Helmut Wiesenthal

Kein Weltuntergang nach Kopenhagen

Versuch, einen Pfad durchs Dickicht des Klimastreits zu bahnen

 

 

Der Klimagipfel von Kopenhagen war nicht ergebnislos. Er hat immerhin deutlich gemacht, warum wir in diesen Jahren nicht mit einem weltweiten Klima-Abkommen rechnen sollten, das sowohl problemgerecht als auch verbindlich ist. Denn das Debakel von Kopenhagen führt uns das Ende jener Weltordnung vor Augen, in der den Staaten Europas eine Führungsrolle zukommt. Wer dennoch von Europa aus Einfluss auf die Entwicklung des Weltklimas nehmen will, dem bleibt, so unser Autor, nur eines: eine überzeugende Demonstration, wie Klimaschutz und Prosperität vereinbar sein können. Das setzt (neben anderem) zweierlei voraus: die unverkürzte Kenntnisnahme der wesentlichen Aspekte des Themenkomplexes Klimawandel/Klimapolitik und eine kritische Bewertung der bisher als Klimapolitik etikettierten Maßnahmen.

Im Folgenden wird zunächst ein Blick auf die neue Weltordnung geworfen, die sich als zu sperrig für die Verabredung eines neuen Klimaregimes erwiesen hat. Danach werden die besonderen zeitlichen, sachlichen und soziopolitischen Aspekte wirksamer Klimapolitiken skizziert. Da diese alle Maßstäbe der konventionellen Politik sprengen, gilt es zu erklären, wie ein derart langfristig angelegtes, komplexes und kontroverses Thema auf die politische Tagesordnung gelangen konnte. Schließlich werden einige Besonderheiten der deutschen Klimapolitik beleuchtet, die es im Zuge der notwendigen Rationalisierung des Klimaschutzes verdienen, korrigiert zu werden. Bei alledem geht es an keiner Stelle darum, die Wünschbarkeit, ja Notwendigkeit einer wirksamen Klimapolitik in Abrede zu stellen. Doch gerade wenn man sie für notwendig hält, tut man gut daran, sie von Mystifizierungen und dem Instrumentarium einer bloß symbolischen Politik freizuhalten.

1 Nach Kopenhagen

Die allgemeine Enttäuschung über die Kopenhagener Mammutkonferenz ist symptomatisch – nicht nur für die bekannten Schwierigkeiten globaler Politik, sondern auch für den vielfach unbegriffenen Wandel, der die Weltgesellschaft seit mehr als einem Jahrzehnt erfasst hat. Nirgendwo fand dieser Wandel so wenig Beachtung wie in Europa, wo man sich noch der Illusion hingibt, die relevanten Weltveränderungen der jüngsten Zeit beschränkten sich auf die Erweiterung der EU um ehemals sozialistische Staaten und die jeweilige Konfliktlage im Nahen Osten. Die Enttäuschung von Kopenhagen ist zum erheblichen Teil Folge eines verengten Welt- und Selbstbilds – der überholten Vorstellung von einer Welt, in der vor allen anderen die »europäischen« Problemsichten, Wertprioritäten und Modernitätsbegriffe zählen.

Während die in Kopenhagen versammelten Vertreter der »Kyoto«-Staaten (im Wesentlichen die EU und Japan) tatsächlich eine weitgehende Reduzierung der CO2-Emissionen im Sinn gehabt haben mochten, ging es den Abgesandten der neuen Industrieländer vor allem darum, die weitere Entwicklung ihrer Volkswirtschaften vor einschneidenden und womöglich fremdkontrollierten Auflagen zu schützen. Dass es zum Konferenzende allein Brasilien, China, Indien und Südafrika waren, deren Zustimmung zu einer unverbindlichen Absichtserklärung dem US-Präsidenten wichtig war, macht den Wandel im Muster der globalen Macht- und Einflusspositionen deutlich. Europa, Amerika und Japan – die bisherigen Zentren der globalen Modernisierungsdynamik – sind im Begriff, ihre Rolle als Inspiratoren und ökonomisch potenteste Antriebskräfte der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation zu verlieren und sich als abhängige Variable neuer, zumindest teilweise von anderen kulturellen Traditionen geprägter Entscheidungszentren wiederzufinden.

Das durch die Industrialisierungsdynamik der einstigen Schwellenländer angetriebene Wachstum der Weltwirtschaft hat den historischen Rekordwert von fast fünf Prozent erreicht. Aller Voraussicht nach werden die neuen Industrieländer in weniger als zwanzig Jahren zwei Drittel des realen Welt-Sozialprodukts (in kaufkraftgewichteten Wechselkursen berechnet) bestreiten. Um 2040 dürften die USA, Japan und die EU-15 zusammengenommen nur noch zwanzig Prozent des globalen Sozialprodukts repräsentieren, die EU-15 sogar nur noch fünf Prozent (Fogel 2007).

Die etwas hämische Vermutung, der rasante Aufstieg der »Neuen« würde von der weltweiten Finanzkrise zum Stoppen gebracht, erwies sich als falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Nach einem sehr kurzen Einbruch produziert die Industrie Asiens schon zehn Prozent mehr als vor dem Konkurs der Lehman Brothers (Capital 2010). Chinas Währungsreserven fungieren immer noch als Stabilitätsanker des US-Dollars und zählen damit zu den unverzichtbaren Voraussetzungen der Krisenbewältigung. Genau besehen sind die Wirtschaftsdynamik der »Neuen«, die Aufstiegsambitionen und das Arbeitsethos ihrer Bevölkerung und nicht zuletzt die Angst der Regierenden vor enttäuschten Prosperitätserwartungen zu einer Stütze des Wohlstands der »alten« Welt geworden. Wir profitieren heute vom Fleiß, dem Innovationstempo, der Finanzkraft und demnächst wohl auch vom Bildungsniveau der »Neuen«.

Es sollte uns also nicht überraschen, dass das Wissen um den stetig steigenden Wert des eigenen Potenzials auf das Selbstbewusstsein in den neuen Entscheidungszentren abfärbt. Gewiss prüft man dort auch, welche Auswirkungen die Erderwärmung auf den Wachstumskurs der Wirtschaft haben mag. Aber es wird niemandem in den Sinn kommen, treuherzig den Problemsichten und Empfehlungen aus Washington, London, Berlin oder Kopenhagen zu folgen – zumal es sich dabei um Adressen handelt, unter denen die Hauptverursacher der aktuell problematischen Emissionen – von Treibhausgasen wie von toxischen Wertpapieren – firmieren.

Die Fortsetzung (ja eigentlich: Wiederaufnahme) der globalen Modernisierungsdynamik durch neue Akteure mit eigenem Terminplan und womöglich abweichenden Wertprioritäten konfrontiert die einstigen Powerplayers auf schmerzhafte Weise mit der Infragestellung lieb gewordener Selbstverständlichkeiten. Dazu zählt nicht nur die Annahme, über die allzeit besten Voraussetzungen für hohes Bildungsniveau, wissenschaftlich-technischen Fortschritt sowie soziale Sicherheit zu verfügen, sondern auch über eine Position, von der aus man der »restlichen« Welt (die nun aber die Mehrheit darstellt) ihre Ziele und Aufgaben vorgeben müsse. Das ist schon bei den Themen Konfliktprävention, Nonproliferation, Freihandel, Finanzmarktregulierung und Umweltschutz allenfalls unzulänglich gelungen; das Thema »Vermeidung weiterer Erderwärmung durch Verzicht auf Treibhausgasemissionen« erweist sich demgegenüber als wesentlich komplexer.

2 Zur Komplexität präventiver Klimapolitik

Die stetig zunehmende Erderwärmung, die höchstwahrscheinlich gravierende Veränderungen der Vegetationszonen, der Küstenlinien, der Meeresfauna und letzten Endes der Existenzbedingungen großer Teile der Erdbevölkerung auslösen wird, gehört zu jenen umweltpolitischen Themen, die sich dem unmittelbaren Erleben entziehen. Es sind nicht die realen Folgen, die zur Formulierung manifester Interessen auffordern, sondern mehr oder weniger informierte Vorstellungen, Erwartungen und Verantwortungszuschreibungen. So gewann das Thema Klimawandel seinen politischen Stellenwert erst, als in den 1980er-Jahren die Hypothese der anthropogenen Verursachung aufkam und rasch an Evidenz gewann (Engels/Weingart 1997). Die »Anthropogenisierung« des aktuellen und zukünftigen Klimas bedeutete, das menschliche Handeln sowohl für die Entstehung des Problems als auch für seine Folgen und damit für die Problembearbeitung in Verantwortung zu nehmen.

Der Klimawandel ist aber auch ein ideales Demonstrationsobjekt des in der Soziologie konstatierten Risikoparadoxons. So wird das spezifische Risiko von Entscheidungen beim Umgang mit Gefahren bezeichnet, die als prinzipiell beeinflussbar gelten (Rapoport 1988). Die eine Seite des Paradoxons betrifft die Verursachung von Risiken: Seitdem bekannt ist, dass das durch Verbrennung fossiler Energien frei werdende CO2 (wie auch das bei der Rinderzucht frei werdende Methan) erheblich zum Klimawandel beiträgt, ist das Klima für uns nicht mehr eine reine Naturtatsache, sondern ein Ergebnis riskanten menschlichen Handelns. Die andere Seite des Paradoxons zeigt sich in den Reaktionen darauf: Auch sie sind, wie alle Handlungen, risikobehaftet. Das gilt erst recht für die Entscheidung, nichts zu tun. Mit anderen Worten: Es gibt keine risikolose Reaktion auf Risiken. Dem Risiko der fortschreitenden Erderwärmung steht sowohl das Risiko des Unterlassens geeigneter Gegenmaßnahmen als auch das Risiko von Ressourcen verschwendenden oder Vertrauen vernichtenden Fehlreaktionen gegenüber. Politiker werden ihre Optionen zusätzlich daraufhin prüfen, welche den geringsten Verlust an Wählerstimmen bedeutet. Zynisch gewendet ist das Risikoparadoxon eine Warnung an allzu entscheidungsfreudige Politiker: Je mehr Sachverhalte als politisches Thema akzeptiert werden, desto mehr Risiken sind politisch zu verantworten. Ähnliches gilt, wenn man einzelne Sachverhalte unter die Lupe nimmt: Je genauer man hinsieht, desto mehr problematische Details kommen ans Licht – auch und gerade beim Thema Klimapolitik.

Zeitliche Aspekte

Wenngleich extreme Wetterphänomene wie Wirbelstürme, Sturmfluten und das Abschmelzen von Gletschern als Indizien des sich beschleunigenden Klimawandels gelten, liegen die als dramatisch beurteilten Folgen der Erderwärmung noch in ferner Zukunft. Kaum einer der heute lebenden Klimaforscher, Politiker oder Wähler besitzt die Chance, über den letztendlichen Erfolg oder Misserfolg der aktuell ergriffenen Abwehrmaßnahmen zu urteilen. Also bleiben die Zukunftsprojektionen mit einem Quantum unvermeidlicher Unsicherheit belastet (von Below/Persson 2008). Frühestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wird man die Validität der heute verwendeten Klimamodelle beurteilen können.

Die Klimamodelle des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) beruhen auf einer Reihe von Szenarien, die einem mehrstufigen Konstruktionsprozess entstammen. Dieser benutzt Annahmen über die künftige weltwirtschaftliche Entwicklung, denen bestimmte Emissionsmengen von Treibhausgasen zugeordnet werden, die wiederum auf eine entsprechende Konzentration von Treibhausgasen in der Atmosphäre schließen lassen. Ausgehend von der errechneten Treibhausgaskonzentration wird auf ein korrespondierendes Niveau der Erderwärmung geschlossen. Diese Szenariotechnik der Verkopplung von sozioökonomischen und physikalischen Prozessen ist seit den Weltmodellen von Jay W. Forrester (Grenzen des Wachstums) in Gebrauch. Sie hat, da die Voraussagen regelmäßig schieflagen, einiges an Kritik auf sich gezogen. Die Kritik gilt sowohl der Methodologie der Prognoseverfahren als auch dem Selbstverständnis der Wissenschaftler, die sich als Steuerungsexperten der Erdentwicklung gebärden, obwohl sie die realweltliche Variablenkomplexität nur sehr unvollständig zu modellieren verstehen. Nach der kritischen Sichtung eines Kapitels im Vierten IPCC-Assessment-Report wurde beispielsweise moniert, dass mindestens 72 von 140 Prinzipien verletzt sind, die bei der korrekten Erstellung von Vorhersagen Beachtung finden sollten (Green/Armstrong 2007).

Das IPCC trägt der unvermeidlichen Unsicherheit seiner Voraussagen dadurch Rechnung, dass es nicht auf dem allemal brüchigen Meinungskonsens der beteiligten Wissenschaftler aufbaut (wie das von Klimaskeptikern unterstellt wird), sondern indem die Aussagen um Wahrscheinlichkeitswerte und den Hinweis auf abweichende Meinungen ergänzt werden. Man beruft sich auf die Akkumulation einschlägiger Forschungsergebnisse, wie sie weltweit in peer-reviewed journals publiziert und von den drei Working Groups des IPCC nach allen Spielregeln wissenschaftlicher Exaktheit und Redlichkeit gesichtet wurden.

Abgesehen von der unvermeidlichen Prognoseunsicherheit sind die »naturgemäß« langfristigen Entscheidungen der Klimapolitik in zweifacher Hinsicht erschwert. Zum einen, weil den durch Vermeidungsauflagen Belasteten kein adäquater Nutzen in Aussicht steht. Deshalb entziehen sich gerade die besonders effektiven Klimapolitiken einer strengen Kosten-Nutzen-Analyse. Die hilfsweise Unterstellung einer »kulturellen« Identität der aktuell Belasteten und der künftigen Nutznießer ist wenig überzeugend, zumal die Nachgeborenen bei fortgesetztem Wirtschaftswachstum über ein höheres Wohlstandsniveau verfügen werden (Nordhaus 2008). Ähnliches gilt für moralische Appelle mit Bezugnahme auf »objektive« Interessen der Nachgeborenen wie für den Kunstgriff, den Gegenwartswert der für die Zukunft erwarteten Schäden mittels eines niedrigen Diskontsatzes hochzurechnen. War es bislang in der Wettbewerbsdemokratie Usus, Gegenwartsprobleme auf Kosten der Zukunft zu »lösen«, so fällt es umso schwerer, das Gegenteil zu praktizieren und nun die Probleme der Zukunft auf Kosten der Gegenwart zu entschärfen.

Zum Zweiten leidet die Planung von Abwehrmaßnahmen noch auf andere Weise unter dem Langfristcharakter der Klimaproblematik, nämlich hinsichtlich der Selbstbindung der Entscheider. Die für notwendig erachteten Maßnahmen können die ihnen zugedachte Wirkung nur dann entfalten, wenn sie intentionsgerecht implementiert und über eine längere Zeitstrecke fortgeführt werden – im Vertrauen darauf, dass sie weder einem Regierungswechsel noch einem Stimmungsumschwung zum Opfer fallen. Wenn dieses Vertrauen fehlt oder verloren geht, erscheint die langfristige Investition als sinnlos. Das aktuelle Opfer ist vertan, wenn mit der vorzeitigen Beendigung des Notwendigen zu rechnen ist. Andererseits darf man die Klimapolitik schwerlich der demokratischen Kontrolle (und der Möglichkeit ihrer Revision) seitens künftiger Entscheider entziehen. Mögen doch eines Tages neue Informationen oder dringendere Probleme den Prioritätenwechsel nahelegen.

Sachliche Aspekte

Die Dringlichkeit der klimapolitischen Initiative verdankt sich der von Klimaforschern und dem IPCC eröffneten Aussicht, das drohende Übel durch rechtzeitige und wohldimensionierte Maßnahmen auf ein erträgliches Maß zu begrenzen. Als Zielwert einer gerade noch tolerablen Erderwärmung wurden zwei Grad Celsius am Ende des Jahrhunderts festgelegt. Um dieses »Klimaziel« zu erreichen, wird gemäß den Empfehlungen des IPCC eine Verringerung der weltweiten Emissionen um 50 Prozent bis 2050 gefordert, wobei die »alten« Industriestaaten ihre Emissionen sogar »um mindestens 80 Prozent«, nach Möglichkeit auf den Idealwert Null verringern sollen. Zweifel an der sachlichen Qualität der klimapolitischen Empfehlung betreffen den Realitätsgrad dieser »Klimaziele« sowie die Angemessenheit und Verfügbarkeit der vorgeschlagenen Mittel.

Ausgehend von den Daten und Interpretationen des jüngsten IPCC-Synthesis-Reports drängt sich der Eindruck auf, dass das Zwei-Grad-Ziel infolge der bis Ende 2008 eingetretenen Erderwärmung sowie der bereits irreversibel bedingten Emissionen der nahen Zukunft schon obsolet geworden ist. Wenn es den USA und den rasch wachsenden neuen Industrieländern nicht bald gelingen sollte, ihre umfangreichen und stetig zunehmenden Emissionen zu verringern, drohen etwaige Reduktionserfolge der kooperationswilligen »Kyoto«-Staaten wirkungslos zu bleiben. Fatalerweise tragen selbst die von China und Indien in Angriff genommenen Maßnahmen gegen die Luftverschmutzung zur Erderwärmung bei, weil sie die Dichte der reflektierenden Wolkenschicht verringern: Zwischen Umwelt- und Klimaschutz besteht ein Zielkonflikt (Ramanathan 2006). Weil sich der Ausstoß von Treibhausgasen bereits am oberen Rand der IPCC-Szenarien bewegt, müssten die globalen Emissionen sofort (»immediately«) und nicht erst in den nächsten Jahrzehnten um 60 bis 80 Prozent verringert werden, so die »key message 3« des jüngsten Synthesis Reports (Richardson u. a. 2009: 18). Das von armen Entwicklungsländern in Kopenhagen geforderte Ziel, die tolerable Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, ist deshalb nicht mehr realisierbar.

Den rund hundert »emerging economies« wurden 2008 schon mehr als die Hälfte der globalen CO2-Emissionen zugerechnet (FAZ, 27.9.08). Ihre überdurchschnittlichen Wachstumsraten lassen auf eine Vervier- bis Verfünffachung des Primärenergieeinsatzes bis zum Ende des Jahrhunderts schließen (Edenhofer 2007: 63). Selbst bei abnehmender Energieintensität des Wirtschaftswachstums ist für die nächsten zwei Jahrzehnte mit einer Verdoppelung der globalen Stromerzeugung gegenüber dem Jahr 2000 zu rechnen (Lior 2008). Das erklärt beides: Warum die neuen Industrieländer in Kopenhagen für die Fortführung des Kyoto-Protokolls plädierten, das ihr Emissionsverhalten unangetastet lässt. Und warum die offiziell proklamierten »Klimaziele« irreal geworden sind.

Angesichts der enormen Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit haben engagierte klimapolitische Akteure die Flucht »nach vorn« ergriffen. Sie interpretieren den Klimawandel als Startsignal für die Inszenierung eines Zivilisationsbruchs mit weitreichenden gesellschaftlichen Folgen. Ihrer Ansicht nach geht es um mehr als den »Bau einer CO2-freien Gesellschaft« (Renate Künast am 3.12.09 im Bundestag), das heißt den notwendigen Umbau der Energieversorgung und der davon tangierten Wirtschaftssektoren. Angesagt scheint vielmehr ein »umfassende(r) Kultur- und Lebensstilwandel«, eine »qualitativ andere Gesellschaft« (Blühdorn 2009).

Ein namhafter Vertreter des weitestreichenden Umbauprogramms ist der SPD-Politiker Hermann Scheer, dem es um »den eindeutig höheren ethischen Wert erneuerbarer Energien« und die »gesamtwirtschaftliche und -politische Dimension« eines Energiesystemwechsels geht (Scheer 2006: 6). Gleichrangig neben dem Klimaziel steht der Wunsch, die etablierten Energiekonzerne durch eine radikal dezentralisierte Produktionsstruktur zu ersetzen. Diese soll im Interesse der nationalen »Energieautonomie« selbst noch die kleinsten Erzeuger, so unter anderem die Notstromaggregate der Deutschen Bahn AG, »für die laufende Stromerzeugung« (SPD Hessen 2007) in Dienst nehmen.

Ähnlich radikale Ziele werden nicht nur in Deutschland propagiert, sondern zum Beispiel auch in Großbritannien. Nach einer Studie von David MacKay (2008) stehen die Aussichten für das Vereinigte Königreich, die gesamte Energieversorgung auf erneuerbare Energien umzustellen, ausgesprochen schlecht. Auf Kohle und Kernkraft ließe sich nur dann vollständig verzichten, wenn erneuerbare Energie aus anderen Ländern hinzugekauft würde. Als ineffizient abgelehnt werden in diesem Szenario die von Scheer vehement befürwortete dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), die Photovoltaik, Mini-Windräder auf Wohngebäuden und Stromsparkampagnen bei Kleinverbrauchern.

Eine zweite Gruppe engagierter Klimaschützer ist im Interesse der raschen Verringerung von CO2-Emissionen bereit, aller energiewirtschaftlichen Autarkieambitionen zu entsagen. Sie setzen auf eine »großräumige internationale Stromversorgung mit erneuerbaren Energien« auf der Basis von Off-Shore-Windrädern, Solarkraftwerken in Nordafrika und einem Netz aus Hochspannungs-Gleichstromleitungen (Czisch 2007, Hentschel 2009). Für den Import von Wind- und Solarstrom ist die Weiternutzung der bestehenden Verteilungsnetze unterstellt, was das Konzept auch den Energiekonzernen schmackhaft macht. Die Befürworter dieser Option nehmen für sich in Anspruch, im Unterschied zu den Dezentralisten auch die ökonomischen und sozialen Kosten einer neuen Versorgungsstruktur zu berücksichtigen.

Dem tief gespaltenen Lager der Befürworter eines Großeinsatzes erneuerbarer Energien stehen die »vested interests« der etablierten Produzenten gegenüber, die klimapolitische Interventionen auf ein Minimum begrenzt sehen wollen. Der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) plädiert für einen Energiemix der Zukunft, der »mit fossilen, erneuerbaren und nuklearen Energien alle Optionen umfassen« soll (BDI 2008: 13). Um die erklärten Klimaziele zu erreichen, werden großtechnologische Lösungen im Rahmen der bestehenden Energiestruktur vorgeschlagen: CO2-Abscheidungs- und Speicherfabriken (CCS) für Kohlekraftwerke, die Laufzeitverlängerung der bestehenden Kernkraftwerke und die »Entwicklung nuklearer Reaktoren für weiter verbesserte Sicherheit« (ebd.).

Der Vollständigkeit halber ist noch das Vorhandensein eines Lagers von Klimaskeptikern zu erwähnen, die allerdings weder in der deutschen noch in der internationalen Diskussion eine nennenswerte Rolle spielen. Neben dem Thriller-Autor Michael Crichton (2005), der Klimaschützer für die Opfer einer Verschwörung hielt, haben sich mit durchaus ehrenwerten Motiven jene zu Wort gemeldet, die – ohne die Realität des Klimawandels in Abrede zu stellen – auf ähnlich große Gefahren sowie Aufgaben von globaler Bedeutung verweisen. Würden diese mit gleich großem Engagement wie das Erdklima, aber deutlich weniger Aufwand bearbeitet, so verspräche das zuverlässigere und raschere Erfolge als die Klimapolitik (FAZ, 17.6.08). Genannt werden die Gefahren des Terrorismus und eines »mega-war«, die Wahrscheinlichkeit von Pandemien (Smil 2009), die Möglichkeit eines Asteroideneinschlags, die durch veränderte Landnutzung, Klimawandel und Brandstiftung verursachten Großbrände, der in vielen Erdteilen gravierender werdende Wassermangel, die Flutkatastrophen an den Küsten »armer« Länder sowie generell die Entwicklungshindernisse Unterernährung, Analphabetismus, mangelhafte Hygiene und unzureichende Gesundheitsversorgung (Lomborg 2008).

Immerhin entbehren heute noch 20 Prozent der Weltbevölkerung in dreißig Ländern eine qualitativ und quantitativ ausreichende Wasserversorgung; für 2015 wird mit 30 Prozent Betroffenen in fünfzig Ländern gerechnet (FAZ, 7.6.08). Andere betrachten einen absoluten Vorrang der Klimapolitik als »absurd: Wir sorgen uns um Menschen, die in 50 Jahren ertrinken könnten, nicht aber um die, die heute in den Fluten (z. B. in Bangladesh und anderen hochwassergefährdeten Gebieten) umkommen« (von Storch 2007: 58).

Die Palette alternativer Ziele globaler Anstrengungen macht plausibel, warum der Klimawandel in der Mehrzahl der Entwicklungs- und neuen Industrieländer als ein Thema von nachgeordneter Bedeutung gilt. Gleichzeitig geben die dem Thema inhärente Unsicherheit wie auch die offenkundigen Differenzen über Konzepte, Mittel und Dringlichkeit präventiver Maßnahmen wenig Grund, selbst im nationalen Rahmen die reibungslose Herausbildung eines gesellschaftlichen Konsenses zu erwarten.

Soziopolitische Aspekte

Bemühungen, die in der Zeit- und der Sachdimension des Themas liegenden Schwierigkeiten zu überwinden, stoßen regelmäßig auf Widerstandspositionen, deren Vertreter auf den eklatanten Mangel an »distributiver Gerechtigkeit« verweisen. Was die vermutete Schadensverteilung einer zwei Grad übersteigenden Erderwärmung angeht, sind es die Ärmsten der Armen sowie die Bewohner von Inselstaaten, die am meisten zu leiden hätten. Die Zahl der unmittelbar und frühzeitig Betroffenen wird auf rund eine Milliarde Menschen in etwa hundert Ländern geschätzt (The Economist, 13.9.08). Wegen der hohen Verletzlichkeit der Menschen in armen Ländern ist außerdem mit einer wesentlich größeren Zahl von mittelbar Betroffenen zu rechnen (The Economist, 19.9.09).

Angesichts der offenkundigen Ungleichheit in Bezug auf die Verursachung, die Schadensbetroffenheit und die verbleibenden Handlungsressourcen differieren auch die involvierten Interessen und Handlungsbereitschaften. Das wurde auf der Kopenhagener Klimakonferenz ein weiteres Mal deutlich. Eine Gleichverteilung der Reduktionslasten gilt den neuen Industrieländern als extrem ungerecht, weil das die Emissionssünden der alten Industrieländer außer Acht ließe. Während sich die Emissionen der USA 2008 auf rund 20 Tonnen pro Kopf und in Deutschland auf etwa zehn Tonnen beliefen, betrugen sie in China lediglich vier Tonnen. Die für 2050 angestrebte Reduktion um mindestens 50 Prozent würde für die zu diesem Zeitpunkt auf neun Milliarden veranschlagte Weltbevölkerung eine Beschränkung auf nur noch zwei Tonnen CO2 pro Kopf bedeuten (so Nicholas Stern lt. FAZ, 30.9.08). Während die »reichen« Industriestaaten zumindest rechnerisch über genügend Ressourcen für einen Umbau ihrer Technologie- und Wirtschaftsstruktur verfügen, müssten neue Industrieländer wie China ihre ambitionierten nationalen Entwicklungsziele zugunsten des Klimaschutzes aufgeben. Dass sich China zu einem radikalen Umbau seiner zu 80 Prozent auf Kohle beruhenden Energieerzeugung bereitfindet, um die derzeitigen Pro-Kopf-Emissionen zu halbieren, ist extrem unwahrscheinlich.

Wie sich in Kopenhagen zeigte, sind die bestehenden internationalen Institutionen weder ein geeignetes Forum für die fiktiven Gerechtigkeitsansprüche künftiger Generationen noch für die Aushandlung einer multilateral verbindlichen Klimastrategie. Käme es dennoch zu internationalen Verabredungen, droht ihre Einhaltung am Trittbrettfahrerverhalten einzelner Vertragspartner zu scheitern. Denn es bliebe jedem Land unbenommen, sich der ihm angesonnenen Beitragsleistung zu entziehen. Internationale Umweltpolitik würde nur effektiv werden, wenn sich entweder für alle Beteiligten eine »Win-Win«-Situation herstellen ließe oder die Vertragsverletzer schmerzhafte Sanktionen zu gewärtigen hätten. Da die zweite Option als inakzeptabel gilt, kommen allein Kompensationszahlungen der reichen an die armen Länder in Frage. Doch diese setzen eine wirksame Verwendungskontrolle voraus, für die die potenziellen Empfänger in Kopenhagen kein Verständnis zeigten. Offensichtlich mangelte es den Verhandlungsparteien an einem gemeinsamen Themenverständnis: Den einen ging es um Risikovorsorge für künftige Problemlagen, den anderen um die Sicherung ihres Rechts auf autonome Entwicklung. Dass großzügigere Kompensationszahlungen und der Verzicht auf Transparenz einen sinnvollen Kompromiss ergäben, ist nicht anzunehmen.

Angesichts der offenkundigen Widerstände gegen die für eine rasche Emissionsverminderung notwendigen Maßnahmen empfehlen die Organe des IPCC den Staaten tief greifende Eingriffe in das System ihrer sozialen und politischen Institutionen. Im vierten Assessment-Report des IPCC wurden als »key mitigation technologies« nicht nur so kontroverse Optionen wie die langfristige Kohlenstoffspeicherung (CCS) und »advanced nuclear power« aufgeführt, sondern auch die Initiierung weitreichender »changes in lifestyle and behaviour patterns«, einschließlich von »occupant behaviour, cultural patterns and consumer choice« (IPCC 2007: 10–12). Was die entsprechenden (obrigkeitsstaatlichen?) Interventionen betrifft, werden die Autoren des jüngsten Synthesis-Reports noch deutlicher. Sie beklagen die »Trägheit der sozialen und ökonomischen Systeme« und fordern die Überwindung »bedeutender Hindernisse« zwecks »enabling the shifts from ineffective governance and weak institutions to innovative leadership in government« (Richardson u. a. 2009: 6).

Würde die Menschheit nicht den Mut zur geforderten »great transformation« aufbringen, so müsste sie wohl eine Endzeit-Katastrophe, das heißt »a miserable existence in a +5° C world« (Richardson u. a. 2009: 34), gewärtigen. Effektive Klimapolitik hätte demnach nicht nur einen Ausweg aus dem Kollektivgutdilemma der internationalen Regulierung zu finden, sondern gleichzeitig im nationalen Rahmen schwerwiegende Eingriffe in das soziopolitische Institutionensystem zu riskieren. Es scheint, als seien die als Naturwissenschaftler gestarteten IPCC-Autoren zu entschiedenen Befürwortern einer »Klimadiktatur« mutiert, die der Gesellschaft einen Kultur- und Wertewandel »von oben« sowie ein dazu passendes politisches System verordnet. Doch ist der Erfolg entsprechender Bemühungen in funktionierenden Demokratien als unwahrscheinlich einzuschätzen, weil die politischen Akteure die zweite Seite des Risikoparadoxons, nämlich die mit solcher Risikobearbeitung verbundenen Risiken erkennen dürften.

Ein hochvertracktes Problem

Angesichts der in zeitlicher, sachlicher und soziopolitischer Hinsicht bestehenden Beschränkungen des rationalen Entscheidens stellt der Klimawandel ein »super wicked problem« (Lazarus 2009) dar. »Super wicked« oder hochvertrackte Probleme wie die anthropogene Erderwärmung zeichnen sich nicht nur durch Komplexität in der Sach- und Sozialdimension aus, sondern zusätzlich durch eine spezifische Problemdynamik in der Zeitdimension. So besitzen frühe problemdämpfende Maßnahmen zwar hohe Erfolgswahrscheinlichkeit, aber kranken an der Abwesenheit eines evidenten Anlasses; also werden sie in aller Regel versäumt. Die später unter größerem Problemdruck ergriffenen Maßnahmen sind dagegen nur begrenzt effektiv. Sie können weder die schon eingetretenen Übel beseitigen noch das für die nahe und mittlere Zukunft irreversibel Verursachte aufhalten. Folglich werden auch sie nicht als problemadäquat empfunden. Die wahrscheinlichste Folge ist somit das unaufhaltsame Abgleiten in das »worst case«-Szenario. Dieser Sachverhalt findet einen Ausdruck in der These, dass die realistischerweise zur Reduktion von Treibhausgasen zum Einsatz kommenden Maßnahmen nur dazu führen, den befürchteten Temperaturanstieg um einige Jahre, bestenfalls um ein Jahrzehnt, zu verzögern (Lomborg 2008).

In Anbetracht der unbestreitbaren Handicaps der Klimapolitik scheinen Vorschläge an Plausibilität zu gewinnen, denen ein Zug von Panik anhaftet: auf der einen Seite der paradoxe (oben erwähnte) Klima-Fundamentalismus, der angesichts einer schwierigen Regulationspraxis für den ungleich schwierigeren Umbau der Wirtschafts- und Gesellschaftsstruktur plädiert, auf der anderen Seite die futuristischen Projekte des »geo-engineering« wie eine großflächige Düngung der Ozeane mit Eisenpartikeln, das Versprühen von jährlich zehn Millionen Tonnen Schwefelpartikeln, das Besprühen von Wolken mit jährlich 1,4 Milliarden Tonnen Seewasser, die Züchtung rasch wachsender, Kohlenstoff absorbierender Bäume, die lasergestützte Ausstoßung von CO2-Molekülen aus der Atmosphäre (The Economist, 6.9.08), und als vergleichsweise simple, aber wohl unzureichende Option das Weißen aller Hausdächer. Absehbar ist, dass keines dieser Projekte angesichts seiner gravierenden Nebenfolgen eine Realisierungschance besitzt. Jedes von ihnen scheint noch voraussetzungsvoller als die Einigung auf ein moderates, multilaterales CO2-Reduktionsprogramm.

3 Klimawandel als Thematisierungserfolg

Angesichts der ungewöhnlichen Komplexität des Themas und der unvermeidbaren Restunsicherheit, die selbst den am geeignetsten scheinenden Maßnahmen anhaftet, muss der Thematisierungserfolg überraschen. Zumindest in den »entwickelten« Regionen der Welt, also dort, wo Politiker ihren Handlungsraum als Sozialstaat oder »welfare state« bezeichnen, lässt sich ein Bewusstseinswandel registrieren, in dessen Verlauf das Unwahrscheinliche wahr geworden scheint: Die Menschheit hat sich (zumindest in Teilen) auf den Weg gemacht, Verantwortung für ihr Schicksal zu übernehmen.

Niemals zuvor waren moderne Wettbewerbsdemokratien mit einem Thema von ähnlicher Komplexität befasst. Normalerweise vermag die Mahnung, künftige Generationen zu verschonen, wenig auszurichten. Das zu beweisen, hat sich die schwarz-gelbe Bundesregierung beim Thema Steuer- und Schuldenpolitik gerade wieder einmal vorgenommen. Doch beim Klimawandel erscheint das bislang Unmögliche als ein unabweisbares Erfordernis. Mit pro-aktiven Bemühungen, den Klimawandel aufzuhalten, lässt sich die Politik auf ein Projekt ein, wie es bislang nur die Anhänger obskurer Weltbeglückungslehren propagierten. Vergleichbare Projekte, in denen sich die Gegenwart erhebliche Opfer zugunsten einer fernen Zukunft auferlegt, lassen sich noch nicht einmal in religiös oder geschichtsphilosophisch motivierten Gesellschaftsutopien entdecken. Weder christliche Missionsexpeditionen noch der Aufbau des Kommunismus in der Sowjetunion haben auf einen derart langfristigen »Gratifikationsaufschub« gesetzt. Die Träger der vermeintlich edlen Vorhaben bedurften regelmäßig kurzfristiger Belohnungen, zum Beispiel in Form der Enteignung und Vernichtung einer als »böse« etikettierten Bevölkerungsgruppe. Das soll nun beim Thema Klimawandel alles anders sein? Wie konnte es dazu kommen?

Was die Akzeptanz des Themas Klimawandel im politischen System Deutschlands angeht, so verdankt sie sich augenscheinlich der Koinzidenz von Aufmerksamkeitsschüben im nationalen und internationalen Wissenschaftssystem. Das im ohnehin international vernetzten Wissenschaftssystem aufgekommene Thema wurde von internationalen Organisationen aufgegriffen, im organisatorischen Eigeninteresse weiterverfolgt, zur Legitimation von weiteren Organisationsgründungen genutzt und mittels dieser in die Sphäre der internationalen Politik transportiert.

Startpunkt war die Erkenntnis, dass die beobachteten Klimaveränderungen nicht nur natürliche, sondern zum überwiegenden Teil anthropogene Ursachen haben. Damit vermochte die Klimaforschung das Interesse von Professionsvereinigungen und umweltbewegten Politikern zu wecken. Hierzulande war es die Deutsche Physikalische Gesellschaft, die 1986 die erste Warnung vor den dramatischen Folgen einer drohenden »Klimakatastrophe« aussandte (Engels/Weingart 1997). Sie war mit der Aufforderung verbunden, den Ausbau der Kernenergie und die Nutzung der Sonnenenergie voranzutreiben. Auf diesen und weitere Warnrufe der Wissenschaft reagierte die Politik mit der Beauftragung von Gutachtergremien. 1987 wurde die Enquetekommission »Vorsorge zum Schutz der Erdatmosphäre« eingesetzt, die in ihrem Abschlussbericht eine mindestens 25-prozentige Reduzierung der CO2-Emissionen bis 2005 empfahl.

Mit der Umsetzung des Reduktionsziels befasste sich die 1990 gegründete interministerielle Arbeitsgruppe »CO2-Reduktion«. Für die notwendige Kontinuität im politischen Aufmerksamkeitshorizont sorgten die Jahresgutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung »Globale Umweltveränderungen« und des Sachverständigenrats für Umweltfragen. Die in Form von temporär tagenden Gremien etablierte Thematik war nun reif für ihre Institutionalisierung – nicht zuletzt als Medium, das Politikern hilft, ihre Aufgeschlossenheit für »moderne« Themen wie Frauenforschung, Friedenspolitik und Umweltschutz zu demonstrieren.

Die Landesregierung Nordrhein-Westfalen hatte bereits 1990 das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH gegründet. Es dient der »Förderung von Maßnahmen und Initiativen zur Sicherung der Klimasituation, zur Verbesserung der Umwelt und zur Energieeinsparung«. Seine 1996 publizierte Studie »Zukunftsfähiges Deutschland« empfiehlt entsprechende Veränderungen der Lebensstile und des Gesellschaftssystems. 1992 folgte die Gründung des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, das insbesondere die ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen des Klimawandels zu untersuchen hat. Die Institutsleitung nahm sich darüber hinaus vor, »Strategien für eine zukunftsfähige Entwicklung von Mensch und Natur« zu entwickeln.

Die rasche Migration des Themas von der Wissenschaft in die Politik vollzog sich vor dem Hintergrund der ebenso erfolgreichen Themenkarriere auf internationaler Ebene. Deren Kontinuität wurde vor allem durch das 1988 entstandene IPCC gesichert. Das IPCC war eine Reaktion der UN auf eine diffuse Konfliktstruktur, an der mehrere US-Umweltagenturen und Ministerien sowie etliche UN-Mitgliedsländer beteiligt waren. Aktive Gründer waren die World Meteorological Society und das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP). Die von den beteiligten Staaten entsandten Wissenschaftler haben die Aufgabe, die politischen Entscheidungsträger über den Stand des wissenschaftlichen Wissens und der technologischen Entwicklung zu unterrichten sowie politikrelevante Forschungen anzuregen. Ihre Arbeit ist auf drei Working Groups verteilt, die sich mit der physikalischen Seite des Klimawandels, seinen verschiedenartigen Folgen und den möglichen sowie empfohlenen Reaktionen darauf befassen (Dahan-Dalmedico 2008).

Allerdings ließ sich nicht verhindern, dass das IPCC mit seinem umfassenden Kompetenzanspruch einigen Unmut unter den Entwicklungsländern auslöste. Um ihn zu neutralisieren, bedurfte es der Gründung von zwei weiteren Organisationen. Sie helfen, das IPCC gegen politische Interventionen zu immunisieren und seine Corporate Identity ausschließlich auf wissenschaftliche Expertise zu gründen. Das 1990 auf Initiative der Entwicklungsländer gegründete International Negotiation Committee (INC) und das 1995 entstandene Subsidiary Body for Scientific and Technological Advice (SBSTA) fungieren de facto als Puffer zwischen dem IPCC und den Adressaten der Reports. Während es dem SBSTA obliegt, Zweifel an den klimapolitischen Empfehlungen des IPCC abzufangen, fungiert das IPCC in der Klimadebatte als Garant »wissenschaftlicher Reinheit« (Dahan-Dalmedico 2008).

Für Deutschland wurden sodann die Vorbereitung und Beschlüsse des Kyoto-Protokolls von 1997 bestimmend, an denen die deutsche Delegation maßgeblichen Anteil hatte. In Kenntnis des Rückgangs der Emissionen, die durch Betriebsstilllegungen in den neuen Bundesländern verursacht war, konnte Bundesumweltministerin Angela Merkel ihr Land auf den größten Anteil am Reduktionsvolumen verpflichten. Das erleichterte es den anderen Vertragspartnern, dem Protokoll zuzustimmen. Seitdem gilt Deutschland als Musterland der Klimaschutzpolitik.

Doch kann der beeindruckende Thematisierungserfolg auf nationaler und internationaler Ebene nicht darüber hinwegtäuschen, dass er kaum mehr als papierne Absichtserklärungen hervorgebracht hat, denen kein messbarer Gewinn an effektivem Klimaschutz entspricht. Die materiale Wirkung des Kyoto-Protokolls ist sehr uneinheitlich und insgesamt unbefriedigend. Einstige RGW-Staaten wie Russland, Polen und Tschechien konnten ihre Vorgaben dank der Stilllegung alter Industrieanlagen einhalten. Während die USA und Australien das Protokoll gar nicht erst ratifizierten, haben andere Industrieländer wie Italien, Japan, Kanada, Österreich und Spanien ihr Emissionsniveau im Zeitraum von 1990 bis 2006 um bis zu 35 Prozent gesteigert. Nur wenige Länder, unter anderen Deutschland, Frankreich und Großbritannien, genügen den Sollwerten mit einer Toleranz von ±3 Prozent. In der Summe aller Veränderungen zeigt sich 2008 gegenüber dem Referenzjahr 1990 eine Zunahme der CO2-Emissionen um rund 40 Prozent. Dementsprechend und in Reaktion auf den kürzer werdenden Anpassungszeitraum werden die Reduktionsziele von Klimagipfel zu Klimagipfel immer anspruchsvoller. Zyniker mögen sagen, das sei bislang der einzige Erfolg der Klimapolitik.

4 Klimapolitik in Deutschland – erfolgreiche Symbolik

2000, also noch vor Ratifizierung des Kyoto-Protokolls in 2002, hat Deutschland ein nationales Klimaschutzprogramm gestartet, das für die Zeit bis 2012 eine Reduktion der Treibhausgase um 21 Prozent gegenüber 1990 vorsieht. Das zu akzeptieren, fiel der Industrie dank der Betriebsstilllegungen im Osten nicht schwer. Ohnehin war mit dem Regierungswechsel von 1998 neuer Schwung in die Umwelt- und Energiepolitik gekommen. 1999 beschloss die rot-grüne Regierung eine Ökosteuer auf Stromlieferungen. 2001 wurde im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die großzügige Förderung von Wind- und Sonnenenergie eingeführt. Zur Erfolgsliste des grünen Regierungspartners gehören ferner die nationale Nachhaltigkeitsstrategie, die Neuregelung des Naturschutzes, neue Verordnungen zu Bodenschutz, Altlasten und Strahlenschutz, die Reform der Kilometerpauschale und der Ausstieg aus der klima-unschädlichen, aber für inakzeptabel erachteten Atomenergie bis circa 2017.

2007 beschloss die CDU/SPD-Regierung ein integriertes Energie- und Klimaprogramm mit 29 Einzelmaßnahmen, bestehend aus regulierenden wie deregulierenden Eingriffen und ergänzt durch gezielte Subventionsangebote. Vor allem mittels vermehrter Gebäudesanierung sowie des weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung sollen die Treibhausgas-Emissionen bis 2020 um 37 Prozent (gegenüber 1990) gesenkt werden.

Eine in ihrer Bedeutung unterschätzte Innovation ist das europäische Emissionshandelssystem, das seit 2005 in Kraft ist. Es betrifft zunächst die Betreiber von 11.500 Anlagen, die für rund 30 Prozent aller Treibhausgas- sowie 40 Prozent der CO2-Emissionen in der EU verantwortlich sind. Bislang ist seine Wirkung auf das Emissionsvolumen nur gering, weil die von den Staaten vergebenen Gesamtmengen sehr großzügig bemessen sind. Entsprechend niedrig ist der Preis der Emissionszertifikate an der Europäischen Energiebörse. Er betrug zu Anfang der Kopenhagener Konferenz rund 14,50 Euro pro Tonne CO2 und war zu Konferenzende um zwei Euro gesunken. Von der Möglichkeit, Emissionseinsparungen durch Verringerung der Gesamtmenge und folglich steigende Zertifikatpreise zu stimulieren, wurde noch kein Gebrauch gemacht. Und erst von 2020 an werden die europäischen Stromerzeuger genötigt sein, alle benötigten Emissionsrechte am Markt zu ersteigern, dann auch im Rahmen eines verringerten Emissionsvolumens.

Vergleichsweise große Anstrengungen unternahm die Politik, klimapolitische Verantwortung gegenüber den Konsumenten zu demonstrieren, obwohl die Konsumsphäre nur zu 23 Prozent zum nationalen Emissionsvolumen beiträgt. Die Vorschriften zur Wärmedämmung von Gebäuden wurden mehrfach verschärft, eine Energieeinsparverordnung für Heizungsanlagen geschaffen, der Energiepass für Gebäude vorgeschrieben, ein Energieeffizienzlabel für Haushaltsgeräte eingeführt, die Kfz-Steuer für PKW mit geringer CO2-Emission geringfügig reduziert und der Verkauf von traditionellen Glühlampen (durch die EU) eingeschränkt. Die Palette der verbraucherbezogenen Maßnahmen zeugt nicht nur von einer geschickten Nutzung des Bewusstseinswandels, sondern kommt auch den Absatzinteressen von Handel, Industrie und Handwerk entgegen. Die beachtlichen verbraucherbezogenen Regulierungsaktivitäten scheinen außerdem von der verbreiteten Annahme zu profitieren, dass zur Verhinderung einer Klimakatastrophe jedes Mittel recht sei – auch dann, wenn es im Vergleich mit anderen Mitteln ausgesprochen ineffizient ist.

Ernsthafte Zweifel an der Effektivität und Effizienz der politisch präferierten Maßnahmen des Klimaschutzes wurden erst virulent, nachdem die Wirtschaftswissenschaft ein sinnfälliges Pendant für den ökonomischen Begriff der Opportunitätskosten gefunden hatte. Seitdem bereichern die »Vermeidungskosten« die klimapolitische Debatte und die einschlägige Politikberatung (Sinn 2008, Weimann 2008). Kritische Analysen des heute von nahezu allen Parteien getragenen Maßnahmenbündels gehen von der Annahme aus, dass für die Klimapolitik Gleiches gelte wie für andere Politikbereiche, nämlich die Knappheit der verfügbaren Ressourcen – beim Staat wie bei den Privaten. Folglich käme es darauf an, die knappen Mittel so effizient wie möglich für das Ziel der Emissionsminderung einzusetzen. Zwar gibt auch die Regierung vor, »möglichst große Kosteneffizienz« (BMU 2007: 1) walten zu lassen, dennoch implizieren die von ihr verordneten Maßnahmen extrem unterschiedliche Kosten für die Vermeidung derselben Menge von CO2-Emissionen.

Ungewöhnlich hoch wirken die Subventionen, die für erneuerbare Energien bewilligt wurden, wenn man sie mit dem Preis von rund 15 Euro vergleicht, der an der Energiebörse für das Recht zur Emission von einer Tonne CO2 zu zahlen ist. Die CO2-Vermeidungskosten der Windenergie belaufen sich nach Hans-Werner Sinn (2008: 165) auf 37 bis 91 Euro. An anderer Stelle ist von Beträgen bis 150 Euro die Rede (FAZ, 9.1.09). Maßnahmen zur Verminderung des CO2-Ausstoßes bei Benzin-PKW kosten zwischen 102 bis 415 Euro pro Tonne CO2. Beim Einsatz von Biokraftstoffen steigen die Vermeidungskosten auf 215 bis 585 Euro. Und Photovoltaikanlagen, die 20 Jahre lang zu Lasten der privaten Haushalte mit bis zu 0,53 Euro pro Kilowattstunde subventioniert werden, haben Vermeidungskosten von 420 bis 611 Euro. Weimann (2008) beziffert das Maximum der Vermeidungskosten des Solarstroms sogar auf 1200 Euro. Wegen der stufenweisen Verringerung der Solarstrom-Subvention und der Verlagerung der Massenproduktion von Solarzellen nach China wird mit sinkenden Vermeidungskosten gerechnet, allerdings nicht in einem Umfang, der die dauerhafte Stromgewinnung aus Sonnenenergie für hiesige Breiten sinnvoll, das heißt nachhaltig rentabel erscheinen lässt.

Um es noch einmal zu sagen: Von der kostengünstigsten Methode, die Emission von CO2 zu verringern, indem Emissionszertifikate aus dem Markt gekauft werden, wird kein Gebrauch gemacht. Soweit es der Autor in Erfahrung bringen konnte, sind Personen und Vereine nach wie vor vom Emissionshandel ausgeschlossen. Die Politik scheint der Maxime gefolgt zu sein: »Die teuersten Wege der CO2-Einsparung sind die besten!«

Vor dem Hintergrund des seit 2005 bestehenden Emissionshandels wirken sowohl die eigenwillige Förderpraxis als auch die wiederkehrenden Kampagnen zur Stromeinsparung bei Privaten ineffektiv und ineffizient. Denn die Einspeisung des subventionierten Stroms aus Wind- und Sonnenenergie in die Netze der Stromkonzerne senkt deren Bedarf an Emissionsrechten, die sie anderenfalls für den Betrieb ihrer Kohle- und Gaskraftwerke benötigen würden. Die nicht benötigten Emissionsrechte sind aber keineswegs wertlos, sondern werden üblicherweise am Emissionsmarkt veräußert. Dabei gelangen sie gemäß der Marktlogik, worauf Hans-Werner Sinn (2009) aufmerksam macht, vor allem in die Hände jener Stromerzeuger, die ohne sie zur Modernisierung ihrer Anlagen genötigt wären. Mit anderen Worten: Jede – etwa im Hinblick auf eine verlockende Rendite von elf Prozent (Finanztest 2009: 46) installierte – Photovoltaikanlage und jede mit besten Absichten eingewechselte Energiesparlampe trägt dazu bei, dass anderenorts, etwa in Polen oder Spanien, ein stark emittierender Stromerzeuger am Netz bleibt. Unter diesen Umständen bedeutet mehr erneuerbare Energie nicht weniger, sondern mehr Emissionen (Sinn 2008: 342 ff.).

Mit einem Anteil von 5,6 Promille an der gesamten Stromerzeugung rechtfertigt sich die Förderung der Photovoltaik weder durch den Beitrag zur Deckung des Strombedarfs noch durch Verweis auf sinkende Preise infolge wachsender Nachfrage. Die Subventionierung führte vielmehr zur Installation einer Vielzahl von Anlagen mit niedrigem Wirkungsgrad, die während ihrer Lebensdauer kaum mehr als die zur Herstellung aufgewendete Energie einspielen können. Gleichzeitig hat die großzügige Förderung die Anreize zur Verbesserung von Qualität und Wirkungsgrad gedämpft. Plausiblerweise wird sich die Zukunft des Solarstroms nicht in Mittel- und Nordeuropa entscheiden, sondern mit ihrer großflächigen Anwendung in südlichen Regionen. Während der ebenfalls in namhaftem Umfang geförderte Ausbau der Windenergie wegen der niedrigeren CO2-Vermeidungskosten noch vertretbar erscheint, stellt die Subventionierung des Solarstroms einen Musterfall der Fehlleitung knapper gesellschaftlicher Ressourcen dar.

Das Gesetz über den Vorrang der erneuerbaren Energien entstammt der ersten rot-grünen Regierungsperiode, in der es die Grünen verstanden, die wenig prägnanten, weil überwiegend negativen Politikziele der SPD um positive innen- und umweltpolitische Reformziele zu ergänzen. Sonnen- und Windenergie, Kraft-Wärme-Kopplung und Energieeinsparung hatten sich im Laufe von Programm- und Identitätsentwicklung der Grünen zu Manifestationen des Umweltengagements und zur Kehrseite des Kampfes gegen die Atomenergie entwickelt. Es lag auf der Hand, die Regierungsbeteiligung zu nutzen, um das – nicht gerade nach Kompatibilitäts- und Effizienzkriterien zusammengestellte – Programmpaket zu realisieren.

Spätestens zum Zeitpunkt der Einführung des EU-Emissionshandels wäre eine Neuordnung des klimapolitischen Instrumentariums fällig gewesen. Die eingeschränkten Zugangsrechte zum Emissionshandel deuten allerdings darauf hin, dass dieses Instrumentarium von den umwelt- und klimabewegten Akteuren in der EU sträflich unterschätzt wurde. In Deutschland versteiften sich SPD und Grüne auf die Fortsetzung des eingeschlagenen Weges und versuchen, die energie- und klimapolitischen Mängel durch Verweis auf die im EEG-Sektor entstandenen Arbeitsplätze zu kaschieren. Dabei wird ignoriert, dass auch diese Investitionen Opportunitätskosten haben. Sie fallen besonders hoch aus, wenn man die Alternative der ungleich effizienteren Stilllegung von Emissionsrechten in Betracht zieht, was die raschere Modernisierung des Kraftwerksparks und Investitionen an günstigeren Standorten zur Folge hätte.

Jürgen Trittin (2009) und Bärbel Höhn (2009) irren, wenn sie behaupten, die Einspeisung von Strom aus erneuerbaren Energien hätte zur Vermeidung von jährlich 100 beziehungsweise 106 Milliarden Tonnen CO2 beigetragen. Die so kalkulierte Emissionsvermeidung bezieht sich allein auf den Geltungsraum des EEG. Weil aber die hierzulande eingesparten Emissionsrechte in anderen Regionen der EU zur Anwendung kommen, verflüchtigt sich der Einsparungseffekt oder verkehrt sich womöglich in sein Gegenteil, wie Hans-Werner Sinn (2009) mutmaßt. Das hartnäckige Beharren auf einem regulationstechnisch überholten, klimapolitisch unwirksamen und ökonomisch ineffizient gewordenen Maßnahmenpaket wirft kein günstiges Licht auf die klimapolitische Verantwortung der Parteien. Man gewinnt den Eindruck, dass die Kalküle symbolischer Politik und organisationsbezogener Identitätssicherung alle sachlichen Gesichtspunkte dominieren.

Angesichts der hohen CO2-Vermeidungskosten, die die Klimapolitik bei der Mehrzahl ihrer Maßnahmen in Kauf zu nehmen bereit ist, wirkt die proklamierte Verpflichtung auf die Klimaziele wenig überzeugend. Der Wunsch von Politikern, mittels Klimapolitik Verantwortung zu demonstrieren und im internationalen Rahmen als Schrittmacher zu gelten, scheint vom eigennützigen Motiv des Reputationsgewinns gespeist. Vermutlich ist das die Antwort der Politik auf die dem Thema innewohnende Erfolgsunsicherheit und den Dissens über problemangemessene Reaktionsweisen: das Ausweichen auf das Interesse der Politik an sich selbst – als der in Wählerstimmen messbaren Reputation ihrer Akteure. Wie weit diese Praxis trägt, ist jedoch ungewiss. Weil die industriellen Energieerzeuger und -verwender von reichlich vergebenen Emissionsrechten profitieren, die keine Anreize zur Emissionsverminderung bieten, während die privaten Haushalte mit einem Bündel von Regulationen, Steuern und wenig sinnvollen Investitionsanreizen bedacht werden, wird es kaum der Aufmerksamkeit der Bürger entgehen, dass ihre Regierung darauf verzichtet, »für unser Geld soviel Klimaschutz wie möglich einzukaufen« (Weimann 2008: 62).

5 Globale Probleme – bescheidene Aussichten

Die vom IPCC vorgelegten Projektionen lassen keinen Zweifel, dass ein Stopp der schleichenden Erderwärmung bei etwa zwei Grad Celsius nur dann möglich ist, wenn es in allen Industrieländern sehr rasch zum Umbau des Energiesystems kommt. Aber ebenso gewiss ist, dass in keinem Industrieland Pläne oder aussichtsreiche Initiativen auf der politischen Tagesordnung stehen, die diesem Problemstand Rechnung tragen. Auch Länder wie Deutschland, die nach landläufigem Dafürhalten ein überdurchschnittliches Maß an klimapolitischer Verantwortung an den Tag legen, bilden genau besehen keine Ausnahme. Die meistdiskutierten Maßnahmen, wie die des EEG, haben so gut wie keinen Einfluss auf das weltweite Emissionsvolumen. Und selbst wenn Deutschland alle Vorgaben getreulich erfüllen und sein Emissionsniveau von 2005 um 80 Prozent verringern würde, ergäbe sich daraus nur eine globale Temperaturminderung von knapp 0,01 Grad. Das folgt aus dem Umstand, dass Deutschland einen Anteil von weniger als vier Prozent an den weltweiten CO2-Emissionen hat.

Der geringe Globaleffekt einer isolierten nationalen Klimapolitik verweist auf zweierlei: zum einen auf die Unverzichtbarkeit eines verbindlichen internationalen Emissionsregimes. Und zum Zweiten besteht hinreichender Grund und dringender Anlass, die auf nationaler Ebene eingesetzten Instrumente zu entmystifizieren und zu effektivieren. Angesichts der Knappheit der staatlichen Mittel und der Restriktionen, denen die privaten Haushalte nach der Finanzkrise unterliegen, wäre der Ausstieg aus allen klimapolitisch wirkungslosen Programmen angesagt. Darüber hinaus würde es der Respekt vor dem Urteilsvermögen mündiger Bürger gebieten, alle Werbung für unwirksames und ineffizientes Sparverhalten einzustellen.

An die Stelle von Stromsparkampagnen und Solarstromförderung hätte in erster Linie die Effektivierung und Öffnung des Emissionshandels zu treten, um den Kreis der Marktteilnehmer um alle Klimainteressierten zu erweitern. Denn das Recht, ein Emissionszertifikat zur Nichtnutzung zu kaufen, wäre derzeit rund fünfzig Mal effektiver als die Investition des gleichen Betrages in eine Photovoltaikanlage.

Was die Chancen eines globalen Emissionsregimes angeht, so hat Kopenhagen die ungleichen, teilweise gegensätzlichen Prioritäten von neuen und alten Industrieländern sehr deutlich gemacht. Es handelt sich um Interessendifferenzen, die sich schwerlich im Verhandlungswege und durch tragbare Ausgleichszahlungen überbrücken lassen. Aussichtsreicher als Bemühungen um ein Klimaabkommen im UN-Rahmen sind vermutlich gemeinsame Anstrengungen der industriell avancierten (G20-)Staaten, weil sie auch jenseits von Klimapolitik über hinreichend komplementäre Interessen verfügen. Unabhängig davon bleibt der EU und den Kyoto-Staaten die allemal lohnende Option, die Überzeugungskraft der besseren Alternative zu demonstrieren. Gemeint ist die Vorbildwirkung jener Volkswirtschaften, denen es gelingt, Prosperität und Innovationsvermögen mit einem stark rückläufigen Emissionsvolumen zu kombinieren.

Das ist möglich, wenn sich die Politik auf die laufende Optimierung des Regulationsrahmens beschränkt und ausreichend Spielraum für die Wahl von Technologien und Verwendungsformen lässt. Dafür ist es weder erforderlich, den Ausstieg aus der Atomenergie hinauszuzögern noch auf den breiten Einsatz der CCS-Technologie zu setzen. Aber je anspruchsvoller das nationale Klimaprogramm definiert wird – und das Ziel von 80 Prozent Emissionsreduktion bis 2050 ist sehr anspruchsvoll –, desto ungeeigneter sind detaillierte technische Vorgaben für Erzeuger und Verbraucher. Notwendig sind Investitionen in Forschung und Entwicklung, klare Preissignale für die Emittenten und der, nur unter Marktbedingungen evolvierende Kranz von äqui-effizienten Alternativen. Unter diesen Bedingungen dürfte die volkswirtschaftliche Wertschöpfung auch Spielraum für zusätzliche Finanzhilfen an jene Entwicklungsländer bieten, die primär Betroffene der Erderwärmung sein werden.

Weiterhin auf einen umfassenden Konsens aller Staaten für ein ambitioniertes Weltrettungsprogramm zu setzen, ist demgegenüber ebenso unzweckmäßig wie das Projekt, den Klimawandel zum Vehikel einer radikalen Gesellschaftstransformation zu machen. Ersteres dürfte, wenn überhaupt, viel zu spät kommen, Letzteres würde die breite Unterstützung für wirksame Klimapolitik verspielen. Die logisch und pragmatisch überlegene Option ist jene, die den Handelnden auch unter weniger günstigen Umständen ihre Handlungsfähigkeit erhält, ohne die Nutzung günstiger Gelegenheiten auszuschließen.

 

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