich Gedanken über die Unterbringung der Kinder machen zu müssen. Sie wissen auch, dass die Betreuung so hochwertig ist, dass sie kein schlechtes Gewissen haben müssen, ihr Kleinkind dort tagsüber zumindest für einige Stunden abzugeben. Und wenn das Kind krank wird, wissen sie, dass es großzügige Freistellungsregelungen mit Lohnersatzleistungen gibt.

Das alles führt dazu, dass junge Familien in Schweden trotz der geringeren finanziellen Familienförderung materiell besser gestellt sind als in Deutschland. Denn die Familie hat fast immer zwei Einkommen und damit erheblich mehr Geld als in Deutschland, wo ein Elternteil mehrere Jahre zu Hause bleibt und dann meist in Teilzeit geht – was zu einem erheblichen Verlust an Familieneinkommen führt, der auch durch die finanziellen Leistungen des Staates nur marginal ausgeglichen wird. Noch mehr gilt das für Alleinerziehende, die in Deutschland fast regelmäßig in die Sozialhilfe oder ALG-2-Situation fallen.

Fragt man nach den Ursachen der besseren Finanzierung der Kinderbetreuung in Skandinavien im Vergleich zu Deutschland, so landet man zwangsläufig bei den mangelnden finanziellen Möglichkeiten der Kommunen. Bei allen Debatten über Kommunalfinanzen in Schleswig-Holstein war die Finanzierung der Kindertagesstätten immer das Thema Nummer eins. Diskussionen über Kürzungen oder Einsparungen bei den Kommunen wurden mangels Alternativen von den Kommunalpolitikern der beiden großen Parteien regelmäßig zuerst mit Kürzungen bei der Kinderbetreuung in Verbindung gebracht.

Schulen im Qualitätswettbewerb

Kommt das Kind in die Schule, dann setzt sich das Schema fort. Während in Deutschland die Kinder meist nur halbtags in der Schule sind und mittags hungrig nach Hause kommen, werden die schwedischen Kinder in den kommunalen Schulzentren ganztags betreut und selbstverständlich mit Essen versorgt.

Aber auch die Qualitätskontrolle der Schulen funktioniert nach einem anderen Schema: Schwedische Schulen sind als Ergebnis einer Reihe von Schulreformen weitgehend autonom und werden von den Kommunen finanziert. Der Zentralstaat setzt nur noch die Bildungsziele fest und kontrolliert diese durch eine regelmäßige nationale Evaluation. Die Ergebnisse der Evaluation der Schulen werden dann im Internet veröffentlicht.

Schneidet eine Schule schlecht ab, so greift keine Schulaufsicht ein. Aber es entsteht mit Sicherheit eine lebhafte Debatte in den Kommunalzeitungen, in den Schulgremien und im Gemeinderat darüber, woran es liegt und was man verbessern kann. Die Schule – und das heißt dann auch der Rektor oder der Schulvorstand – muss sich am Ergebnis messen lassen. Die kommunalen Schulen befinden sich dadurch in einem Qualitätswettbewerb. Ergebnis ist, dass die Schulen nicht immer unbedingt materiell besser ausgestattet sind, dass aber die LehrerInnen, Eltern und Kommune gemeinsam an einem möglichst großen Erfolg der Schule arbeiten. Jede Schule ist bemüht, möglichst gut abzuschneiden und kümmert sich deshalb um Personalentwicklung, Weiterbildung, neue Methoden und so weiter.

Nur so ist zu erklären, dass das schwedische Schulsystem mit der Einheitsschule, in der Noten erst ab Klasse acht gegeben werden, so viel erfolgreicher ist als das deutsche. Eine schwedische Wissenschaftlerin drückte den Grund so aus: »In Deutschland bekommen die Kinder Noten, in Schweden werden die Schulen (und damit die LehrerInnen – Anm. K.-M. H.) benotet.«

Das dänische Schulsystem war in den PISA-Untersuchungen allerdings nicht erfolgreicher als das deutsche und fiel gegenüber Finnland und Schweden stark ab. Der Unterschied wird darin gesehen, dass in Dänemark bei der Einführung der Autonomie der Schulen in den Neunzigerjahren auf ein wirksames Evaluationssystem verzichtet wurde, so dass kein effektiver Wettbewerb entstanden ist. Während in Finnland und Schweden die lokale Autonomie der Schulen mit einer wirksamen Evaluation über Schul-TÜVs und über Vergleichsarbeiten sowie zentrale Abschlussprüfungen verbunden ist, fehlen in Dänemark vergleichbare Instrumente.

Allen skandinavischen Ländern ist aber wiederum eines gemeinsam: Sie geben mehr Geld für die Bildung aus.(5) Ich bin sicher, dass dies mit der Einnahmeautonomie der skandinavischen Kommunen eng zusammenhängt. Die mangelnde Finanzierung des Schulsystems in Deutschland hat nicht die Ursache darin, dass es die Länder mit den Schulen schlecht meinen. Sie hängt in erster Linie damit zusammen, dass die Länder über ihre Einnahmen nicht selbst entscheiden können und dass die Bildungsausgaben der größte Faktor bei den Länderausgaben sind. In Schleswig-Holstein etwa hat neun Jahre Rot-Grün dazu geführt, dass durch massive Einsparungen bei den Verwaltungen und Mehrausgaben im Bildungssektor der Anteil der Schulen und Hochschulen an den Personalkosten des Landes von 53 auf 57 Prozent angestiegen ist. Dieser Weg ist ohne zusätzliche Einnahmen nicht weiter fortzusetzen. Eine Ausweitung der Bildungsfinanzierung ist also ohne eine Verlagerung der finanziellen Prioritäten zwischen Bund und Ländern nicht zu erreichen.

Diese falsche Situation durch Bundesprogramme korrigieren zu wollen, wie es mit dem Ganztagsschulprogramm der rotgrünen Bundesregierung gemacht wurde, ist nur ein Notbehelf, kann nicht die Lösung sein. Der richtige Weg wäre ein nationales Evaluationssystem und autonome Schulen in der Trägerschaft von Kommunen, die dafür ausreichend finanziert sind.

Die kommunale Demokratie

Niemand sollte sich der Illusion hingeben, dass in Skandinavien alles besser ist und die Menschen eine grundsätzlich andere Mentalität haben. Auch dort wird über schlechte Einrichtungen geklagt, auch dort gibt es Ärger mit den Schulen, auch dort gibt es massive Probleme mit MigrantInnen, mit sozialer Spaltung und Armut. Trotzdem scheint mir die starke Rolle der Kommunen eine positive Auswirkung auf das Gesellschaftssystem zu haben. Der Staat ist den BürgerInnen einfach näher.

Eine positive Folge besteht darin, dass die BürgerInnen bereit sind, mehr Steuern zu zahlen, weil sie besser sehen, was mit ihrem Geld passiert. Als zweiter Effekt lässt sich feststellen, dass die BürgerInnen und damit die Kommunen mehr Wert auf kommunale Dienstleistungen und kommunale Einrichtungen legen. Dagegen scheint der Zentralstaat vor allem zu versuchen, die Akzeptanz der BürgerInnen durch monetäre Geldtransfers zu erreichen. Der Grund ist leicht verständlich: Eine KommunalpolitikerInen geben ihr Geld lieber für eine Investition in der KiTa oder in der Schule aus – da sieht man, was man hat. Ein Bundestagsabgeordneter wird lieber das Kindergeld erhöhen.

Das hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Sozialreformen der Neunzigerjahre gehabt. Die hohe Arbeitslosigkeit hat auch in Skandinavien dazu geführt, dass versucht wurde, durch Kürzungen im Staatshaushalt und eben auch in den Sozialsystemen die wachsenden Staatsausgaben zu begrenzen. So wurden die Steuern gesenkt, die Staatsausgaben zurückgefahren und Eigenbeteiligungen bei den sozialen Leistungen eingeführt, wie die Karenztage bei Krankheitsfortzahlung und Arbeitslosigkeit.

Die Kürzungen fanden aber überwiegend bei den Ausgaben und den sozialen Leistungen oder Regelungen des Zentralstaates statt, weniger bei den Infrastrukturleistungen der Kommunen. Während die Steuer- und Abgabenquote insgesamt in Dänemark und Schweden in den vergangenen 15 Jahren um mehrere Prozentpunkte zurückgefahren wurde, blieben die Steuerquoten der Kommunen trotz gewisser Schwankungen im Schnitt auf der gleichen Höhe.

Im Ergebnis muss man im Vergleich der beiden skandinavischen Staaten mit Deutschland feststellen, dass ein größerer Umfang der Staatstätigkeit und insbesondere der sozialen Leistungen nicht automatisch zu einer schlechteren Performance der Wirtschaft führt. Sie schaffen es als relativ kleine Staaten, auch in Zeiten der Globalisierung das zu realisieren, was sich auch in Deutschland die Mehrheit der Menschen wünscht: Einen qualitativ gut ausgebauten Sozialstaat, ein hohes Niveau an Umweltschutz und zugleich eine konkurrenzfähige Wirtschaft.

Schlussfolgerungen für die Föderalismusdebatte

Gerade viele grüne PolitikerInnen vertraten und vertreten in der Föderalismusdebatte die Meinung, dass eine größere Autonomie der Länder in vielen Politikbereichen abzulehnen ist, da sie insbesondere in den ärmeren Bundesländern zu einer gravierenden Benachteilung führt. Außerdem wurde die These vertreten, dass eine Stärkung der Kompetenzen der Länder im Bildungssystem zu einem Auseinanderdriften führt und dass eine Bildungsreform dadurch eher verhindert wird.

Das skandinavische System macht deutlich, dass ein großes Maß an kommunaler und regionaler Autonomie keineswegs zu einem Dumpingwettbewerb der Regionen nach unten führen muss. Finanzielle Autonomie der Regionen und Kommunen ist nicht gleichbedeutend mit weniger Geld. Im Gegenteil gab es sowohl in Schweden wie in Dänemark selbst in Zeiten, als der Zentralstaat große Anstrengungen unternahm, die Steuer- und Abgabenquote zu senken, in den Kommunen und Regionen die Tendenz, diese weiter zu steigern. Dies führte mehrfach zu Eingriffen des Zentralstaates, um der Tendenz zur Erhöhung der Kommunalsteuern entgegenzuwirken.

Vorraussetzung dafür ist aber natürlich, dass die Kommunen und Ländern das Recht haben, ihre Einnahmen selbst zu bestimmen. In Deutschland wird mehr Wettbewerb immer so verstanden, dass die Länder in den Wettbewerb um die geringeren Ausgaben treten dürfen und dass die Finanzausgleichsmasse verringert wird. In den beiden skandinavischen Ländern ist der Finanzausgleich noch nivellierender als in Deutschland. Daran will auch niemand rütteln. Die Autonomie besteht darin, dass sie ihre Einnahmen selbst bestimmen können und in den Kommunalwahlen die Bürger letztlich entscheiden, wie viel lokale Dienstleistungen sie haben wollen und wie viel Steuern sie zu zahlen bereit sind.

Auch bezogen auf das Bildungssystem sind die Unterschiede frappant. Der Staat legt in Skandinavien nur noch sehr allgemeine Rahmenbedingungen fest und sorgt für eine nationale Evaluation. Bezogen auf Deutschland folgt daraus aber nicht, dass wir mehr bundesstaatliche Kompetenzen brauchen. Im Gegenteil, wir brauchen viel mehr Selbstständigkeit der Schulen vor Ort.(7) Verbunden mit wirksamen Qualitätsstandards und Evaluationssystemen, damit der Wettbewerb zwischen den Schulen sich entfalten kann.

1

Wenn ich im Folgenden von Skandinavien rede, dann meine ich in erster Linie Schweden und Dänemark. Viele Strukturen sind auch mit Finnland und Norwegen vergleichbar, ich werde aber in diesem Aufsatz in der Regel diese Unterschiede nicht diskutieren. Norwegen ist aufgrund der Erdöleinnahmen ökonomisch sowieso nicht vergleichbar.

2

Anteil der Staatsausgaben am Bruttoinlandsprodukt.

3

Der Erfolg rechtsliberaler und konservativer Parteien in Dänemark und Schweden erfolgte, nachdem die massiven ökonomischen Probleme zu Beginn der Neunzigerjahre erfolgreich gelöst worden waren.
In Dänemark war ein wichtiger Faktor die Angst, dass die wachsende Zahl der AusländerInnen und der wachsende Einfluss der EU das Sozialsystem in Gefahr bringt. Die Liberalen und Konservativen, die diese Befürchtungen der Menschen thematisierten, konnten also die Mehrheit erringen, gerade weil die Wirtschaft gut lief, die Arbeitslosigkeit unter 5 Prozent gesunken war und die Parteien versprachen, das Sozialsystem zu erhalten. Die konservative Wende fand deshalb weniger in der Sozialpolitik, sondern vielmehr in der Innenpolitik statt, Dänemark schottet sich gegen Einwanderung ab wie kaum ein anderes Land.
Auch in Schweden spielten ähnliche Faktoren eine Rolle. Dazu kam allerdings, dass in den letzten Jahren trotz glänzender Konjunktur die Arbeitslosigkeit wieder auf 7 Prozent angestiegen ist. Der neue Vorsitzende der Moderaten, Frederik Reinfeldt, hatte in dieser Situation einen Wahlkampf geführt, in dem er sich bemühte, seine Partei als neue Arbeitnehmerpartei zu profilieren. Er gewann die Wahl also interessanterweise eher durch »linke« Kritik – jedenfalls nicht mit der Forderung nach einer neoliberalen Wende.

4

In der Spitze stieg die Arbeitslosigkeit in Schweden auf fast 15 Prozent. Die Steuer- und Sozialabgabenlast erreichte fast 70 Prozent. In Südschweden (Schonen) lag die Arbeitslosigkeit nach der Schließung der Werften in Malmö regional sogar bei bis zu 30 Prozent. Mittlerweile hat sich die radikale Entscheidung der damaligen Regierung, die Werftenhilfe einzustellen und dafür in Malmö und Lund mit Milliarden Kronen neue Universitäten mit Technologiezentren und einer komplett regenerativ versorgten Öko-Stadt in Passivbauweise zu bauen, als richtig erwiesen.

5

Das gilt nicht für alle Schulstufen. Beispielsweise geben Schweden und auch Finnland im Vorschulbereich (zu deutsch »KiTas«) mehr als doppelt so viel aus wie Deutschland, im Grundschulbereich ein Drittel mehr, im Sekundar-I-Bereich nur wenig mehr (hier liegen Deutschland und Finnland sogar fast gleichauf), im Sekundar-II-Bereich gibt Deutschland erheblich mehr aus als die Skandinavier (Grund: das teuere Kurssystem mit den kleinsten Lerneinheiten). Allerdings sind diese Zahlen nicht vergleichbar, da das deutsche System strukturell viel teurer ist: In Schleswig-Holstein z. B. machen nach Berechnung der grünen Fraktion die Mehrkosten durch das Sitzenbleiben, das dreigliedrige Schulsystem und die Zwergschulen etwa 15 Prozent der Lehrerstellen aus.

6

Ich beschränke hier meine Analyse auf Schweden, da mir vergleichbare empirische Zahlen für Dänemark nicht zur Verfügung standen.

7

Natürlich wäre es wünschenswert, wenn es auch in Deutschland eine nationale Entscheidung für eine gemeinsame Schule gäbe. Ich befürchte aber, dazu wird es erst kommen, wenn ein Bundesland erfolgreich voranmarschiert und der Damm im konservativen Lager bricht.
Seitdem im Juni 2006 die Kultusministerkonferenz (KMK) beschlossen hat, die Pflicht zur äußeren Differenzierung abzuschaffen, ist dafür der Weg frei. Bis dahin hatte die KMK für mehrere Schulfächer vorgeschrieben, dass Kinder in der Sekundarstufe 1 ab Klasse 7 in Kursen mit mindestens zwei unterschiedlichen Niveaus unterrichtet werden. Deshalb gab es nur einzelne Modellversuche, die – meist sehr erfolgreich – das skandinavische Modell praktiziert haben – davon auch zwei Gesamtschulen in Schleswig-Holstein.
Schleswig- Holstein wird nun als erstes Bundesland die Gemeinschaftsschule ohne Pflicht zur äußeren Differenzierung als eine Regelschule einführen. Die Entscheidungen über die Einführung dieser Schulart sollen die Schulträger treffen, also die Kommunen. Damit aber der gewünschte Qualitätswettbewerb untereinander und mit dem gegliederten System in Gang kommt, ist ein gut entwickeltes Evaluationssystem erforderlich, das quantitative und qualitative Vergleiche ermöglicht, die auch die Lernvoraussetzungen der SchülerInnen – insbesondere das soziale Umfeld – angemessen berücksichtigt. Daran arbeitet die KMK. Dann kann sich im Rahmen selbstständiger kommunaler Schulen ein Wettbewerb um die beste Schule und damit auch um das beste System entwickeln.