Die dramatischen Einbrüche in der Automobilindustrie
weltweit werfen Fragen auf: Handelt es sich nur um eine Absatz- und
Überschusskrise oder wirken im Hintergrund nicht schon Trendverschiebungen bei
der Mobilität und beim Automobilgebrauch? Kann die Krise zu einer Chance
werden, die automobilen Strukturen nachhaltig zu verändern? Mit dem Setzen auf
das Elektroauto allein wird das jedoch nicht funktionieren. Es braucht auch
andere Nutzungsformen und -konzepte für einen Mobilitäts-Mix und einen Wandel
des Rollenverständnisses der Autoindustrie.
Die Autoindustrie in der
Krise: Seit Oktober 2008 wird gegenüber dem Vergleichszeitraum von 2007 nur
noch die Hälfte der Fahrzeuge abgesetzt; eine Erholung der Nachfrage ist für
die nächste Zeit nicht erkennbar. Dabei verläuft die Entwicklung der Absatzzahlen
von Modell zu Modell sehr unterschiedlich. Während Premium-Angebote von
massiven Rückgängen von durchschnittlich 80 Prozent betroffen sind, bleiben
insbesondere kleine Fahrzeuge von der Krise fast verschont. Groß- und Mittelklassewagen
werden vorwiegend in Flottengeschäften abgesetzt, also als Dienstwagen bei
Großkunden oder bei Autovermietern. In Deutschland beispielsweise liegt der
Anteil dieser Absatzkanäle bei der 5er- und 7er-Reihe von BMW, bei der Mercedes
S- und E- Klasse sowie bei Porsche bei rund 90 Prozent. Kleine und mittlere
Fahrzeuge konnten von der so genannten Umweltprämie erheblich profitieren,
während durch den faktischen Zusammenbruch der Automobilfinanzierungen das
Flottengeschäft seit dem 4. Quartal 2008 praktisch ruht. Die Finanz- und
Wirtschaftskrise schlägt in diesem Segment voll durch.(1)
Die entscheidende Frage ist:
Handelt es sich um eine vorübergehende, finanzwirtschaftlich motivierte
Absatzkrise oder haben wir es mit einer sich weltweit abzeichnenden
Trendverschiebung zu tun, die einen generellen Wertewandel im Automobilgebrauch
anzeigt? Mit dieser Frage sind weitere Fragen nach der gesellschaftlichen und
kulturellen Bedeutung des Autos verbunden. Vollziehen sich – und zwar in den
USA, Europa und Asien gleichermaßen – Veränderungen beim demonstrativen Konsum?
Sind möglicherweise Kleidung, Haus- und Wohnungseinrichtungen, Reisen und
Bildung sowie die Nutzung von Telekommunikationstechniken heute die modernen
Statussymbole? Verkommt das demonstrative Fahren mit großen Geländewagen oder dicken
Limousinen gar zu einem Symbol der Unterschicht?
Es lässt sich leicht
einwenden, dass Trends des »small is
beautiful« bereits seit den 1970er-Jahren immer mal
wieder prognostiziert wurden, aber immer dann, wenn die Konjunktur wieder
anzog, an Bedeutung offenkundig nachließen. Aufmerksame Beobachter bestätigen
allerdings, dass in den Metropolen seit Jahren die »intelligente Nutzung« des
Verkehrs, der die Verknüpfung aller Verkehrsarten aus ganz pragmatischen
Motiven begründet, deutlich zunimmt. Dies galt schon immer für hoch verdichtete
Metropolen wie Tokio und New York, mehr und mehr aber auch für Paris, London
oder Berlin.
Vor diesem Hintergrund
gewinnt daher auch der augenblickliche »Hype« um die
Elektromobilität eine besondere Bedeutung. Wenn Städte wie Paris, Peking,
Shanghai, Los Angeles und London ankündigen, ihre Innenstadtzonen zukünftig nur
noch für Zero-Emission-Fahrzeuge zu öffnen, erhält
auch die Idee der Bundesregierung, mithilfe der Konjunkturprogrammmittel in
Höhe einer halben Milliarde Euro einen »Leitmarkt für Elektromobilität« zu bilden,
eine gewisse Plausibilität.
Tatsächlich bietet der elektrische
Antrieb große Chancen, zu wirklich innovativen und zukunftsfähigen
Mobilitätsangeboten zu gelangen. Das kann jedoch nicht bedeuten, dass einfach
das Antriebsaggregat ausgetauscht wird. Charme liegt vielmehr darin, wenn das
Elektroauto zum integralen Element eines umfassenden öffentlichen Verkehrsangebotes
wird. Damit wäre das Auto nicht mehr das autistische Artefakt, das es über
Jahrzehnte war, sondern Teil einer neuen Vernetzungsstruktur. Aber ob diese Innovationsoption
genutzt wird und ob die Krise auch als Chance wirken kann, bleibt ungewiss,
solange das Verständnis des Autos als »Rennreiselimousine« dominant bleibt.
Konjunktur- oder Strukturkrise?
Im Rahmen der Finanz- und
Wirtschaftskrise wird deutlich sichtbar, dass es weltweit bereits seit Jahren
erhebliche Überkapazitäten im Automobilbau gibt. Davon sind alle
Original Equipment Manufacturers (OEMs) betroffen. Auch viele Zulieferer leiden darunter. Sie stehen
unter erheblichem Margendruck und haben in den letzten Jahren zudem in vielen
Fällen den Einstieg von Private Equity hinnehmen
müssen. Es muss damit gerechnet werden, dass nach den Insolvenzen von TMD Friction, Edscha und Karmann weitere mittelständische Zulieferer in Deutschland
vom Markt verschwinden werden. Vor allem große Zulieferer wie Bosch und
Continental versuchen verstärkt, ihre Geschäftsfelder zu diversifizieren sowie
die Forschung von automobilen Zukunftstechniken zu intensivieren. So investiert
Bosch verstärkt in die Produktion von Solarzellen und intensiviert zugleich die
Forschung und Entwicklung von Elektroantrieben und Speichertechniken.
Die Krise betrifft nicht nur
die deutsche und europäische Autoindustrie, sondern neben den USA auch Japan.
Das zeigt nicht zuletzt auch der schwere Einbruch beim Vorzeigeunternehmen
Toyota. Die drei Gruppenmarken Toyota, Daihatsu und Hino
zusammen werden 2009 voraussichtlich nur noch 8,24 Millionen Fahrzeuge absetzen
– fast 700.000 weniger als im Vorjahr. Vor dem Ausbruch der Krise wollte der
Gesamtkonzern im Jahr 2009 noch mehr als zehn Millionen Fahrzeuge verkaufen.
Die Finanz- und Konjunkturkrise trifft Toyota damit deutlich stärker als seine
japanischen Rivalen Honda und Nissan. Eine Ursache dafür ist, dass der
Automarkt in den USA seit dem Herbst 2009 daniederliegt. Toyotas Marktanteil am
amerikanischen Automarkt lag zuletzt bei 17 Prozent. Entsprechend schmerzhaft
wirken sich die dortigen Nachfrageeinbußen aus.
Krisenbedingte
Nachfrageeinbrüche oder mehr? Die Antwort ist nicht einfach zu geben. Doch ist
zu bedenken, dass wir von einer »selbstverständlichen Automobilität« ausgehen
müssen, die zugleich an Faszination eingebüßt hat. Die Motorisierungsraten in
den Ländern der OECD sind seit Langem so hoch, dass bis auf wenige
(Rand-)Gruppen beinahe die gesamte Bevölkerung Zugang zu einem (oder mehreren)
Autos hat. Unterschiede zwischen den Geschlechtern und Generationen beim
Führerscheinbesitz verschwinden zunehmend. Bei den über 21-Jährigen gehört die
Fahrerlaubnis zum Ausweis einer qualifikatorischen
Grundausstattung wie das Mobiltelefon oder die Lesefähigkeit. Autofahren ist
selbstverständlich geworden, der frühere Nimbus des Exklusiven längst verflogen. Zwar dienen Luxusautos und Dienstwagen oft
noch als Prestigeobjekte, ihre Nutzer setzen nach wie vor auf demonstrativen
Konsum. Aber mittlerweile hat das Auto gerade in dieser Funktion viel
Konkurrenz bekommen, in jüngeren Generationen und in urbanen Mittelschichten
hat das Auto signifikant sowohl an Symbolkraft als auch an tatsächlicher
Bedeutung für die Alltagsmobilität verloren. Hier stehen vielmehr Konsumstile,
Freizeitverhalten und mobile Gerätschaften als Ausdruck eines besonderen
Lebensstiles im Vordergrund.
Who killed the electric car?
Was bedeutet das für die
Chancen alternativer Antriebe und Fahrzeugkonzepte? Überall wird von »grünen Autos«
gesprochen, die mit Strom fahren und die Umwelt schonen. Elektroautos sollen
die Welt und die Industrie gleichermaßen retten. Opel will als Rettungspfand
solche Autos produzieren und selbst die Beteiligung von Abu Dhabi am
Daimler-Konzern scheint ausschließlich dem Elektroauto gewidmet zu sein. Die
Strombranche ist ebenfalls mit von der Partie. Sie erhofft sich neue Absatzmöglichkeiten
im stagnierenden Strommarkt. Kein Versorgungsunternehmen, das nicht den Betrieb
von kleinen Testflotten angekündigt hätte. Auch die Bundesregierung hat im
Frühjahr 2009 grünes Licht gegeben und stellt für alle Aktivitäten von
Industrie, Kommunen und Wissenschaft 500 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket
II zur Verfügung. Im Jahr 2020 sollen nach der Prognose der Bundesregierung
mehr als eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen unterwegs sein. Fünf
Millionen wären es, wenn die RWE mit ihren Voraussagen Recht behält.
Doch nähren die Erfahrungen
mit radikalen Innovationen im Automobilbau vor allem Skepsis: Die Endlichkeit
von Öl und Gas ist nicht erst seit der Hochpreisphase im Sommer 2008 bekannt.
Schon der »Club of Rome« machte zu Beginn der
1970er-Jahre eindringlich darauf aufmerksam. Als zusätzlich durch die sogenannte Ölkrise 1973 die damit verbundenen politischen
Abhängigkeiten durch die Sonntagsfahrverbote für jeden und jede sichtbar
wurden, war der Schock zunächst groß. Die Autoproduzenten schoben hektisch
Forschungs- und Entwicklungs-Projekte an. Die Konzerne Daimler und Volkswagen
gründeten mit der Deutschen Automobilgesellschaft ein Gemeinschaftsunternehmen
zur Entwicklung und Produktion von elektrischen Straßenfahrzeugen. Doch blieben
alle Prototypen streng bewacht in den Hallen der Entwicklungsabteilungen versteckt.
In die Massenfertigung gelangte keines der neuen Gefährte. Der automobile Innovationsfrühling
war nur sehr kurz.
Eine Renaissance erlebte der
Gedanke des Elektroautos nochmals Ende der 1980er-Jahre, als das smoggeplagte
Kalifornien nach vielen folgenlosen Ankündigungen und Versprechen der Industrie
für das Jahr 1998 anordnete, dass von sämtlichen im größten US-Bundesstaat
zugelassenen Fahrzeugen drei Prozent mit Elektroantrieb auszustatten seien.
Ausgelöst wurde damit ein langjähriger Kampf zwischen der Regierung in Sacramento
und den Interessenvertretern der Autoindustrie um eine Abschaffung oder doch
mindestens eine Verzögerung dieser Verordnung. Immerhin löste der Clean Air Act bei General Motors eine technische Innovation aus, die
bis heute ihresgleichen sucht.(2)
In Europa wurde in dieser
Zeit vom Schweizer Erfinder der Swatch-Uhr, Nicolas Hayek, den führenden
Herstellern die Idee eines elektrisch betriebenen Stadtautos angetragen. Seine
Kurzformel lautete: Platz für zwei Personen und eine Getränkekiste, billig,
bunt und mit anderen Verkehrsmitteln in einem Mobilitätskonzept verbunden. Er
wollte das Erfolgsrezept der Swatchuhr – billig, einfach, auffällig – auf die
Mobilität ausweiten. Das Feedback der Automanager von Volkswagen und Daimler
war gemischt. Volkswagen wollte nach ersten Sympathien doch nicht den Schritt
in eine Abkehr von der Rennreiselimousine wagen. Daimler war erst überzeugt,
als aus dem Swatch-Car der Smart wurde, ein Kleinstauto mit einem ordentlichen
Verbrennungsmotor, der üblichen Reichweite und immerhin 135 km/h Spitzengeschwindigkeit.
Von alternativen Antrieben war in der Daimler-Tochter Micro
Compact Car (MCC), von der der Smart in einer eigenen Fabrik im elsässischen
Hambach seit 1997 produziert wird, auch nicht mehr viel zu hören.
Mit der Einführung
elektrischer Fahrzeuge war damit erst mal Schluss. Dies habe auch seine guten
Gründe – so die Autoindustrie. Denn die sensible Batterietechnik sei eben lange
nicht so weit, die vom Verbrennungsmotor gewohnten 500 bis 700 Kilometer
Reichweite zu erreichen. Deshalb müsse die Forschung und Entwicklung der Elektrofahrzeuge
vorankommen – mit dem Ziel, weite Strecken bewältigen zu können. Klar war auch:
Das wird noch viele Jahre dauern und es wird viel kosten. Ein dem Leistungsvermögen
des Verbrennungsmotors nachempfundener Elektroantrieb wird selbst bei hoher
Stückzahl immer mindestens um den Faktor 2 teurer sein.
Und wie sieht es heute aus,
gibt es Gründe für einen neuen Optimismus? Derzeit ist das Innovationsfenster
bei den Antriebstechniken so weit geöffnet wie seit Jahrzehnten nicht. Nach
einer langen Phase der puren Optimierung des Verbrennungsmotors hat ein enormer
Schub bei der Forschung und Entwicklung alternativer Antriebe eingesetzt. Seit
2008 wird der Elektroantrieb in fast allen Autounternehmen mit Hochdruck
weiterentwickelt und bereits in verschiedenen Feldversuchen auf seine
Alltagstauglichkeit und Zuverlässigkeit getestet. Daimler schickt einige
Dutzend elektrisch betriebene Smarts auf Londons
Straßen, um Erfahrungen mit dem neuen Antrieb zu sammeln und Reaktionen der Nutzerinnen
und Nutzer zu erfassen. BMW vermietet mehr als hundert umgebaute Minis in Kalifornien und an der amerikanischen Ostküste mit
dem gleichen Ziel. Noch im Jahr 2009 sollen diese Autos auch auf Berlins
Straßen zu finden sein. Bis dahin werden öffentlich zugängliche
Stromtankstellen aufgebaut, dafür wollen die neuen Partner der Autohersteller,
die großen Energieunternehmen, sorgen, im Falle Berlins RWE und Vattenfall. Renault arbeitet für die
amerikanisch-israelische Firma »Better Place« an einer Kleinserie für ein Elektroauto, dessen Batterien
schnell ausgetauscht werden können. Der Aufbau von Wechselstationen für
Batteriesätze beginnt voraussichtlich 2010 in Israel und Dänemark, wo aus Sonne
und Wind Strom gewonnen werden soll, um sich aus der Abhängigkeit von fossilen
Energieträgern zu lösen.
Erstmalig kommen nach
Jahrzehnten wieder Newcomer in den Automobilmarkt. Dazu gehören auch die
Sportwagen des kalifornischen Autobauers Tesla, die in kleiner Stückzahl in den
USA vor allem an VIPs und an einige ausgesuchte Technikenthusiasten verkauft
werden. Dieser Zweisitzer hat imposante Beschleunigungswerte und schon nach
kurzer Zeit den Status eines Kultobjekts erreicht. Wie langlebig der Tesla und
vor allem wie ausdauernd seine Lithium-Ionen-Batteriepakete
tatsächlich sind, ist noch offen.
Trotz der Geschäftigkeit in
Sachen Elektroauto droht gleichwohl ein weiteres Desaster. Denn die geweckten
Erwartungen sind schlechthin unrealistisch. Der simple Ersatz des Autos mit
Verbrennungsmotor durch ein Auto mit Elektroantrieb ist zu Kosten, die von den
Nutzerinnen und Nutzern akzeptiert werden, in absehbarer Zeit nicht zu
realisieren.
Der Gegenentwurf: Das vernetzte öffentliche Auto in
urbanen Räumen
Bisher war das Auto das
private Individualverkehrsmittel mit universeller Nutzbarkeit. Historisch an
Schnelligkeit und an die Überwindung nicht nur kurzer, sondern auch langer
Distanzen orientiert, wird es seit mehr als hundert Jahren nach dem Lasten- und
Pflichtenheft einer »Rennreiselimousine« gebaut. An den Anforderungen dieses
Pflichtenheftes wurden alle potenziellen Antriebsvarianten gemessen. Viele
alternative Antriebe, bisher auch alle Elektroaggregate, scheiterten daran,
weil die Mindestreichweite nicht zu schaffen war. Wenn man aber das Leitbild
der »Rennreiselimousine« einmal zurückstellt und sich ein Auto als Teil einer
integrierten Verkehrslandschaft vorstellt, dann ergeben sich ungeahnte
Einsatzmöglichkeiten für ein Elektrofahrzeug. Die nach Stand der Technik
derzeit problemlos zu erreichenden 50 bis 100 Kilometer Reichweite sind völlig
ausreichend, die Leistung der Batterietechnik muss dafür nicht in künstliche,
kostenträchtige Höhen getrieben werden. Denn das vermeintlich technische
Handikap ist, umgekehrt betrachtet, vielmehr ein Integrationsbaustein: das Elektroauto
wird zum vernetzten Auto, es ergänzt den öffentlichen Verkehr. Wo Busse und
Bahnen nicht fahren, kann ein Elektrofahrzeug gute Dienste leisten. Mit
regenerativem Strom betrieben, fahren diese Fahrzeuge leise, bequem und
schadstofffrei in die Ecken und Winkel, in die kein takt- und spurgeführter
Verkehr mehr kommt.
Wie kann man sich das
»Elektroauto als vernetztes Auto« vorstellen? Öffentliche Elektroautos stehen
wie Busse und Bahnen praktisch jedem zur Verfügung. Sie stehen auf öffentlichen
Parkplätzen überall an den Knotenpunkten des öffentlichen Verkehrs bereit.
Moderne Carsharing-Technologie erlaubt einen
einfachen Zugang mit Handy oder Karte, die Autos können ohne Vorbuchung direkt
genutzt und an jedem anderen freien Parkplatz wieder abgestellt werden. Ist der
Ladezustand der Batterie kritisch, bleibt das Fahrzeug gesperrt, die maximale
Buchungszeit ist auf 48 Stunden begrenzt und garantiert eine breite
Verfügbarkeit.
Ein Elektroauto mit 100
Kilometer Reichweite ist daher gar kein technisches Problem, sondern es stellt
geradezu eine Voraussetzung für die Lösung gravierender Probleme des
öffentlichen Verkehrs dar. Es hilft, ein wirklich umfassendes Kundenangebot zu
entwickeln. Mit einer Karte lassen sich nunmehr alle mit Strom betriebenen
Verkehrsmittel gleichberechtigt zugänglich machen, nutzen und abrechnen.
Gleichzeitig kann der Wunsch nach einem modernen und leistungsfähigen
Individualfahrzeug befriedigt werden. Es wundert daher ein wenig, dass die
öffentlichen Verkehrsanbieter nicht schon früher zum Treiber der Einführung
dieser Fahrzeuge geworden sind. Ein Elektroauto ist so gesehen die
domestizierte Ausgabe moderner Automobilität – eine attraktive Ergänzung und
keine Konkurrenz oder gar Kannibale gegenüber den anderen Verkehrsmitteln.
Aus dieser Perspektive sieht
die Verkehrswelt ganz anders aus, als wir sie kennen: Wenn sich Stromkonzerne
und öffentliche Verkehrsunternehmen zusammentun und den Autoherstellern den
Stress mit den hohen Reichweiten nehmen, dann eröffnen sich ganz neue Optionen.
Verkehrsdienstleistungen unter Einschluss des Elektroautos werden möglich, die
bislang noch nicht einmal in Nischen vorhanden waren. Doch setzt dies einen
Perspektivenwechsel voraus: Nicht allein der innovative Antrieb, sondern umfassende
Mobilitätskonzepte für urbane Regionen stehen im Vordergrund. Technisch und
produktseitig ist eine Fülle von Innovationen denkbar, neben technischen
Neuerungen auch lukrative zusätzliche Dienstleistungen und wirkliche
Nutzungsinnovationen. E-Mobility ist mehr als die
Formel »Schicke, elektrisch betriebene Automobile plus genug saubere
Ladestationen«. Die Wertschöpfung der intermodalen urbanen E-Mobility
umfasst die Hardware der Fahrzeuge und Infrastruktur mit entsprechender Integration
in die Stadtlandschaft ebenso wie Verkehrsdienstleistungen und die Energielieferung
und -speicherung.
Grenzen und Barrieren
Bei aller Euphorie über
mögliche alternative Antriebe darf jedoch nicht vergessen werden, dass auch auf
mittlere und längere Frist das mit fossilen Energieträgern betriebene Auto
weiter dominant sein wird. Zudem werden Hybridlösungen von vielen Experten –
zumindest als Übergangstechnologie – als weitaus realistischer eingeschätzt.
Selbst wenn es also gelingt, in eine Massenproduktion von postfossil
angetriebenen Automobilen einzusteigen und eine Green-Car-Nische
zu etablieren, wird es darauf ankommen, beim Auto mit Verbrennungsmotor über
strenge Emissions- und Verbrauchswerte den Druck für Optimierungen in der
Antriebs- und Fahrzeugtechnik hoch zu halten und zusätzlich zu erhöhen. Dieser
Druck entsteht vor allem dadurch, dass Emissionsgrenzwerte schrittweise weiter
verschärft werden. Ehrgeizige Umweltziele und ein verlässlicher, zumindest
mittelfristiger Zeitrahmen sorgen für eine notwendige Planungssicherheit bei
Herstellern und Nutzern sowie für Anpassungen der Forschungs- und Entwicklungs-
und der Produktstrategien.
Nachdem die klassischen
Schadstoffe seit den 1980er-Jahren aufgrund scharfer Grenzwerte radikal
zurückgedrängt werden konnten, sind es aktuell und für die nächsten Jahre
primär der Feinstaub, der Lärm und die CO2-Emissionen, die der
weiteren Regulierung bedürfen. Sowohl aus umwelt- und gesundheitspolitischen
Gründen als auch aus innovationspolitischem Interesse heraus sind auf EU-Ebene
über die bereits beschlossenen Grenzwerte hinaus sukzessive Verschärfungen zu
fixieren. Eine wichtige Erkenntnis der Umweltpolitik der letzten Jahrzehnte
besteht darin, dass die nachhaltige industrielle Wettbewerbsfähigkeit dort am
stärksten ist, wo die Grenzwerte und Umweltauflagen am schärfsten waren. Das
gilt umso mehr, je konsequenter die Internalisierung externer Kosten von
Umwelt- und Ressourcenverbrauch vorangetrieben wird. Daher sind strenge
Umweltregime in aller Regel zugleich erfolgreiche Innovationsregime. Nachdem
nunmehr auch China mit ambitionierten nationalen Grenzwerten diesem globalen
Effizienz- und damit Innovationswettbewerb beigetreten ist, ist es umso
wichtiger, auf europäischer Ebene eine Führungsrolle zu behaupten.(3)
Für das hier vorgeschlagene
intermodale E-Mobility-Konzept gibt es pragmatische
und zugleich historische Gründe. Doch ist dieser komplexe Innovationspfad alles
andere als ein Selbstläufer. Denn sehr unterschiedliche Kulturen müssen eng
zusammenarbeiten. Kooperationen sind nötig, für die es keine Erfahrungen gibt.
Die höchsten Hürden für die Realisierung des hier skizzierten
Mobilitätskonzeptes unter Einschluss des Elektroautos sind weniger technischer
als vielmehr organisationssoziologischer und innovationskultureller Art.
Die Konsequenzen des hier vorgeschlagenen
Pfades einer zukunftsfähigen »Mobilität von morgen« sind gravierend. Die
zentral involvierten Branchen und ihre nach wirtschaftlicher Rationalität
agierenden Unternehmen müssen sich auf vollkommen neue und eben noch nicht
eingespielte Kooperationen einlassen. Die Autoindustrie muss Abschied nehmen
vom Konzept des Universalautomobils (»Beyond Rennreiselimousine«) und ihre
Wertschöpfung wird sich von der Produktion von Automobilen und ihrer Finanzierung
für Kunden hin zu umfassenden Mobilitätsdienstleistungen verlagern. Auch im
öffentlichen Verkehr werden die Umstellungen erheblich sein: ÖV-Unternehmen müssen ihre klassischen Verkehrsträger um
neue Angebotsbausteine ergänzen. Sie betreiben neben Bahnen und Bussen dann
künftig auch Autoflotten und Fahrradverleihsysteme. Gleichzeitig bedeutet das
notwendigerweise mehr Orientierung an den Kunden und ihren sich weiter
ausdifferenzierenden Ansprüchen. Ein solcher Wandel im Angebot und in der
Kundenorientierung ist nicht ohne eine enge Zusammenarbeit mit dem langjährigen
Konkurrenten Autoindustrie sowie mit Energieversorgern und IT-Unternehmen
möglich. Damit verlässt der ÖV mit großen Schritten den Sektor der öffentlichen
Daseinsvorsorge und wird zu einer an der privaten Nachfrage orientierten
Branche.
Weiterhin ist zu beachten:
Das skizzierte E-Mobility-Konzept für intermodale
Verkehrsangebote ist ein Konzept für Städte und verdichtete Regionen. Gänzlich
anders sieht die Mobilität in ländlichen, dünn besiedelten Räumen aus. Dort
sind nicht nur die Entfernungen in aller Regel weiter als in verdichteten
städtischen Räumen. Versorgungseinrichtungen von der Arztpraxis bis zum
Fachhandel sind auf dem Land oft nur mit längeren Anfahrtswegen zu erreichen.
Auch ist der ÖV meistens äußerst dürftig. Die wenigen Bus- und Bahnangebote
bedienen oft allein den Schüler- und Ausbildungsverkehr. Angesichts von
Abwanderung und sinkenden Schülerzahlen erodiert der ÖV in vielen ländlichen
Regionen zudem. In Schrumpfungsregionen – vor allem in den ostdeutschen
Bundesländern und in einigen stadtfernen Gegenden West- und Norddeutschlands –
ist ein öffentlicher Verkehr oftmals gar nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wo der
ÖV fehlt, ist natürlich auch kein intermodales Verkehrsangebot möglich.
Perspektiven für die Autoindustrie
Für die Autoindustrie
weltweit sind diese Trends kompliziert. Sie steht vor einer doppelten Aufgabe:
eine Wende in der Modellpolitik einerseits und der Einstieg in eine intermodale
E-Mobility andererseits. Die Branche kann nicht
weitermachen wie bisher, sie braucht neue Orientierungen und Kooperationen, die
sie bisher nicht gelernt hat. Für die deutsche Autoindustrie wird es besonders
schwer, weil sie eine einzigartige Erfolgsgeschichte hinter sich hat. Die
Stellung der deutschen Hersteller auf den Automobilmärkten der Welt konnte in
den letzten Jahrzehnten stetig ausgebaut werden und hat vom klassischen Image
der Rennreiselimousine profitiert. Deutsche Autos gelten als technisch
hochwertige und ausgereifte Fahrzeuge. Angesichts der absehbaren Veränderungen
in der Nachfrage stehen die Hersteller vor einem tief greifenden Strukturwandel.
Der Wandel der (deutschen) Autoindustrie geht dabei in zwei Richtungen:
– Die Modellpolitik wird
nicht mehr dem Muster »schneller, größer, schwerer, teurer« folgen. Ein
generelles Upsizing steht vielmehr auf der Agenda. Es
wird künftig auch nicht mehr durchzuhalten sein, den wachsenden Low-Cost-Sektor zu ignorieren.
– Gleichzeitig werden neue
und zusätzliche Antriebsvarianten auch in der Massenproduktion realisiert
werden. Die derzeit massiv vorangetriebene nachholende Hybridisierung
ist erst der Anfang. Plug-in-Hybrids, reine
E-Antriebe und möglicherweise auch die Brennstoffzelle werden hinzukommen. Die
Hegemonie des Verbrennungsmotors ist absehbar vorbei.
– Die Autounternehmen werden
– obwohl sie (mehr verborgen) schon lange keine reinen Produktionsfirmen,
sondern große Finanzdienstleister sind – sukzessive
zu umfassenden Mobilitätsdienstleistern. Steigende
Anteile an der Wertschöpfung werden in der Realisierung von Mobilität, wie auch
immer technisch umgesetzt, erzielt. Damit erweitert
sich nicht nur ihr technisches Portfolio, sondern auch das Selbstverständnis
und die Unternehmenskultur radikal. Möglicherweise müssen hierzu neue
Kooperationen mit Energieversorgungsunternehmen oder gar mit Unternehmen des
öffentlichen Verkehrs eingegangen werden. Vermutlich geschieht dies nicht unter
dem klassischen Markendach, sondern durch die Bildung neuer intermodaler
Angebotsmarken.
Dieser doppelte Wandel wird
nicht ohne Brüche verlaufen. Es wird dabei auch Verlierer geben. Dennoch ist
die Krise eine Chance für das Entstehen einer – in der Sprache des Marketings –
»Automobilität 2.0«. Dafür braucht es eine Abkehr vom alten Auto-Leitbild und
nicht zuletzt neue Bündnisse. Es bedarf der Bereitschaft, die derzeitige Krise
nicht als kurzfristige Konjunkturdelle zu missdeuten, sondern zum Anlass zu
nehmen, bisherige Produkte und Geschäftsfelder infrage zu stellen und damit die
Voraussetzungen zu schaffen, zukunftsträchtige Mobilitätsdienstleistungen für
morgen zu entwickeln. Nur wer diese dann auch beherrscht, kann mittel- und
langfristig auf den Zukunftsmärkten Asiens, Amerikas und Europas erfolgreich
sein. Dazu bedarf es außerdem einer für die meisten Autokonzerne ungewohnten
Kooperation bei neuen Antriebstechniken ebenso wie bei den technischen
Schnittstellen und den Standards für die erforderliche Infrastruktur.
* Die hier
skizzierten Thesen bilden den Kern eines Strategiepapiers »Grüne Wege aus der
Autokrise – Vom Autobauer zum Mobilitätsanbieter«, das von den Autoren für die
Heinrich-Böll-Stiftung erarbeitet worden und ab Mitte Juni unter folgender www-Adresse abrufbar ist: www.boell.de
1
Bereits
seit Jahren gelingt es den Premiumherstellern in
Nordamerika und Europa, große Fahrzeuge nur noch durch besondere
Leasingkonditionen auf dem Markt zu platzieren. Dies funktioniert auf der Basis
besonders günstig kalkulierter Restwerte, also über Annahmen darüber, zu
welchem Preis die Fahrzeuge als Rückläufer auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu
verkaufen sind. Da aber die hierfür wichtigen Absatzkanäle
in den Nahen und Fernen Osten, nach Osteuropa sowie nach Asien ebenfalls massiv
geschrumpft sind, müssen sämtliche Restwerte neu kalkuliert und abgesenkt
werden. Darin liegt insbesondere für die deutschen Hersteller Daimler, BMW und
Porsche ein hohes Ergebnisrisiko.
2
Man
entwickelte mit dem EV 1 ein futuristisch anmutendes Auto im converse design, das im Süden Kaliforniens bei
einer kleinen Zahl von ausgewählten Händlern teuer zu leasen war. Mit dem
Anspruch, schneller und sauberer zu fahren als die konventionellen Fahrzeuge,
scheiterte die kleine Revolution allerdings rasch. Praktisch ohne ein
entsprechendes Versorgungsnetz mit Elektrotankstellen wirkte der EV1 wie ein
Fisch auf dem Trockenen und konnte aus Kundensicht nicht das Versprechen
einlösen, das bessere Verbrennungsauto zu sein.
3
Deshalb ist
es zentral, dem Lobbydruck europäischer Autohersteller standzuhalten, die
Grenzwerte aufweichen oder zeitlich strecken wollen. Die Verschiebung der CO2-Obergrenze
von 120 Gramm je Kilometer bis zum Jahr 2015 aufgrund der massiven Lobbyarbeit
der Vereinigung der europäischen Autohersteller, getrieben in erster Linie von
der deutschen Autoindustrie, unterstützt von der Bundesregierung, ist ein
abschreckendes Beispiel für vergebene Innovationschancen zugunsten sektoraler
und nationaler Kurzfristinteressen.
Literatur
Becker, J.
(2009): »Zukunft aus der Dose«, in: SZ, 30.3.09, S. 33
Canzler,
W./Knie A. (2009): »Die Stadt der kurzen Wege ist stets unter Strom«, in: Der
Tagesspiegel, 17.2.09, S. B 3
Deutsche
Bank Research (2009): »Autoindustrie am Beginn einer Zeitenwende«,
http://www.dbresearch.de/PROD/DBR_INTERNET_DE-PROD/PROD0000000000237289.pdf
Gassmann,
M. (2009): »Hoffnung der Versorger: Mobil mit Strom«,
http://www.ftd.de/unternehmen/autoindustrie/:Hoffnung-der-Versorger-Mobil-mit-Strom.473284.html
Greenpeace (2008): »Off track. Inflated claims of the
car industry«, (Autor: König,
Th.), Amsterdam,
http://www.greenpeace.org/raw/content/international/press/reports/offtrack.pdf
Jänicke, M.
(2008): Megatrend Umweltinnovation. Zur ökologischen Modernisierung von
Wirtschaft und Staat, München
Knie,
A./Berthold, O./Harms, S./Truffer, B. (1999): Die
Neuerfindung urbaner Mobilität. Elektroautos und ihr Gebrauch in den USA und
Europa, Berlin
Projektgruppe
Mobilität (2004): Die Mobilitätsmaschine. Versuche zur Umdeutung des Autos,
Berlin
Rother, F.
(2009): »Krise und Klimawandel setzen Autoingenieure unter Druck«, in: Wirtschaftwoche,
22.4.09, http://www.wiwo.de/unternehmer-maerkte/krise-und-klimawandel-setzen-auto-ingenieure-unter-stress-393971/
Sperling,
D./Gordon, D. (2009): Two Billion Cars. Driving
Toward Sustainability, Oxford