Die Schäden der Antipolitik in den Vereinigten Staaten
Warum handelt Barack
Obama nicht?
Vor den Halbzeit-Wahlen im November äußern sich in aller Deutlichkeit neue Spaltungen und alte Fehler. Gescheitert scheint Barack Obamas Versuch, Übereinstimmung über die Parteien hinweg zu finden. Eine antipolitische Schimäre vom »Ende des Politischen« sieht unser Autor auf Seiten der Finanzwelt wirken, vor allem aber in der neuen Rechten der »Tea Party«, die inzwischen auch die Republikanische Partei unter Druck setzt.
So wie François Furet uns
1981 erklärte, dass die Wahl von Francois Mitterand das Ende der französischen
Revolution bedeutete, so schien die Wahl von Barack Obama im Jahre 2008
gewissermaßen die Realisierung der amerikanischen Revolution zu verkörpern. Wie
es schien, war die Erbsünde der Gründungsväter ? die Aufrechterhaltung der
Sklaverei ? schließlich durch eine Nation überwunden worden, die im Begriff
war, sich jenseits ihrer Rassen- und Klassenspaltungen mit sich selbst
auszusöhnen. Es öffnete sich also der Weg zu einer Politik, die endlich für das
Gemeinwohl arbeiten konnte.
Während man sich den
Wahlen in der Mitte der Präsidentschaft nähert, bei denen der Kongress und ein
Drittel des Senats neu gewählt werden, erweist sich diese Hoffnung als
Schimäre, als Frucht einer naiven Sichtweise, die davon ausging, dass das gute
Volk es nun ? nachdem die irrationalen Hindernisse, die die Vergangenheit
errichtet hatte, beseitigt waren ? verstehen müsste, jenseits aller politischen
Spaltungen zusammenzuleben.(1) Der Traum vom Ende des Politischen geht in
unseren Demokratien um und belastet ihre Fähigkeit, einer Finanzwelt die Stirn
zu bieten, die ihrerseits auch antipolitisch ist, da sie weder
gesellschaftliche Spaltungen noch legitime Interessenkonflikte anerkennt.
Anders gesagt, der Kapitalismus besteht weiter, trotz unserer Hoffnungen, ihn
zu überwinden.
Ist Barack Obama selbst
ein Opfer dieser Illusion vom Ende des Politischen? Hat er nicht trotz der
offensichtlichen und wiederholten Ablehnung der republikanischen Partei weiter
den Weg für eine Politik gesucht, die von beiden Parteien getragen wird? Er
hört nicht auf, »Washington« und seine politische Klasse zu bemäkeln, anstatt
im Hinblick auf die Halbzeitwahlen im November die Führung einer demokratischen
Partei zu übernehmen (ich sage bewusst Partei, nicht Inkarnation
einer endlich vom Volk gefundenen Einheit). Er weiß allerdings durchaus, dass
die Wahlzyklen wie Ebbe und Flut sind, hoch bei den Präsidentschaftswahlen,
niedrig bei den Halbzeitwahlen. Warum handelt er nicht?
Barack Obama ist nicht
infolge einer langen politischen Erfahrung zur Präsidentschaft gekommen. Er ist
stolz auf seine Erfahrung vor Ort, als community organizer, der
versucht, die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen zu versöhnen. Seine
Kampagne bei den Präsidentschaftswahlen ist nicht von der demokratischen Partei
und ihren Netzen getragen worden; sein Erfolg wurde begründet durch seine
Fähigkeit, fantastische Geldbeiträge im Internet zu sammeln und »unabhängige«
Mitstreiter zu gewinnen, die sich zuvor noch nie an der organisierten Politik
beteiligt hatten. In einem Wort, er ist der Partei sozusagen nichts schuldig ?
aber in der schwierigen Phase des Wahlzyklus, in der die Demokraten
möglicherweise in der einen oder anderen Kammer ihre Mehrheit verlieren,
braucht er diese Partei.
Ein weiterer Faktor
erklärt seine politische Untätigkeit. Jene, die gern Analogien heranziehen,
dachten, dass seine Wahl auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise der Wahl von
Roosevelt im Jahr 1932 ähnelte, auf die eine radikale Umgestaltung folgte, die
durch den New Deal eingeleitet wurde. Offensichtlich legte das
Zusammentreffen der Wirtschaftskrise von 2008 und der Niederlage der deregulierenden
Regierung von G. W. Bush diesen Vergleich nahe. Doch man darf nicht vergessen,
dass Roosevelt erst drei Jahre nach dem Ausbruch der Krise von 1929 an die
Macht kam, während Obama bereits die von Bush im September ergriffenen
Anti-Krisen-Maßnahmen unterstützt hatte, was wieder einmal zeigt, dass er dazu
neigt, die Konflikte und die im Spiel befindlichen Interessen zu unterschätzen
(das heißt, der naiven Idee anzuhängen, dass das Gemeinwohl das Ziel aller
politischen Akteure ist). Dieser Unterschied zur Herangehensweise des Gründers
des New Deal ist nicht überraschend: Roosevelt war ein Aristokrat, der
die Neureichen und das leicht verdiente Geld der Wall Street verachtete,
während Obama ein Meritokrat ist, der die Verhaltensweisen dieser neuen Finanzklasse,
auch wenn er sie nicht teilt, sehr gut versteht. Das erklärt zum Beispiel die
Beibehaltung von Ben Bernanke als Chef der Notenbank und die Entscheidung für
Timothy Geithner, einen ehemaligen Mitarbeiter der Bank, als Finanzminister.(2)
Die Wirtschaftskrise
schien die von der Bush-Regierung verfolgte Politik der Deregulierung infrage
zu stellen und die Idee einer Intervention des Staates wieder aufzuwerten. Man
konnte sogar glauben, dass Obama letzten Endes von dieser Notwendigkeit
überzeugt war, als er sich entschieden hatte, einen schärferen Ton
anzuschlagen, um seine Reform des Krankenversicherungssystems durchzubringen.
Doch kurz nach diesem wichtigen Sieg, der trotz der einhelligen Ablehnung der
republikanischen Opposition errungen wurde, kam die Ölpest von British
Petroleum. Das kam im falschen Moment: Zwei Wochen vorher hatte Obama den
Ölgesellschaften die Genehmigung gegeben, in der Tiefsee zu bohren, wobei er
erklärte, die Technologie sei erprobt und ungefährlich. Hier zeigte sich also
wieder der Meritokrat, der den »Garantien« der Experten Glauben schenkt und
nach dem Unfall dumm dasteht. Der Ausdruck seines Vertrauens zu den Ingenieuren
von BP in den folgenden Wochen wurde in den Augen der öffentlichen Meinung
schlecht belohnt, die sah, wie sich die Schäden ausbreiteten, und feststellen
musste, dass die Experten nichts dagegen tun konnten. So konnte es nicht
weitergehen.
Zu Beginn der Katastrophe
verglichen die Liebhaber von Analogien ihre Auswirkungen mit denen des Wirbelsturms
Katrina, der für G. W. Bush der Anfang vom Ende war, aber in dem Maße, in dem
sich das Desaster Tag für Tag ausbreitete, ohne dass die Regierung Lösungen
bieten konnte, konnte man nicht umhin, sich an die Geiselnahme in der
amerikanischen Botschaft in Teheran im Jahre 1979 zu erinnern, die erst am Tag
des Amtsantritts von Ronald Reagan zu Ende ging, also des Republikaners, der
verkündete: »Die Regierung ist nicht die Lösung, die Regierung ist das
Problem.« Das war keine Überraschung: In den 444 langen Tagen, an denen die
Amerikaner in der Botschaft in Teheran festgehalten wurden, war die
Machtlosigkeit der Regierung klar zutage getreten, und ihre Inkompetenz
erreichte den Gipfel, als eine geheime Militärexpedition zu einem fatalen
Scheitern in der iranischen Wüste führte. Diese Affäre hat schließlich in
Misskredit gebracht, was vom New Deal übrig geblieben war, und dreißig
Jahre der Deregulierung unter einer republikanischen Regierung vorbereitet.
Barack Obama ist sich
nunmehr der Gefahr bewusst, die seiner Regierung droht, und das erklärt, dass
sich nach über einem Monat der Ton geändert hat. Seine Kritik an BP ist
aggressiver geworden, und die Androhung staatlicher Maßnahmen gegen den
Ölriesen hat sich präzisiert. Auch wenn die politische Bilanz Obamas in den
Augen der großen Mehrheit vor allem anhand der Frage der Senkung der
Arbeitslosenrate gezogen werden wird, kennt Obama sehr wohl die Macht des
Symbols und ihren Einfluss auf die Vorstellungswelt des Bürgers. Mit dieser
Vorstellungswelt muss man sich beschäftigen, um das politische Feld zu
verstehen, wie es sich in diesem Frühsommer 2010 abzeichnet.
Der traditionelle
Burgfriede im Sommer des Jahres 2009 wurde gebrochen durch die Anhänger dessen,
was man heute Tea Party nennt, und zwar in Anspielung auf eines der
wichtigsten Ereignisse der amerikanischen Revolution, die Weigerung der
Patrioten, die Steuern zu bezahlen, die von England auf den Tee erhoben wurden,
der von einer der ersten multinationalen Gruppen, der East India Company,
importiert wurde. Ihre Wiedergänger von 2009 wehrten sich mit Zähnen und Klauen
gegen die Reform des Gesundheitssystems. Und im Maße ihrer ersten Erfolge ? vor
allem im Januar 2010 die Wahl eines Republikaners auf den Sitz des verstorbenen
Senators Kennedy ? haben sie sich eine Art Philosophie zugelegt, die man als
»Ursprungstümelei« bezeichnen könnte. Diese Philosophie spiegelt auf ihre Weise
ein antipolitisches Denken wider und artikuliert die Vision einer neuen
Rechten, die man mit einigen Beispielen illustrieren kann.
Indem sie über die
Politikerpolitik nachdenken, die von der Rolle des Geldes und der
Allgegenwärtigkeit von Dreißig-Sekunden-Spots geprägt ist, schlagen
einige Theoretiker dieser neuen Rechten vor, den 17. Zusatzartikel der Verfassung
rückgängig zu machen. Kennen Sie den? Ratifiziert im Jahre 1913, regelt er die
Wahl von Senatoren durch das Volk, die nach dem ursprünglichen Dokument der
Gründungsväter durch die Parlamente der einzelnen Bundesstaaten ernannt wurden.
Das hätte den doppelten Vorteil, die Auswahl zu filtern, die Stimmungsmache im
Volk und Manipulation durch das Geld und die Medien zu vermeiden, und den
Bundesstaaten wieder mehr Gewicht zu geben, die unter dem aus ihrer Sicht
übertriebenen Übergewicht Washingtons leiden. Dass die Stimmen einer
parlamentarischen Versammlung eventuell weniger kosten als eine Werbekampagne
im Fernsehen scheint diejenigen nicht zu stören, die vorschlagen, zur
Verfassung in ihrer ursprünglichen ? und oligarchischen! ? Reinheit
zurückzukehren.
Es ist wahr, dass die
meisten Anhänger und Wähler der Tea Party ? die trotz ihres Namens keine
organisierte politische Partei ist, sondern ein Dunstkreis, der einen
antipolitischen Geisteszustand zum Ausdruck bringt, welcher heute bei
Auseinandersetzungen in den organisierten Parteien eine starke Rolle spielen
kann ? sich nicht für Fragen der Verfassungsphilosophie interessieren. Sie
wollen ganz einfach die ausscheidenden Abgeordneten loswerden.(3) Im Mai
konnten sie einen zweiten großen Sieg feiern, als einer ihrer Kandidaten bei
den Vorwahlen der Republikaner den der Partei schlagen konnte. So verfiel
dieser schleunigst in die platteste »Ursprungstümelei«, indem er erklärte, er
habe selbstverständlich nicht für das große Gesetz zu den Bürgerrechten von 1964
gestimmt, denn wenn er zum Beispiel Besitzer eines Restaurants gewesen wäre,
hätte er das Recht haben müssen zu entscheiden, wer (und natürlich, wer nicht)
bei ihm essen dürfe! Genau das haben früher, fast Wort für Wort, die Rassisten
im Süden gesagt.
Davon ausgehend kann man
nicht nur begreifen, dass die Tea Partys sich auf der Seite der
Antipolitik ansiedeln, sondern auch, dass die Begeisterung ihrer Unterstützer
bei den nächsten Halbzeitwahlen eine Gefahr für die republikanische Partei
darstellt. Wenn es wahr ist, dass Barack Obama anscheinend nicht zum leader
einer erneuerten demokratischen Partei werden will, so ist auch wahr, dass die
republikanische Partei nichts anderes als ihre Opposition zu vereinen scheint ?
eine Opposition, die sich nicht darauf beschränkt, die Vorschläge des
Präsidenten abzulehnen, sondern sich bis hin zu ihrer eigenen Aufstellung
erstreckt (im Mai wurden bei den parteiinternen Vorwahlen zwei Senatoren
geschlagen).
Eine letzte Illustration
dieser Tendenz verdient es, erwähnt zu werden. Der demokratische leader
im Senat, Harry Reid, hat bei den Wahlen 2010 in Nevada ? einem Bundesstaat,
der schwer unter dem schlechten Wirtschaftsklima gelitten hat ? schlechte
Chancen. Auch hier hat bei den Vorwahlen der Republikaner eine Kandidatin, die
stark von der Tea Party unterstützt wurde, die Gemäßigten geschlagen,
die vom Parteiapparat unterstützt wurden. Diese ist die Traumgegnerin für einen
Senator, der nur gewinnen kann, wenn er seine Konkurrentin in Misskredit
bringt. Sie leugnet die Schäden, die durch den Treibhauseffekt verursacht
werden und ist eher für die Ausweitung der Tiefseebohrungen; sie schlägt die
Aufgabe des Sozialversicherungssystems vor, während sie gleichzeitig
Steuersenkungen und die Beseitigung der Bankenregulierung befürwortet; und ihre
Außenpolitik beschränkt sich auf den Rückzug der Vereinigten Staaten aus der
UNO. Man ist nicht überrascht zu erfahren, dass ? abgesehen von der
Unterstützung der Tea Party ? die Freunde von Senator Reid unter der
Hand diese Kandidatur unterstützt haben.
Schließen wir mit
Kalifornien, das in der Vergangenheit oft die Avantgarde von politischen
Veränderungen in den Vereinigten Staaten gewesen ist. Bei ihren Vorwahlen am 8.
Juni haben die Republikaner zwei Managerinnen aus Silicon Valley als
Kandidatinnen für den Senat und den Gouverneursposten aufgestellt. Die eine,
Meg Whitman, stand an der Spitze von Ebay, die andere, Carley Fiorina, hat die
Schicksale von Hewlett-Packard geleitet. Sie treten gegen Jerry Brown an, einen
Vertreter der alten Schule, der Anfang der 1980er-Jahre Gouverneur von
Kalifornien war, und gegen Barbara Boxer, bereits Senatorin im Jahre 1992. Ist
das eine neue Welle der Antipolitik, die Welle des high-tech business,
die gerade Gestalt annimmt? Wird sie ein Gegengewicht zur Antipolitik von
Barack Obama bilden, die ihrerseits auch durch den Einsatz von neuen Medien
getragen wird?
Am 2. November werden die
Amerikaner 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses und 36 Mitglieder des Senats
(sowie 37 Gouverneure in den einzelnen Bundesstaaten) wählen.
Traditionellerweise gewinnt bei diesen Halbzeitwahlen die Partei, die nicht an
der Macht ist, Sitze hinzu, da mehr am Parteirand stehende Kandidaten, die ihre
Wahl der Begeisterung und Mobilisierung von Unterstützern bei der
Präsidentenwahl verdanken, geschlagen werden. ZurzZeit kontrollieren die
Demokraten den Senat mit einer Mehrheit von 57 (plus zwei Unabhängige) zu 41
Abgeordneten, während sie im Repräsentantenhaus 255 zu 178 Sitze haben. Obwohl
ihre Vorherrschaft im Senat sicherlich geringer werden wird (und damit die 60
Stimmen, die nötig sind, um ein filibuster, sprich eine Obstruktion oder
Verschleppungstaktik abzuwehren), werden die Demokraten hier die Kontrolle
behalten. Im Repräsentantenhaus würde ein Verlust von 39 Sitzen dazu führen,
dass die Republikaner die Kontrolle bekommen.
Jüngste Umfragen deuten
darauf hin, dass Siege der Republikaner im November sehr wahrscheinlich sind.
Präsident Obamas Popularität ist unter die 50-Prozent-Marke gesunken, mit nur
43 Prozent Zustimmung zu seiner Wirtschaftspolitik (und 54 %, die dagegen sind,
einschließlich ein Drittel der befragten Demokraten). Noch allgemeiner sagen
sechs von zehn Personen, dass sie nicht an seine Fähigkeit glauben, die
richtigen Entscheidungen zu treffen (zu Beginn seiner Amtszeit war dies genau
umgekehrt). Diese Statistiken erinnern an die von Bill Clinton kurz vor den
Halbzeitwahlen im Jahre 1994, bei denen die Demokraten überraschend 54 Sitze im
Repräsentantenhaus und 8 Sitze im Senat verloren! Das Klima und die Aussichten
für die Demokraten sehen ziemlich übel aus, und sie wissen das.(4)
Natürlich steht im
November nicht Barack Obama zur Wahl; und lokale Umstände werden bei jeder
einzelnen Wahl eine unterschiedliche Rolle spielen. Trotzdem bleibt der
Vergleich mit 1994 von Bedeutung. In beiden Fällen erklären etwa 60 Prozent der
Öffentlichkeit, dass sie nach »neuen Kandidaten« Ausschau halten, während nur
26 Prozent den vorhandenen Abgeordneten unterstützen wollen. Dazu kommt, dass
die Wahlbeteiligung der Jungwähler, die sehr stark für Obama mobilisiert werden
konnten, im Jahre 2010 massiv einbrechen wird. Und unter den weißen Wählern
(die Obama viel stärker unterstützt haben als den demokratischen Kandidaten von
2004, John Kerry) hat Obama auch an Gunst verloren. Was die Politologen
Wähler-»Intensität« nennen, hat die Demokratische Partei verlassen. Und dann
sagen 51 Prozent der Bevölkerung, dass sie für einen Republikaner stimmen
wollen, um der Vorherrschaft der Demokraten ein Ende zu machen.
Es gibt einen weiteren
Faktor, der berücksichtigt werden muss und dessen negative Auswirkung auf die
Wahl positive politische Wirkungen haben kann. Neben den Demokraten, die
gesiegt haben, weil sie an den Rockschößen von Obama hingen, gibt es andere,
die trotz ihrer ideologischen Vorlieben als Kandidaten aufgestellt wurden.
Diese Abgeordneten werden manchmal DINOS (»Democrats in Name Only«, nur dem
Namen nach Demokraten) genannt ? eine Anspielung auf das heute ausgestorbene
kaltblütige Reptil.(5) Die Entscheidung, diese mitte-rechts-lastigen Kandidaten
zu unterstützen, war eine pragmatische Entscheidung, die während Obamas
Wahlkampf um die Präsidentschaft getroffen wurde, der darauf ausgerichtet war,
Unterstützung in potenziell nicht so wohlgesonnenen Kreisen zu finden. Der
Preis für diesen Pakt mit dem Pragmatismus bei den Wahlen wurde offensichtlich,
als viele dieser Abgeordneten sich weigerten, die »öffentliche Option« bei der
Gesundheitsreform zu unterstützen; er wird erneut offensichtlich bei der Betonung,
die eher auf die Reduktion des Haushaltsdefizits gelegt wird als auf die
Finanzierung der Arbeitslosenunterstützung, und bei der Ablehnung einer
progressiven Politik für eine Einwanderungsreform und der Gesetzgebung zum
Klimawandel. Ein Ergebnis ist, dass die Kompromisspolitik, die der Kandidat
Obama 2008 versprochen hatte, nicht mit der republikanischen Partei unmgesetzt
wurde, sondern innerhalb der demokratischen Partei selbst! Wenn diese DINOS
2010 verloren gehen, wird die Partei selbst geschlossener und mehr in der Lage
sein, ihre politischen Ziele zu verwirklichen.
Doch wie sehen die
politischen Ziele der Demokraten aus? Seit Mai hat sich der Präsident aktiver
an der politischen Kampagne beteiligt. Er hat erkannt, dass er nicht über dem
politischen Kampf stehen kann. Er warnt die Wähler, dass Siege der Republikaner
im November schreckliche Folgen haben werden, einschließlich einer Rücknahme
der Reform im Gesundheitswesen und einer Rückkehr zu der Wirtschaftspolitik,
»die uns in die Klemme gebracht hat«. Der kühle und durchdachte Stil, der
vielen elitär erschien und so, als ob er sich nicht für ihre alltäglichen
Probleme interessieren würde, wurde durch die kämpferische Prosa der
Wahlplattform ersetzt. Das ist schön und gut; und einige der unverschämten
Behauptungen der Republikaner bieten sich für diese Art von parteikämpferischer
Rhetorik geradezu von selbst an (zum Beispiel, als der republikanische leader
im Repräsentantenhaus, John Boehner, meinte, die Vorschläge zur Steuerpolitik
seien so, »als ob man eine Ameise mit einer Atombombe erschlagen wolle«, und
zwar in derselben Rede, in der er vorschlug, das Rentenalter auf 70
hochzusetzen; oder als der stellvertretende Führer der Minderheit im Senat,
John Kyl, den republikanischen Glauben bekräftigte, dass Steuersenkungen, wie
die von George Bush, die staatlichen Einkünfte erhöhen würden). Doch die Frage
bleibt: Kann eine politische Partei eine Wahl allein durch Negativität
gewinnen? George Bush hat die Politik der Furcht benutzt, um die Demokraten als
schwach darzustellen. Sollten auch die Demokraten diese Taktik einsetzen?
Besteht das einzige Ziel der Politik darin, wiedergewählt zu werden? Das ist
die Schlussfolgerung, die viele Wähler ziehen werden ? indem sie nicht wählen!
Ein Anhänger der Demokraten
würde auf diese Kritik antworten, indem er darauf hinweist, wie viel diese
Regierung schon geschafft hat. Die ersten Beispiele würden die
Gesundheitsreform und das Konjunkturpaket sein, das, wie das Weiße Haus
behauptet, über drei Millionen Arbeitsplätze geschaffen (oder gerettet) habe.
Weitere Beispiele für Erfolge in der bisherigen Regierungszeit wären aus dem
einfachen Grund sichtbar, dass Republikaner, die für den freien Markt und gegen
staatliche Eingriffe eintraten, durch Demokraten ersetzt wurden, die wissen,
dass der Staat Bürgern helfen kann, die in Not geraten sind. Diese Demokraten
würden des Weiteren darauf hinweisen, dass die Kompromisse und halben Schritte,
die diese Siege aus der Sicht der früher begeisterten Unterstützer Obamas
beeinträchtigt haben, mit denen vergleichbar seien, die in der Anfangsphase des
New Deal von Franklin D. Roosevelt und der Great Society von
Lyndon B. Johnson errungen wurden. In beiden Fällen wurde ein erster Schritt
gemacht, ein Zeichen gesetzt, und darauf konnten spätere Generationen aufbauen.
Aber diese Analogie bricht zusammen, denn die Reformen des New Deal
wurden durch die neuen Kräfte der Gewerkschaften vorangetrieben, und die der Great
Society von der Bürgerrechtsbewegung. Im Jahre 2008 hatte es für einen Moment
den Anschein, dass die Obama-Wahl eine solche neue Bewegung hervorrufen konnte.
Aber leider ist das nicht geschehen, oder noch nicht.
Eine neue Bewegung, die in
der Tat aufgetaucht ist, ist natürlich die Tea Party. Sie braucht hier
nicht weiter diskutiert zu werden. Sie ist kaum eine einheitliche Kraft, und es
ist höchst wahrscheinlich, dass sie in den Monaten bis zu den Wahlen im
November viele Avatare bekommen wird. Ein Beispiel soll hier genügen. Mitte
Juli hat die lokale Tea Party mitten in der kleinen Stadt Mason, Iowa,
eine riesige Reklametafel aufgestellt, auf der neben einer Abbildung von Barack
Obama links und rechts Fotos von Hitler und Lenin zu sehen sind. Unter jedem
Bild steht das Wort »Veränderung«, und über den einzelnen Bildern »Nationalsozialismus«,
»Demokraten-Sozialismus« und »Marxistischer Sozialismus«. Unter dieser Galerie
steht in Großbuchstaben die Warnung: »Radikale Führer machen Jagd auf die
Ängstlichen und Naiven.« Obwohl die Tafel sofort von anderen Tea Partys
kritisiert und abgerissen wurde, wurde in den landesweiten Nachrichten darüber
berichtet. Ich denke, viele werden sich zweifellos gefragt haben, wer wohl die
»Ängstlichen und Naiven« sind.
Der Artikel folgt einem Beitrag für die französische
Zeitschfrift Esprit, wurde für die Kommune jedoch um den
letzten Teil (»Gas geben für November«) vom Autor ergänzt. Aus dem
Französischen und Englischen von Ronald Voullié.
1
Das ist übrigens der gleiche Fehler, den man nach dem Fall
der Mauer im Jahre 1989 gemacht hat, auf den ein Anstieg der unerwarteten und
vorher manchmal unbekannten Spaltungen folgte. Doch das ist eine andere
Geschichte.
2
Erklärt diese selbe Orientierung seine Afghanistanpolitik?
Alles in allem gesehen, gibt es nichts, was meritokratischer ist als die
demokratischen Armeen.
3
Man muss präzisieren, dass die Tea Party immer auf
der Seite der Republikaner steht. Aber die Anti-Establishment-Reaktion ist auch
bei den Demokraten zu finden, bei denen fortschrittliche Kandidaten sich bei
den Vorwahlen den Zentristen widersetzen, oft zusammen mit den Gewerkschaften,
die zu den traditionellen Kräften in der demokratischen Koalition gehören.
4
Der Pressesprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, gab dies
in einer am 11. Juli landesweit ausgestrahlten Fernsehsendung zu. In diesem
Eingeständnis sahen viele einen taktischen Schachzug, um die Partei auf die
Gefahr hinzuweisen und in ihr zu mehr Aktivität aufzurufen.
5
Auf der Seite der Republikaner findet man die RINOS
(»Republicains in Name Only«, nur dem Namen nach Republikaner). In diesem Fall
bezieht sich die Anspielung auf das Rhinozeros, ein hässliches und böses Tier,
das trotz seiner Größe von Blättern lebt.