Werner Polster
Wirtschaftskrise
Aus der Deflation führt
nur die Inflation
Die Krise ist da. Dass die Stimmung dennoch weit besser
ist als die reale Lage, ist eine geradezu lächerliche Untertreibung. Jenseits
der Vorstellung einer gesteuerten Krisenverdrängung steht nur eines felsenfest:
Ab dem 28. September hat es mit der nonchalanten Stimmung ein Ende. Am Tag nach
der Wahl wird in Deutschland gerechnet. Die dann zusammengestellten Rechnungen
werden gegenwärtig vorbereitet. Wirtschaftspolitisch steht neben einer neuen
Finanzmarkt- Architektur der Disput um Inflation und Deflation und ihre Rolle
als Krisengefahr im Mittelpunkt. In diesem Kontext wird auch das Thema der
Staatsverschuldung nach vorne geschoben.
Die Dramatisierung der Staatsverschuldung
Das Pendel der
Einschätzungen neigt sich im Sommer dem Pol zu, dass es doch nicht ganz so
schlimm kommen wird wie 1929?1933. Doch mit mutmaßlich minus sechs Prozent wird
die tiefste Wirtschaftskrise nach dem Zweiten Weltkrieg ein nie dagewesenes
Loch in das Sozialprodukt der Bundesrepublik reißen. Doch ist der zentrale
politische Parameter, über den in Deutschland die Bevölkerung in Hinblick auf
die Wahlen politisiert wird, gleichwohl die Staatsverschuldung.
Nachdem man zu Beginn der
Krise den »Brüning-Reflex«, als wirtschaftspolitischer Instinkt tief in der
deutschen wirtschaftspolitischen Seele eingelagert, nur unter Aufbietung allen
Drucks von außen und brutaler Selbstüberwindung unter Kontrolle halten konnte,
verschafft man sich jetzt Luft und findet wieder den Grundton von
Bescheidenheit und Sparen. Die durchaus beachtlichen staatlichen
Rettungsprogramme, finanziert über eine nicht vorgesehene Erhöhung der
Netto-Kreditaufnahme, wurden nur sehr zähneknirschend auf den Weg gebracht. Nur
unter großen Schmerzen musste man sich von dem Ziel des ausgeglichenen
Staatshaushalts, das man gerade erreicht zu haben glaubte, verabschieden. Aber
es kamen Zeit und Rat.
Jetzt wird das wunderliche
Schauspiel aufgeführt, in welchem aus dem allein noch handlungsfähigen Akteur,
der die Wirtschaft, die reale wie die monetäre, vor dem freien Fall in den Abgrund
bewahrt hat, also dem Staat, der Schurke gemacht wird, der mal wieder nicht
haushalten konnte. In allen Facetten wird von dem politischen Mainstream eine
verantwortungslose Dramatisierung der Staatsverschuldung betrieben, die die
realen Verhältnisse auf den Kopf stellt. Nichts ist zu dumm, als dass es nicht
in die Welt gesetzt werden könnte. Grelle Inflationsgefahren, gigantische
Löcher in den Rentenkassen und am Hungertuch nagende zukünftige Generationen
werden auf die Bühne geführt. Was erst wird in den Wochen nach dem 27.
September sein?
Der Blick in die Realität
zeigt indessen, dass nicht ansatzweise Anlass für Alarmismus besteht. Einige
Fakten zur Verschuldungsfrage anhand der beiden Maastricht-Größen Staatsschuld
in Bezug auf BIP und Nettokreditaufnahme pro Jahr am BIP:
? Nach dem Zweiten Weltkrieg
war eine ganze Reihe von Staaten extrem verschuldet, mit Quoten von weit über
100 Prozent des Sozialprodukts. Dabei sind diese Zahlen mit den heutigen gar
nicht zu vergleichen, da das Sozialprodukt durch die Kriegsgeschehnisse ohnehin
am Boden lag, sodass die Verschuldung, verglichen mit der Gegenwart, noch viel
höher lag. Die wirtschaftliche Entwicklung der Fünfziger- und Sechzigerjahre
zeigte dann den Weg, über den ein Abbau der Schulden erfolgt: den Wachstumspfad.
? Das Defizit im
US-amerikanischen Bundeshaushalt wird im Jahr 2009 auf 13 Prozent des BIP
geschätzt. In Deutschland würden solche Zahlen unter Finanzpolitikern zu
kollektiven Nervenzusammenbrüchen führen. In den USA regt sich kein Mensch darüber
auf, da allen Beteiligten klar war und ist, dass eine katastrophische
Wirtschaftsentwicklung verhindert werden muss.
? Für Japan gilt seit Jahren
eine Verschuldungsquote von 170 Prozent des BIP, wieder eine solche Größe für
deutsche Nervenzusammenbrüche. Im Übrigen: Weit und breit ist in Japan von
Inflation nichts zu sehen, im Gegenteil, die Japaner sehnen sich förmlich seit
Jahren nach Inflationserscheinungen.
? Die Schuldenstandsquote im
Euro-Raum wird von 66 Prozent im Jahr 2007 auf 95 Prozent im Jahr 2015
zunehmen. Fast alle Euro- und EU-Staaten werden die im Stabilitätspakt
vorgesehene Größe der jährlichen Netto-Kreditaufnahme von drei Prozent
überschreiten. Frankreich hat deshalb mit Blick auf den Stabilitätspakt den
sinnvollen Vorschlag unterbreitet, die jetzigen schuldenbasierten
Krisenbekämpfungsprogramme »herauszurechnen«, damit keine Defizitverfahren, die
für 13 der 16 Euro-Staaten anstünden, angestrengt werden. Die deutschen
Gralshüter haben mutig abgelehnt. ? Der Stabilitätspakt wird sich in den
nächsten Jahren immer mehr als Farce entpuppen, als Anachronismus, ohne jeden
wirtschaftspolitischen Sinn.
Den Vogel haben allerdings
die Deutschen mit ihrer gerade im Grundgesetz ? dem Nibelungenschatz gleich ?
verankerten »Schuldenbremse« abgeschossen. Danach soll der Bund vom Jahr 2016
an in »normalen Zeiten« die Nettokreditaufnahme auf 0,35 Prozent des BIP
begrenzen. Das zielt auf den europäischen Stabilitätspakt, den Europäern ? mit
ihren lächerlichen drei Prozent ? wird damit gezeigt, was die wackeren
Deutschen sich alles vornehmen können. Die Bundesländer sollen von 2020 an
grundsätzlich keine neuen Schulden mehr machen. Insbesondere die Beschneidung
der Kompetenz-Kompetenz der Länder demonstriert, in welcher ideologischen
Wagenburg sich die deutsche Politik in Hinblick auf die Staatsschuld
mittlerweile verschanzt hat. Eine der heiligsten Kühe der deutschen
Staatsräson, der Föderalismus, wird gleichsam nebenbei kassiert und auf dem
Altar biederster Ordnungspolitik geopfert.(1)
Geldvermögen unter der Tarnkappe
Über alle wissenschaftlichen
und ideologischen Gräben hinweg ist man sich in einem Punkt einig: der
Finanzsektor war nicht nur unterreguliert, er hatte auch zu üppige Dimensionen
erreicht. Das gilt, so stellt man heute fest, für Einzelunternehmen, also
einzelne Banken, wie auch den gesamten Sektor. Ländern wie etwa Großbritannien,
Standorten wie etwa London oder New York werden bei einer anstehenden
Re-Dimensionierung für die Zukunft eher melancholische Prognosen gestellt. In
ordnungspolitischen Gedankenspielen wird auch erwogen, große Banken zu
zerschlagen und in kleinere Einheiten aufzuspalten, so etwa im Falle der
Schweizer Großbank UBS. Aus dem »Too big to fail« wird die Schlussfolgerung
gezogen, dass man mit einem Zurück zu Klein-Instituten auch mal eine Bank »über
die Klinge springen« lassen kann, sodass nicht permanent das »Systemrisiko«
dräut.
Es waren aber nicht nur die
Häuser, die zu groß, und die Instrumente, die zu virtuos geworden sind, und die
Charaktermasken, die zu gierig agiert haben, es schwirrte auch zu viel Stoff
durchs monetäre Universum. Häuser, Instrumente und Charaktermaske waren
schließlich nur für eines gedacht: die Mehrung des akkumulierten Geldvermögens.
Im Blickfeld der Reformmaßnahmen stehen bislang allein die drei ersten
Komponenten: Sanierungsmaßnahmen für Banken- und Finanzinstitute,
ordnungspolitische Regulationsversuche und Regeln in Hinblick auf Handeln und
Einkommen der Finanzmarktakteure werden ventiliert. Die vierte Komponente, das
akkumulierte Geldvermögen, wurde zwar von den Bankeninsolvenzen, den
abgestürzten Aktienkursen und so fort schon herb getroffen, das wird aber noch
nicht ausreichen. So wie die Geldvermögen ex ante von der sprudelnden
Konjunktur profitiert haben, so müssen sie ex post an den Krisenbeseitigungsmaßnahmen
beteiligt werden.
Die Krisenrechnungen, die
jetzt allerorten aufgetischt werden, gehen in der Regel zuungunsten des Staates
aus. Insofern haben die Neoliberalen wieder Oberwasser. Das Folgende wird aber
meist nicht bedacht. Der Staat, der sich seit dem 15. September 2008 so
»horrend« verschuldet hat, rettete mit seiner Politik eine Bank nach der
anderen und bewahrte damit das ganze Finanzsystem vor dem Breakdown. Über die Pointe
dieser Aktion wird indessen hinweggesehen. Seine Rettungsaktion vollzog der
Staat, indem er sich verschuldete bei den gleichen Geldvermögensbesitzern,
deren Geld er durch eben diese Rettungsaktion gerade gesichert hatte. Den rein
marktmäßigen Geldkreislauf von den Geldvermögensbesitzern zum wankenden
Finanzsystem gab es ja gerade nicht mehr. Der Staat musste dazwischentreten.
Die Geldvermögen wurden quasi doppelt gerettet: Erstens wurden sie gerettet vor
dem Exitus, der Totalentwertung durch die Notprogramme und zweitens erhalten
sie, die Geldvermögen, jetzt noch eine Prämie, indem sie sich verzinsen durch
den Kauf der staatlichen Schuldtitel. Dieser ökonomische Zusammenhang geht in
dem allgemeinen Geschrei und Getöse rund um die Staatsverschuldung komplett
unter. Die Verursacher des Geschreis und Getöses werden am 28. September dem
Staat dann ? Gipfel der Dreistigkeit ? die Schellenmütze aufsetzen und ihn
auffordern in einer ganz anderen Ecke seines Hauses, dort wo seine Bediensteten
und die Transfereinkommensbezieher wohnen, das Messer anzusetzen.
Da es faktisch um die
Organisation einer Selbstrettung ging, wäre eigentlich eine Zwangsanleihe das
logischere Mittel der Wahl gewesen. Es zeigt sich hier ein ähnliches Problem
wie bei den Rettungsmaßnahmen für das Bankenwesen. Nachdem jetzt reichlich
Liquidität in die Banken gepumpt wurde, immer mit der Maßgabe, dass der
Finanzsektor seiner »Aufgabe«, der Finanzierung des Investitionssektors,
gerecht wird, tut sich offensichtlich gar nichts. Die zusätzliche Liquidität
versackt bei den Banken, an Krediten rücken sie nichts heraus, und das
unheilvolle Wort von der Kreditklemme macht die Runde. Bedeckt hält sich jetzt
auch das gerade durch den Staat gerettete Geldvermögen und gibt sich mit den
bescheidenen Renditen der Staatstitel zufrieden. Von einem angeblich neuen
Selbstbewusstsein der Politiker, die jetzt in ganz anderer Weise gegenüber den
Wirtschaftsführern auftreten könnten, ist nichts zu sehen. Wer vorher das
Geldvermögen um Billionen gemehrt hat, kann jetzt getrost mit Milliarden an der
Sanierung der Staatsfinanzen beteiligt werden.
Wirkungen von Inflation und Deflation
Inflation unterscheidet sich
von Deflation dadurch, dass sie ein Phänomen der Geldsphäre ist und bleibt,
während die andere, die Deflation, bedingt durch ihre Logik, über die
Geldsphäre hinausgeht und als Treibsatz die Produktionssphäre affiziert.
Inflationsprozesse, selbst wenn sie größere Ausmaße erreichen, gehen in der
Regel durchaus einher mit funktionierenden Produktionssektoren. Selbst bei
größeren Währungsreformen in der Geschichte ist nichts davon bekannt, dass die
Volkswirtschaften nach der Währungsumstellung in dauerhaften Stockungsphasen
verharrten. Für weniger extreme Zeiten gilt: Erreichen die Lohnempfänger in den
Tarifauseinandersetzungen mehr oder mindestens den Inflationsausgleich und gibt
es für die Geldvermögensbesitzer einen positiven Realzins, dann sind moderate
bis hin zu leicht beschleunigten Inflationsraten kein Problem, im Gegenteil:
leicht inflationierende Wirtschaften sind in der Regel wachsende Wirtschaften.
Anders ist dies bei der
Deflation. Sie frisst sich, einer Spirale gleich, in die Produktionssphäre.
Wenn sich in Erwartung sinkender Preise eine allgemeine Nachfrageschwäche breit
macht und die Konsumzurückhaltung dauerhaft wird, reagieren die Unternehmen
zunächst mit Preissenkungen, die aber auf Dauer keine Refinanzierung und
Re-Investition ermöglichen. Das Mittel der Lohnsenkung führt seinerseits zur
Schwächung der Nachfrage, sodass sich die Kaufzurückhaltung manifestiert. Nach
und nach verschwinden dann Unternehmen vom Markt, was seinerseits der
allgemeinen Nachfrageschwäche neue Nahrung gibt. Dieses Hineinfressen in die
Produktionssphäre macht die Deflation ungleich gefährlicher als die Inflation.
Im Grunde ist der Begriff »Deflation« deshalb auch irreführend, da er impliziert,
es handele sich um ein isoliertes monetäres Phänomen. Im Alltagsverstand, wie
in dieser Zeit zu beobachten, sind fallende Preise durchaus eine vom Publikum
begrüßte Erscheinung. Die Kräfte, die hinter der Deflation wirken, sind die
Kräfte der Depression, und deshalb wäre der Begriff der »Depression« auch der
sinnvollere.
Überall in der Welt
grassiert die Furcht vor der Deflation. Selbst bei den durchaus so deutbaren
Anzeichen erster konjunktureller Erholung wird überall in der Welt im gleichen
Atemzug auf die Gefahren der Deflation verwiesen. Nur im Land der
wirtschaftspolitischen Schlaumeier herrscht das Geraune zur Inflation vor.(2)
In dieses Politikmuster fallen auch die folgenden Interventionen:
Erstens: Die sich häufenden Forderungen nach »Exit-Strategien«,
will sagen, Beendigung der Konjunkturprogramme. Für sich genommen ist das ja
»reinster« Blödsinn, da die »Programme« allesamt aus einmaligen Projekten
bestanden haben und nicht auf dauerhafte Politik hin ausgelegt waren. Gemeint
ist mit den »Exit-Strategien« daher wahrscheinlich etwas ganz anderes.
Zweitens: Die deplatzierten »Warnungen« der Kanzlerin in
Richtung der Fed, der Bank von England und der EZB. In der Politik der
quantitativen Maßnahmen, also dem Kauf von Staatspapieren durch die Fed und die
britische Zentralbank, was vor dem Hintergrund einer faktischen
Null-Zinspolitik für zusätzliche Liquidität sorgen sollte, sieht sie die
Unabhängigkeit der dortigen Notenbanken gefährdet. Ähnliches gelte für die EZB,
die sich zum Ankauf von Pfandbriefen entschlossen habe. Einmal abgesehen davon,
dass die Fed nie so »unabhängig« war und ist, wie das deutschen
ordnungspolitischen Bibeldeutungen entspricht, einmal abgesehen davon, dass die
»Warnungen« der Kanzlerin das Prinzip der Unabhängigkeit, das immer zwei Seiten
hat, von der politischen Seite her aufbrechen, und abgesehen von vielem
anderen, zeigte diese Intervention, in welch religiösen Sphären der
einschlägige politische Beraterstab im Kanzleramt mittlerweile eingemauert ist.
Dass in der deutschen
Wirtschaftspolitik jetzt das ideologische Feld für die Inflationsbekämpfung
nach der Wahl vorbereitet wird, kann gutgehen ? jedenfalls in Hinblick auf das
gewünschte Wahlergebnis ? es kann aber auch schiefgehen.(3) Keiner der
beteiligten Akteure kann gegenwärtig ? bei aller Parteinahme oder ideologischer
Neigung ? die jeweils andere Möglichkeit ausschließen. Dass aber die ganze
deutsche Politik, das ganze Land auf die harmlose Variante, die
Inflationsvariante, eingestimmt, förmlich getrimmt wird, und damit de facto die
weitaus gefährlichere Variante nicht bearbeitet wird, hat etwas mit deutscher
Risikowahrnehmung und ideologischer Verblendung zu tun.
Inflation ist die Hoffnung, nicht das Problem
Es macht einen Unterschied,
ob die Begriffe »Inflation« und »Deflation« gegenwärtig als Begriffe für
Risikoeinschätzungen oder als Begriffe für mögliche zukünftige Entwicklungen
stehen. Als Prinzip für Risikoeinschätzung macht es für komplexe Organisationen
wie ganze Volkswirtschaften immer Sinn, wie oben angedeutet, vom »worst case«
auszugehen, die gemütliche Konstellation zu unterstellen, ist schlicht
verantwortungslos. Risikoabwägung gehört ? Wahlkampf hin oder her ? zum
Kernbereich von Politik.
Einmal unterstellt, das sich
gegenwärtig verdichtende relative Entwarnungsszenario träte ein und der freie
Fall ginge über in eine Bodenbildung und eine lang anhaltende, nur mäßig
dynamische Erholung, dann dürfte die Perspektive nicht in der Alternative
»Inflation oder Deflation« bestehen, sondern es dürfte zu einem Nacheinander
kommen, an dessen Beginn zunächst die Überwindung der deflationären
Konstellation stünde. Das wird schon nicht einfach werden, die Hoffnung auf
einen marktmäßig induzierten Aufschwung ? sie steht hinter den Forderungen nach
Exit-Strategien ? entbehrt jeder Grundlage. Das Beispiel Japan zeigt, dass man
in der deflationären Talsohle lange, lange verharren kann. Wenn dann der
günstige Fall eintritt, dass es Kräfte des Aufschwungs gibt, dann kann die
Perspektive nur in einer kontrollierten Inflation bestehen. Das hätte dann noch
den unbedingt wünschenswerten Effekt, dass die Geldvermögen, die mit am meisten
von den Rettungsprogrammen profitiert haben, über eine milde Entschuldung des
Staates mit in die Finanzierung einbezogen werden. Der politische Mainstream in
Deutschland zimmert sich allerdings eine andere Strategie zurecht, die
stabilitätsorientierte, wachstumsfeindliche Bescheidenheitspolitik. Man kann
nur hoffen, dass im Falle des Eintretens weniger günstiger Annahmen und der
weiteren internationalen Isolierung der Pragmatismus nach Deutschland
zurückkehrt, vielleicht auch mit Hilfe eines selbstbewussteren Europas.
1
Der zentrale Satz der Selbstkasteiung der Politik lautet:
»Die Haushalte von Bund und Ländern sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten
auszugleichen.« (Einfügung in Artikel 109 des GG)
2
Die internationale Isolierung der deutschen
Wirtschaftspolitik steht im umgekehrten Verhältnis zur Krisenbetroffenheit.
Deutschland ist neben Japan das Land, das für 2009 den schärfsten Rückgang beim
BIP (vermutlich minus sechs Prozent) zu verzeichnen hat. Im Krisenverlauf seit
dem 15. September 2008 hat man zunächst abgestritten, dass Deutschland
überhaupt von der Krise betroffen sein würde, dann hat man den europäischen
Partner Frankreich bei seinem Versuch, eine gemeinsame europäische Linie zu
entwickeln, verprellt und im Frühjahr dieses Jahres hat man sich durch die
Weigerung, konjunkturpolitisch weiter aktiv zu werden, weiter unbeliebt
gemacht. Der tiefe Riss, der durch die internationale Wirtschaftspolitik geht,
wird von deutscher Seite gerne durch den Hinweis überdeckt, dass man sich mit
Amerikanern und Briten nicht über eine neue Finanzmarktordnung einigen könne.
3
Im Falle, dass die Sache gut geht: Die Konjunkturprogramme,
die aufgelegt wurden, laufen weltweit auf rund 5 Prozent des Sozialprodukts
hinaus. In den USA dürften sie noch höher liegen. Im Land des
»Exportweltmeisters« hat man es ? bei ehrlicher Rechnung ? nicht einmal auf 2
Prozent des hiesigen BIP geschafft. Wenn es also gut geht und man aus dem
Schlamassel herauskommt, dann nicht aus eigenen Kräften, sondern weil man in
der Eskorte fuhr und die Nachfrage im Ausland angekurbelt wurde. Deshalb ist
man auch »Exportweltmeister«. ? Gemeinhin wird so etwas Trittbrettfahrerei
genannt. Wenn eine Umorientierung weg von der reinen Exportorientierung
wirklich ernst gemeint gewesen wäre, hätte sie zuallererst an der
Dimensionierung der Konjunkturpakete angesetzt.
In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 4/2009