Peter Schyga


Natürliche Ressourcen – das Akkumulationsregime in der Krise


Die Naturnutzungsbilanz verändert sich entscheidend




Was wir Wachstum nennen, ist der innere Zwang des Kapitals zur Akkumulation. Erhöhung der Arbeitsproduktivität ist die eine Seite, ständiger Hunger nach Land und Ressourcen die andere. In früheren Phasen des Kapitalismus waren immer noch Möglichkeiten der Ausdehnung gegeben. Aber die Erde und ihre Ressourcen sind begrenzt. Die aktuelle Krise ist, so unser Autor, auch Ausdruck näher rückender Ressourcengrenzen. In den Preisen der biotischen Rohstoffe, die zu den großen Spekulationsobjekten des Finanzregimes zählen, deutet sich diese Wende an.

Seit dem globalisierten fossil-energetischen Kapitalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts gibt es einen inneren Zusammenhang zwischen Finanz- und Wirtschaftskrisen und dem Hunger des akkumulierenden Kapitals nach Land und Ressourcen. Diese Verbindung ist so, weil »die Frage nach den sachlichen Elementen der Kapitalakkumulation, weit entfernt, durch die sachliche Gestalt des kapitalistisch produzierten Mehrwerts bereits gelöst zu sein, (sich) vielmehr verwandelt in eine ganz andere Frage: zur produktiven Verwendung des realisierten Mehrwerts ist erforderlich, dass das Kapital fortschreitend immer mehr den gesamten Erdball zu Verfügung hat, um in seinen Produktionsmitteln quantitativ und qualitativ unumschränkte Auswahl zu haben.«(1)

Im Folgenden werden strukturelle und materielle Gemeinsamkeiten zwischen den Phasen der Globalisierung des industriellen Finanzkapitalismus erörtert, um die neue Qualität gegenwärtiger Krisenprobleme zu diskutieren. Das Besondere von heute liegt darin, dass die gegenwärtige Krise Ausdruck der näherrückenden Ressourcengrenzen in einem begrenzten Umweltraum ist, der Zeithorizont ihrer profitablen Inwertsetzung sich im hochspekulativen Finanzregime und seiner Krisenhaftigkeit abbildet.

Ein Grund für das trotz Krisen und Kriegen säkular exponentielle Wachstum der Wirtschaft in den euroatlantischen Metropolen, das für uns zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, liegt im steten Sinken der industriestrategischen Rohstoffpreise für Energie, Erze und Nahrungsmittel. Die Preise der wichtigsten nicht biotischen Rohstoffe liegen heute bei dreißig Prozent des Niveaus von 1870. Dies ist nur zu einem Teil der Erhöhung der Arbeitsproduktivität geschuldet. Seinen Grund hat diese »günstige« Naturausbeutung auch in der Externalisierung ihrer Kosten aus Bilanzen und Preisen.

Diese Naturnutzungsbilanz verändert sich entscheidend. Ein erster kurzer Blick auf die Preisentwicklung eines strategischen Zukunftsrohstoffs soll diese Wende andeuten: Die SZ (9.4.10) berichtete unter der Überschrift »Rot ist die Hoffnung. In der Lausitz lagern Millionen Tonnen Kupfer…« ausführlich von Plänen, angesichts steigender Kupferpreise den Untertagebau dieses Metallerzes lohnend in Angriff nehmen zu wollen. Vom Jahr 2000 bis heute haben sich die Tonnenpreise für Kupfer von 2000 Euro auf 7800 Euro erhöht bei Spitzenwerten von 9000 Euro in den Jahren 2006 und 2008. Im Januar letzten Jahres berichtete die SZ (23.1.09) von einer Expedition der Bundesanstalt für Geowissenschaften in Hannover in den Pazifik. Manganknollen wurden dort in der Tiefsee geborgen in einem Meeresareal, so groß wie die Bundesländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein zusammen, für das sich die Bundesrepublik 2006 bei der Internationalen Seebodenbehörde in Jamaika die Nutzungsrechte gesichert hatte. Manganknollen enthalten Kupfer, Nickel und Kobalt in einer wesentlich höheren Konzentration als Erze an Land.

Dass sich Kupferabbau in der Lausitz lohnen werde, hängt mit der kalkulierten Preiserhöhung der Rohstoffe zusammen. Die Inbesitznahme und damit Inwertsetzung der Weltmeere zeigt darüber hinaus, dass die Endlichkeit von Natur unserer Erde irgendwie begriffen wird, allerdings nur so weit, dass der Zugriff auf ihre Schätze in unerreichbar scheinende Meeres- und Erdtiefen ausgedehnt wird.(2) Nachdem seit etwa der Jahrtausendwende klar ist, dass das arktische Meer bald eisfrei sein könnte, befassen sich Politik, Militär und Wirtschaft der Anrainerstaaten mit der Organisation der Vernutzung dieser Region, in der Mengen von Rohstoffen aller Art vermutet werden. Die Planungen sind konkret. Öffentlich wurden solche Ansprüche erst, seitdem im Arktischen Rat um Zugriff und Abbaurechte mit harten Bandagen gefeilscht wird. Die ersten Fonds zur Beschaffung von Kapital für diese Unterwasserbergbauunternehmen sammeln schon eifrig Geld. Lizenzen für die Schifffahrtsrouten der Eismeerpassage werden jedenfalls schon vergeben.

Die Nachfrage nach Kupfererzen und neuen industriestrategischen Metallen wird sich in der Informationstechnologie und besonders bei ölsubstituierender Energiegewinnung dramatisch steigern. Und das bei einer Recyclingrate von 80 Prozent bei diesem Metall. Keine Elektronik, keine Solaranlage, kein Windkraftwerk kommt ohne Kupfer aus. Während heute in einem normalen Auto 25 Kilo dieses Metalls verarbeitet sind, werden das bei einem Hybridauto 75 Kilogramm sein.(3) Für batteriegestützte elektromechanische Antriebssysteme werden neue Rohstoffe benötigt. Entsprechend sind findige Finanzjongleure auf dem Sprung: Lithium wird in hohen Mengen für Batterien gebraucht werden, und entsprechend legen weltweit Minenkonzerne Fonds von mittlerweile mehr als einer Milliarde US-Dollar auf, um große Rohstoffvorkommen in Argentinien, Serbien oder Nevada (USA) ausbeuten zu können, kleinere Projekte in China, Finnland, Mexiko und Kanada gar nicht mitberechnet. Die New York Times zitiert den Chef einer auf Lithiumindustrie spezialisierten Consultingfirma: »Eine Menge Leute werfen ihr Geld in diese Vorhaben und eine Menge werden ihr Geld verlieren.«(4) Goldgräbermentalitäten speisen diese Fonds, die sich wiederum aus anderen Fonds bedienen.

Jede große Krise des weltweiten Kapitalismus hatte bislang mit spekulativen Zugriffen auf Rohstoffe und Land dieser Erde zu tun. Sich bei der Deutung dieses Vorgangs auf eine klassische Analyse des »Imperialismus«, dabei Luxemburgs akribische Analyse von imperialer Politik verkürzend, zu stützen, erfolgt aus zwei Gründen: Erstens, über den ökonomischen Begriff der Akkumulation werden die wirtschaftlichen Triebkräfte einer weltexpansionistischen Bewegung von Kapital um Zugang zu Ressourcen erfasst. Zweitens, die kapitalexpansionistische Politik in der Zeit des »Hochimperialismus« ist mit dem global-ökonomischen Handeln der Gegenwart vergleichbar.

Gewiss »standen hinter diesen Expansionsprozessen ganz unterschiedliche Triebkräfte und Motive. … Unter Imperialismus lässt sich die Summe von Handlungen verstehen, die auf die Eroberung und den Erhalt eines Imperiums abzielen.«(5) Insofern gilt allgemein, dass Imperialismus einen »Stil von Politik kennzeichnet«, der auf vielfältige Weise auf Eroberung ausgelegt ist. Die Tatsache, dass sowohl in der Phase des »zweiten Zeitalters des Imperialismus« (1880–1918)(6) als auch in der gegenwärtigen Phase der Globalisierung neue politische Weltordnungen entstanden, wird hier »nur« unter dem Gesichtspunkt des veränderten Zugangs zu erwarteten sowie geschlossenen Märkten und Ressourcenvorkommen betrachtet.

Der Historiker Helmut Bley hat in einem kurzen Abriss zu historischen Krisen des Kapitalismus seit dem 19. Jahrhundert ihre Gemeinsamkeiten deutlich gemacht. »Das Kennzeichen des Beginns von Krisen, insbesondere wenn sie durch Bankpaniken ausgelöst werden, ist, dass sie auf dem Höhepunkt einer Wachstumsperiode ausbrechen, weil auf dem Höhepunkt des Wachstums die Spekulation auf mehr Wachstum durch kleinste Ungewissheiten ins Gegenteil umschlagen kann. Diese Erwartungen eines gesteigerten Wachstums sind aber nicht nur ein Phänomen der Bankenwelt, sondern auch des industriellen Bereiches. Weil die Hochindustrialisierung die Eisenbahn als integrierendes Transportmittel benötigte, war dies das große Investitionsfeld in Deutschland und in Amerika. Alles stürzte sich auf den Bahnbau und übertrieb. Man überschätzte das Wachstumstempo und geriet in Schwierigkeiten. Die Krisenperiode vollzog sich in einem besonderen weltpolitischen Kontext, der auch heute wieder relevant wird. Es bahnte sich die Ablösung einer führenden Wirtschaftsmacht durch erfolgreichere Konkurrenten an. Sowohl Deutschland als auch die USA waren damals die neuen aufsteigenden Industriegiganten. Sie waren dabei, Großbritannien in der Industrieproduktion zu überholen, wenn auch London noch Zentrum der Weltfinanz und des Welthandels blieb. Die großen Weltwirtschaftskrisen berühren damit nicht nur Fragen der Systemkorrekturen im Kapitalismus, sondern verschieben auch die weltpolitischen Gewichte, wenn auch oft mit Verzögerungen und schlimmstenfalls mit Kämpfen um die Hegemonie.«(7)

Die Gemeinsamkeiten – und damit kann man wohl sagen, ihr systemischer Charakter – großer Krisen zeigen sich in Spekulationsgeschäften während auslaufender Wachstumsphasen, zeichnen sich als Profitwetten auf die Zukunft aus und wirken in sich verändernden politischen und/oder ökonomischen globalen Kräfteverhältnissen. Die Weltwirtschaftskrise von 1874–1896 war gekennzeichnet von einer Umwälzung der Produktion, was sich in einer Verzehnfachung im Produktivitätsfortschritt ausdrückte. Das Bilanzvolumen deutscher Banken stieg von 1884 bis 1913 um das Fünffache. Was die Trustbildung in den USA darstellte, war die Kartellbildung in europäischen Ländern zur gleichen Zeit.(8)

Die Londoner City als zentraler konkurrenzloser Finanzplatz der Welt war um diese Zeit seit einem halben Jahrhundert nicht nur wichtigste Triebkraft des britischen Empires, sondern bediente auch die Kapitalbeschaffung anderer Globalisierungsakteure.(9) Neue Industrien wie die Chemie- und Elektroindustrie expandierten, technologische Innovation in »alten« Industrien wie der Eisenproduktion ermöglichten mit der Stahlerzeugung in hohen Qualitäten ganz neue Verwendungen dieses Produkts. Die Erfindung des Elektromotors, mit dem nun in jeder kleinen Werkstatt Maschinen angetrieben konnten, verallgemeinerte die Erhöhung der Produktivität der Arbeitkraft, eine Innovation, die sich strukturell durchaus mit der Erfindung des betrieblich genutzten Computers vergleichen lässt. Mit diesen Innovationsschüben(10) verlagerte sich die industrielle Dynamik von Großbritannien nach Deutschland und in die USA. Sie ist charakterisiert durch die Durchmechanisierung der Produktion in den führenden Volkswirtschaften, die Ablösung des individuellen Eigentümers durch angestellte Manager, die Bildung von über die Börsen finanzierten Aktiengesellschaften bei zunehmenden Konzentrationsprozessen in Kartell- und Monopolbildung.(11)

Multinationale Konzerne entstanden, die mit dem Vertrieb ihrer Waren und Markenzeichen in Zusammenarbeit mit »lokalen Partnern globale Vermarktungsnetzwerke gründeten. Vor allem dieser letzte Punkt war es, der den Formwechsel der industriellen Produktionsweise weltweit relevant machte. … Aus der reinen Industrie wurde nun Business, ein transnationaler Komplex geschäftlicher Steigerung, bei dem Industrieunternehmen stärker als zuvor mit Banken kooperierten und verflochten waren.«(12) Für die Expansion traditioneller Industrien und die Entwicklung neuer war der schier schrankenlose Zugang zu neuen Rohstoffen und Land unabdingbare Voraussetzung.

Die Zeit zwischen den Weltkriegen bildete in diesem Prozess als globalem eine Ausnahme. Durch die materiellen und politisch-sozialen Folgen des Krieges ging die Dynamik der weltweiten Produktion, des finanziellen und industriellen Welthandels zurück, während sich in der Landwirtschaft auf der Grundlage von Produktivitätssteigerungen eine massive Überproduktionskrise anbahnte. Die erneute Fixierung der Austauschverhältnisse auf den Goldstandard, die im Krieg aufgelöst worden war, verschaffte den USA als einziger Macht, die über hinreichend Goldreserven verfügte, Kontrolle über die Devisenwirtschaft. Der Goldstandard wurde zur Fessel weltwirtschaftlicher Entwicklung. Zugleich zeigte sich in der Agrarkrise und der ihr folgenden Weltwirtschaftskrise ab 1929 der andauernde globale Zusammenhang der Güter- und Kapitalmärkte. Die Wirtschaftpolitiken der Regionalisierung und Binnenmarktorientierung bei massiven staatlichen Interventionen beendeten zwar nicht die Weltwirtschaftsbeziehungen, doch sie beschränkten ihn.(13)

Die Nachkriegszeit bis in die Mitte der Siebzigerjahre bezeichnen Osterhammel/Petersson als »die halbierte Globalisierung. … Die Nachkriegszeit war weniger von Globalität geprägt als von einer Vielzahl sich überlagernder Handlungsräume und Handlungsketten von überstaatlicher Ausdehnung, aber weniger von globaler Reichweite. Diese waren in ihrer großen Mehrzahl Resultate politischer Entscheidungen über die zulässige Reichweite und Intensität übernationaler Verflechtungen.«(14) Es war die Zeit der politischen Teilung in Ost und West mit ihren Auswirkungen auf die Dritte Welt, die Zeit, in der dem akkumulierenden Zugriff von Kapital politische Grenzen gesetzt waren. Dennoch wuchs die Weltwirtschaft von 1948 bis 1958 um 5,1 Prozent, von 1958 bis 1970 um 6,6 Prozent. Der Welthandel entwickelte sich ähnlich wie vor 1914 schneller.(15) Handel und auch Produktion waren immer noch Domäne der euroatlantischen Metropolregionen. Diese Hochzeit des Fordismus, der Massenproduktion und Konsumtion in den industriekapitalistischen euroatlantischen Metropolen war international und regional (EWG) in politisch motivierte und kontrollierte Finanz- und Währungssysteme eingebunden. Diese wurden national flankiert durch Reglementierungen marktwirtschaftlicher Ordnungen, etwa im Luftfahrt- und Kommunikationswesen. Die ökonomische (halbierte) Globalisierung in dieser Phase entwickelte sich über Kapitalexporte und aus ihnen entspringenden multinationalen Industrie- und Finanzkonzernen.

In dieser Zeit wurde der Begriff Wachstum zum Zauberwort von Zukunftsentwürfen: Massenproduktion, Massenkonsum, Massenmedien repräsentierten dieses gesellschaftliche Projekt, in West und Ost und auch in Süd. Die Politik der Liberalisierung der Finanzmärkte, der Privatisierung von Staatseigentum, der Steuersenkung seit der Ära Reagan und Thatcher beschleunigte sich 1986 mit der Deregulierung der Londoner City, nebenbei ein Datum, an dem sich ein Wandel im sowjetischen Imperium anzubahnen schien. Aus multinationalen Konzernen wurden transnationale Unternehmen, bei denen die Verflechtung von Produktions- und Bankkapital kaum mehr in den Bilanzsalden auseinanderzuhalten ist. Neue Finanzmärkte und -produkte wurden kreiert, von staatlicher oder international institutionalisierter Kontrolle befreit, entstanden private Regulationsorganisationen.

Wir haben es also bei allen Diskontinuitäten der Entwicklung seit dem imperialen Zeitalter im kapitalistisch organisierten Teil der Welt mit einer fortschreitenden politischen, kulturellen und ökonomischen Durchdringung der Welt unter das Prinzip der kapitalistischen Akkumulation zu tun. Insofern haben Osterhammel/Petersson Recht: »Der Globalisierungsschub der 1980er- und 1990er-Jahre traf auf eine Welt, für die Globalität bereits seit Langem nichts Besonderes mehr war«, auch wenn »die weitverbreitete Empfindung, im ›Zeitalter der Globalisierung‹ zu leben, wohlbegründet«(16) sei.

Doch der neuerliche Globalisierungsimpuls seit den Neunzigerjahren des letzten Jahrhunderts hat eine andere, tiefere Dimension. Zum ersten Mal in der Geschichte des kapitalistischen Weltsystems stehen der sich vom Zentrum ausbreitenden Akkumulation keine politischen Schranken im Weg, scheinen Prozesse der Inwertsetzung grenzenlos. Diese scheinbare Grenzenlosigkeit bestimmt unsere Haltung zum Wachstum. Wachstum erhält seit den letzten Dekaden des vergangenen Jahrhunderts in den Metropolen der nachholenden Welt mit den Supertowers seine himmelstürmenden phallischen Symbole, in den zur Schau getragenen Geldbörsen der Reichen und Superreichen die Bilder manichäischer Verführungen. Dieses Wachstum ziert als Preis getarnt unsere Statistiken ebenso wie das neue Handy des Allgemeinmenschen oder auch das abgewrackte Auto und die Giftmülldeponie.

Seine anderen Realitäten manifestieren sich in anderen Formen: in Millionen rechtloser und armer Wanderarbeiter, Umweltflüchtlingen und Sklavenarbeitern auf der Welt, in Verwüstungen und Erosionen fruchtbarer Böden, in Energie verschleudernden Meerwasserentsalzungsanlagen bei millionenfachen durstigen Kehlen oder verseuchten Körpern.

Das Bruttoinlandsprodukt der Industrieländer hat sich in der Zeit nach 1990 bis heute stärker akkumuliert als in den vierzig Jahren von 1950 bis 1990. Und dass Wachstum in den BRIC-Ländern steigt seit 2000 in Dimensionen wie in den Metropolen 1970 bis 1980.(17) Hinter diesen abstrakten Zahlen wirtschaftlichen Wachstums und dem konkreten Konsum von Waren verbirgt sich die Vernutzung stofflichen und energetischen Reichtums der Natur. Dass das in unserer Welt der Preise kaum wahrgenommen wird, hat einen Grund in der Tatsache, dass sich die Zunahme der Naturausbeutung nicht – jedenfalls im säkularen Trend – in Preissteigerungen widerspiegelt.

Dieser Trend scheint nun jedoch gebrochen: Betrachtet man die letzten zehn Jahre, haben sich wesentliche Rohstoffpreise (siehe Tabelle Rohstoffpreisentwicklung) durchweg verdoppelt, eine Tendenz, die es seit 1870 nur zu den beiden Weltkriegen und während der beiden »Ölkrisen« gegeben hat.

Prognosen zu ökonomisch strategischen Rohstoffen jenseits einer Peak-Oil-Debatte gehen davon aus, dass sich diese Preisauftriebe verstetigen. Das ist ein Indiz für die Tatsache, dass die Fähigkeit der Natur, die Lasten unseres akkumulierenden Wirtschaftens zu für uns Menschen erträglichen Bedingungen zu schultern, an ihre Grenzen stößt. Das sagt uns nicht nur das Entropiegesetz der Thermodynamik, sondern es wird zunehmend konkret unser Leben bestimmen. Nicht überall in gleicher Weise. Das war noch nie so. Doch die Tatsache eines weltumspannenden Akkumulationsregimes wird zunehmend das Leben ohne der Entspannung der Entropieproduktionsrate dienenden Syntropieinseln begleiten.(18)

Das ist so, weil Wachstum sich in Akkumulation realisieren muss, niemals virtuell oder abstrakt sein kann, auch wenn uns das in Jahreswirtschaftberichten und Börsenmitteilungen suggeriert wird. Realisierung von Akkumulation meint die reale stofflich-energetische Erweiterung von kapitalistisch organisierter Produktion. Eine Form der Akkumulation, die bei aller Spekulation und allem Börsengeschacher Grundlage für den Expansionscharakter des Kapitalismus als Basis seiner Existenzform bleibt. Der Finanzier, der Spekulant oder Optionshändler sind notwendige figürliche Institutionen im System der Finanzierung von Akkumulationsfonds. Dass diese Einrichtungen und die in und für sie arbeitenden Menschen sich bereichern wollen, meinetwegen auch gierig sind, ist eine moralisch wohl verwerfliche Angelegenheit. Doch ihre Aufgabe ist es, dem tendenziellen Fall der Profitrate zu begegnen, Finanzmittel für die Produktivitätssteigerung in der »realen« Ökonomie zur Verfügung zu stellen.(19)

Reproduktion und erst recht Akkumulation kann nur funktionieren unter der Bedingung, dass gesamtgesellschaftlich ein Wertersatz und Stoffersatz stattfindet.

Die Besonderheit der gegenwärtigen Krise sind nicht die Spekulationsgeschäfte auf neue Inwertsetzungssphären, das Besondere sind die Dimensionen dieser Wetten und ihre hohe Verwundbarkeit. Diese liegt darin begründet, dass die Umwandlung von Geldkapital in produktives Kapital an die Grenzen der Naturproduktivität, wie wir sie als technische Effizienzsteigerung begreifen, stößt. Die Zeit um und nach 1990 nährte die Hoffnung auf eine noch nie da gewesene Möglichkeit der Inwertsetzung riesiger Gebiete der Erde. Das internationale Kapital hatte mit den Füßen gescharrt, um die halbe Welt, die nun für die Durchkapitalisierung offen schien, mit ihren Finanzmitteln zu erobern. Dazu waren große Kapitalmengen notwendig, die in unterschiedlichen Fonds und anderen Finanzprodukten zusammengetragen wurden.

Nur wenige Zahlen seien hier genannt: Die neu erfundenen Papiere von Finanzanlagen (Futures, Options, Swaps etc.) hatten 1993 ein weltweites Volumen von 14.000 Milliarden US-Dollar, 1987 waren es gerade mal 1300 Milliarden US-Dollar gewesen, noch nicht einmal ein Zehntel. In der Bundesrepublik wuchs der Nominalbetrag der sogenannten Finanzderivate von Mitte 1990 bis Mitte 1994 um jährlich 53 Prozent auf 5100 Milliarden DM, nicht gerechnet die traditionellen Devisentermingeschäfte in Höhe von 3100 Milliarden DM.(20) Alles Wetten auf eine Verwertung in der Zukunft, Wetten, die sich endemisch und exponentiell ausbreiteten. 2007 wurden an den Märkten Finanzprodukte in Höhe von 5500 Milliarden US-Dollar pro Tag umgesetzt. Die Weltproduktion wird mit etwa 130 Milliarden Dollar pro Tag und der Handel mit 30 Milliarden Dollar pro Tag angegeben.(21)

Diese Spekulationen, deren Geld weitgehend aus Rentenfonds gespeist ist, werden gemeinhin mit der geplatzten Immobilienblase in den USA in Verbindung gebracht. Doch dieses windige Geschäftsfeld – sowieso existiert die Immobilienblase von Singapur über Shanghai bis Dubai weiter – war eine Flucht sich für pfiffig haltender Finanzjongleure, als sich die Hoffnungen auf große Akkumulationsprofite zerstreuten. Denn entgegen den Erwartungen standen plötzlich Schilder vor den Rohstoff- und Absatzmärkten: Zutritt nur unter unserem Kommando! Die diese Hinweise anbrachten, waren die Oligarchen Russlands, die neuen Reichen und Parteikader Chinas, die Sozialpopulisten aus Südamerika und die Rohstoffwächter Arabiens.

Der weltweite Run auf neue und das heißt strategische Rohstoffe der Zukunft macht den zentralen ökonomischen Trend unserer Zeit aus. Das Vertrauen der Wirtschaft auf ein einfaches Substitutionsparadigma ihrer Wissenschaft, also die Gewissheit, Rohstoffe durch Kapital und Arbeit ersetzen zu können, schwindet.(22) Kriege um den Rohstoff Öl, gepaart mit den hohen politischen und technologischen Risiken bei der Erschließung neuer und Sicherung gegenwärtiger, hochriskanter Vorkommen drückt auf die Verzinsung von hergebrachten energetischen Rohstoffen. Hinzu kommt: Die Produkte des IT-Zeitalters und neue Mobilitätssysteme benötigen Rohstoffe, deren Erschließung und Ausbeutung immer weniger dem säkularen Trend des Prinzips der Externalisierung von Kosten genügen können. In einer Art Zwischenbericht zum laufenden Projekt »Materialeffizienz und Ressourcenschonung« des Wuppertal Instituts wird die »Hauptthese« vertreten, »dass die Verknappung der Natur (hinsichtlich Senken und Ressourcen) einen historisch beispiellosen ökonomischen Megatrend auslösen wird«.(23) In dem Papier wird auch dem Problem nachgegangen, dass die Dynamik von »GreenTech« und erneuerbaren Energien, sollten sie sich denn tatsächlich einstellen, »durchaus schon bald alarmierende Auswirkungen auf die Verfügbarkeit kritischer Metalle haben kann«.(24) Unter Verweis auf eine entsprechende Studie des Öko-Instituts(25) und andere Quellen wird unterstrichen, dass sich eine schwindende Verfügbarkeit von für technologische Innovations- und Zukunftstechnologiefelder notwendige Metalle einstellen wird und sich damit »Verknappungs- und Verfügbarkeitsprobleme ähnlich bedeutender Dimension wie beim Klimaproblem abzeichnen«.(26) Diese Hinweise sind bedeutsam, weil sie entgegen allzu gern behaupteten Prognosen über eine dematerialisierte Welt der Netzwerke und Dienstleistungen darauf verweisen, dass auch im Informations-, I-Pod- und Internetzeitalter der Zugriff auf knappe, weil endliche Ressourcen bei unseren ungebrochenen Wachstumsanstrengungen nichts von seiner zerstörerischen Dynamik verliert: »Weil eine Vielzahl ökologischer Probleme in diesem Missverhältnis zwischen der schieren stofflichen Größe der Wirtschaft und der regenerativen Kapazität der Natur wurzelt, liegt in der drastischen Steigerung der Ressourcenproduktivität und der Entkoppelung von Lebensqualität, Wirtschaftswachstum und Naturverbrauch eine Schlüsselaufgabe der weltweiten Entwicklungs-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik.«(27)

Vielfach wurde in den letzten Monaten zu Recht kritisiert, dass wir die Krise der Gegenwart zu wenig nutzen, um in der ökologisch-ökonomischen Debatte über den Umbau unseres akkumulierenden Industrie- und Konsumsystems voranzukommen. Ein Grund liegt darin, ökologische und wirtschaftliche Krisenerscheinungen zu scheiden und diese dann noch von der Finanzsphäre abzukoppeln. Ihren Zusammenhängen auf die Spur zu kommen, kann helfen, die Zukunft nicht schon verloren zu haben.

1
Rosa Luxemburg (1913): Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus, Berlin, S. 329. Hervorhebung P.S.
2
Um hier nur die wichtigsten zu nennen: Gallium, Palladium, Indium, Tellur, Lithium, Platin, Germanium. Ein Beispiel: Bei der gegenwärtigen Produktion von etwa einer Milliarde Handys pro Jahr werden 250 Tonnen Silber, 24 Tonnen Gold, 9 Tonnen Palladium und 9000 Tonnen Kupfer verbraucht.
3
Vgl. SZ, 9.4.10.
4
Vgl. NYT, 22.3.10.
5
Jürgen Osterhammel (2009): Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München, S. 620.
6
Ebd., S. 621.
7
Helmut Bley (2009): »Anmerkungen zu den historischen Krisen des Kapitalismus«, in: »Krisen ohne Ende? Zur Geschichte und den Ursachen kapitalistischer Krisen und möglichen Alternativen«. In: Kritische Interventionen 11, Hannover, S. 9–24, S. 14.
8
Vgl. Hans-Ulrich Wehler (1995): Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Dritter Band 1814–1914, München S. 620–661.
9
Vgl. Peter J. Cain, A. G. Hopkins (2001): British Imperialism, 2 Bände, London, Kapitel 3–4.
10
Auf die Veränderungen der betrieblichen Arbeitsorganisation und -verwaltung, den demografischen Wandel und die Städtebildung oder die Bildungsoffensiven kann hier nicht eingegangen werden.
11
Vgl. Werner Abelshauser (2006): »Von der industriellen Revolution zur Neuen Wirtschaft. Der Paradigmenwechsel im wirtschaftlichen Weltbild der Gegenwart«, in: Jürgen Osterhammel u. a. (Hrsg.): Wege der Gesellschaftsgeschichte, Göttingen, S. 201–218.
12
Jürgen Osterhammel (2009): Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München, S. 925–926.
13
Vgl. Wolfram Fischer (1998): »Weltwirtschaftliche Rahmenbedingungen für die ökonomische und politische Entwicklung Europas 1919–1939«, in: ders.: Expansion, Integration, Globalisierung. Studien zur Geschichte der Weltwirtschaft, Göttingen, S. 166–182.
14
Jürgen Osterhammel, Niels Petersson (2006): Geschichte der Globalisierung. Dimensionen, Prozesse, Epochen, München, S. 86–87.
15
Vgl. ebd., S. 93.
16
Ebd., S. 109, 108.
17
Aus: Alain Gresh u. a. (Hrsg.) (2009): Atlas der Globalisierung, Berlin, S. 12.
18
Zu den »Grenzen« vgl.: Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (2005): Fair Future. Begrenzte Ressourcen und globale Gerechtigkeit, München, S. 30–44; zur Entropie und Ressourcen vgl. meinen Vortrag: »Die Weltwirtschaftskrise – ein Signal begrenzter Ressourcen« beim Forum offene Wissenschaft der Universität Bielefeld v. 26.4.10; pdf auf www.kliopes u. die dort aufgeführten Beiträge zum Thema.
19
Vgl. Elmar Altvater (2005): Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen. Eine radikale Kapitalismuskritik, Münster, insbes. S. 63, 64 ff.
20
Vgl. Elmar Altvater: »Die Arbeitsgesellschaft vor den Herausforderungen von Geld und Natur«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B15/95, 7.4.95, Bonn, S. 16–24.
21
Vgl. Alain Gresh u. a. (Hrsg.) (2009): Atlas der Globalisierung, Berlin, S. 46–47.
22
Näheres zum Solowschen Substitutionsparadigma vgl. Peter Schyga: »Natur in der politischen Ökonomie. Über die Notwendigkeit einer entropiekonformen politischen Regulierung«, in: Kommune 3/06, S. 78–82.
23
Peter Hennicke (2010): »Ressourcen- und Klimaschutz: Ökologischer Imperativ und ökonomischer Megatrend«, www.memo uni-bremen.de/sonst/index … 30.3.10, S. 1.
24
Ebd., S. 12.
25
Öko-Institut (2009): »Critical Metals for Sustainable Technologies and Their Recycling Potential«.
26
Peter Hennicke(2010): »Ressourcen- und Klimaschutz: Ökologischer Imperativ und ökonomischer Megatrend«, www.memo uni-bremen.de/sonst/index … 30.3.10, S. 13. Vgl. die dort zitierte Literatur zu den »neuen« Bodenschätzen.
27
Ebd.; Hervorhebung v. Autor. – Dieses Papier diskutiert dann ziemlich ausführlich das »Globalziel: Entkoppelung durch Steigerung der Ressourceneffizienz« und entwickelt reformerische Vorschläge zu deren Umsetzung. Dabei taucht eine tiefe Diskrepanz zwischen Analyse und Politikvorschlägen auf. Wenn die Studie erschienen ist, wird sie eine wichtige Basis für eine solche Debatte sein.

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 3/2010