Vor fünf Jahren wurde an dieser Stelle(1) eine Übersicht der noch
überschaubaren Indikatoren-Ansätze zur Messung der Nachhaltigkeit gegeben, die
sich aus den Agenda-21-Folgeprozessen entwickelten. Die Konferenz Rio 10+ in
Johannesburg gibt Anlass für eine aktuelle Bewertung der weiteren Entfaltung
dieses Instrumentariums. Schwerpunkt dieses Aufsatzes ist die
Indikatoren-Entwicklung auf globaler Ebene.
Im
Vorwort zum „Living Planet Report 2002“(2) stimmt der leitende Direktor des WWF
International, Claude Martin, in eine bekannte Klage ein. Er moniert, dass der
Nachhaltigkeitsbegriff inzwischen zu einer Floskel verkommen sei, unter der
Regierungen, Industrie und NGOs jeweils das verständen, was ihnen gerade
opportun erscheine. Martin betont weiter, dass die Idee des nachhaltigen Lebens
in einem vor der Rio-Konferenz 1992 von WWF, IUCN und UNEP gemeinsam publizierten
Bericht als „Verbesserung der Lebensqualität des menschlichen Lebens innerhalb
der Kapazitätsgrenzen der ihm zu Grunde liegenden Ökosysteme“ definiert wurde,
wobei die Betonung auf dem letztgenannten Kriterium der Kapazitätsgrenzen
liegt.
Folgerichtig
fährt der WWF in seinem Bericht nicht mit einem weiteren Lamento über den
schlechten Zustand der Welt fort, sondern publiziert Zeitreihen von
Indikatoren, die die Entwicklung der Ökosysteme unter der Beanspruchung durch
die Weltgesellschaft und -ökonomie zeigen. Möglich und bedeutsam sind dabei
Vergleiche zwischen den Erdteilen und zwischen einzelnen Nationen. Aus der
Vielzahl vorhandener Umwelt- und Wirtschaftsdaten, die zu Indikatoren
aggregiert wurden, hat sich der WWF für zwei sehr prägnante Summenindikatoren
entschieden. Einmal den „Living Planet Index“ (LPI), der den Zustand und
die Veränderungen dreier Ökosysteme zusammenfasst. Zum anderen den „Ökologischen
Fußabdruck“, der den Druck auf die Ökosysteme durch die menschliche
Ressourcennutzung abbildet.
Die
Zeitreihe des Living Planet Index beginnt im Jahre 1970 mit dem
Indexwert von 1,0 und ist im Jahre 2000 bei 0,63 angelangt, das heißt er hat
sich um 37 Prozent verschlechtert (Abb. 1 a). Der LPI wird
gebildet aus Bestandsveränderungsdaten bestimmter Tierspezies in den drei
Leitbiotopen Wald, Süßwasser und Meere. Besonders gravierend ist die Abnahme
der biologischen Vielfalt der Süßwasserspezies mit einer Halbierung (Indexwert
0,5) innerhalb der letzten 30 Jahre. Der LPI als Summenindikator ist
„biologisch“ ausgerichtet und gehört innerhalb der Indikatorensystematik der
OECD (pressure-state-response) zur Status-Kategorie. Er zeigt, wie die
Ökosysteme auf den menschlichen Nutzungsdruck durch Abnahme der Artenvielfalt
reagiert haben und in welchem relativen aktuellen Status, bezogen auf einen
definierten Ausgangszeitpunkt, sie sich befinden.
Der
ökologische Fußabdruck (engl. ecological footprint) nach der
Methode von Wackernagel und Rees beruht dagegen nicht auf Daten der Beobachtung
biologischer Systeme, sondern fußt auf nationalen Wirtschaftsstatistiken und
Flächennutzungsdaten, verfolgt also einen volkswirtschaftlichen Ansatz.(3) Der ökologische
Fußabdruck (ÖF) drückt letztlich alle relevanten Ressourcennutzungen
des Menschen in einer Flächeneinheit (hektar) aus und weist so jedem Bürger
einen statistischen Durchschnittswert seiner systembezogenen
Flächenbeanspruchung – eben seinen ökologischen Fußabdruck – zu.
Der
ÖF wurde in den letzten Jahren in einigen großen Städten innerhalb
lokaler Agenden als probates Instrument aufgegriffen, um den lokalen
Nutzungsstatus anschaulich und allgemein verständlich abzubilden. Für Städte
wie Hamburg, Kopenhagen, Santiago de Chile und viele andere mehr liegen
detaillierte Berechnungen vor. Der WWF ließ für die einzelnen Staaten der Erde
den ÖF ermitteln und hat daraus wiederum den Summenindikator für den gesamten
Globus ermittelt, den „ökologischen Weltfußabdruck“ (WÖF). Dieser lässt
sich ebenfalls in einer Zeitreihe über nunmehr fast 40 Jahre (1961-1999)
darstellen (Abb. 1 b) und ergänzt als Pressure- und Status-Indikator den
Living-Planet-Index. Der WÖF lässt sich absolut in etlichen Milliarden
Hektar darstellen, anschaulicher ist jedoch die Verhältniszahl bezogen auf die
für menschliche Nutzung relevante biologische Sphäre der Erde, das heißt als
Anteil an der nutzbaren Planetenoberfläche. Dabei ergibt sich, dass 1961 in der
Summe etwa 0,69 des Planeten von der Weltbevölkerung in Anspruch genommen
wurde. Um 1980 herum war es der gesamte Planet (Index = 1), im Jahre 1999 lag der
Index bei 1,2, das heißt es lag bereits eine Übernutzung um 20 Prozent vor.
Dies
sagt jedoch noch nichts über die Verteilung der Nutzung aus. Auf Nationen
bezogen führen die Bürger der Vereinigten Arabischen Emirate mit mehr als 10
Hektar/Einwohner (ha/E) die Weltrangliste noch vor den Bürgern der USA.
Deutschland steht mit 4,71 ha/E an 21. Stelle. Die Tabelle endet bei Mozambique
mit 0,48 ha/ E. Der Weltdurchschnitt liegt derzeit bei 2,28 ha/E. Die
nachhaltige Tragekapazität der Erde lässt sich bei der derzeitigen
Weltbevölkerung von mehr als 6 Milliarden Menschen mit etwa 1,8 ha/E annehmen.
Die wahre Sprengkraft entfaltet dieser Ansatz erst, wenn der durchschnittliche ÖF
von 6,48 ha/E der 900 Millionen Einwohner der High-income-Länder auf die
2,9 Milliarden Bürger der Middle-income-Länder (ÖF bisher = 1,99
ha/E) und erst recht auf die 2,1 Milliarden „Hungerleider“ der Low-income-Länder
(ÖF bisher = 0,83 ha/E) ausgedehnt wird (Abb. 2). Diese
Zukunftsprojektion zeigt nicht nur die Grenzen der ökologischen, sondern mit
hoher Wahrscheinlichkeit auch der ökonomischen Machbarkeit auf.
Man
mag gegen diese Betrachtungsweise einwenden, dass es sich um Überspitzungen von
Umweltorganisationen handele. Zumal die katastrophische Zuspitzung bei 20
Prozent Übernutzung der Erde schon gravierend sichtbar geworden sein müsse.
Strukturelle und konkrete Wahrnehmung liegen hier weit auseinander. Die
öffentliche Debatte kreist deshalb häufig um die Prägnanz und Anschaulichkeit
der Argumente im Sinne „schlüssiger Beweise“ insbesondere mit Anbindung an
Alltagserfahrungen. Gibt es den Schlüsselindikator, der auch dem letzten Laien
erkennbar und unwiderlegbar die Folgen unseres derzeitigen Wirtschaftens vor
Augen führt? Wohl kaum! Es gibt jedoch Indizien, deren medientaugliche
Darstellung hilfreich ist. Ein Korrelat für den CO2-Anstieg in der Atmosphäre
ist beispielsweise das dramatische Zurückweichen der Gletscher innerhalb
weniger Dekaden. Eine akribische vergleichende Dokumentation historischer und
aktueller Fotos großer Gletscher, die Greenpeace jüngst publiziert hat, belegen
dies.(4)
Konkret
lässt sich sagen, dass drei der Einzeldimensionen des ökologischen
Fußabdrucks besonders starke Wachstumstendenzen innerhalb des
Betrachtungszeitraums von 40 Jahren aufweisen: Fischfangfläche (+ 164 %),
Siedlungs- und Verkehrsfläche (+ 88 %) und Energiefläche (+ 168 %) (Abb. 3).
Beim Fischfang bedarf es inzwischen internationaler Regulationen mit zum Teil
rigiden Fangverboten, um den Fischbestand in bestimmten Meeresgebieten
überhaupt wieder aufleben zu lassen. Die Ausweitung der Siedlungs- und
Verkehrsfläche wird in Europa und Nordamerika – außerhalb der Ballungsräume –
bislang eher als landschaftsästhetisches Problem wahrgenommen. In Teilen von
Asien (Bangladesh, China, Japan) geht es inzwischen jedoch schon um echte
Nutzungskonkurrenzen.
Die
strategisch interessanteste Variable ist jedoch die Energiefläche, ihr kommt
innerhalb des WÖF ein immer größerer Anteil zu. Die Energiefläche meint
jene Fläche, die notwendig wäre, wenn die benötigte Energie nachhaltig, also
über regenerative Quellen, zum Beispiel dem Anbau von Biomasse, zur Verfügung
gestellt werden würde. War die Energiefläche am WÖF im Jahre 1961 noch
mit einem Drittel beteiligt, so macht sie inzwischen die Hälfte aus, wobei der WÖF
selbst um über 80 Prozent gewachsen ist. Die energetische Versorgung der
Weltökonomie speist sich derzeit hauptsächlich aus der fossil akkumulierten
Energie der Vergangenheit und nimmt eine nicht nachwachsende Ressource
zukünftiger Generationen in Anspruch. Somit entzerrt die Nutzung fossiler (wie
auch der ebenfalls endlichen atomaren) Energie den eigentlich schon vorhandenen
Nachhaltigkeitskonflikt im Energiebereich für die Dauer noch einer oder
vielleicht auch mehrerer Generationen. Umgekehrt wird die Bedeutung der
regenerativen Energien für eine nachhaltige Entwicklung deutlich.(5)
In
den letzten Jahren haben Umweltverbände, Ökobewegung und Grüne mehr und mehr
mit Gegenwind zu kämpfen, wenn es um die Verteidigung ihrer Grundgewissheiten,
der Begründungsmatrix ihrer Existenzberechtigung geht. Die Solidität der Daten
und die Stichhaltigkeit der Szenarien werden angezweifelt, Untergangshysterie
und Katastrophismus unterstellt. Es bröselt allerorten, selbst in bislang als
ökologische Musterländer geltenden europäischen Staaten. Ein – in der
Wissenschaftsgemeinde ob seiner Methoden und Aussagen umstrittener – dänischer
Forscher, der sich mit Vorliebe über die Zertrümmerung ökologischer
Gewissheiten profilierte, wird gar zum Umweltminister der neuen konservativen
dänischen Regierung bestellt. Vorbei die Zeiten, als 30 Prozent regenerative
Energieversorgung ein greifbares dänisches Staatsziel waren.
Auch
der Club of Rome, der vor 30 Jahren die Nachhaltigkeitsdebatte maßgeblich mit
angestoßen hat, vollzieht in seinem gerade veröffentlichten Memorandum(6) eine
scheinbare Kehrtwende. Scheinbar deshalb, weil in der deutschen
Presseberichterstattung vor allem der Absatz über die mögliche Verzehnfachung
der globalen Wirtschaftsleistung zitiert wurde, mit der den Dritte-Welt-Ländern
eine Entwicklungschance eingeräumt werden soll. Liest man das Memorandum jedoch
in Gänze, so kann von einer kompletten Trendwende der Lagebeurteilung nicht die
Rede sein. Zwar korrigiert der Club of Rome seine ursprünglichen zugespitzten
Szenarien der unmittelbar bevorstehenden Erschöpfung der rohstofflichen und
energetischen Vorräte – die sich aus unterschiedlichen Gründen „gestreckt“
haben –, er insistiert jedoch weiter auf der begrenzten Ressourcenverfügbarkeit
und fordert Ressourceneffizienz sowie „Steuerungsmechanismen als Antwort auf
begrenzte Ressourcen“. Übersetzt heißt das: künstlich erzeugte ökonomische
Verknappung der Ressourcen durch Instrumente wie die Ökosteuer.
Weiterhin
setzt der Club of Rome seine Hoffnung auf die Informations- und
Kommunikationstechnologien, die er als Schlüsseltechnologien für die geforderte
Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenbeanspruchung einschätzt. Das Ziel ist
die Dematerialisierung des Wirtschaftsprozesses hin zur nachhaltigen
Wissensgesellschaft. Für die Unternehmen fordert der Club of Rome schließlich
bis 2010 eine „Dreifachergebnis-Rechnung“, die die Entwicklung des Natur-,
Sozial- und Humankapital einschließt, also einen mit dem Konzept der Nachhaltigkeits-Indikatoren
verwandten Ansatz.
Wie
schwierig der Prozess der Dematerialisierung realiter ist, hat die Entwicklung
in Japan gezeigt, wo in den Achtzigerjahren eine Entkoppelung von
Wirtschaftswachstum und Stoffumsatz realisiert werden konnte, in den Neunzigerjahren
nach Ausschöpfung der primären Einsparpotenziale weiteres Wirtschaftswachstum
jedoch wieder mit erhöhtem Stoff- und Energieumsatz bezahlt werden musste. Die
Abbildung der Stoffstromproblematik für die Raumentwicklung(7) und die
Produktentwicklung (MIPS-Konzept) ist methodisch unter anderem durch
verschiedene Studien am Wuppertal-Institut und artverwandter internationaler
Gremien weit gediehen. Die Übersetzung dieser Erkenntnisse und Methoden in die
Planungs- und Wirtschaftsprozesse stehen indes weltweit noch am Anfang, wobei
in Deutschland sicher einige Weichenstellungen in den letzten vier Jahren
erfolgt sind.
Die
Bundesrepublik Deutschland war einer von 22 Staaten, der zwischen 1995 und 2001
an einem Testlauf von Nachhaltigkeitsindikatoren teilnahm, die die Commission
for Sustainable Development (CSD) definiert hatte. Im Ergebnis hält der
Abschlussbericht unter Federführung des Umweltministeriums(8) fest, dass viele
der 134 Indikatorenvorschläge der CSD (Paradebeispiel „Wüstenbildung“) für ein
Industrieland wie Deutschland nicht relevant oder nur wenig aussagekräftig
sind, manche wünschenswerte dagegen fehlen (Beispiel: „Personal und Mittel für
Umweltforschung“). Insgesamt resultierte aus dem Test eine deutsche
Vorschlagsliste von 218 angepassten Indikatoren. Es bleibt abzuwarten, ob sich
aus der Vielfalt der nationalen Tests und Vorschläge ein einheitliches
Indikatoren-Set entwickeln wird. Zu hoffen ist, dass Johannesburg hier
Fortschritte bringt.
1 Serwe,
H.-J. (1997): „Nachhaltigkeitsindikatoren in der Agenda 21“, in: Kommune,
Heft 11/1997: S. 47-51.
2 WWF-International (2002): Living Planet Report
2002 (www.wwf.de, download am 22.7.02).
3
Wackernagel, M./Rees, M. (1996): Unser ökologischer Fußabdruck Basel:
Birkhäuser.
4
www.greenpeace.org.
5 BMU
(2000): Erneuerbare Energien und nachhaltige Entwicklung, Berlin.
6 Club of
Rome (2002): „Das Naturkapital unserer globalen Umwelt ist bedrohter denn je“,
in: Frankfurter Rundschau v. 5.8.02, S. 6 (Dokumentation).
7
Bringezu, S. (2000): Ressourcennutzung in Wirtschaftsräumen.
Stoffstromanalysen für eine nachhaltige Raumentwicklung, Berlin: Springer.
8 BMU
(2000): Erprobung der CSD-Nachhaltigkeitsindikatoren in Deutschland –
Bericht an die Bundesregierung (download über
www.bmu.de/presse/2000/kurz_info10.php).
Abbildungen:
Abb. 1 a:
Living Planet Index (1970-2000) (Quelle: WWF 2002)
Abb. 1b:
Ökologischer Weltfußabdruck (1961-1999) (Quelle: WWF 2002)
Abb. 3:
Ökologischer Weltfußabdruck nach einzelnen Bereichen (Quelle: WWF 2002)