Machtlos gegen eskalierende Gewalt

Maßnahmen und Projekte in Schulen und der Jugendarbeit

Klaus-Peter Martin

Hat die Gewalt unter Jugendlichen zugenommen? Werden die Auseinandersetzungen auf dem Schulhof tatsächlich immer brutaler? Ist bald mit "amerikanischen Zuständen" – mit täglichen Kontrollen und Durchsuchungen der Schultaschen nach Waffen – zu rechnen, und muß der Weg von und zur Schule bald von der Polizei geschützt werden?

Die Ansichten gehen auseinander. Die meisten der befragten Lehrerinnen und Lehrer sind davon überzeugt, daß die Gewalt an den Schulen in den letzten Jahren zugenommen hat und daß die Verhaltensweisen der Heranwachsenden immer mehr verrohen. Andererseits ist sicher auch etwas daran, daß das Ausmaß der Gewalt von den Medien oftmals aus Sensationsgier überzeichnet dargestellt wird; Einzelfälle werden zu Horrorszenarien an bundesdeutschen Schulen aufgeblasen und Jugendliche zu Monstern gemacht.

Das Problem wird aber verharmlost, wenn man wie Wilfried Schubarth von der TU Dresden meint, die "Karriere" des Themas "Jugend und Gewalt" in den neunziger Jahren sei in erster Linie auf die Thematisierung durch die Medien zurückzuführen. Es läßt sich nicht mit der Bemerkung abtun, "die kulturelle Sensibilität hat sich gegenüber allen Formen von Gewalt erhöht. ... Kurz: Heute werden Verhaltensweisen als ,Gewalt’ empfunden, die früheren Generationen eher als ,normal’, als ,üblich’ galten" (Michael Elfner, Beamter im hessischen Kultusministerium). Medien allein können ein solches Thema nicht "machen" und so lange in der öffentlichen Diskussion halten. Darauf weist Klaus-Jürgen Tillmann, Mitautor der Studie Schülergewalt als Schulproblem hin.

Neben subjektiven Beobachtungen existieren einige objektive Hinweise auf die tatsächlich nicht nur qualitativ, sondern auch quantitativ angewachsene Gewalt von Jugendlichen und unter Jugendlichen, etwa die Statistiken der Unfallversicherungsträger. Auch ist die Zahl der verurteilten jugendlichen Gewalttäter in den alten Bundesländern im letzten Jahr auf 45600, das heißt um elf Prozent gegenüber dem Vorjahr angestiegen.

Christian Pfeiffer vom kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen hat in der Studie Jugendkriminalität und Jugendgewalt die Entwicklung der Jugendkriminalität in zehn europäischen Ländern und den USA untersucht. Er kommt zu dem Ergebnis, daß in all diesen Ländern zumindest in den 90er Jahren, meist schon seit Mitte der 80er Jahre, ein starker Anstieg der – registrierten – Gewaltkriminalität junger Menschen festzustellen ist.

In Deutschland ist demnach seit 1989 die Jugendgewalt pro 100.000 der Altersgruppe um mehr als das Doppelte angewachsen. Der stärkste Anstieg ist bei Raubdelikten zu verzeichnen. Die Zahl der Jugendlichen, die Opfer einer polizeilich registrierten Gewalttat wurden, ist zwischen 1984 und 1995 um etwa das Dreifache angestiegen. Bei den registrierten Kriminalitätsfällen handelt es sich entgegen voreilig vorgetragenen Einwänden nicht um Bagatelldelikte wie Kaufhausdiebstahl! Der Anteil der Fälle mit einer Schadenssumme bis 100 DM ist sogar rückläufig. Und es ist auch nicht eine gestiegene Anzeigebereitschaft der Bevölkerung, die die Statistik "verfälscht"! "Wir interpretieren die analysierten Daten der staatlichen Kontrollinstanzen als Ausdruck davon, daß es hier seit Ende der 80er Jahre tatsächlich zu einem beträchtlichen Anstieg der Gewaltkriminalität gekommen ist und daß dieser primär zu Lasten Gleichaltriger gegangen ist". resümiert Christian Pfeiffer.

Weitgehend einig sind sich die Autoren der meisten Gewaltstudien darin, daß Gewalt eine neue "Qualität" erlangt habe. Es werde oftmals grundlos oder aus nichtigem Anlaß zugeschlagen – einfach weil’s "Fun" macht oder weil jemand "dumm geguckt hat." Es fehle an Einfühlungsvermögen, Unrechtsbewußtsein und Schuldgefühl. Die Brutalität habe zugenommen, es werde rücksichtslos und mitleidlos zugeschlagen, der Gegner müsse "fertig gemacht", vernichtet werden, der Unterlegene werde noch getreten, wenn er schon wehrlos am Boden liegt. Es fällt auf, daß Täter zum Teil sehr, sehr jung sind. Bereits aus dem Kindergarten wird berichtet, daß die Gewalt zunehme, daß die Zahl der hyperaktiven und problematischen Kinder deutlich angewachsen sei und sich mittlerweile in jeder Gruppe fünf bis sechs "Problemkinder" befänden, während es früher ein bis zwei waren.

Als Erklärung für dieses Verhalten wird meistens auf die Beschleunigung der gesellschaftlichen Modernisierungsprozesse verwiesen – genannt seien hier nur Individualisierung, Desintegration, Anomietheorie, wie sie Wilhelm Heitmeyer am ausgeprägtesten herausgearbeitet hat. Interessant für das Thema ist auch der sozialökologische Ansatz, der Hoffnung macht, daß durch die Veränderung des Lernklimas und der gesamten Atmosphäre der Schullandschaft Erfolge gegen zunehmende Gewalt zu erzielen seien. Auf die verschiedenen Erklärungsansätze will ich hier nicht weiter eingehen. Als gesichert kann gelten, daß alle monokausalen Erklärungsversuche in die Irre gehen. Es gibt nicht eine Hauptursache für problematisches Schülerverhalten, sondern ein komplexes Wirkgefüge.

Bisher liegt der Schwerpunkt der meisten vorliegenden Arbeiten zum Thema Jugendgewalt eindeutig auf der empirischen Analyse von Gewaltphänomenen, während die Erarbeitung von Präventionsansätzen nachrangig ist – und auch die Interpretation ist oftmals dürftig. Anders ausgedrückt: viele Daten, wenig Erklärung!

In letzter Zeit hat die These, Gewalt werde in die Schule durch belastende Situationen im Elternhaus und entsprechenden Konstellationen im Freundeskreis hineingetragen, an Zuspruch gewonnen, vor allem seit dem kurz vor der Bundestagswahl vorgelegten Jugendbericht der Bundesregierung, in dem die zunehmende Armut von Familien mit Kindern thematisiert wird. Das Forscherteam der Studie Schülergewalt als Schulproblem weist jedoch darauf hin, daß es durchaus auch viele "hausgemachte" Gründe für ein gewaltbelastetes Schulklima gibt. Durch organisatorische Bedingungen, durch das Sozialklima und die Lernkultur werde in der Schule Gewalt erzeugt und/oder gefördert. "Die These von der Gewalt, die zwar in der Schule aufbricht, aber ,von außen’ importiert wird, erweist sich damit als zu simpel und muß entsprechend modifiziert werden", heißt es in dem Bericht. Es zeigten sich durchgängig Zusammenhänge zwischen dem (von Schülern erlebten) Sozialklima und der Häufigkeit von Gewalt: "Je stärker das Sozialklima durch Vertrauen, wechselseitige Akzeptanz und Liberalität geprägt ist, desto seltener tritt Gewalt auf." Alle Faktoren, die für die Schüler/-innen mit der Gefahr von Ausgrenzung verbunden sind, wie fehlende Anerkennung bei Mitschülern, etikettierendes und restriktives Verhalten der Lehrer, scharfe Konkurrenz unter den Schülern und eine selbst empfundene Außenseiterposition befördern Gewalthandlungen in der Schule ganz erheblich. Das Fazit lautet daher: "Der schulische Anteil ist klar erkennbar – und er ist so groß, daß pädagogische Maßnahmen in der Schule gute Erfolgsaussichten haben."

Hier ist der Ansatzpunkt für präventive Maßnahmen wie "soziales Lernen" in der Schule, "Peergroup-Education", Schüler-Mediation und anderes. Ich will einige dieser Maßnahmen – in und außerhalb der Schulen – vorstellen. An einigen davon war ich selbst beteiligt.

Im Gegensatz zu angelsächsischen und skandinavischen Ländern sind viele Präventions- und Sanktionsformen wie Streitschlichterprogramme, Schülermediation, Täter-Opfer-Ausgleich, Konflikttraining und soziales Lernen, Schülerpatenschaften, aber auch Öffnung der Schule und Kooperationsformen mit Jugendeinrichtungen, Jugendverbänden und Vereinen bei vielen deutschen Schulen noch zu wenig entwickelt.

In verschiedenen Konzepten des "sozialen Lernens" wird auf den norwegischen Psychologen Olweus verwiesen, der auf langjährige Erfahrung mit schulischen Präventionsmaßnahmen verweisen kann. Sein zentraler Begriff ist "bullying". Es gibt im Deutschen keinen entsprechend treffenden Begriff dafür. Umschreiben kann man das, was gemeint ist, mit "seine (überlegene) Kraft ausspielen und einsetzen, um Schwächere zu schikanieren, erschrecken, zu unterdrücken, zu schädigen oder zu verletzen". Dagegen setzt Olweus beispielsweise seine intensive Regelarbeit auf Klassenebene. Als Ziel seiner Maßnahmen formuliert er: "Kein Schüler dürfte Angst haben müssen, in die Schule zu gehen, aus Furcht vor Drangsal und Erniedrigung." Längsschnittuntersuchungen in skandinavischen Ländern haben angeblich ergeben, daß innerhalb eines Zeitraums von 8 bis 20 Monaten markante Rückgänge von Gewaltproblemen bis zu 50 Prozent festgestellt werden konnten. Allerdings werden durch die Programme des sozialen Lernens nach Olweus nicht der harte Kern der Problemjugendlichen, die "Schläger", erreicht. Hier sind personenbezogene Trainings- und Therapiemaßnahmen unerläßlich.

"Soziales Lernen"

Ausgehend von der These, daß ein wichtiges Präventionsmittel darin liege, soziale Bindungen zu stärken, den Gruppenzusammenhang zu fördern und somit das Lernklima in der Klasse positiv zu beeinflussen, betonen die Vertreter des sozialen Lernens in der Schule die pädagogische und erzieherische Funktion des Lehrers. Soziales Lernen soll demnach als eigenständige Disziplin im Stundenplan erscheinen und kontinuierlich stattfinden. Aber auch außerhalb der Schule – herausgelöst aus dem Schulalltag, als Seminar in einer Bildungsstätte – sind Elemente dieses "sozialen Lernens" denkbar. Wir setzten zum Beispiel nach der Förderstufe an, wenn Klassen neu zusammengesetzt werden und die Jugendlichen zu Beginn der Pubertät mit neuen persönlichen Problematiken konfrontiert sind.

Inhaltlich geht es dabei um die Kommunikation untereinander, um den Umgang mit Konflikten, der Entscheidungsfindung in Gruppen und Formen der Kooperation. In Rollenspielen und vielen praktischen Übungen wird "aktives Zuhören" trainiert oder erlernt, seinem Gegenüber seinen Ärger mitzuteilen, ohne einen großen Konflikt anzuzetteln ("Nichtverletzende Ärgermitteilungen"). Wie gehe ich mit eigenen Frustrationen um? Wie nehme ich meine Interessen wahr, ohne andere zu verletzen? Wie nehme ich Gefühle von anderen wahr? Das sind wichtige Fragestellungen innerhalb eines solchen Seminars.

Der rohe Umgangston untereinander, der ganz selbstverständliche Gebrauch von Schimpfwörtern und Beleidigungen in der alltäglichen Kommunikation, fällt uns Erwachsenen als erstes auf. "Ist doch nicht so gemeint, das ist keine Beleidigung. Wir unterhalten uns immer so", erhalten wir als Antwort, wenn wir die Schüler darauf ansprechen. Selbst wenn dies also zu diesem Zeitpunkt nur ein Problem für uns zu sein scheint, spätestens beim Übergang Schule-Beruf bekommt es eine weitere Bedeutung: Das (mangelhafte) Sozialverhalten spielt inzwischen bei Einstellungen eine große Rolle und wird von Personalchefs und Ausbildern mittlerweile fast noch mehr beklagt als schlechte Noten in Deutsch oder Mathe. Nach eigener Aussage sind 13 Prozent der Befragten die SchülerInnen ihrer Klasse völlig gleichgültig. So ein weiteres Ergebnis der Studie Schülergewalt als Schulproblem. 30 Prozent stellen sogar Feindschaftsbeziehungen in ihrer Klasse fest. Hier gibt es demnach erheblichen Bedarf, Jugendlichen Teamarbeit und kooperative Zusammenarbeitet nahezubringen.

Schüler-Mediation

Anlaß in Offenbach, sich in der Jugendbildungsarbeit dem Thema Jugendgewalt zu widmen, war das Ergebnis der Kommunalwahlen 1993, bei der die Republikaner über 15 Prozent der Stimmen erhielten. Auch im Bereich der offenen Jugendarbeit waren die Probleme mit gewaltbereiten Jugendlichen so erheblich, daß im selben Jahr drei Einrichtungen nach Überfällen, Schlägereien und Einbrüchen zeitweilig geschlossen werden mußten.

Kurt Faller und seine Mitarbeiter/-innen im kommunalen Jugendbildungswerk entwickelten in der Folgezeit ein vielbeachtetes Modell, dessen Maßnahmen das Klima im Umgang miteinander insgesamt verändern sollten. Zu den eingeleiteten Maßnahmen zählte die Schulung von sogenannten Streitschlichtern, von Mediatoren in den Jugendeinrichtungen und vor allem in den Schulen.

Ausgangspunkt ist die These, daß Gewalt in der Schule in der Regel das Ergebnis von Konflikten ist, nicht die Ursache. Nicht die zunehmende Gewaltbereitschaft ist demnach das Hauptproblem, sondern die Tatsache, daß das Herangehen an und die Lösung von Konflikten unzulänglich sind. Konstruktiver Umgang mit Konflikten aber ist erlernbar und muß wesentliches Element sozialen Lernens werden, so ihre Hypothese. Konflikte können sogar als etwas Positives betrachtet werden, als wichtiges Signal, daß etwas nicht stimmt und verändert werden muß: "Konflikte bieten die Chance zur Entwicklung und Verbesserung der gegenseitigen Beziehungen."

Das Konzept der Mediation in der pädagogischen Arbeit knüpft an den Bereich Unternehmensberatung und Organisationsentwicklung an und versucht diese Erfahrungen für den Schulalltag nutzbar zu machen. Denn Mediation als Teil des Schulprogrammes hat nicht nur Veränderungen im individuellen Verhalten, sondern Veränderungen in den Gruppenstrukturen und pädagogischen Konzepten im Auge. Mediationsverfahren sind in Deutschland noch wenig bekannt, gewinnen aber an Bedeutung im Bereich des Täter-Opfer-Ausgleichs in der Jugendgerichtshilfe. Nach einigen Modellprojekten Mitte der 80er Jahre gibt es inzwischen über 200 Projekte in Deutschland.

Mediation hat das Ziel, die Betroffenen durch Stärkung der Person ("Empowerment") und Förderung der Selbsterkenntnis ("Recognition") selbst in die Lage zu versetzen, ihren Konflikt zu lösen. Voraussetzung ist, daß beide Kontrahenten auch den Willen mitbringen, zu einer Lösung zu kommen. Der Streitschlichter hat sich dabei absolut neutral zu verhalten und hat auch nicht die Aufgabe, Lösungsmöglichkeiten vorzuschlagen. Um zu einer nachhaltigen und dauerhaften Streitschlichtung zu kommen, ist es unabdingbar, daß keiner der Kontrahenten als Verlierer aus den Verhandlungen geht. "In den meisten Konflikten können Lösungen gefunden werden, die jenseits von Sieg und Niederlage liegen, d.h. die Veränderungen beinhalten, die beiden Seiten einen relativen Gewinn bieten."

Erfahrungen aus den USA und Großbritannien zeigen, daß durchaus Jugendliche zur Streitschlichtung eingesetzt werden können. Seit den 80er Jahren wird in diesen Ländern "Peer-Mediation" an Schulen und in pädagogischen Einrichtungen praktiziert. Kinder und Jugendliche werden nicht länger bloß als Problemverursacher, sondern auch als Problemlöser betrachtet. Vor allem – so die Erfahrung – sind Lösungen, die unter Gleichaltrigen gefunden werden, dauerhafter; "Peergroup-Education" ist sinnvoll, weil Jugendliche heute sehr stark durch Gleichaltrige beeinflußt werden und Erwachsene – vor allem Lehrer – bei Konflikten in der Regel zu schnell dabei sind, zu verurteilen und eigene Patentrezepte zu favorisieren. Erforderlich ist allerdings gründliches Training und "Coaching" der jugendlichen Mediatoren durch Erwachsene.

Im Bundesland Hessen gibt es seit dem Schuljahr 1996/97 ein vom Kultusministerium gefördertes Pilotprojekt "Mediation und Schulprogramm". Ziel ist die Verbreitung des Mediationsgedankens an hessischen Schulen und das Training von Multiplikatoren.

Mitternachtssport

Ein recht neues Angebot der Jugendarbeit ist Mitternachtssport. Die Idee stammt aus den USA und wurde in Deutschland erstmals 1995 in Köln umgesetzt. Man könnte die Intention damit beschreiben, daß problematische Jugendliche im ursprünglichen Sinne offener Jugendarbeit "von der Straße geholt" und unter Aufsicht gestellt werden sollen. Dies träfe aber nicht den Kern. Sportbezogene Angebote sind oft das einzige Mittel, um "problematische" männliche Jugendliche zu erreichen und sie in Angebote der Jugendarbeit zu integrieren. Sport ist für viele Jugendliche oft auch das einzige Erfahrungsfeld, in dem sie Erfolg, Selbstbestätigung, positives Gruppenerlebnis, Anerkennung und Gruppenerfolg erleben. In der Schule erfahren sie fast nur noch, was sie nicht können, nicht aber das, was sie können.

Folgende Ziele werden durch Mitternachtssport angestrebt:

-- Aggressionen und motorischer Betätigungsdrang können "gesteuert" abgearbeitet werden.

-- Es wird die Möglichkeit geschaffen, vorhandene körperliche Fähigkeiten positiv einzusetzen.

-- Durch eine vertraute Betätigung können Schwellenängste gegenüber dem sonstigen Angebot abgebaut werden.

-- Die Beziehungen von Jugendlichen (vor allem aus Randgruppen) untereinander, zu ihrer Umwelt und zu den Mitarbeitern werden geübt und verbessert.

-- Das Akzeptieren vorhandener Regeln wird erlernt.

-- Und Erfolgserlebnisse können erzielt werden.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß Mitternachtssport vor allem für ausländische Jugendliche ein äußerst attraktives Angebot darstellt. Verschiedentlich wird berichtet, daß über 90 Prozent der Teilnehmer Türken, Marokkaner, Italiener und Asylbewerber seien. Mädchen sind eindeutig in der Minderheit, beteiligen sich auch nicht aktiv am Sporttreiben, sondern schauen zu oder übernehmen den Verkauf von Getränken. Wenngleich die sportliche Betätigung im Vordergrund steht, geht es durchaus nicht nur um Sport, sondern auch um das Sehen und Gesehenwerden; Selbstpräsentation stellt ein wichtiges Motiv für die Teilnahme dar.

Aktionsprogramm gegen Gewalt und Aggression

Der Anstieg von Ausschreitungen und Gewalttätigkeiten ostdeutscher Jugendlicher mit offenbar rechtsextremistischem Hintergrund war Anlaß für die damalige Ministerin für Frauen und Jugend, Angela Merkel, im Mai 1991 auf einer hausinternen jugendpolitischen Konferenz ein Aktionsprogramm gegen Gewalt und Aggression (AgAG) in den ostdeutschen Ländern zu starten. Mit jährlich 20 Millionen Mark aus dem Bundesetat wurde es vergleichsweise üppig ausgestattet. Zirka 8000 Jugendliche konnten erreicht werden.

In der ersten Modellphase von 1992 bis 1994 wurden 124 Projekte gefördert. Durch eine anschließende zweite Modellphase – von 1995 bis 1997 – gelang ein nahezu bruchloser Übergang: 122 Projekte blieben in der weiteren Förderung. Und auch nach Ende der Bundesförderung wurden insgesamt 108 AgAG-Projekte fortgesetzt – meist gemeinsam von Kommunen und Bundesländern finanziert. Dies deutet bereits darauf hin, daß nicht allein die Gewaltprävention Ziel dieser staatlichen Förderung war, sondern parallel dazu der Aufbau von Jugendhilfestrukturen in den neuen Bundesländern. Die vielen freien Träger der Projekte beweisen, daß das Ziel erreicht wurde, zu einer pluralen Trägerstruktur beizutragen. Auch die Frage, ob es möglich ist, mit Mitteln der Jugendarbeit gewalttätige und gewaltbereite Jugendliche zu erreichen, konnte positiv beantwortet werden.

Es wurden in den Projekten keine grundsätzlich neuen pädagogischen Ansätze, keine neuen Handlungskonzepte oder Arbeitsmethoden praktiziert; sie erstreckten sich von flexiblen Jugendarbeitsansätzen und Streetwork über die Möglichkeit, in dafür initiierten Arbeitsprojekten Jugendclubs und Treffpunkte selbst einzurichten bis hin zu Formen der Gemeinwesenarbeit, der offenen Jugendarbeit und der Fanarbeit. Die Jugendarbeiter berichten, daß oftmals die Sorge für eine existentielle Grundabsicherung der Jugendlichen und Hilfen bei der alltäglichen Lebensbewältigung im Mittelpunkt standen. Als neu aber kann die Organisation des Zusammenwirkens des Jugendhilfesystems betrachtet werden.

Rund 400 Mitarbeiter kamen in den Projekten des Aktionsprogramms zum Einsatz. Zum größten Teil hatten sie keine pädagogische Ausbildung. In der Anfangsphase gelang es nicht immer, die massiven Anwerbe- und Unterwanderungsbemühungen rechtextremistischer Gruppierungen zu unterbinden. Außerdem wurden zwei Fälle aufgedeckt, bei denen organisierte Rechte als Mitarbeiter offensichtlich Organisationsarbeit für ihre Organisationen machten. Das teilweise extensiv ausgelegte Konzept einer "akzeptierenden Jugendarbeit", Reichskriegsflaggen an den Wänden von Jugendtreffs und die offensichtliche Überforderung des eingesetzten Personals in einigen Projekten brachte ihnen die Beschimpfung als "Nationalsozialarbeiter" ein. Und das gesamte Programm wurde schon bald als Glatzenpflege auf Staatskosten (Andreas Buderus) verunglimpft – eine ebenso originelle wie sicherlich überzogene und ungerechte Charakterisierung.

"Akzeptierende Jugendarbeit"

Das Konzept der "akzeptierenden Jugendarbeit" mit rechten und gewaltbereiten Jugendlichen war von Beginn an umstritten und steht – wie jüngst nach der tödlichen Hetzjagd in Guben – permanent unter Rechtfertigungszwang.

Dabei ist der zentrale Ansatz durchaus plausibel: Wesentlich sind nicht die Probleme, die diese auffälligen Jugendlichen machen, sondern jene, die sie offensichtlich haben. Um mit ihnen ins Gespräch zu kommen, um sie überhaupt zu erreichen, ist es wohl notwendig, die Jugendlichen so zu akzeptieren, wie sie sind: mit ihren Auffassungen und Vorstellungen, mit ihren Sprüchen und Verhaltensweisen. Franz-Josef Krafeld, Professor an der Hochschule Bremen, war federführend an der Entwicklung dieses Konzepts beteiligt. Zuvor waren unzählige Versuche der traditionellen Jugendarbeit offensichtlich gescheitert. Während Jugendeinrichtungen sich in der Regel nur mit Hausverboten und Ausgrenzung zu helfen wußten, wurde den Mitarbeitern des "Bremer Modells", wie die "akzeptierende Jugendarbeit" in der Anfangszeit auch bezeichnet wurde, abverlangt, sich bewußt nicht zu verhalten, nicht zu intervenieren. Dadurch sollte ein Gefühl des "Akzeptiert-Seins" und "Miteinander-reden-Könnens" vermittelt werden, und zusätzlich sollten auch handfeste Hilfen angeboten werden. Es wurden Ressourcen beschafft und zur Verfügung gestellt: Räume, Zeit, Geld. Hier setzte die erste ernstzunehmende Kritik ein: Während in den neuen Bundesländern Freizeitstätten dicht gemacht wurden, brauchte man anscheinend nur durch rechte Parolen aufzufallen, um "seinen" Jugendclub zu bekommen, in dem man dann auch noch ungestört seinen ausländerfeindlichen und nationalistischen Neigungen nachgehen konnte. Die Argumentation von Krafeld und anderen ist zumindest mißverständlich, etwa, wenn er sagt: "Die Arbeit bekommt nicht erst einen Sinn dadurch, daß ich die Jugendlichen woanders hinhole, sondern sie hat schon dadurch ihren Sinn, daß ich mich auf Menschen unterstützend einlasse, die immens große Probleme damit haben, gelingende und befriedigende Wege der Lebensbewältigung zu entfalten." Offensichtlich geht es also nicht mehr darum, eine erworbene Vertrauensbasis zu nutzen, um Einfluß zu nehmen und sich mit den Jugendlichen ideologisch auseinanderzusetzen, sondern – so heißt es in einem Rechtfertigungspapier – die Jugendarbeiter sollten "als Menschen auf die Jugendlichen zugehen, statt als Sozialarbeiter, die sich auf den Auftrag konzentrieren, Auffälligkeiten abzubauen".

Es klingt sehr nach Verharmlosung, wenn von "Action-Bedürfnissen" die Rede ist, die verständlich und alles andere als problematisch seien, weil diese Jugendlichen eben überall selbst Gewalt erlebten. Daher sei unbedingt ein Verzicht auf Verbots- und Zwangsmaßnahmen und die Einsicht notwendig, daß "für diese Jugendlichen Gewalt kein abweichendes Verhalten darstellt, sondern eine ganz alltägliche Erfahrung". Und an anderer Stelle: "Akzeptierende Arbeit bedeutet damit, das einzelne Subjekt mit seinen authentischen Bedürfnissen in den Mittelpunkt der Arbeit zu stellen, dabei die jugendszenischen Selbstinszenierungen (etwa als Skinhead) als subjektive Lebenssteigerungsversuche zu sehen und auf dieser Basis eine Atmosphäre der Kooperation anzustreben."

Im neunten Jugendbericht der Bundesregierung wird wohl zu Recht die Gefahr benannt, daß es im Rahmen der "akzeptierenden Jugendarbeit" zu einer "gefährlichen Beliebigkeit" gekommen sei.

Anti-Aggressivitäts-Training

Ganz im Gegensatz zur "akzeptierenden Jugendarbeit" betont das Anti-Aggressivitäts-Training stärker die konfrontativen Elemente. Täter werden mit ihren Opfern und ihrer Tat konfrontiert, sie sollen das, was sie ausgelöst haben, persönlich erfahren. "Biete Aggressiven die Konfrontation, die sie immer gesucht haben." Diese Handlungsanweisung gibt der Hamburger Professor für Kriminolgie Jens Weidner. Weidner war in Deutschland maßgebliczh an der Entwicklung des Anti-Aggressions-Training nach amerikanischem Vorbild beteiligt. Anwendung finden solche Trainingseinheiten vor allem in Justizanstalten, sie wurden aber auch bereits in einigen Schulen erprobt.

Eine Methode dabei ist zum Beispiel der "heiße Stuhl". Seinen Ursprung hat der "heiße Stuhl" in der Gestalttherapie und geht zurück auf den Psychiater Moreno, der bereits 1915 den Begriff des "leeren Stuhls" in den Rollenspielen im Rahmen seiner Therapien verwendete.

In der Konfrontationsphase kommt es zum harten verbalen Schlagabtausch, Provokationen werden bewußt eingesetzt. Die Absicht, die dahintersteckt, ist, die Gewaltverherrlichung der Täter zu erschüttern, ihnen die Lust an der Gewalt zu nehmen, vor allem in ihnen Mitgefühl und Mitleid mit den Opfern zu fördern. Denn wer Mitgefühl mit den Opfern hat – so die Überzeugung – verliert den Spaß an der Gewalt.

Zielgruppe sind die wirklich "harten Jungs", die zahlenmäßig kleine Gruppe der brutalen Schläger, der Wiederholungstäter, die Gewalt immer wieder als selbstverständliches und ökonomisches Mittel betrachtet haben, um ihre Ziele zu erreichen, und deren Erfahrung lautet: Gewalt macht Spaß! Es wurde festgestellt, daß diese Männer zwei auffallende Merkmale aufweisen: Sie lieben Rechtfertigungsstrategien und sie haben zum zweiten enorme Empathiedefizite: Ihre Fähigkeiten, sich in die Opfer hineinversetzen zu können, sind mangelhaft ausgeprägt. Die Täter sind Weltmeister im Erfinden von Rechtfertigungen, das Opfer ist immer selbst schuld, die Sache ist "dumm gelaufen". So meinte ein Schläger über sein Opfer, das noch auf der Intensivstation lag: "Eines ist doch klar, wenn der da runterkommt und wieder gesund ist, wird er irgendwo stolz darauf sein, daß er diese Situation gemeistert hat. Den kann – nachdem ich ihn behandelt habe – nichts mehr so schnell erschrecken. Das ist doch auch für den eine gute Erfahrung gewesen, denn das hat ihn für das Leben härter gemacht." Die Wissenschaft spricht hier von "Neutralisierungstechniken", um Schuldgefühle zu vermeiden.

Hier setzt das Anti-Aggressivitäts-Training an: Schuldgefühle müssen aufkommen! Der Spaß muß verdorben werden! Dazu kommt ein sogenanntes "Coolness-Training", bei dem die Konfrontation und Provokation so lange wiederholt wird, bis die Teilnehmer in der Lage sind, extremen Streßsituationen anders zu begegnen als zuzuschlagen.

Konstruktive Konfliktlösung und Vermeidung von Gewalt sind keine "modischen" Spielereien, sondern werden zukünftig zu den zentralen Aufgaben einer Erziehung zu zählen sein, die auf die Förderung des sozialen Zusammenhalts und der Zivilität ausgerichtet ist. Es gibt, wie ich versucht habe zu zeigen, erfolgversprechende Modelle und bereits Erfahrungen, die zuversichtlich stimmen. Auch wenn viele Schulen wohl (noch) kein ernsthaftes Gewaltproblem haben, ist es wichtig, sich über Gegenmaßnahmen frühzeitig Gedanken zu machen und Prävention ernst zu nehmen. Wo Lehrer sich kümmern, da gibt es weniger Gewalt. Mit ihrem Eingreifen oder Nichteingreifen in Gewaltsituationen entscheidet sich ganz praktisch, welches Verhalten in einer Schule als "normal" und "akzeptabel" gelten kann.

Literatur zum Thema:

Balser, Hartmut; Schrewe, Hartmut; Schaaf, Nicole (Hrsg.): Schulprogramm Gewaltprävention. Ergebnisse aktueller Modellversuche, Neuwied, Kriftel, Berlin 1997, Luchterhand

Balser, Hartmut; Schrewe, Hartmut; Wegricht, Roland (Hrsg.): Regionale Gewaltprävention. Strategien und Erfahrungen, Neuwied,  Kriftel,  Berlin 1997, Luchterhand

Buderus, Andreas: Fünf Jahre Glatzenpflege auf Staatskosten. Jugendarbeit zwischen Politik und Pädagogik, Bonn 1998, Pahl-Rugenstein

Faller, Kurt: Prävention von Gewalt und Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rechtsextremismus. Skizze zum Offenbacher Modellprojekt; in: Schacht, Konrad; Leif, Thomas; Janssen, Hannelore (Hrsg.): Hilflos gegen Rechtsextremismus? Ursachen, Handlungsfelder, Projekterfahrungen, Köln 1995, Bund Verlag

Faller, Kurt: Mediation in der pädagogischen Arbeit. Ein Handbuch für Kindergarten, Schule und Jugendarbeit, Mülheim an der Ruhr o. J., Verlag an der Ruhr

Faller, Kurt; Kerntke, Wilfried Dr.; Wackmann, Maria: Konflikte selber lösen. Ein Trainingsbuch für Mediation und Konfliktmanagement in Schule und Jugendarbeit, Mülheim 1996, Verlag an der Ruhr

Hanewinkel, Reiner; Knaack, Reimer: Mobbing: Gewaltprävention in Schulen in Schleswig-Holstein, Kiel, Kronshagen 1997

Harnischmacher, Robert (Hrsg.): Gewalt an Schulen.  Theorie und Praxis des Gewaltphänomens, Bornheim-Roisdorf 1995,  Hanseatischer Fachverlag für Wirtschaft

Heitmeyer, Wilhelm u.a.: Gewalt. Schattenseiten der Individualisierung bei Jugendlichen aus unterschiedlichen Milieus, Weinheim, München 1995, Juventa

Holtappels, Heinz Günter; Heitmeyer, Wilhelm; Melzer, Wolfgang; Tillmann, Klaus-Jürgen (Hrsg.): Forschung über Gewalt an Schulen.  Erscheinungsformen und Ursachen, Konzepte und Prävention, Weinheim und München 1997, Juventa

Krafeld, Franz-Josef (Hrsg.): Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendcliquen, Bremen 1992, Schriftenreihe der Landeszentrale für politische Bildung Bremen

Pfeifer, Christian: Jugendkriminalität und Jugendgewalt in europäischen Ländern, Hannover o. J. (1997), Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen

Tillmann, Klaus-Jürgen; Holler-Nowitzki, Birgit; Holtappels, Heinz Günter; Meier, Ulrich; Popp, Ulrike: Schülergewalt als Schulproblem. Verursachende Bedingungen, Erscheinungsformen und pädagogische Handlungsperspektive, Weinheim u. München 1999, Juventa

Weidner, Jens; Kilb, Rainer; Kreft, Dieter (Hrsg.): Gewalt im Griff. Neue Formen des Anti-Aggressivitäts-Trainings, Weinheim, Basel 1997, Beltz

 

Zeitschriften:

Pädagogik 1/1999, "Hilfen gegen Gewalt", Beltz Verlag

Lernende Schule, "Klasse werden", Friedrich Verlag

Schüler ‚95, "GewaltLösungen", Friedrich Verlag

Schule und Beratung 7/1997, "Konfliktlösung macht Schule", Hessisches Landesinstitut für Pädagogik

Wochenschau November/Dezember 1997, "Jugend und Gewalt", Wochenschau Verlag

Richard Münchmeier: "Entstrukturierung" der Jugendphase. Zum Strukturwandel des Aufwachsens und zu den Konsequenzen für Jugendforschung und Jugendtheorie; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 31/98

Wilfried Schubarth: Jugendprobleme in den Medien. Zur öffentlichen Thematisierung von Jugend am Beispiel des Diskurses zur Jugendgewalt; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 31/98

Irina Bohn: Jugend – Gewalt – jugendpolitischer Umgang. Eine Bilanz des Aktionsprogramms gegen Aggression und Gewalt; in: Aus Politik und Zeitgeschichte 31/98

Gunter A. Pilz; Lorenz Pfeiffer: Offener Mitternachtssport. Erfahrungen aus praktischer Arbeit und wissenschaftlicher Begleitung; in: deutsche Jugend. Zeitschrift für Jugendarbeit 12/98

Sozial Extra, November 1998

 

 

Schülergewalt als Schulproblem

An der Universität Bielefeld sind in den letzten Jahren bedeutende Forschungsprojekte im Bereich Jugendkultur, Rechtsextremismus, Gewalt und Fundamentalismus durchgeführt worden. Zum Themenbereich Gewalt an Schulen ist nun auch die Studie Schülergewalt als Schulproblem erschienen.

Die Befragung selbst liegt schon etwas länger zurück – sie fand im Herbst 1995 statt. Dabei wurden Schülerinnen und Schüler aus 167 Klassen der Jahrgangsstufen 6, 8, 9 und 10 aus Hessen befragt und parallel dazu Schulleitungen und Lehrer der betreffenden Schulen. Allein die große Anzahl der befragten Personen hebt dieses Projekt gegenüber den meisten sogenannten repräsentativen Befragungen zum Ausmaß von Gewalt an Schulen hervor. Denn, dies ist ein Ergebnis der vorliegenden Arbeit, es sind kaum Aussagen möglich über Schulen, die nicht in die Befragung mit einbezogen waren: zu unterschiedlich sind die Ergebnisse, abhängig vom Schulklima, dem Engagement der Lehrer und so fort.

"Das Bild vom Schlachtfeld Schule ist falsch. Zur Zeit findet eine unzulässige Dramatisierung statt", sagte der Bielefelder Pädagogikprofessor Klaus-Jürgen Tillmann bei der Präsentation der Studie vor der Presse. Andererseits: Mehr als die Hälfte der Schüler räumt ein, ihre Mitschüler durch Beschimpfungen, Schikanen und Hänseleien zu quälen. Und: "Es gibt einen harten Kern gewaltbereiter Schüler, dieser Kern wird größer", betonte Ulrike Popp, Mitautorin der Studie.

Es ist aber äußerst schwierig, sich auf eine klare und einheitliche Aussage zum gegenwärtigen Ausmaß der Gewalt an Schulen zu einigen. Sind das knappe Drittel aller Schülerinnen und Schüler, die angaben, sich im letzten Jahr geprügelt zu haben, viel oder wenig? Ist es eher beruhigend, daß nur 11 Prozent angeben, schon einmal "bewaffnet" zur Schule gekommen zu sein – oder sind dies erschreckend viele? Und was heißt überhaupt bewaffnet: ein kleines Taschenmesser, Reizgas oder eine Schußwaffe in der Schultasche? Die vorgelegten Umfragedaten sind wichtig und wertvoll. Es folgen einige auffällige Ergebnisse:

Übereinstimmend sind die Autoren der Meinung, daß in den letzten zwanzig Jahren viel stärker die alltäglichen Formen der "Schuldevianz" zugenommen haben (Störungen im Unterricht, Schwänzen, Mitschüler und Lehrer ärgern) als handfeste körperliche Gewalt. Überrascht zeigen sich die Autoren jedoch vor allem über das "hohe Maß an psychischer Gewalt unter Jugendlichen". Über das Ausmaß gibt es deutliche Wahrnehmungsunterschiede.

Der Kern der Schüler, die häufig in körperlich-aggressiver Weise Personen oder Sachen angreifen, liegt bei 4 Prozent bei den Mädchen und 11 Prozent bei den Jungen. "Opfer" und "Täter" lassen sich dabei nicht klar unterscheiden. 40 Prozent der "Dauertäter" sind zugleich "Daueropfer."

Besonders die Mitautorin Ulrike Popp weist darauf hin, daß vieles dafür spricht, daß Mädchen stärker in schulische Gewalthandlungen verstrickt zu sein scheinen, als bisher angenommen. Bei handfesten Auseinandersetzungen agierten sie häufig als "Drahtzieherinnen" oder motivierende "Beifallskundgeberinnen" im Hintergrund. 15 Prozent der Mädchen waren aber auch direkt in Prügeleien involviert, 12 Prozent von ihnen haben angegeben, mindestens alle paar Monate eine absichtliche Beschädigung von Schuleigentum begangen zu haben. "Der in der bundesweiten Forschung konstatierte Befund, Gewalt an Schulen sei ein Jungenphänomen, muß anhand unserer Ergebnisse relativiert werden", resümieren die Autoren.

Die Studie zeigt, daß sich in bestimmten Schulformen und daß sich in einzelnen Schulen die Probleme massiv konzentrieren. Auch nach Schulformen sind deutliche Unterschiede festzustellen: So haben knapp 40 Prozent der Sonderschüler die Erfahrung gemacht, in den letzten zwölf Monaten mindestens alle paar Monate verprügelt worden zu sein, aber "nur" 9 Prozent aller Gymnasiasten.

Der Vergleich der Aussagen der Schulleitungen und der Lehrer weist große Diskrepanzen auf. Durchgängig erleben Lehrer mehr Gewalt als die Schulleitungen. Lehrer wiederum nehmen auf fast allen Gebieten mehr Gewalt wahr als Schüler.

Klaus-Peter Martin

Tillmann, Klaus-Jürgen/Holler-Nowitzki, Birgit/Holtappels, Heinz-Günter/Meier, Ulrich/Popp, Ulrike, Schülergewalt als Schulproblem. Verursachende Bedingungen, Erscheinungsformen und pädagogische Handlungsperspektiven, Weinheim und München (Juventa Verlag) 1999 (366 S., 39,80 DM)