Niederlande

Brave new work (VI)

Frank Eckardt

Globalisierung - die Konkurrenz mit Anbietern im Ausland, die aufgrund niedrigerer Löhne billiger seien - mag in vielen Fällen nur ein Rechtfertigungsmythos für den Abbau sozialstaatlicher Errungenschaften sein. Doch im "Schlepperkrieg" kann man zeigen, wie der Bumerang der Globalisierung auch dorthin zurückkommt, von wo er mit Wucht abgestoßen wurde. Mit Billiglohnkräften - osteuropäische Mannschaft plus holländischem Kapitän - segelten die niederländischen Schlepperunternehmen in den Hamburger Hafen ein und machten den ansässigen deutschen Anbietern die Preise kaputt. Diese schlugen schnell mit dem gleichen Prinzip zurück: Das eigens gegründete Unternehmen "Lucky Star" brachte deutsche Schlepperboote in die holländischen Häfen. Diese trieben durch niedrigste Löhne wiederum ihrerseits die niederländischen Unternehmen in die Enge. Durch Einsparungen bei den Löhnen versuchten sie, die Wettbewerbsnachteile zu kompensieren. Diesmal allerdings trifft es die bislang noch gut organisierten und sozialrechtlich versicherten niederländischen Hafenarbeiter, denen die Kosten des unsäglichen Konkurrenzkampfes aufgebürdet werden. In Amsterdam wurden damals noch ohne jeden Widerstand 200 Arbeiter des Städtischen Hafenbetriebes (SHB) in einem sogenannten piekpool aufgefangen, wie es in den gängigen Sprachregelungen heißt: Man hat sie also zunächst entlassen und dann unter ungünstigeren Bedingungen wieder eingestellt.

In der alten Hochburg der Gewerkschaften, der ehemals stolzen Arbeiterstadt Rotterdam, stieß das Vorgehen auf den Protest der Betroffenen, obwohl auch hier die nationale Gewerkschaftszentrale dem Deal zunächst zugestimmt hatte. "Wir lassen uns nicht einfach entrechten. Es geht um alles oder nichts", ruft Jeroen Toussaint in die vollbesetzte Kantine des Seaport Terminals. Nie hätte er sich vorstellen können, an einem Streik teilzunehmen. Und nun organisiert er sogar einen "wilden Streik", für den es nirgends politischen Rückhalt zu geben scheint. Die Gerichte haben ihn schnellstens verboten. Die Medien nehmen ihn kaum zur Kenntnis, für die Parteien spielt er sowieso keine Rolle. "Ich scheine wohl der Präsident zu sein", verwundert er sich, als er von der Polizei zum Ansprechpartner benannt wird. Dies wird ihm vom Rotterdams Dagblad dann als Hochmut ausgelegt. Den ganzen Streik diskreditierend, erscheint die Schlagzeile: "Streikende fühlen sich als Präsidenten."

Einige Hundert Hafenarbeiter waren dem Aufruf zur Besetzung des Rotterdamer SHB-Bürogebäudes gefolgt. Willig läßt man sich dann aber schnell von der Polizei zum Brittanienhaven abtransportieren. Wozu sollte man sich auch mit den Uniformierten prügeln? In der medialisierten Politik, dessen ist man sich sehr bewußt, erzielt man nur durch spektakuläre, aber freundliche Aktionen Aufmerksamkeit. Doch selbst diese ist der letzten Bastion gegen das Arbeiten ohne Rechte nicht gegönnt, wenn die Streikenden am nächsten Tag die Autobahn Nummer 15 besetzen. Ihre "Begräbnisroute", ein symbolischer Trauerzug für die gestorbenen Errungenschaften der Arbeiterklasse, hatten sie so ausgewählt, daß sie entlang der Abfahrtpiers der Nordseefähren von P&O und North Sea Ferries führte. Doch auf die Touristen und sonstigen Reisenden machte das keinen großen Eindruck.

Deprimierender als das Desinteresse der Passagiere der Englandfähren ist allerdings die fehlende Solidarität der anderen Hafenarbeiter. Tag für Tag schwärmen die SHB-Streikführer durch das riesige Hafengebiet, um bei jenen Unterstützung zu finden, die entweder noch in Besitz eines normalen Arbeitsplatzes oder bereits in rechtloser Lage sind. "Wir haben nur eine Chance, wenn alle mitmachen. Der ganze Hafen muß stilliegen", ruft der "Präsident" seinen Zuhörern zu. Vergeblich. Das Echo ist schwach, wenn überhaupt etwas zu hören ist. So ziehen die, die keine "Flexibelchen" (Algemeen Dagblad) werden wollen, mit ihren Autos von Hoogvliet zum Früchte-Terminal im Merwehafen, wo die Stadt Rotterdam die neuesten Restrukturierungen des Hafens für den globalisierten Wettbewerb vollziehen will: Just-in-time-Produktion in der Belieferung Westeuropas mit Südfrüchten. "Hier beschreitet Rotterdam endlich den Weg zum Qualitätshafen", verkündet der sozialdemokratische Stadtdezernent Simons stolz. Nicht mehr nur Massengüter wie Erdöl und Bier sollen schnell und in großen Mengen verschifft werden können, sondern auch spezielle und besondere Stückgutlieferungen. Dazu benötigt man ein ausgesprochen hochtechnisiertes Kommunikationssystem, das die Wünsche einzelner und kleinster Kunden schnell befriedigt. Auch dies bedeutet Automatisierung der Verladeaktivitäten und somit Einsparung von Arbeitskräften. Mit den damit verbundenen sozialen Konsequenzen für die Stadt hat sich allerdings ein anderes Dezernat zu beschäftigen. Wenn es Simons etwa gelingt, den amerikanischen Sportwarenhersteller Reebok zu überzeugen, in Rotterdam statt Houston seine weltweite Distributionszentrale einzurichten, dann letztlich nur mit dem Niedriglohn-Argument.

Die Streikführer eilen unterdessen weiter. Durch den Maastunnel zum Ijsselhafen, auf dem Weg zum Stuwadeur Klapwijk Rapide und dann zu Steinweg-Handelsfähren im Prinses Beatrixhaven. Für heute steht noch der Tor-Line-Terminal und das Unternehmen Deka auf der Liste der zu besuchenden Hafenbetriebe. Morgen dann zu Hanno und Uniport am Pier 6, Interforet im Waalhafen und ECT und Rail Service im Botlekhafen. Und kein Ende dieser Sisyphus-Aktionen gegen die Degradierung einer ehemals so selbstbewußten Arbeiterschaft ist in Sicht. Überall nur gequälte Gesprächsbereitschaft, nachdem man das Wachpersonal überzeugen konnte, überhaupt Zutritt zum Hafengelände zu erhalten. In der Hanno-Kantine kehrt man abends dann nach den Besuchsaktionen müde ein, und jeden Tag fehlen weitere bekannte Gesichter. "So hatten wir uns das nicht vorgestellt", meint Ton Zwart. Er verflucht seine Kollegen, die sich hintenrum absetzen: "Die Herren haben für die noch etwas in petto." Doch auch ihn verläßt jede Hoffnung, als ein ECT-Hafenarbeiter ihn am nächsten Tag mit seinem Gabelstapler angreift. Der will seine Arbeit machen, solange er noch eine hat.