Rainer Emschermann


Griechische Schuldenkrise


Fehlgeleitete Solidarität schadet Europa




Die Annahme, die Märkte und Finanzmärkte seien für die griechische Schuldenkrise verantwortlich, hält unser Autor für ebenso verfehlt wie die Behauptung, der Euro sei an der Staatspleite schuld. Das Hilfspaket für Griechenland verschiebe nur eine absehbare Staatspleite und der europäische Stabilisierungsmechanismus besitze brandgefährliche Anreizeffekte für die Euroländer – finanziell wie politisch. Nur mit einem griechischen Schuldenmoratorium und einem nachhaltigen Konsolidierungsmechanismus in der EU könnten die finanz- und europapolitische Glaubwürdigkeit der Politik zurückgewonnen werden.

Noch am Freitag, dem 7. Mai, hatte ich das 120 Milliarden Euro teure Hilfspaket für Griechenland für nutzlos gehalten, da es Spanien und Portugal nicht gegen die Krise schützen würde. Eine – umfangreichere – Wiederholung solcher Hilfe für Spanien hatte ich für unmöglich gehalten. Doch nur zwei Tage später war sie bereits beschlossen.

Es ehrt die deutsche Politik, dass sie parteiübergreifend Willen zu verantwortlichem Handeln gezeigt hat. Allerdings werden die 120 Milliarden Euro den griechischen Staatsbankrott wohl nicht abwenden. Sie »kaufen« lediglich Zeit, Europa auf einen Crash vorzubereiten und ein Übergreifen auf Länder mit »heilbaren« Staatsfinanzen abzuwenden. Je mehr Mittel ausgezahlt werden und je später sich die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands einstellt, umso mehr droht die Legitimation Europas beschädigt zu werden. Um neben dem finanziellen Kapital nicht auch Europas noch wertvolleres ideelles Kapital zu verlieren, muss dringend umgesteuert werden.

Solidarität muss gegenseitig sein

Die grüne Diskussion konzentriert sich auf den Begriff der »europäischen Solidarität«. Die Grünen klagen diese im Namen Europas auch von der Bundesregierung ein. Sie ist ein wertvolles Gut und darf nicht verschleudert werden. Solidarität mit Griechenland gibt es bereits seit 15 Jahren, in denen Griechenland jährlich bis zu vier Prozent seines Bruttosozialprodukts (BSP) als Transferzahlungen aus dem EU-Haushalt erhält. Solidarität sollte aber auch umgekehrt funktionieren, und es ist nicht übertrieben festzustellen, dass es hieran hapert: Trotz der EU-Zuschüsse erlaubten sich griechische Regierungen Haushaltsdefizite, die weit über den Euro-Grenzen lagen. Entsprechende Statistiken wurden ein Jahrzehnt lang einfach gefälscht. Eine radikale Rückführung der griechischen Verteidigungsausgaben, der höchsten in der EU, kann nur ein erster Schritt sein. Denn auch in anderen Bereichen sehen wir nur wenig wechselseitige Solidarität, zum Beispiel bei der griechischen Blockade der Beitrittsperspektive Mazedoniens aufgrund einer grotesken – nationalistischen – Namensdiskussion.

Defizite sind keine Frage von arm oder reich: Estland, obwohl viel ärmer als Griechenland, hat über Jahre einen ausgeglichenen Haushalt gehabt und wertete auch in der Krise nicht ab. Die Reformen, die Griechenland jetzt unternimmt, sind viel ärger als diejenigen, die etwa Irland (z. B. 6 % Gehaltskürzungen im öffentlichen Sektor) oder Lettland (18-prozentiger Einbruch des BSP in der Krise, Haushaltskürzung von über 6 % in 2010) im letzten Jahr bereits unternommen haben. Länder wie die Slowakei, Estland oder Portugal werden nun für das reichere Griechenland zur Kasse gebeten. Die Anpassung der Staatsfinanzen an die ökonomische Realität und die notwendige Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft sind daher die zentralen Aufgaben der griechischen Regierung.

Don’t shoot the messenger

Wer in erster Linie die Finanzmärkte, Hedgefonds, Ratingagenturen oder allgemein »die Spekulanten« für die Krise verantwortlich macht, tut so, als ließe sich ein Problem durch das Erschießen des Übermittlers der schlechten Nachrichten lösen. Mögen die Finanzmärkte auch übersteuern, wie im Falle Spaniens, sie ähneln letztlich doch einer gigantischen Ratingagentur, bei denen die Schiedsrichter aus Tausenden von Investoren bestehen, die mit ihrem Geld »abstimmen«. Wie der Pariser Finanztheoretiker Harald Hau erklärt, ist die schnelle Verschlechterung der Bonität Griechenlands nicht zu vergleichen mit der spekulativen Attacke gegen die Bindung des britischen Pfundes an den europäischen Währungsmechanismus von 1993. Die Drachme als Währung gibt es nicht mehr. Leerverkäufe in Credit Default Swaps sind hingegen keine Wetten gegen das politische Ziel einer Zentralbank, sondern gegen andere Spekulanten und haben bestenfalls einen Informationswert; sie sind ohne nachhaltigen Effekt auf das ursächliche griechische Schuldenproblem.

Der Markt ist nur Auslöser, die Staatsschuld die Ursache der Krise. Die Lehre aus der Euro-Krise sind somit nachhaltigere Finanzen. Griechenland lebt seit Jahren weit über die eigenen Verhältnisse und muss nun plötzlich eine dramatische Haushaltskonsolidierung erreichen, gekoppelt mit einer kräftigen Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit seiner Wirtschaft. Da es seine Währung und damit seine Arbeitskosten hierzu nicht »einfach« real abwerten kann, muss eine äquivalente Anpassung nominal vorgenommen werden: Das aber erfordert eine große Zahl politischer Entscheidungen und einen außergewöhnlich robusten nationalen Konsens, der in Griechenland bisher fehlt. Wirklich helfen kann man hier von außen wenig: Die Kürzungen bei den öffentlichen Ausgaben (60 % davon Sozialausgaben) und Löhnen werden daher drastisch ausfallen müssen. Niemand als die Griechen selbst kann das Problem lösen.

Die härteste aller Optionen

Die Bundesregierung hatte wohl gehofft, allein die Ankündigung des 45-Milliarden-Hilfspaketes könne die Märkte bezüglich der Zahlungsfähigkeit Griechenlands besänftigen. Leider hat das erste Maßnahmenpaket Griechenlands mögliche Investoren nicht überzeugen können. Nach den Fälschungen der Statistiken und den Unruhen auf griechischen Straßen reichte vermutlich die reine Ankündigung einer nur schrittweisen Rückführung der Neuverschuldung nicht aus. Und die Taten, die nun folgen müssen, werden es in sich haben: Nimmt man für eine grob überschlägige Rechnung eine Staatsquote von 50 Prozent an, so macht die Rückführung des Defizits von 14 auf zwei Prozent Einsparungen von 24 Prozent notwendig. Auch wird der Schuldendienst teurer: Bei bald 150 Prozent Staatsschuld (IWF-Reformszenario für 2012/13) kann er schnell auf 15 Prozent der öffentlichen Ausgaben anwachsen und das Defizit weiter erhöhen.

Zu alldem kommt die kontraktive Wirkung dieser Maßnahmen, die die Einnahmenseite des Haushaltes schmälern wird. Vor diesem Hintergrund wirkt die Reaktion der Märkte recht rational. Die dramatischen Haushaltskürzungen zur Bedienung externer Schulden bei Banken und »reichen« EU-Staaten werden weiterhin schwer vermittelbar bleiben. Die Frage ist wohl nicht, ob ein Bail-out einen Bankrott verhindern kann, sondern wer für die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands aufkommt. Und die nun beschlossene Solidarität mit Griechenland ist erst einmal eine Solidarität mit den Hauptschuldnern. Dies sind eben nicht zuletzt internationale Großbanken und deren Aktionäre.

Eurokrise? Nein: Schuldenkrise!

Da die Eurogruppe den von einem »Europäer« geführten IWF absurderweise auf eine Juniorrolle im Bail-out begrenzt hat, wird dieses Paket nun teurer als nötig: Die Euro-Gruppen-Anleihen sollen mit fünf Prozent verzinst werden, während der IMF nur die Hälfte verlangt. Vor diesem Hintergrund bleibt es völlig offen, ob Griechenland die geforderte Konsolidierung schaffen und die neuen Kredite wird bedienen können.

Auch die Verteilung der Lasten des Bail-outs gibt Anlass zu Fragen. Die Eurozone ist nur etwa zur Hälfte an den auswärtigen Schulden Griechenlands beteiligt. Warum also macht sich die Eurozone exklusiv selbst verantwortlich und hat es versäumt, andere betroffene Länder, wie die Schweiz, die USA, England sowie die EU insgesamt an allen Kosten zu beteiligen? Warum unterstellt man, der Euro sei an der Staatspleite schuld? Eine Zahlungsunfähigkeit Englands hätte wohl größere Auswirkungen auf Deutschland. Denn die Auswirkungen der Krise gehen von der Marktverflechtung aus, die der Euro lediglich etwas vertieft hat.

Auch eine griechische Abwertung, also ein Austritt aus dem Euro, wäre faktisch eine Enteignung der Schuldner und würde nur einen Teil des Problems lösen. Letztlich ist nicht die gemeinsame Währung Kern der Krise, sondern deren politisches Management. Europäische Solidarität mit unverantwortlicher Finanzpolitik ist ein Freibrief für den Kapitalmarkt, unverantwortliche Schuldenpolitik auch in der Zukunft großzügig zu finanzieren. Nun ist dieser Freibrief in Form der beiden »Stabilisierungsfonds« über 870 Milliarden Euro ausgestellt worden. Zudem hat die EZB nicht nur die Bonitätsanforderungen für bei ihr hinterlegte öffentliche Euro-Anleihen praktisch abgeschafft, sondern damit auch jeglichen Anreiz, die Bonität der öffentlichen Gläubiger der Eurozone zu berücksichtigen. Vorsichtige Banken und Versicherungen erleiden Wettbewerbsnachteile und werden sogar in die Finanzierung der Krise mit einbezogen. Dies alles ist die Aufforderung, Risiken zu ignorieren. Die Krise scheint verschoben, ein größerer Crash aber langfristig vorprogrammiert.

Wer alles verteidigen will, verteidigt nichts

Der Bail-out für Griechenland hat eine Kettenreaktion nicht verhindert; vielleicht hat er sie eher befördert, da er einen Dominoeffekt abschrecken sollte. Mit dem Gerede über »die Spekulanten« wurden die realen Unterschiede zwischen Griechenland und Spanien verwischt und die Panik geschürt.

Zudem ist Griechenland nicht Lehman Brothers. Griechenland ist keine Finanzinstitution mit extremem Finanzhebel. Es hat mehr »Eigenkapital«; es kann beispielsweise öffentliches Eigentum als Sicherheiten bieten oder verkaufen und Einnahmen verpfänden. Dass der Bail-out für Griechenland (bzw. seine Gläubiger) alternativlos sei, ist unwahr.

Politische Priorität hat allemal das Funktionieren des europäischen Bankensystems, nicht die Verhinderung der griechischen Zahlungsunfähigkeit. Im letzteren Fall käme es zu einem Schuldenmoratorium, nicht aber zu einer vollständigen Abschreibung aller Schulden. Das würde zwar Liquiditätsprobleme schaffen und zudem einige Fälle von Zahlungsunfähigkeit – besonders unter griechischen Banken. Liquiditätsprobleme können aber von der EZB gemanagt werden, wie schon in der zurückliegenden Finanzkrise.

Zudem konnten sich die Finanzinstitutionen in den letzten Monaten (anders als bei Lehman) hinreichend auf den Ernstfall vorbereiten. Spekulative Märkte, wie der für Credit Default Swaps, erlauben hier die Versicherung des Kreditausfallrisikos. Man kann hoffen, dass die schwächsten Banken diese Möglichkeit hinreichend genutzt haben.

Zahlungsunfähigkeit bestimmter Banken verlangt das rasche Eingreifen der Finanzminister, um sie gegebenenfalls vorübergehend zu verstaatlichen und danach abzuwickeln. Die dafür benötigten Staatsgelder werden leider gerade für Anreize eingesetzt, die den Eintritt dieses Falles wahrscheinlicher machen.

Portugal, Irland und Spanien stehen besser da als Griechenland, da ihr Schuldenstand deutlich geringer ist. Klare und glaubwürdige finanzpolitische Reformen könnten die Unsicherheiten auf den Finanzmärkten effektiv kontern, wie dies Irland zunächst einmal – ohne Rettungspaket! – gelungen ist (u. a. Gehaltskürzungen um 6 % im öffentlichen Sektor). Irland hat gezeigt, dass sich ein Land, wenn seine Verschuldung deutlich unter 100 Prozent des BSP liegt, effektiv gegen Panikreaktionen der Märkte verteidigen kann.

Aber die von dem europäischen Stabilisierungsmechanismus ausgehenden negativen Anreizeffekte für die Euroländer sind brandgefährlich. Es besteht nun mehr denn je die Gefahr, dass in der Eurozone – nach anfänglichen Good-will-Gesten – dringliche Reformen in trügerischer Erwartung neuer Hilfen verzögert werden. Es besteht die reale Gefahr, dass die Zeit, die durch den Stabilisierungsmechanismus gewonnen wird, nicht genutzt wird. Sollte aber ein großes Land wie Spanien auf die Gelder des Rettungsfonds angewiesen sein, ist klar, dass dies auch die Bonität der Geberländer beeinträchtigen würde.

Erweiterungen gefährdet

Die politischen Kosten der Griechenland-Hilfe werden potenzielle Euro-Kandidaten wie Estland und Polen tragen müssen. Zudem gerät die Erweiterungsfähigkeit der EU insgesamt unter Druck. All dies hat nicht nur finanzielle, sondern noch teuerere politische Kosten. Deutschland selbst gibt im Bundeshaushalt ein Drittel mehr aus, als es einnimmt. Um das Gleichgewicht wieder herzustellen, müssen Ausgaben gekürzt werden, die das kumulierte Ausgabenvolumen der Etats für die Bundeswehr, Familie/Frauen/Senioren/Jugend, Gesundheit sowie Verkehr ausmachen. Da allein die Sozialausgaben 44 Prozent des Gesamthaushaltes ausmachen, wird vor allem hier der Rotstift angesetzt werden. Es ist klar, dass der Verbindung zwischen nationalen Einsparungen und europäischer Solidarität ein anti-europäisches Populismuspotenzial innewohnt.

Die jetzt eingeforderte Solidarität wird in Deutschland schwer vermittelbar sein, wenn 2011 die Verhandlungen zum neuen mehrjährigen europäischen Finanzpaket anstehen. Auch die Beitritte weiterer Länder – wie jetzt Estlands und zukünftig Polens – zur Eurozone werden sehr kritisch gesehen werden; Länder, die ihre Haushalte der Krise zum Trotz unter zum Teil großen Anstrengungen zu diesem Zweck konsolidieren. Und gerade wenn diese Beitritte fast automatisch ablaufen werden, wird sich der Frust der Bürger gegen jede Erweiterung richten, sei es die der Eurozone oder der EU selbst.

Angesichts der heutigen Herausforderungen Europas ist es nicht mehr damit getan, einfach einen größeren Beitrag an den EU-Haushalt zu überweisen. Vielmehr muss Deutschland als der größte Mitgliedsstaat zusätzlich politische Führung unter Beweis stellen. Hier aber versagt es: Gemeinsam mit Frankreich trug es selbst zur Aufweichung der Maastrichter Verschuldungskriterien bei. Beispielhaft ist BMF-Staatssekretär Asmussen (vielen noch bekannt als eminentes Aufsichtsratsmitglied der abgestürzten IKB) zu nennen, der sich noch kürzlich gegen eine europäische Haushaltsaufsicht sperrte.

Das gegenwärtige Krisenmanagement der Bundesregierung hat Kernbereiche der Europapolitik renationalisiert: Politik besteht weitgehend aus Ad-hoc-Entscheidungen, die zwischen den Regierungschefs einiger großer europäischer Länder im Hinterzimmer getroffen werden. Eine ausgewogene Einbindung kleinerer Länder gibt es nicht.

Was tun?

a) Wechsel der Prioritäten: Das Management eines griechischen Schuldenmoratoriums tritt an die Stelle eines unbefristeten Bail-out. Zuerst zahlen die Aktionäre der Banken. Nur Spareinlagen bei insolventen Banken werden garantiert. Die diesjährigen Tranchen des Bail-outs für Griechenland sollten die letzten bleiben. Wenn Griechenland an dem im nächsten Haushalt zu beschließenden neuen Reformpaket scheitert oder aber erkennt, dass es mit einem Schuldenmoratorium besser fährt, muss eine geordnete Zahlungsunfähigkeit eingeleitet werden. Die Zeit muss jetzt genutzt werden, um ein solches Verfahren vorzubereiten. Das bedeutet, alle privaten Schuldner, die ja über Jahre von den hohen Zinsen profitiert haben, in ein Schuldenmoratorium einzubinden. Das wäre praktisch ein teilweiser Schuldenerlass, Schuldner würden be- und Griechenland entlastet. Gezielte Garantien für Spareinlagen bei insolventen griechischen Banken könnten dazugehören.

b) Die Krise kann nicht mit mehr, sondern nur mit weniger öffentlichem Geld eingedämmt werden. – Domino-Effekte sind vermeidbar. Dazu müssen aber bereits im Herbst dieses Jahres in fast allen EU-Ländern glaubwürdige Konsolidierungsprogramme für die Rückkehr zu finanzpolitischer Stabilität beschlossen werden. Beispielsweise könnte eine Rückführung der exzessiven Defizite im nächsten Jahr um 40 Prozent verabredet werden. Dabei sollte, statt das Maastricht-Kriterium von drei Prozent, das erwartete mittelfristige Wachstum der EU als Referenz gewählt werden. Und, als letztes Mittel, könnte auch das europäische 750-Milliarden-Paket als Abschreckung dienen. Wichtig ist allerdings, dass der Eintritt der Staatspleite in eine vorab gut abgestimmte Kommunikationspolitik der Eurozone eingebettet wird, um den Eindruck eines geordneten Prozesses zu vermitteln.

c) Die Vorschläge der EU-Kommission greifen viel zu kurz. Der Stabilisierungsmechanismus darf nicht über 2012 verlängert werden. Er muss durch einen europäischen Konsolidierungsmechanismus abgelöst werden. Diese Maßnahmen können nur dann glaubwürdig sein, wenn sie mit Anreizen zur Einhaltung der Maastricht-Regeln verbunden werden. Es bedarf eines eher bei der EZB als bei der Kommission anzusiedelnden Mechanismus’, der Haushaltssünder automatisch und proportional zu ihrem exzessiven Defizit zur Kasse bittet und zum Beispiel auch EU-Strukturfonds einbehält. So gesammelte Mittel stünden dann im Krisenfall für gezielte Hilfen zur Verfügung. Diese Zahlungen wären außerhalb von Krisenzeiten leicht verkraftbar. Ihr zentraler Zweck wäre, rechtzeitig notwendige gesellschaftliche Diskussionen über nachhaltige Finanzpolitik auszulösen. Ferner würde allein der Beschluss eines solchen glaubwürdigen Mechanismus die Zinsen für öffentliche Anleihen senken und damit sofort zu ganz realen Einsparungen führen.

d) Die Zeit drängt. – Der griechische Bail-out wie auch der neue europäische Stabilisierungsmechanismus sind auf drei Jahre beschränkt. Das ist zugleich Gefahr und Chance. Wenn nicht noch in diesem Jahr weitreichende Reformen wie die oben genannten beschlossen werden, wird die Abwärtsspirale der Verunsicherung an den Märkten schon bald zurückkehren. In dem Maße aber, wie der Stabilisierungsmechanismus wirklich zur Anwendung kommt, wird die Unterstützung der Bevölkerung für das europäische Projekt – und das Vertrauen in die Politik – schwinden. Die Chance besteht darin, dass das Auslaufen des Mechanismus’ genügend Anreize für schnelle Reformen bieten sollte.

e) Deutsche Überheblichkeit ist fehl am Platz. – Der Bund deckt dieses Jahr satte 25 Prozent seiner Ausgaben durch Neuverschuldung. Das gesamtstaatliche Defizit wird weit über die Maastricht-Grenzen auf über fünf Prozent und die Gesamtverschuldung auf 77 Prozent katapultiert (Spanien liegt bei 66 %). Dabei erlaubt es die Opposition dem Finanzminister, als eherner Wächter des Stabilitätspaktes aufzutreten, obwohl schon längst wieder eine vergleichbare Neuverschuldung auch im nächsten Jahr eingeplant ist. Das muss sich ändern.

f) Es geht letztlich um die Wahrung politischer Handlungsfähigkeit – und um die Verhinderung einer Legitimationskrise der Demokratie in Europa. – Europas Anteil am globalen Wachstum ist heute praktisch vernachlässigbar, selbst wenn man den globalen Verbrauch an Umweltressourcen einrechnet. Vermutlich wird der EU-Anteil am globalen BSP 2010 unter 20 Prozent sinken, nachdem er noch im Jahr 2000 bei 25 Prozent lag. Dazu werden in Kürze steigende Zinsen, Renten und Gesundheitsausgaben kräftig zu Buche schlagen und die innergesellschaftliche Solidarität auf eine harte Probe stellen. Ein raueres politisches Klima wird nachhaltige und europäische Politik erheblich erschweren.

Nachhaltigkeit statt »Zocker-Bashing«

Die zunehmende Schwäche Europas wird durch die Zukunftsschwäche der Demokratien genährt – also die mangelnden Anreize für Politiker, mittel- und langfristige Probleme wie ökologische und haushaltspolitische Nachhaltigkeit vorausschauend zu lösen. Diese Schwäche drückt sich in der furchterregenden Einigkeit aus, mit der die gesamte politische Klasse Europas den politischen Kurs auf »die Spekulanten« konzentriert, um vom politisch wenig ertragreichen Kernproblem der haushaltspolitischen Konsolidierung abzulenken. Ohne eine verantwortliche Führungsrolle Deutschlands erweist sich Europa gerade als brüchiger, als man bisher gemeinhin annahm. Hier liegt jetzt eine Aufgabe der Grünen.

Die Grünen haben umfassende Nachhaltigkeit immer im Sinne der Generationengerechtigkeit motiviert. Aber mit der Unterstützung einer allzu freigiebigen Griechenland-Hilfe verspielen sie gerade einen guten Ruf, der wesentlich für ihre Öffnung zur politischen Mitte ist – und überlassen der Regierung die politische Initiative. Die Herausforderung für grüne Politik – »grün« verstanden als eine besondere Verpflichtung zur Nachhaltigkeit im Sinne umfassender Generationengerechtigkeit – besteht darin, mitzuhelfen, die Voraussetzungen für eine geordnete Anpassung der wirtschaftlichen Verhältnisse an die neuen Realitäten zu schaffen sowie zu erhalten. Die Lösung kann daher nicht darin liegen, zusätzlich »die Nachfrage in Deutschland zu fördern«, wie einige europäische Regierungen dies tun, um der Wahrheit auf den Weltmärkten nicht ins Auge schauen zu müssen. Es geht vielmehr um die globale Wettbewerbsfähigkeit Europas.

Finanz- und europapolitische Glaubwürdigkeit wiedergewinnen

Es ist klarer zwischen der Rolle der Banken und der der Finanzmärkte zu differenzieren: Letztere sollten mit neuen Regeln weiter entwickelt werden, gerade um ein Gegengewicht zur dominanten Rolle der Großbanken zu schaffen. Wenn Josef Ackermann für die Deutsche Bank ein Renditeziel von 25 Prozent vorgibt, ist dies kein moralisches Problem, sondern ein wettbewerbspolitisches: Hier scheint der Markt zu versagen. Wir sollten daher nicht mit Steuern auf alles schießen, was sich bewegt: Eine Finanzmarktabgabe könnte kontraproduktiv sein, da sie die Banken weiter gegenüber den Finanzmärkten stärken würde; sie ist daher nicht als Steuerungs-, sondern als rein fiskalisches Instrument anzusehen. Wichtiger wäre es zu prüfen, woher diese Profitmargen kommen und wie diese Bereiche den Märkten erschlossen werden können. Weniger Marktmacht der Banken bedeutet auch weniger »Systemrelevanz« und weniger Erpressbarkeit des Staates.

Hinsichtlich der Einrichtung einer öffentlichen Rating-Agentur ist zu berücksichtigen, dass diese nur dann ernst zu nehmen ist, wenn sie keinerlei politischer Weisung unterliegt und damit von Mitgliedstaaten, EU und EZB unabhängig bleibt. Sinnvoller wäre es daher wohl eher, durch Regulierung der bestehenden Rating-Agenturen Interessenkonflikten zukünftig besser entgegenzuwirken. Und je besser die Märkte für Credit Default Swaps funktionieren, desto geringer wird die Rolle der Agenturen.

Eine weitere Diskussion über europäische Solidarität wird sich im Rahmen der jetzt beginnenden Verhandlungen zum EU-Finanzrahmen nach 2013 entfachen. Dabei sollte auch die Effektivität der europäischen Strukturfonds überprüft werden, denn nach der griechischen Krise ist wohl klar: Die Strukturfonds haben dieses Land nicht modernisiert, sondern notwendige gesellschaftliche Anpassungen verzögert. Es gilt, diese Mittel zukünftig besser gegen Mitnahmementalität abzusichern und die Hilfen für Reform- und Entwicklungsanreize statt für Infrastruktur zu nutzen. Ein weiterer Punkt ist die Abschaffung ungewollter Umverteilungseffekte in der Agrarpolitik zwischen den Mitgliedsstaaten. In beiden Politiken könnte daher unter anderem eine angemessenere Kofinanzierung seitens der Mitgliedsstaaten ein wichtiges Reformelement darstellen. Sie würde der nun auch an Europa gerichteten Sondererwartung entgegenkommen, ohne jedoch EU-Politken zu re-nationalisieren.

Solidarität und Solidität gehören zusammen. Nur mit diesem Gleichklang wird es gelingen, das Vertrauen der Bürger in die europäische Finanzpolitik wiederzugewinnen und europäische Solidarität auch für das nächste Jahrzehnt politisch zu sichern.

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 3/2010