Die serbische
Politik bewegt sich in einem unlösbaren Widerspruch: Man möchte nach Europa,
aber Europa soll sich aus Serbien heraushalten. Auch die vor einem Jahr
gewählte Regierung scheint sich den vorherrschenden nationalistischen Mustern
anzupassen. Am Auftreten Serbiens gegenüber seinen Nachbarn Kosovo, Kroatien,
Montenegro und Bosnien-Herzegowina hat sich wenig geändert. Serbien bleibt der
Unsicherheitsfaktor im Westbalkan.
Am 12. März
dieses Jahres, dem 6. Todestag des ermordeten serbischen Ministerpräsidenten
Zoran Djindjic, wandte sich im serbischen Parlament die Abgeordnete der
Serbischen Radikalen Partei (SRS) Gordana Pop-Lazic mit folgenden Worten an das
Plenum: »Ich nütze die Gelegenheit, um General Ratko Mladic zum Geburtstag zu
gratulieren. Ich wünsche ihm gute Gesundheit, dass Gott ihn schütze und dass er
niemals in die Hände jener falle, die wir Terroristen an der Macht nennen
können«. Einzig die Kolumnistin der Belgrader Tageszeitung Danas, Natasa
B. Odalovic, reagierte darauf und zeigte sich besonders davon irritiert, dass
der Staatsanwalt, der zum gleichen Zeitpunkt behauptete, Mladic werde »bis zum
Jahresende« (sic!) verhaftet, keinen Handlungsbedarf sieht, wenn jemand mitten
im Parlament die Regierung als terroristisch verunglimpft, weil sie
Bereitschaft zeigt, diesen Kriegsverbrecher zu verfolgen. Darin liegt etwas
Symbolhaftes für das heutige Serbien: einerseits ungehemmter, geduldeter
Extremismus ultranationalistischer Prägung und schockierende
Menschenverachtung, andererseits individueller Mut zur freien Rede, Wachsamkeit
gegenüber moralisch verwerflichen Auswüchsen, Engagement für
zivilgesellschaftliche Werte.
Im gegenwärtigen
Serbien steht die Stagnation der demokratischen Entwicklung und ihrer Ursachen
im Zentrum. Dazu gehört insbesondere das Profil der DS, der Demokratischen
Partei, die seit einem Jahr die Regierungskoalition anführt. Sie wird
wesentlich davon geprägt, dass ihr Vorsitzender Boris Tadic zugleich Präsident
Serbiens ist und auch die Regierung unübersehbar stark beeinflusst. Mit der
Politik der DS seit den verheißungsvollen Wahlen 2008 verbindet sich die meiste
Enttäuschung im bürgerlichen Lager, also unter den DS-Wählern, die mit ihrer
Stimme einer klaren europäischen Perspektive zum Durchbruch verhelfen wollten.
Doch die proeuropäische Politik ist nur deklarativ geblieben, sie ist mit
keinen entsprechenden Handlungen verknüpft worden. Wirklich überraschen kann
das nicht; Tadic und seine diversen Statthalter haben diese »proeuropäische«
Politik vom Start weg an eine ideologisch illusorische Vorgabe geheftet,
nämlich an der Zielsetzung der Behauptung der Souveränität über Kosovo. Seitdem
beherrscht das Mantra »Sowohl Europa als auch Kosovo« die gesamte Politik und
Realität, wobei in Sachen »Kosovo« fast die ganze Energie des Präsidenten und
anderer Politiker (aber auch der Medien und Scharen von Intellektuellen) absorbiert
wird. Das hat tiefgreifend negative Konsequenzen für die Gesellschaft. Denn
dieser irreale Aktivismus überdeckt nur die Lähmung, die durch Unabhängigkeit
und internationale Anerkennung des Kosovo ausgelöst wurde, und offenbart
zugleich eine frappierende Beschränktheit und Lernunfähigkeit der serbischen
Machtelite. Neulich formulierte jemand treffend im legendären Belgrader
Radioprogramm Pescanik (Sanduhr): Die einzigen außenpolitischen
?Erfolge? des Landes seien solche à la »Uganda erkennt Kosovo nicht an«.
Was
Außenstehenden den Blick schärft, sind die Beobachtungen der engagierten
serbischen Intellektuellen und Aktivisten verschiedener Menschenrechtsgruppen,
die mehr oder minder nahe dem schon genannten Radioprogramm stehen und dort
regelmäßig (ein wenig auch auf anderen Foren) die Gelegenheit bekommen, ihre
politisch scharfsinnigen Analysen der gesellschaftlichen und politischen
Wirklichkeit vorzubringen. (Vgl: »Serbian debates«, Bosnian Institute,
www.bosnia.org.uk/news)
Serbiens
Kalter Krieg gegen das Kosovo
Das
Beleidigtsein wegen Kosovos Unabhängigkeit wird ostentativ zur Schau getragen,
oft begleitet von anmaßenden Forderungen, etwa den Gastgebern verschiedener
internationaler Konferenzen gegenüber, die Vertreter des Kosovo auszuladen. Das
ist die Fortsetzung einer konfrontativen Politik und ihre Ausdehnung auf alle,
die in der Unabhängigkeit des Kosovo eine Lösung und kein Problem sehen, also
auf Länder, die das Kosovo anerkannt haben und es diplomatisch entsprechend
behandeln. Ihnen gegenüber ? also Kroatien, Mazedonien, Montenegro ? geht
Serbien mit der Ausweisung ihrer Botschafter vor und zieht den eigenen
Botschafter aus diesen Ländern zurück, wie von der Regierung Kostunica im
Frühjahr 2008 umgehend verfügt und von der gegenwärtigen Regierung nicht in
vollem Maße aufgehoben wurde.
Selbstverständlich
unterstützt Belgrad im Nordkosovo noch immer alle Aktivitäten, die das
unabhängige Kosovo in Frage stellen oder untergraben, auch wenn es um Proteste
der Serben in der geteilten Stadt Mitrovica geht, die keine Stromrechnungen an
die kosovarische Stromversorgung bezahlen wollen ? denn: das käme einer
Anerkennung der kosovarischen Institutionen und somit indirekt der
Unabhängigkeit gleich ?, um dann Massenproteste zu organisieren, wenn ihnen der
Strom abgeschaltet wird. Obwohl es dabei in der Regel ziemlich gewaltsam
zuging, fand in Belgrad, das offiziell die politischen Ziele »ausschließlich
mit friedlichen Mitteln« erreichen will, niemand klare Worte der Verurteilung
dieses Verhaltens.
Präsident Tadic
versucht auch immer wieder, die Souveränität über das Kosovo durch sinnlose
Akte und Reden zu demonstrieren. Mit immer neuen Ausreden und unfeinen Tricks
wird die Einsetzung sowie das Funktionieren und die Legitimität des sogenannten
Eulex untergraben, also jener EU-Rechtsstaatsmission in Kosovo, die als
einmalige Institution extra dafür geschaffen wurde, die Wahrung der Rechte der
Serben (und anderer Minderheiten) nach der Unabhängigkeit zu überwachen.
Zum serbischen
Kampf für das Kosovo zählt das Ausstellen von internationalen Haftbefehlen
gegenüber prominenten Personen wegen Vorwürfen von Kriegsverbrechen ? besonders
oft trifft es den früheren kosovarischen Premier Agim Ceku, der schon mehrmals
aufgrund eines von Interpol vermittelten serbischen Haftbefehls im Ausland
festgenommen worden war. Serbien versucht weiter, in diversen wichtigen
internationalen Organisationen die Aufnahme Kosovos zu verhindern.
Charakteristisch sind die Beispiele Weltbank und Internationaler Währungsfonds
(IWF). In die letztere Organisation wurde Kosovo Ende Juni und in die erstere
im Mai aufgenommen. In beiden Fällen überschlugen sich diverse serbische
Politiker und die Medien mit Einschätzungen, dass dies nie passieren würde; man
habe gute Arbeit geleistet, um eine Aufnahme zu verhindern. Die anderslautende
Nachricht war dann gleichsam im Kleingedruckten zu lesen. »Erfolge« ? etwa in
der FIFA ? werden als Triumphe gefeiert.
Wie sehr sich
Serbien dadurch selbst schädigt, müsste allen spätestens klar geworden sein,
als nach monatelangen Bemühungen das wichtigste Ziel der Koalitionsregierung
noch immer in der Schwebe ist: die Erreichung der Befreiung von der
Visumpflicht für den Schengener Raum. Länder, die das anstreben, müssen hohe
Anforderungen überwinden. Mazedonien etwa ist diesem Ziel erheblich näher als
Serbien (vgl. FAZ, 10.7.09). Eine der wichtigsten Bedingungen stellen
die fälschungssicheren biometrischen Pässe dar. Die Anfertigung dieser neuen
Pässe hat in Serbien, wohlwollend ausgedrückt, nicht auf Anhieb geklappt. Über
die Schwierigkeiten kann nur gemutmaßt werden. Die Sache wird fast wie ein
Staatsgeheimnis behandelt. Der junge liberale Politiker Ceda Jovanovic erzählte
indes, er habe zwar einen neuen Pass ? doch entspräche dieser nicht allen
Anforderungen und sei nicht identisch mit den Blaupausen, die der EU-Kommission
vorgelegt und von ihr abgenommen wurden. Über den genauen Stand der Dinge
wusste Jovanovic ? immerhin ein Abgeordneter im serbischen Parlament ? nichts
zu berichten. Ärgerlich für Belgrad ist es freilich, dass die
Erweiterungskommission zuverlässige Garantien verlangt, keine serbischen Pässe
für die Bürger Kosovos auszustellen, womit Belgrad praktisch zugeben müsste,
dass die Kosovaren keine Staatsbürger Serbiens sind. Klar und deutlich wagt
niemand in Belgrad diesen eklatanten Widerspruch und seine Konsequenzen zu
benennen; stattdessen wird gleichzeitig mit dem Bestreben nach der
Visumfreiheit eine massive Kampagne entfacht, die die Serben im Kosovo von den
bevorstehenden Kommunalwahlen abhalten soll. Es ist reine Obstruktionspolitik,
die natürlich den dort lebenden Serben nur schaden kann; und so zeigt sich
erneut: Belgrad instrumentalisiert die Kosovo-Serben der »Diaspora« so ähnlich,
wie es Milosevic mit den kroatischen Serben in den Neunzigerjahren versuchte.
Ein Fall für
sich ist Montenegro, dessen Abtrennung von der serbischen »Matrix« niemand
verkraftet hat geschweige denn begriffen. Als Montenegro es »wagte«, Kosovo
anzuerkennen, waren die Reaktionen Belgrads besonders heftig. Der vorsichtige
Versuch, diplomatische Beziehungen aufzubauen, wurde jäh unterbrochen; Belgrad
warf die montenegrinische Botschafterin auf besonders gehässige Weise aus dem
Land. Die Frage der montenegrinischen diplomatischen Vertretung ist noch im
Sommer 2009 offen. Belgrad hat die frühere ? und nach montenegrinischem Wunsch
auch zukünftige ? Botschafterin zur persona non grata erklärt.
Auch die
diplomatischen Beziehungen zu anderen Nachbarstaaten liegen in Trümmern.
Einiges wird oberflächlich geglättet, aber der jetzige serbische Außenminister
Vuk Jeremic, ein Protegé des Präsidenten, ist kein Freund unumwundenen
Sprechens. Sogar die westlichen Diplomaten und Politiker, die so unendlich viel
Geduld mit serbischen Akteuren haben, hat er mit seinen Anmaßungen und seiner
Arroganz gegen sich aufgebracht. Vor einem Jahr gab es einen bezeichnenden
Vorfall. Auf der Konferenz der Adriatisch-Ionischen Initiative in Zagreb, deren
Vorsitz Kroatien hatte, tat sich der junge Außenminister mit folgenden
Bemerkungen hervor: Kroatien und Serbien sollten die Annäherung der Region an
die EU anführen und die Tragödien wie die Zerstörung von Vukovar und die
ethnische Säuberung von mehr als einer Viertel Million kroatischer Serben
während der »Oluja« (der Rückeroberung der Krajina im Sommer 1995) hinter sich
lassen. Das war ein Skandal, den Kroatien nicht unbeantwortet ließ.
Bei dieser
Initiative handelt es sich um einen Zusammenschluss der Anrainer beider Meere,
also Albanien, Bosnien-Herzegowina, Griechenland, Italien, Montenegro und
Slowenien zwecks vorwiegend wirtschaftlicher Zusammenarbeit. Es ist nicht ganz
unlogisch, aber auch nicht so selbstverständlich, ein reines Binnenland wie
Serbien daran zu beteiligen ? als Transitland zwischen den Anrainern macht es
einen gewissen Sinn. Doch für den serbischen Außenminister ist etwas anderes
gar nicht vorstellbar. Hier geht es um konkrete Vorkehrungen für die
Zusammenarbeit in Wirtschaft, Tourismus, Verkehr, Ökologie, Koordination für
effizientere Feuerbekämpfung ? doch der naturwissenschaftlich talentierte
Nationalist aus Belgrad mit einem Diplom aus Cambridge erkennt: gute
Koordination und Organisation, Fortschritte, fein; allemal klar ist, dass wir
die größten sind. Also sagt er sich: Wir müssen die Region anführen. Ergo
schlage ich eine versöhnliche Formel vor: Serbien und Kroatien sollen
den Annäherungsprozess an die EU anführen. Damit diese Kroaten sich aber nichts
einbilden ? haben die sich doch erdreistet, Kosovo anzuerkennen und sogar deren
Klage wegen Genozids gegen uns ist vom Internationalen Strafgerichtshof gerade
zugelassen worden ?, bezichtige ich sie der ethnischen Säuberung an meinen
Landsleuten, verbinde das mit einem Hinweis auf die Tragödie von Vukovar und
mit der Forderung, die Vergangenheit endlich mal ruhen zu lassen. Diplomatische
Formulierungen sind nicht seine Sache, dafür aber repräsentiert er die
ungeschminkte Wahrheit seines Landes: So wie er denkt dort die Mehrheit.
Die Obsession,
dass Serbien die führende Kraft »in der Region« sein soll, kennt keine Grenzen.
Dass Serbien in dieser »Region« das größte Land ist, ist wahr und das eine; das
andere aber ist, dass es im Vergleich am unteren Ende der Entwicklung und
Reformanstrengung steckt zusammen mit Bosnien-Herzegowina. Oder anders gesagt: es
findet sich kein Bereich, in dem Serbien vergleichsweise vorne liegt; ob
Wirtschaft oder Zivilgesellschaft, Justiz oder Verwaltung, Bildung oder Medien
? überall hinkt Serbien im Vergleich zu anderen Transitionsländern hinterher.
Wie kommt man dann auf die Idee, dass dieses bankrotte Serbien mit der
brachliegenden Industrie, ramponierten Bahnen, ohne moderne Infrastruktur und
Straßennetz, mit Defiziten an allen Ecken und Enden, einer zutiefst
korrumpierten Justiz und Verwaltung, mit einer lügenhaften und aggressiv
propagandistischen Medienlandschaft und ohne ausgebaute internationale
Vernetzung eine führende Rolle spielen sollte?
Unter diesem
Anspruch ist wohl etwas anderes gemeint. Im Grunde gibt es keine realen Gründe
für diesen Anspruch, er ist an sich eine Art politische Realität und somit
Herausforderung für die Nachbarn. Wie Moskau in »seinem Raum« beansprucht auch
Belgrad ein Sonderrecht in Bezug auf die Nachfolgestaaten der einstigen
Föderation.
Richtig
bedrohlich wirkt sich diese Haltung in Bosnien-Herzegowina aus, weil Belgrad
und Banja Luka eine gemeinsame Politik der schleichenden Zerstörung des
bosnischen Staates betreiben. Dabei gibt es nur einen kleinen rhetorischen
Unterschied. Die offizielle Sprachregelung des serbischen Präsidenten lautet:
»Wir erkennen ? wahlweise respektieren ? den einheitlichen Staat
Bosnien-Herzegowina an.« Die negativen, diesen Staat negierenden Äußerungen des
Herrschers der »Republika Srpska«, Milorad Dodik, sind Legion. Die Handlungen
Belgrads stehen im Widerspruch zur dort verlautbarten Position, die Dodiks in
völligem Einklang mit seiner verbalen Politik.
Von unzähligen
Skandalen beschränke ich mich auf solche aktuellen Ereignisse, die über die
Region hinaus auch im Ausland erwähnenswert sind. Es geht um den lange Zeit
latenten, nun sich seit Wochen zuspitzenden Konflikt der politischen Führung
der bosnischen Serben mit dem (neuen) Hohen Repräsentanten der
Staatengemeinschaft, Valentin Inzko. Dessen Kern ist die Ablehnung des
bosnischen Staates durch die bosnischen Serben und die vielfältige
Unterstützung Belgrads für Banja Luka in dieser Haltung. Dagegen ist es die
Hauptfunktion des internationalen Hohen Repräsentanten, dafür zu stehen, dass
die beiden Teile des Landes ? also Republika Srpska und die
(bosniakisch-kroatische) Föderation ? zusammenbleiben. Der jüngste Vertreter
der Staatengemeinschaft, der Österreicher Valentin Inzko, scheint erstmals
diese Funktion offen und offensiv auszuüben.
Man hat Dodik
freilich viel zu lange gewähren lassen, nur um häppchenweise von ihm
»Zugeständnisse« zu bekommen. Immer nur nach jahrelangem, zähem Ringen konnte
man aus Banja Luka Zugeständnisse bei der Implementierung notwendigster ? im
Dayton-Vertrag im Prinzip vorgesehener ? Regeln für das Funktionieren des
gemeinsamen Staates bekommen. So ging es auch zuletzt bei Reformmaßnahmen, die
ein bisschen die zentralstaatlichen Befugnisse stärken sollten, was wiederum zu
den allernotwendigsten Bedingungen für einen Annäherungsprozess an die EU
gehört. Im vergangenen Mai beschloss das Parlament in Banja Luka, die
Befugnisse, welche dieser Landesteil bisher an die gesamtstaatlichen
Institutionen übertragen hat, wieder rückgängig zu machen. Es verabschiedete
eine Resolution, die den Hohen Repräsentanten in provokativem Ton aufforderte,
seine umfassenden Vollmachten nicht länger auszuüben und entsprechende
Entscheide seiner Vorgänger zu annullieren. Nach einigem Hin und Her setzte
Inzko per Dekret diese Entscheidungen außer Kraft. Viele Beobachter sind sich
einig, dass dieser Kraftakt des Hohen Repräsentanten gegen den Widerstand der
EU ohne eindeutige Unterstützungssignale der Amerikaner nicht möglich gewesen
wäre (vgl. NZZ online, 21.6.).
Dodik nahm es
gelassen hin und zeigte deutlich, dass für ihn die Annullierung der
Entscheidungen seines Parlaments keine Gültigkeit hat. Das besagt, dass das
Kräftemessen weitergeht und die Glaubwürdigkeit von Inzkos Amt weiterhin
gefährdet ist. Konkret hat Dodik schon kundgetan, dass er für die Ermittlungen
der Sarajevoer Justizbehörden, die gegen den Premier der RS wegen Veruntreuung
beim Bau des riesigen Regierungskomplexes ermittelt, nicht zur Verfügung steht.
Was macht aber
Serbien angesichts dieser katastrophalen Lage im Nachbarstaat? Unmittelbar
nachdem Inzko seine Entscheidung verkündete, traf der serbische Präsident Tadic
in Banja Luka ein und kommentierte die Annullierung der Parlamentsentscheidung:
»Jeder, der Interesse an der Stabilität des Westbalkans und somit auch
Bosnien-Herzegowinas hat, will die Situation vermeiden, in der die legitimen
Entscheidungen der Bürgervertreter aufgehoben werden.« So übermittelt durch den
Belgrader Publizisten Ivan Torov, der meinte, dass sich Tadic damit eindeutig
auf die Seite Dodiks schlug (Pescanik, 27.6.09.). Und das heißt auch
gegen die EU, gegen die Vertreter der Staatengemeinschaft und natürlich gegen
den bosnischen Staat. Belgrad hat sich noch nie anders positioniert, genauer:
Partei für den einheitlichen Staat gegen seine bosnisch-serbischen Zerstörer
ergriffen, wie dies etwa der kroatische Präsident Mesic tat und tut. Vielmehr
hat der serbische Außenminister neuerlich seine diplomatische Funktion auch auf
die RS ausgeweitet und verteidigt in jedem Interview, das er im Ausland geben
kann, die Position von Dodik, wobei er sowohl die Staatlichkeit von
Bosnien-Herzegowina wie auch die Position des Hohen Repräsentanten infrage
stellt.
Mit diesem grob
umrissenen Befund dürfte zumindest klar sein, was gegenüber Serbien zu tun ist:
Zur obersten Bedingung für die Beendigung seiner internationalen Isolation
sollte eine nachweislich konstruktive Politik Belgrads gegenüber
Bosnien-Herzegowina gemacht werden, die den Zusammenhalt des staatlichen
Gefüges fördert. Wenn der serbische Präsident in einem für das Land so prekären
Moment in großem Bogen an Sarajevo vorbei in Banja Luka den Herausforderer
Dodik im Streit mit dem Beauftragten der Staatengemeinschaft unterstützt, dann
ist das natürlich das Gegenteil einer proaktiven Bosnienpolitik ? auch wenn
Javier Solana davon nichts merkt und in Belgrad Lobeshymnen über winzig kleine
Fortschritte Serbiens auf dem Weg nach Europa anstimmt. Man kann nur hoffen,
dass Solanas Nachfolger von einem anderen Kaliber sein wird. Zuversichtlicher
stimmt da die sich abzeichnende Qualität der neuen amerikanischen Außenpolitik;
in Washington scheint man schon begriffen zu haben, dass die Politik des
»Karottenfütterns« keine zufriedenstellenden Resultate bringt. Was jetzt nottut
ist, Belgrad klarzumachen, dass, solange es die jetzige politische Garnitur in
Banja Luka unterstützt, alle Türen geschlossen bleiben werden. Das jedoch
könnte nur Washington tun.