Steuer- und Bankgeheimnis als Pressegesetz

EU-Musterländle Luxemburg: Ein Hort von Filz und Korruption

Werner Rügemer

Ein großer Teil der in den vergangenen Monaten aufgedeckten Korruption im EU-Apparat wurde über Luxemburg abgewickelt. Die dabei angewandten Methoden, wie fiktive Arbeitsverhältnisse, Vetternwirtschaft, Tarnfirmen, Urkundenfälschung, Entlassung von "Verrätern", Erpressung und Drohungen gegen Journalisten, gehören zum Standard in der Luxemburger Innenpolitik. Jacques Santer sagte nach der Abstimmung im EU-Parlament über die Korruptionsvorwürfe gegen die EU-Kommission am 14. Januar 1999 erleichtert: "Solche Probleme sind normales Regierungsgeschäft. Wir werden tiefgreifende Reformen einleiten und weiterarbeiten." Solche Äußerungen sind für Santer aus seiner Zeit als Ministerpräsident Luxemburgs Routine.

Diese Umstände könnten in Europa und in Deutschland längst bekannt sein, wenn nicht das politische Innenleben Luxemburgs jahrzehntelang ein Tabu geblieben wäre. Die deutschen Medien schwiegen, als Santer seit 1991 als luxemburgischer Ministerpräsident die "Försterkorruption" unter den Tisch kehrte. Sie schweigen auch zu den Affären des jetzigen Ministerpräsidenten Juncker.

Luxemburg ist das wichtigste Entstehungsland der Europäischen Union. Das kleine Großherzogtum beheimatet heute weitaus mehr europäische Institutionen als jedes andere EU-Mitgliedsland: ein Sitz des Europäischen Parlaments, den Europäischen Gerichtshof und den Rechnungshof, eine Filiale von Europol, das Statistische Amt der EU sowie zahlreiche ausführende Dienstleistungen (Übersetzerdienst, Publikationen, Transporte usw.). Politiker und Beamte aus Luxemburg sind überproportional im EU-Apparat vertreten, zwei ehemalige Ministerpräsidenten, Thorn und Santer, wurden Präsidenten der Europäischen Kommission.

In Deutschland wird immer noch das Bild vom idyllischen, ja vorbildlichen Großherzogtum gemalt, obwohl der "rabenschwarze Großdiktator Jean-Claude Bokassa", wie Jean-Claude Juncker im aufstrebenden Luxemburger Satiremagazin Den neie Feierkrop (Der neue Feuerhaken) genannt wird, in einem Sumpf von Filz und Korruption zu ertrinken droht. Das Ansehen der christlich-sozial geführten Regierung ist durch zahlreiche Affären angeschlagen. Dabei hat sie immer wieder versucht, durch Eingriffe in die Pressefreiheit das Schlimmste zu verhindern. Daß es aber nicht mehr einfach im alten Stil weitergeht, wird auch durch die Entwicklung des neie Feierkrop deutlich: Es ist nicht nur die mit fünf Jahren jüngste Zeitung im Großherzogtum, sondern auch die einzige, deren Auflage steigt, und zwar kräftig.

Seit Jahren toben in der Luxemburger Öffentlichkeit wiederkehrende Staatsaffären, und die Medien der unmittelbar angrenzenden Landstriche, wie der Trierische Volksfreund, der Saarländische Rundfunk und der Républicain Lorrain, toben mit, aber in die Hauptstädte der befreundeten EU-Länder dringt bisher kein Ton. Das hat sich auch nicht geändert, nachdem der bisherige Schutzpatron aus dem mächtigen Nachbarland, Helmut Kohl, nun seinen kleinen europäischen Bauchredner Juncker nicht mehr so direkt beschützen kann. Vielleicht liegt es daran, daß auch die "Luxemburger Sozialistische Arbeiterpartei" in der Koalitionsregierung vertreten ist.

Die Tennishalle des Innenministers

Die jüngste Affäre begann am 19. Oktober 1998. Da wurde in einer ganztägigen Polizeiaktion die Redaktion der Tageszeitung Letzebuerger Journal durchsucht, danach die Privatwohnung des Chefredakteurs Rob Roemen und schließlich noch die Kanzlei seiner Anwältin. Die Polizei sollte die Namen von Informanten ausfindig machen. Am nächsten Tag ging es weiter: Die Räume von Finanzamtspräsident Paul Bleser wurden gefilzt. Auch er sollte die Namen der vermuteten Informanten herausrücken.

Im Durchsuchungsbefehl hieß es, gegen den Journal-Chefredakteur werde wegen "Hehlerei mit Berufsgeheimnissen" ermittelt. Das bezieht sich auf einen Artikel, den Roemen über Innenminister Michel Wolter geschrieben hatte. Wolter war 1993 Abgeordneter der Christlich-Sozialen Volkspartei. Er war zugleich Präsident des Luxemburgischen Tennisverbandes. Der Verband ließ damals über die eigens gegründete "Stiftung Tennisförderung" für 7,5 Millionen Mark die größte Tennishalle des Landes bauen, "nationales Tenniszentrum" genannt. Wolter erwirkte anschließend die Rückzahlung von 650000 Mark Mehrwertsteuer, mit dem Argument, Tennisspielen sei eine kulturelle Sache und von der Mehrwertsteuer befreit. Dazu hatte er aber, so wurde bezeugt, sanften Druck auf einen Finanzbeamten ausgeübt. Die Angelegenheit kam fünf Jahre später dem Finanzamt zu Ohren. Der Präsident des Finanzamtes forderte deshalb im Juni 1998 die Mehrwertsteuer zurück und schickte dem inzwischen zum Innenminister aufgestiegenen Wolter einen Strafbescheid über 5000 Mark. Wolter legte Widerspruch ein. Dieser interne Vorgang wurde dem Letzebuerger Journal bekannt.

Nach Erscheinen des Artikels strengte Wolter, der dem Renommierprojekt Tennishalle seinen politischen Aufstieg verdankt, einen Prozeß gegen Roemen und den Verlag des Journal an. Er klagte auf Zahlung von 500000 Mark Schadenersatz. Der Prozeß wird irgendwann im Laufe des Jahres 1999 stattfinden. Die Regierung wurde aber offensichtlich nervös über die ständige Berichterstattung - im Großherzogtum stehen Wahlen bevor. So hat Wolter noch eine Klage "gegen den Staat/gegen Unbekannt" wegen "Verletzung des Berufsgeheimnisses" nachgeschoben. Damit soll der Name des Informanten ermittelt werden. Denn für die angeschlagene Regierung Juncker sind die sich mehrenden "undichten Stellen" im Staatsapparat das eigentliche Problem.

Das Bezirksgericht Luxemburg hat zwar inzwischen die Beschlagnahme eines Dokuments mit den vermutlichen Namen des Informanten bei der Rechtsanwältin wegen eines Formfehlers für ungültig erklärt und die Rückgabe angeordnet. Der Untersuchungsrichter gab deshalb am 11. Januar 1999 das Dokument zurück, hatte aber nun einen formgerechten Beschluß dabei und nahm das Dokument postwendend wieder mit. Die "Wild-West-Methoden unserer Staatsanwaltschaft gegen die Pressefreiheit gehen munter weiter", kommentierte das Journal.

"Dysfunktionen" im Gesundheitswesen

Vor der "Tennishallen-Affäre" wurde das EU-Musterländle durch die "Gesundheits-Affäre" erschüttert. Am 22. Januar 1998 trat Gesundheits- und Umweltminister Johny Lahure zurück. Seit Dezember 1997 hatten die Medien über "Veruntreuung öffentlicher Gelder" im Gesundheitsministerium berichtet. Die Koalitionsregierung geriet in Panik. Der langjährige Gesundheitsminister Lahure von der Sozialistischen Arbeiterpartei mußte gehen. Er schönte sein Bauernopfer mit dem Spruch: "Ich bin verantwortlich, aber nicht schuldig."

Noch am Tage des Ministerrücktritts wurde eine "Spezialkommission" des Parlaments eingerichtet. Zunächst wurde reichlich Material ans Licht gefördert, auch weil die Kommissionsmitglieder der kleinen Oppositionsparteien Grüne, und insbesondere ADR (Aktionskomittee für Demokratie und Rentengerechtigkeit), den Medien jeden Tag neue Kontoauszüge, falsche Rechnungen und andere Dokumente aus 14 Jahren schwarz-roter Geheimwirtschaft ausbreiteten. Das Journal schrieb: "Unter der Oberfläche eines schönen, reichen, geachteten Landes erscheint das Bild eines Augiasstalles, den niemand vermutet hätte!" Und die Tageszeitung Letzebuerger Land: "Pfründenjäger, Machtmißbrauch, Verfilzung! Die Regierung muß zurücktreten!"

Es ergab sich folgendes Bild der "unorthodoxen Finanzpraktiken" bzw. der "Dysfunktionen", wie die gesetzwidrigen Geldwege nach der Sprachregelung der Juncker-Regierung genannt wurden:

- Verbände wie die Caritas erhielten staatliche Zuwendungen, von denen Angestellte bezahlt wurden, die aber in Wirklichkeit im Ministerium arbeiteten. Auf diese Weise wurden Personalsperren umgangen, und der Staat konnte sich rühmen, die Eigenverantwortung der Privaten zu fördern und selbst immer schlanker zu werden.

- Einzelne Kliniken, die Klinikvereinigung und private Nonnenspitäler erhielten Kredite und Zuwendungen aus dem Staatshaushalt, mit denen sie aber Rechnungen bezahlten, die für einen ganz anderen Zweck dem Ministerium ausgestellt waren. Entsprechend diffus waren Überweisungstexte: "Für erbrachte Leistungen."

- Hochrangigen Beamten des Ministeriums wurden aus der Staatskasse Entschädigungen zugeschanzt, die ihnen auf dem regulären Wege nicht genehmigt wurden. Wer versetzt wurde oder von der Privatwirtschaft in den Staatsdienst wechselte, bekam verdeckten Gehaltsausgleich. Bei einem Spitzenbeamten wechselten sich seit 1988 drei verschiedene private Gesundheitsverbände ab, um - auf den Tag genau aufeinander abgestimmt - die geheime Entschädigung auszuzahlen.

- Denjenigen, die an diesen verwinkelten Transaktionen beteiligt waren, fiel es nicht schwer, auch einmal einen Scheck über 100000 Mark dem eigenen Konto gutzuschreiben - keiner merkte was, man kontrollierte sich schließlich selbst.

Das Bild der Dysfunktionen blieb unvollständig, da Unterlagen verschwanden. Und zufällig brachen zu Beginn der Untersuchungen im Archiv der Sozialversicherung zwei Brände aus.

Eine Woche nach dem Minister trat Marcel Reimen, Verwaltungschef und rechte Hand von Lahure, zurück. Er übte zahlreiche Funktionen in den von ihm subventionierten Unternehmen aus. So war er unter anderem Präsident des Thermalbades Mondorf-les-Bains. Es wurde zwar in den 80er Jahren auf Betreiben Reimens privatisiert, erhielt aber - entgegen Parlamentsbeschlüssen - weiter staatliche Zuschüsse in Höhe von einer Million Mark jährlich. Wie sein Chef beteuerte er, unschuldig zu sein.

Zwei Tage danach beging der Hauptbuchhalter des Gesundheitsministeriums Selbstmord, in Belgien, unter mysteriösen Umständen. Daraufhin wollte der Vorsitzende der "Spezialkommission", Jeannot Krecké, die Kommission auflösen, da man ohne diese Schlüsselfigur unmöglich die Wahrheit finden könne. Auch Premier Juncker wurde die Sache zu heiß. Zehn Tage nach seinen dröhnenden Forderungen nach "totaler Aufklärung und Transparenz" befand er, im Großherzogtum sei ein "krankhafter Voyeurismus" ausgebrochen, der in eine "Hetzkampagne" der Medien gegen Regierung und Staat ausufere. "Zurück zur Normalität!" war die neue Regierungsparole.

"Dysfunktionen" als Regierungsmethode

Man kann die Aufregung des "rabenschwarzen Großdiktators" auch deshalb verstehen, weil er neben seiner Funktion als Regierungschef nicht nur Arbeitsminister ist, sondern auch noch Finanzminister. In dieser Funktion hat er so manche "Dysfunktion" gebilligt. Aber auch die Forderung des Kommissionsvorsitzenden Krecké nach Abbruch der Untersuchung mag verständlich erscheinen: Krecké ist Präsident der Luxemburger Alzheimer-Vereinigung. Die bekam Zuschüsse aus dem Gesundheitsministerium, mit der Auflage, einen Teil als geheimen Gehaltszuschlag an einen Beamten des Ministeriums zurückfließen zu lassen. Mit seiner Unterschrift hatte Krecké solche Zahlungen veranlaßt. Der Alzheimer-Präsident rechtfertigte sich: "Ich habe mich an diesen Praktiken beteiligt wie Hunderte andere Vereinigungen und Unternehmen". Peinlich, da war ihm doch ein zarter Hinweis auf das Ausmaß der "Dysfunktionen" herausgerutscht. Es folgte der dritte Rücktritt innerhalb von zwei Wochen, wenn auch nur vom Vorsitz der Spezialkommission.

Bei der Einrichtung der Kommission hatte Justizminister Marc Fischbach darauf hingewiesen, daß auch in anderen Ministerien "Dysfunktionen" vorkommen: im Umweltministerium sowie im Familien- und Landwirtschaftsministerium. Die Medien sprachen nun von einem "Flächenbrand". Beispiel Bauministerium: Zur Überwachung von Straßenbauprojekten vergab das Ministerium seit 1988 Aufträge im Wert von 50 Millionen Mark an das Ingenieurbüro LUXPLAN. Alle Aufträge wurden ohne Ausschreibung vergeben, und zwar auf der Grundlage eines "formfreien Vertrages", der entgegen allen Vorschriften automatisch verlängert wurde. Das Ingenieurbüro war für diesen Zweck gegründet worden und arbeitete zu 95 Prozent für das Ministerium.

Dem staatlich hochsubventionierten Thermalbad Mondorf beispielsweise wurde bis 1998 jährlich eine Million Mark für Parkwege genehmigt - so viele Parkwege gibt es im ganzen Reich des rabenschwarzen Großdiktators nicht. So entstanden immer mehr ungenehmigte und kuriose Ausgaben, die von der Regierung nachträglich genehmigt und erst nach zwei, drei oder auch vier Jahren dem Parlament zur Verabschiedung vorgelegt wurden, während in der Zwischenzeit alle Ungereimtheiten "beseitigt" werden konnten. Folge: Der Rechnungshof muß jahrelang Belege und Rechnungen anfordern, bis ein Haushaltsposten abgeschlossen werden kann. "Selbst Haushaltsposten von 1983 sind noch nicht abgeschlossen", beschwerte er sich 1996.

Die zahlreichen Verwaltungsratsmandate des obersten Gesundheitsfunktionärs Reimen gaben Anlaß, der Ämterkumulation bei großherzoglichen Spitzenbeamten nachzugehen. Wenige Dutzend Topfunktionäre sitzen in bis zu 20 Verwaltungsräten staatlicher und privater Unternehmen und kassieren hier hohe "Entschädigungen" für ihre aufopfernde Filztätigkeit während der Dienstzeit.

Für zurückgetretene Minister und Beamte findet die Regierung nach einer geringen Schamfrist weitere Verwendung: Gesundheitsminister Lahure war nach seinem Rücktritt verantwortlich für die Expo-Beteiligung Luxemburgs in Lissabon. Sein Verwaltungschef Reimen arbeitet inzwischen, wie übrigens auch seine Ehefrau, in der ständigen Vertretung des Großherzogtums bei der EU in Brüssel, und auf Vorschlag der Regierung erhielt er eine der zahlreichen und möglicherweise überflüssigen Funktionen im Bereich der EU-Kommission: Er wurde Vizepräsident des Verwaltungsrates der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, mit Standort in Lissabon.

Santer und die Förster

Immer noch unerledigt ist die "Försteraffäre", obwohl sie bereits am 2. Oktober 1990 begann: Da gaben sieben luxemburgische Holzhändler eine Pressekonferenz. Sie erklärten, daß französische und belgische Holzhändler aus den großherzoglichen Wäldern die besten und teuersten Buchen und Eichen stehlen, und zwar unter der tatkräftigen Mithilfe Luxemburger Förster. Dazu muß man wissen: Die großherzoglichen Förster sind eine kleine, aber mächtige Berufsgruppe. Sie werden die "grünen Götter" genannt.

Die Luxemburger Medien brachten wöchentlich neue Enthüllungen. So widmete allein der Rundfunkjournalist Marc Thoma im Laufe eines halben Jahres der Försterkorruption in seinem RTL-Ökomagazin 14 einstündige Sendungen; darin kamen zahlreiche Zeugen zu Wort. So bezeugte ein Holzhändler aus der Eifel, er sei von einem Förster aufgefordert worden, Schmiergeld zu bezahlen. Er habe sich geweigert und habe deshalb kein Holz kaufen können.

Drei Holzarbeiter bezeugten, daß einige Förster Eichen- und Buchenstämme falsch vermessen ließen, gegen Zahlung eines entsprechenden Betrages. So konnten die ausländischen Holzhändler einen Eichenstamm, der eigentlich 17500 Mark hätte kosten müssen, für die Hälfte abtransportieren. Manche Stämme seien von den Förstern überhaupt nicht registriert und dann schwarz auf eigene Rechnung verschachert worden. Zeugen rechneten vor, daß manche Förster so auf monatliche Nebenverdienste von 50000 Mark kommen.

Während der 14 Sendungen gab es von seiten der Förster keine Reaktion. Das änderte sich nach der 14. Sendung am 6. November 1991. Darin zitierte Marc Thoma einen Artikel seines Berufskollegen Josy Braun aus dem tageblatt, einer der fünf Letzeburger Tageszeitungen. Braun hatte einen Waldbesitzer zitiert: "Ich kenne nur einen Förster, der unbestechlich ist." Daraufhin reichten die "grünen Götter" gegen Marc Thoma und Josy Braun Klage ein: wegen Verletzung der beruflichen Ehre. Wenn der Waldbesitzer gesagt habe, er kenne nur einen Förster, der unbestechlich ist, dann seien, so folgerten sie, alle anderen Förster von Thoma und Braun als bestechlich bezeichnet worden. In ihrer Klage verlangten die Förster außerdem jeweils 50000 Mark Schadenersatz.

Im Solde der nassauischen Krone stehen 80 Förster und Oberförster. 63 von ihnen reichten getrennte Klagen ein, jeweils dem selben Wortlaut. Das Amtsgericht Luxemburg nahm die getrennten Klagen an. Schließlich wurden 63 getrennte Gerichtsverfahren durchgeführt. Die Journalisten wurden nicht angehört, ihre Beweise nicht gewürdigt, ihre 31 Zeugen nicht vernommen. Es handelte sich um ein Zivil-, nicht um ein Strafverfahren. Die 63 Verfahren kamen alle zu demselben Ergebnis: Thoma und Braun wurden am 14. Juli 1993 wegen Verletzung der beruflichen Ehre der Förster verurteilt sowie zur Zahlung der 63 Zustell- und Gerichtskosten und schließlich noch eines symbolischen Schadenersatzes von 63 mal einem Franken. Die Kosten für die beiden Journalisten beliefen sich damit insgesamt auf mehr als 100000 Mark.

tageblatt-Journalist Josy Braun gab seinen Beruf auf: Er war zermürbt. Er ist seitdem Frühpensionär und verdient sich als Hobby-Kabarettist ein kleines Zubrot. Marc Thoma ging in Berufung. Die 2. Instanz, der Appellationshof, hielt es ebenfalls für richtig, 63 wortgleiche Einzelverfahren durchzuführen. Das Urteil wurde sogar noch verschärft: Da sich Thoma nicht formell von dem fraglichen Zitat distanziert habe, müsse angenommen werden, daß er sich damit identifiziert habe. Er hafte für den Wahrheitsgehalt. Thoma ging in die 3. Instanz, vor den Kassationshof; der bestätigte schließlich im Januar 1996 das Urteil, übrigens ohne jegliche Begründung. Damit war der luxemburgische Rechtsstaat ausgeschöpft.

In seiner Not reichte Marc Thoma mit Unterstützung des Journalistenverbandes und des Presserates im Oktober 1997 Klage gegen den luxemburgischen Staat beim Europäischen Menschenrechts-Gerichtshof in Straßburg ein. Die Klage bezieht sich auf Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Er garantiert die Meinungs- und Pressefreiheit in Europa. Welchen Erfolg die Klage hier haben und wann sie überhaupt verhandelt wird, ist unklar. Dabei spielt möglicherweise der weite Arm des Luxemburger Filzes eine Rolle: Der im Zuge der Affäre genervt zurückgetretene Justizminister Fischbach wurde von der Regierung inzwischen als Richter zum Straßburger Gerichtshof bugsiert.

Anfang des Jahres 1998 wurde schließlich enthüllt, daß die "grünen Götter" heimlich aus der Staatskasse subventioniert wurden. Aus einem Geheimfonds wurden auf Anweisung des damaligen Ministerpräsidenten Santer und dann seines Nachfolgers Juncker zum Beispiel 7500 Mark an die Förstervereinigung und 32500 Mark an die neun klagenden Oberförster bezahlt, Stichwort "Prozeß Thoma/Braun". Insgesamt handelt es sich um 75000 Mark.

Reichstes EU-Mitglied - höchste EU-Zuschüsse

Das veraltete Luxemburger Pressegesetz und die Eingriffe der Regierung in die Pressefreiheit haben dazu beigetragen, daß das Großherzogtum als problemlose Idylle erschien. Im Großherzogtum gilt immer noch das Pressegesetz von 1869. Standards wie in anderen zivilisierten Staaten, zum Beispiel der Informantenschutz, gelten hier nicht. Auch zur jüngsten Affäre um Innenminister Wolter gab es die seit Jahren üblichen Zeitungskommentare: "Willkommen in der Bananenrepublik Luxemburg!" Die Luxemburgische Journalistenvereinigung verlangte etwas pathetisch: Die "Ergebnisse der Durchsuchungen müssen für null und nichtig erklärt werden. Die Pressegesetzgebung muß so reformiert werden, damit sie eines demokratischen Staates würdig ist." Ähnlich äußerte sich die Europäische Journalistenvereinigung.

Luxemburg hat das durchschnittlich höchste Einkommen in der EU und steht bisher als EU-Musterknabe da: Die Staatsverschuldung ist fast Null, die Sozialleistungen sind höher als sonstwo. Doch da bröckelt es. Das Finanzamt Luxemburg ging jüngst - zur Verärgerung des Ministerpräsidenten Juncker - mit der Information an die Öffentlichkeit, daß 1,2 Milliarden Mark Mehrwertsteuer in der Staatskasse fehlen. Die Finanzverwaltung ist unterbesetzt, die Unternehmen sind über Jahre mit der Zahlung der Mehrwertsteuer im Rückstand. Die Regierung kümmert das nicht, aber sie kürzt nun an Beamtenpensionen und Arbeitslosenzahlungen, viele Schulgebäude im reichsten Land der EU werden nicht mehr renoviert und verfallen.

Millionen Steuerflüchtlinge aus allen Mitgliedstaaten der EU suchen und finden im Großherzogtum ebenso den Schutz des Bankgeheimnisses wie einheimische Steuerkünstler. Etwa 50000 steuerbefreite Holdings und Stiftungen mit Sitz in Luxemburg entziehen den anderen EU-Staaten Steuergelder, luxemburgische Tarnfirmen zocken nach der einheimischen Methode der "Dysfunktionen" nicht zuletzt auch Gelder der Europäischen Kommission ab. Solange sich die Bemühungen der EU-Parlamentarier nicht auch darauf richten, den Luxemburger Filz unter die Lupe zu nehmen, werden sie den Brüsseler Korruptionsfilz nicht trockenlegen können.

Was geht es uns in Deutschland an, ob die Presse im Großherzogtum frei arbeiten kann? Aus "deutscher" Sicht wurde die Idylle gepflegt. Das mag daher kommen, daß die siebzig deutschen Banken, die sich seit Ende der 70er Jahre hier angesiedelt haben, der mächtigste Wirtschaftsfaktor und der größte Steuerzahler des Landes sind. Sie haben der darniedergehenden Wirtschaft, die vom Stahlmonopolisten ARBED beherrscht war, einen neuen Aufschwung verschafft. Gleichzeitig profitieren die deutschen Banken vom einzigartig dichten Bankgeheimnis Luxemburgs - kein deutscher Steuerfahnder wird über die Grenze gelassen. Daß das Bankgeheimnis als Staatsräson auch auf die Medien abfärbt, ist ein offenes Geheimnis. Bank- und Steuergeheimnis sind das eigentliche Pressegesetz des Finanzplatzes Luxemburg.

Luxemburg bekommt, trotz des bei weitem höchsten durchschnittlichen Einkommens (Deutschland = 100, Luxemburg = 170), die höchsten Pro-Kopf-Zuschüsse aus der EU-Kasse, gut 4000 DM. Diese geheimnisvolle Mittelvergabe kommt unter anderem dadurch zustande, daß, wie geschildert, der Luxemburger Staat die Mehrwertsteuer - jedenfalls die der Unternehmen -, immer weniger einzieht. Andererseits werden die Beiträge an die EU auf der Grundlage der vom jeweiligen Staat eingenommenen Mehrwertsteuer errechnet. Luxemburg nimmt wenig Mehrwertsteuer ein, muß also auch nur niedrige Beiträge in die EU-Kasse zahlen - so einfach ist das. Daß damit die Steuerzahler aller anderen EU-Mitgliedsländer betrogen werden, focht den Euro-Strahlemann Juncker ebenso wenig an wie die Kohl-Regierung. Ob die rot-grüne Bundesregierung hier ein Problem sieht?