"Wir sollten besser von Fujimorismus sprechen"

Interview mit dem peruanischen Parlamentsabgeordneten Javier Diez Canseco, "Vereinigte Linke" (IU)

Albert Sterr

Javier Diez Canseco, Jahrgang 1948, ist einer von zwei Abgeordneten der "Vereinigten Linken" (IU) im peruanischen Parlament (120 Sitze), in dem Präsident Fujimori mit seiner absoluten Mehrheit nach Belieben schaltet und waltet. Selbst einige Tage Botschaftsgeisel, machte sich der profilierte Oppositionspolitiker nach seiner Freilassung für eine Verhandlungslösung stark. Schwer bewaffnete Unbekannte in Zivil versuchten, ihn im März zu entführen und schossen dabei seinen Leibwächter an. Javier Diez Canseco, einer der vier Initiatoren eines Referendums gegen die Wiederwahl Fujimoris, ist Zielscheibe zahlreicher Drohungen und Einschüchterungsmaßnahmen. Seit kurzem läßt die Regierung in TV-Sendern bezahlte Spots ausstrahlen, in denen er - sowie der Direktor der Zeitung La República und Parlamentsabgeordnete Gustavo Momme - als Verleumder der Streitkräfte hingestellt werden, ein Delikt, das in Peru vor Militärgerichten mit hohen Strafen sanktioniert wird.
Wir werteten mit dem IU-Parlamentarier das blutige Ende der Geiselkrise aus, analysierten die Säulen von Fujimoris Macht und stellen die Anti-Wiederwahl-Kampagne vor, die dabei ist, Fahrt zu gewinnen.

Bedeutung und Folgen der Geiselkrise

Herr Diez Canseco, wie bewerten Sie aus heutiger Sicht die Folgen, welche die Besetzung der Residenz des japanischen Botschafters für Peru hatte?

Die Geiselkrise warf die Politik Perus aus den Gleisen, in denen sie sich bis dahin bewegte. Die Politik lief vier Monate lang auf neuen Schienen: die Konfrontation MRTA-Kommando versus Regierung Fujimori und Militär. Die nationale und besonders die internationale Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die Botschaftsresidenz. Vor dieser Aktion war im Land ein starker Imageverlust des Präsidenten zu verzeichnen gewesen. Viele Menschen waren enttäuscht, weil sich entgegen anderslautender Versprechungen ihre soziale Lage nicht verbesserte. Das Bekanntwerden von Korruptionsfällen trug ebenfalls zum Ansehensverlust bei. Mit der Botschaftsbesetzung und den nachfolgenden Verhandlungen gelang es Fujimori, Präsenz zurückzugewinnen. Die Bevölkerung solidarisierte sich nämlich mit den Geiseln.

Und die Bevölkerung konnte oder wollte nicht unterscheiden zwischen der Botschaftsbesetzung der MRTA und Aktionen von "Sendero luminoso"?

Die Leute differenzieren sehr wohl zwischen MRTA und Sendero. In diesem Punkt stimmen die Umfragen überein. Aber die Bevölkerung ist nicht damit einverstanden, daß gefangene MRTA-Angehörige freigelassen werden, die danach den bewaffneten Kampf wieder aufnehmen. Die Leute wollen nicht noch mehr Gewalt. Zweitens ist das Problem der politischen Gefangenen nicht das Problem der breiten Masse. Die MRTA ist kein Ausdruck einer größeren politischen und sozialen Bewegung. Die Revolutionäre Bewegung Túpac Amaru ist sehr geschwächt und hat ihre meisten Guerillafronten verloren. Sie hat vielleicht noch um die 120 Personen unter Waffen. Die Túpac-Amaristas begingen den schweren Irrtum anzunehmen, daß ein militärtechnisch einwandfreier Handstreich, die Gefangennahme von 600 hochrangigen Geiseln, die politischen und sozialen Kräfteverhältnisse grundlegend verändern würde. Und daß sie - mit den Geiseln in der Hand - den Fall von Fujimori erzwingen könnten.

Wie meinen Sie das? Das MRTA-Kommando forderte die Freilassung der Gefangenen, aber doch nicht den Rücktritt des Präsidenten.

Das ist richtig. Aber die Forderung der MRTA zu erfüllen hätte für Fujimori ein Debakel bedeutet. Wenn Fujimori Hunderte MRTA-Leute und deren Führung freigelassen hätte, wäre seine Regierung in eine totale Krise gestürzt. Deshalb konnte der Präsident die Forderung des MRTA-Kommandos nicht akzeptieren. Auf der anderen Seite gab es kein politisches und soziales Kräfteverhältnis, das ihm diese Lösung aufgezwungen hätte. In dem Maße, wie MRTA an den Maximalforderungen festhielt, die großen Probleme, welche die Bevölkerungsmehrheiten direkt betreffen, nur am Rande behandelte und sich statt dessen auf das spezielle Anliegen ihrer Gruppe, die Gefangenenbefreiung, konzentrierte, konnte sie nicht in größerem Maße an Unterstützung gewinnen.

Die Bevölkerung wartete ab...

... und die Regierung gewann Zeit und konnte eine militärische Lösung vorbereiten, die Fujimori von Anfang an benötigte, um diejenigen in Militär und Geheimdienst, die die MRTA-Aktion nicht verhindert hatten, nicht zur Verantwortung ziehen zu müssen. Denn warum war es denn überhaupt möglich, daß 14 MRTA-Leute die nach den USA zweitwichtigste Botschaft besetzen konnten? Weil der Geheimdienst damit beschäftigt war, die Opposition auszuspionieren oder die Presse unter Druck zu setzen. Warum wußte die Armee nicht, wo sich die Chefs der Aufständischen aufhielten? Die Armeeführung war damit befaßt, die Wiederwahlkampagne für Fujimori durchzuführen. Bei einer Verhandlungslösung hätten die politisch Verantwortlichen die Rechnung zahlen müssen, während sie nach der Erstürmung als Helden gefeiert wurden. Leider erleichterte die Verknüpfung eines politisch absurden Maximalismus mit dem ungeschickten Verhandlungsstil der Besetzer und deren mangelnder Vorsicht die militärische Variante.

Dazu kommt aber als weiteres entscheidendes Element der radikale Humanismus in der Behandlung der Geiseln, der eine notwendige Vorbedingung dafür war, daß der Angriff mit derart geringen Kosten für die Regierung abging.

Sie gingen von dem Grundsatz aus, daß sie die Geiseln besser behandeln mußten, als der Staat die MRTA-Häftlinge. Das Problem war, daß sie dies als eine Art magisches Schutzschild betrachteten. Sie meinten, es passiere ihnen nichts, solange sie sich daran hielten.

Hat die gewaltsame und aus seiner Sicht erfolgreiche Geiselbefreiung Präsident Fujimori ermutigt, nun auch gegen die legale Opposition vorzugehen?

Der Präsident beging nach der Geiselbefreiung einen schweren Fehler. Die kurzzeitig gestiegene Popularität verwechselte er mit einem Blanko-Scheck. Er dachte, daß nun die Bedingungen dafür gegeben seien, um den Staatsapparat voll in seine Hand zu bekommen, um seine Wiederwahl vorzubereiten. Er übersah jedoch die Widersprüche, die sich im Militär in der verhältnismäßig langen Zeit entwickelten, die er benötigte, um die Stürmung der Residenz vorzubereiten.

Sie beziehen sich auf die Aufdeckung von Folterfällen im Geheimdienst SIN und die Ermordung und Zerstückelung der SIN-Agentin Mariella Barreto durch Geheimdienstkollegen? Die Ermordete war die Exfreundin des Operationschefs der paramilitärischen "Gruppe Colina", des Majors Santiago Martín Rivas.

Ja. Seit Februar, März sickerte langsam durch, daß es innerhalb des Militärgeheimdienstes zu Folter und Mord an Geheimdienstleuten kam. Im April strahlten TV-Kanäle Interviews mit einer gefolterten SIN-Agentin aus, die eine Lawine ins Rollen brachten.

Warum verschärften sich Ihrer Meinung nach die Widersprüche in den Sicherheitsapparaten genau in jener Phase?

Weil es im Militär Auseinandersetzungen um Macht und Einfluß gibt. Und weil es Militärangehörige gibt, die die Presse und die Opposition über die Pläne des Geheimdienstes informierten, gegen sie vorzugehen.

Welche konkreten Pläne des SIN flogen auf?

Es geht um die Ausübung von Druck und geplante Attentate auf bestimmte Presseorgane und Oppositionsangehörige.

Die zum Teil auch realisiert wurden?

Natürlich. Schon vor der Botschaftsbesetzung sprengten drei SIN-Agenten in Puno eine TV-Übertragungsstation in die Luft, um den Besitzer des Fersehkanals einzuschüchtern, der unter anderem eine kritische Sendung des Journalisten César Hildebrandt ausstrahlt. Der General Robles identifizierte einen der Täter als Angehörigen der Gruppe Colina, wurde von der Armee entführt und später vor dem Militärgericht verurteilt. Fujimori, formal der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, konnte nicht erreichen, daß das Militärgericht Robles freigab. Schließlich verabschiedete der Kongreß ein Amnestiegesetz. Dieses Beispiel demonstriert, daß es zwischen den verschiedenen Machtpfeilern ernste Meinungsverschiedenheiten gibt.

Hat die Geiselkrise diese Widersprüche zunächst übertüncht, dann aber verschärft?

Schwer zu sagen. Auf jeden Fall hat die Aussage der SIN-Agentin Leonor La Rosa, die in einem Keller unter dem Verteidigungsministerium schwer gefoltert wurde, um aus ihr herauszubekommen, wer die Pläne an die Presse weitergab, großen Wirbel verursacht. Dies trug mit dazu, daß die Politik wieder in die Bahnen von vor der MRTA-Aktion zurückkehrte.

Dazu gehört das Vorgehen gegen weitere Medien. Zuletzt hat es nun den TV-Sender Canal 2 erwischt, obwohl dessen Inhaber Baruch Ivcher bis dahin als Amigo Fujimoris galt und sein Sender alles andere als kritisch war. Wie kam es zu diesem Umschwung?

Es kam offenbar zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Baruch Ivcher und dem Sicherheitsberater Montesinos. Anlaß war das Bekanntwerden der Extra-Einkommen des Geheimdienstchefs Montesinos, die sich 1996 auf beinahe 70<%20>0<%0>000 US-Dollar beliefen.

Diese Summe habe er in seiner Freizeit verdient, erklärte der Mann der Paramilitärs. Womit hat er denn diese angebliche Freizeit verbracht?

Dafür gibt es keine Erklärungen. Weder wollte er dazu Stellung nehmen, noch der Premierminister und auch nicht die Steuerbehörden. Es hieß lediglich, es seien keine peruanischen Unternehmen und auch keine ausländischen, die in Peru Interessen hätten. Wen kann er also für ein derart hohes Honorar beraten haben? Dies hat den Eindruck verstärkt, daß diese Regierung in schmutzige Geschäfte verwickelt ist. Sie kontrastiert auch mit der Aussage Fujimoris, wonach er nur 200 Dollar monatlich verdiene. Dennoch bezahlt er vier seiner Kinder in den USA ein Studium. Wie das funktioniert ist ein Geheimnis, das viele Eltern von Studenten gerne lüften würden.

Was hatte Ivcher mit den Einkünften von Montesinos zu tun?

Ich weiß es nicht, und es erscheint mir auch nicht so wichtig. Entscheidend scheint mir, daß Berichte unter anderem in seinem Sender aufgedeckt haben, daß es Folter, unrechtmäßige Einkünfte et cetera gibt und daß Individuen aus dem Zentrum der Macht darin verwickelt sind.

Danach wurde für den Medienimpresario die Lage ziemlich kritisch...

Die Finanzbehörden nahmen sich sein Unternehmen vor, Hubschrauber überflogen eine Fabrik von ihm und das Oberkommando der Streitkräfte veröffentlichte eine Stellungnahme, in der er als "eingebürgerter Peruaner" bezeichnet wurde, der den Ruf der Armee schädigen würde. Schließlich wurde ein Gesetz verabschiedet, das es im "Interesse der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung" erlaubt, Eingebürgerten die Staatsbürgerschaft wieder zu entziehen.

Im spezifischen Fall Baruch Ivcher, der den Anlaß bot, ist das nicht zuletzt auch als antisemitischer Ausfall zu bewerten. Die Argumentationszusammenhänge entsprechen nahezu klassisch antisemitischen Mustern.

Meiner Ansicht gibt es eine antisemitische Komponente. Das Vorgehen richtet sich aber vor allem gegen regierungskritische Dissidenten in den Medien.

Und die Sache mit der Ausbürgerungsdrohung? Die geht doch weit über das unter Fujimori übliche Maß hinaus!

Das trifft zu. Aber diese Maßnahme richtet sich nicht nur gegen eingebürgerte Juden, sondern indirekt auch gegen die katholische Kirche. Denn mehr als die Hälfte der peruanischen Bischöfe sind Personen, die in einem anderen Land geboren wurden und später die peruanische Staatsangehörigkeit annahmen. Da sie sich ebenfalls kritisch äußern, gilt die Drohung auch ihnen.

Zivil-militärische Regierung und demokratische Opposition

Was tut Fujimori, um dem wachsenden Unmut zu begegnen?

Er will dem Stimmungsumschwung mit der Konzentration der Macht in seinen Händen und mit einer Kampagne für seine erneute Wiederwahl im Jahr 2000 entgegentreten. Wir gründeten ein Personenbündnis, um die Wiederwahl zu verhindern. Vier Personen, ein Vertreter der Christdemokratie, der APRA, ich für die Linke und einer für die Unabhängigen begannen eine Kampagne für eine Volksabstimmung. Das "Demokratische Forum", ein Zusammenschluß von Einzelpersonen und nicht von Organisationen, griff die Referendums-Forderung auf.

Wie reagierte die Regierung darauf?

Sie will die Wiederwahl sichern und das Referendum boykottieren, indem sie alle Organe des Staates an die Kandare nimmt. Fujimori knöpft sich die staatlichen Institutionen vor, die er noch nicht unter Kontrolle hatte wie die Generalstaatsanwaltschaft, die gerade dabei war, einen neuen, ihm nicht genehmen Generalstaatsanwalt zu wählen. Fujimori ließ ein Gesetz verabschieden, das dessen Befugnisse beschneidet. Sie wurden einem Exekutivrat übertragen, der vom Staatsministerium, also in letzter Instanz vom Präsidenten selbst, bestimmt wird.

Was erreichte Fujimori damit?

Das Budget und die Ernennung von Staatsanwälten laufen nun über seinen Tisch. Das ist schon wichtig genug. Dazu kommt, daß die Staatsanwälte in den Provinzen auch als Präsidenten der Wahlbehörden fungieren. Mit diesem Schachzug sichert sich Fujimori also auch die Kontrolle der Wahlbehörden in großen Teilen Perus.

Warum geriet nach dem Ende der Geiselkrise auch der Verfassungsgerichtshof ins Visier?

Das oberste Gericht mußte entscheiden, ob ein von Fujimoris Parlamentsmehrheit verabschiedetes Wiederwahlgesetz verfassungsgemäß war. Es fällte ein Votum, wonach dieses Gesetz nicht zur Anwendung kommen könne. Mit anderen Worten: Fujimori könnte diesem Richterspruch zufolge im Jahr 2000 nicht antreten. Es begann eine Einschüchterungskampagne gegen das Tribunal. Schließlich setzte er drei Richter ab und ließ den Gerichtspräsidenten unter Beobachtung, was diesen zum Rücktritt zwang. Die übriggebliebenen drei reichen nicht aus, um das notwendige Quorum zu erfüllen; das Verfassungsgericht war paralysiert.

Ich verstehe es trotzdem nicht ganz. Das Verfassungsgericht war doch bis dahin Fujimori nicht feindlich gesonnen. Einige seiner Mitglieder machten aus ihrer Pro-Fujimori-Einstellung keinen Hehl. Schließlich hat dasselbe Tribunal sogar das Gesetz Nr. 26479 vom Juni 1995, das die Amnestie der uniformierten Menschenrechtsverletzer dekretiert, mit 6:1 Stimmen für verfassungsmäßig erklärt.

Die Macht Fujimoris basiert darauf, daß es keine Gewaltenteilung und keine gegenseitige Kontrolle der staatlichen Organe gibt. Fujimori kontrollierte die Justiz, den Kongreß, das Kommando der Streitkräfte sowie die Wahlbehörden. Mit dem Schlag gegen das Verfassungsgericht hat er einen weiteren Faktor im Institutionengefüge ausgeschaltet, der nicht voll unter seiner Kontrolle war.

Kann man dann noch von einer Demokratie sprechen?

Ich denke nicht. Umfragen zufolge sind 45 Prozent der Ansicht, daß es in Peru eine Diktatur gibt, 26 Prozent sehen eine Kohabitation von Zivilisten und Militärs und nur noch 25 Prozent halten das System Perus für eine Demokratie. Diese Zahlen sprechen für sich.

Ist dabei Präsident Fujimori der starke Mann? Oder ist er nur eine Vorzeigefigur der Streitkräfte?

Wir sollten nicht seine Person ins Zentrum rücken, sondern besser vom Fujimorismus sprechen. Das will sagen, daß die Macht in den Händen einer Gesellschaft mit drei Hauptgesellschaftern liegt. Da ist Fujimori selbst, dann seine politischen Berater, also der Geheimdienst SIN, der vom Sicherheitsberater Vladimiro Montesinos gesteuert wird. Einem Individuum, das mit paramilitärischen Gruppen Verbindungen unterhält, als Berater von Drogenhändlern fungierte und militärische Geheimnisse an die CIA verkauft. Der dritte Sozius schließlich, der Generalsekretär der eigentlichen politischen Partei von Fujimori, ist der Oberkommandierende der Armee. Er hat die Armee in die Parteistruktur Fujimoris verwandelt. Die Armee ist das Instrument, das den Präsidenten politisch am Leben hält.

Die Armee und nicht der Geheimdienst SIN, wie oft behauptet wird?

Der Geheimdienst ist der Apparat, der die politische Leitung innehat. Die Agenten des SIN sind die Analytiker, geben die politischen Orientierungen aus und führen die geheimen Operationen durch. Die Armee indessen ist das personelle und organisatorische Rückgrat.

Das beantwortet noch nicht die Frage, wer in dieser Konstellation wen aufrechterhält!

Diese Allianz kann man wie eine Aktiengesellschaft betrachten, in der die Aktien unter verschiedenen Anteilseignern aufgeteilt sind. Die Aktienpakete sind in Bewegung. Manchmal hat einer mehr, dann wieder weniger. Aber klar ist, daß es in der Gesellschaft drei große Aktionäre gibt.

Wer ist der Generaldirektor, der den Kurs bestimmt?

Diese Funktion ist nicht an eine feste Person, sondern an den Fluß der Aktienpakete gebunden. Fujimori steht jetzt unter Druck. Sein Gewicht resultierte aus seinem Kontakt mit der Bevölkerung. Er war der Kommunikator, der die Verbindung zwischen dem autoritären Staat und der desorganisierten Masse herstellte. In dieser Funktion geriet er in die Krise. Dies hat zur Folge, daß das Militär und der Geheimdienst an Gewicht gewinnen und daß die Führung des Staatsapparates immer autoritärer und diktatorischer wird. Dies verstärkt den Ansehensverlust Fujimoris in der Gesellschaft.

Ist die Verbindung von Autoritarismus, illegalen und blutigen Machenschaften und der anhaltenden sozialen Misere für die jüngsten Straßenmobilisierungen verantwortlich?

Vor allem die Absetzung des Verfassungsgerichts wirkte als Auslöser dafür, daß erstmals seit sechs, sieben Jahren die Jugend wieder auf die Straße geht. Es kam zuerst in Lima und danach in der Provinz zu größeren Märschen. Die Mobilisierung ging von Privatuniversitäten, also Studenten der Mittelschicht aus, griff auf Gewerkschaften über und stärkte die politische Opposition. Dies verbessert die Bedingungen, um ein Referendum gegen die Wiederwahl Fujimoris zu erzwingen. Die Opposition hat jetzt einen Punkt, um den sich eine Aktionseinheit aufbauen läßt.

Die Kampagne Pro-Referendum

Welche Schritte unternehmen sie konkret, um das Referendum voranzubringen?

Das lose Personenbündnis hat Oppositionsparteien, Gewerkschaften, Universitäten und soziale Bewegungen eingeladen, in den kommenden Wochen ein gemeinsames "Nationales Komitee Pro-Referendum" zu gründen.

Eine breite und politisch heterogene Front gegen Fujimori?

Es handelt sich um eine nationale und demokratische Front, eine Aktionseinheit gegen Fujimori. Sie ermöglicht die Kohäsion unterschiedlicher Kräfte. Das "Nein" unterschiedlichster Gruppen fließt in einem breiten Strom zusammen. Das Nein der Rentner, denen ihre kärgliche Rente gekürzt wurde; jenes der Studenten gegen die militärische Besetzung der Unis sowie die rachitischen Haushaltsansätze; das der Arbeiter gegen die Hungerlöhne und die Negation gewerkschaftlicher Rechte; jenes der Lehrerinnen und Angestellten im Gesundheitswesen gegen die Privatisierung öffentlicher Dienste und das Nein gegen Folter und Straflosigkeit. Schließlich das Nein gegen Militarisierung und Autoritarismus. Der politische und soziale Widerstand, bisher voneinander getrennt, können sich vereinen, ohne daß die Akteure schon ein gemeinsames Programm haben müßten.

Wenn man Fujimori nicht mehr haben will, muß man der Bevölkerung sagen, was an dessen Stelle kommen soll. Was haben die Initiatoren des Referendums anzubieten?

Die Aktionseinheit schafft den nötigen Spielraum für Debatten darüber, welcher Weg eingeschlagen werden soll. Wir müssen eine Plattform erarbeiten, in der zumindest einige grundlegende Gemeinsamkeiten festgehalten werden. Besser wäre noch ein Übergangsprogramm.

Sicherlich ist es nicht damit abgetan, ein Aktionskomitee zu gründen und dann Unterschriften zu sammeln. Worauf haben wir uns einzustellen?

Eine Volksabstimmung kann nur das Ergebnis eines langen Kampfes sein. Es bedeutet, die Unterschriften zu sammeln, deren Anerkennung durch die Wahlbehörden zu erstreiten und die Regierung zur Abhaltung des Referendums zu zwingen. Dies bietet die Möglichkeit für eine länger und breit angelegte politische Mobilisierung. Hier ist die Beteiligung der Bevölkerung von entscheidender Bedeutung. Das Referendum spielt sich nicht in den luftigen Sphären des Parlaments, sondern im Schoß der Gesellschaft ab. Dabei geht es nicht nur um die Verhinderung der Wiederwahl im Jahr 2000, sondern auch um die Durchsetzung von Kursänderungen jetzt.

Gehen Sie davon aus, daß sich das Referendum unter einigermaßen demokratischen Bedingungen entwickeln kann?

Nein. Ich glaube nicht, daß es so einfach möglich sein wird, Unterschriften zu sammeln, eine saubere Abstimmung durchzuführen und zu gewinnen.

Will sich das Herrschaftskartell um Fujimori, den Geheimdienst und die Militärs an der Macht halten, auch wenn die Peruanerinnen und Peruaner dies nicht mehr wünschen?

Ohne Zweifel. Es geht dabei nicht nur um zukünftige Interessen, sondern auch um die Sicherung und Vertuschung dessen, was sie bereits getan haben. Sie wollen verhindern, daß sie Rechenschaft ablegen müssen.

Vielen Dank für das Gespräch.