Balduin Winter
Editorial
Die
Welt ein Fragezeichen: Eine NATO- Konferenz bewegt sich auf der Suche nach einem
neuen strategischen Konzept zwischen nuklearem Terrorismus als größte Bedrohung
und mehr Einsatz bei der Bekämpfung des Welthungers. Für das Bündnis gilt
dasselbe wie für die Perspektivstudien des BND zur Weltlage: Alles scheint
ungewiss, die Zukunft ähnlich prognostizierbar wie die Finanzkrise, nämlich
kaum. Ausdrücklich als »optimistische« von drei Varianten bezeichnet der BND
jene, in der die Krise bald halbwegs bewältigt sein wird und mäßiges Wachstum
in den drei »Hauptzentren« USA, Europa und China/Indien eintritt. Nur in diesem
Fall bleiben die USA noch eine Zeitlang das Machtzentrum, Europa hat
schwindendes Gewicht, der politische Schwerpunkt der Welt verschiebt sich
langsamer nach Asien.
Unsicherheit
und Beunruhigung wird in Europa heute gerade in kleineren Ländern spürbar. In
deren Medien taucht öfter die Kritik des »Provinzialismus« auf. Zu wenig
fungiert die Union als »gemeinsames Haus«; zugleich beflügelt die Krise
antieuropäische Nationalismen, die in einigen neuen Mitgliedsstaaten heftige Formen
angenommen haben. Europa wirkt zerklüftet (siehe Helmut Wiesenthal,
Seite 6), protektionistische Tendenzen treffen kleinere Staaten weit härter als
größere. Große Staaten tendieren zu Selbstschutz, kleine wie Belgien oder
Ungarn wollen ihre Ökonomie verstärkt auf nationaler Basis »sicher«stellen. Der
Fall der belgisch-niederländischen Fortis-Gruppe etwa führte zu einer enormen
Gefährdung der belgischen Ökonomie, die Verbindlichkeiten der Bank ließen das
Bruttosozialprodukt des Landes zwergenhaft erscheinen.
Diese Tendenz zurück zum
Nationalen ist ein wichtiges Phänomen des als »Entglobalisierung« beschriebenen
Prozesses. Es ist Kennzeichen großer Krisen, dass in ihnen Tendenzen auftreten,
die zentrale Zeitströmungen infrage stellen, zeitweise sogar umkehren können.
Europa, vor Kurzem noch mit dem Impetus, größter Wirtschaftsraum der Welt zu
werden, fühlt sich nicht nur durch die Krise bedroht, sondern mehr noch durch
den schleichenden strategischen Bedeutungsverlust durch den globalen Wandel.
Aber ist »Bedeutungsverlust« nicht zu konservativ gedacht? Schwingt hier nicht
eine Fortsetzung traditionellen Großmachtdenkens mit? Der Umgang mit diesem
»Mehr- sein-Wollen« und doch »An-Bedeutung-Verlieren« fällt vielen
EuropäerInnen noch recht schwer. Jedoch besitzt die EU als Staaten- und
Bürgerunion etwas qualitativ Neues, wovon der Rest der Welt noch nicht oder nur
wenig hat. Verliert sie als machtpolitischer Faktor, so kann sie als
zivilgesellschaftlicher und demokratischer Faktor nur gewinnen.
Mit
dem »Bedeutungsverlust« müssen sich erst recht die Vereinigten Staaten
herumschlagen. Nicht an Unvorhersehbarkeiten ist die Präsidentschaft George
Bushs jr. derart gescheitert. Ihr lag ein wirklichkeitsfremdes Bild der Welt
und der USA zugrunde: Die USA als einzig verbliebene Supermacht, die nach dem
Terroranschlag vom 11. September die Welt erlöst. Jedoch Freiheit und
Demokratie wirken durch Beispiel und Überzeugung, nicht durch Gewalt. In einer
schnell sich ändernden Welt sind die USA nicht mehr das Machtzentrum. Noch in
der Ära Bush hat Richard N. Haass vom Council on Foreign Relations das Bild von
der »Nonpolarität« der Welt geprägt, das Barack Obamas außenpolitischer Linie
zugrunde liegt. Es kommt der wachsenden globalen Komplexität entgegen, in der
keine große Macht mehr beliebig schalten und walten kann. In dieser Konzeption
treten die USA neuerdings als kommunikative Macht auf, die die globalen und
zwischenstaatlichen Probleme gemeinsam beraten möchte. Daher Obamas Vokabeln
»Respekt« und »Zuhören«. Harte Linien nur dort, wo nicht gesprochen wird. Das
war neu für die muslimischen Länder, das überraschte Russland, Lateinamerika
und Afrika.
Aus
dem europäisch-amerikanischen Erbe stammt das andere Element in Obamas
Außenpolitik, das bürgerrechtliche Engagement: Immer wendet er sich an die
Bürger, ermutigt sie, sich zu emanzipieren, macht ihnen Angebote zur
Zusammenarbeit, zur Freundschaft (siehe Xaver Brenner, S. 63). Diese
Sichtweise lässt polarisierendes Denken hinter sich. Davon existiert in den USA
jedoch noch reichlich. Prominentestes Beispiel ist der alte Stratege Zbigniew
Brzezinski, der, immer noch fasziniert vom Sieg im Kalten Krieg, dem
Präsidenten eine »G-2« vorschlug: USA und China, der »Knoten der Welt«.
In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 4/2009