Dick Howard

 

Die Schäden der Antipolitik in den Vereinigten Staaten

 

Warum handelt Barack Obama nicht?

 

 

 

Vor den Halbzeit-Wahlen im November äußern sich in aller Deutlichkeit neue Spaltungen und alte Fehler. Gescheitert scheint Barack Obamas Versuch, Übereinstimmung über die Parteien hinweg zu finden. Eine antipolitische Schimäre vom »Ende des Politischen« sieht unser Autor auf Seiten der Finanzwelt wirken, vor allem aber in der neuen Rechten der »Tea Party«, die inzwischen auch die Republikanische Partei unter Druck setzt.

 

So wie François Furet uns 1981 erklärte, dass die Wahl von Francois Mitterand das Ende der französischen Revolution bedeutete, so schien die Wahl von Barack Obama im Jahre 2008 gewissermaßen die Realisierung der amerikanischen Revolution zu verkörpern. Wie es schien, war die Erbsünde der Gründungsväter ? die Aufrechterhaltung der Sklaverei ? schließlich durch eine Nation überwunden worden, die im Begriff war, sich jenseits ihrer Rassen- und Klassenspaltungen mit sich selbst auszusöhnen. Es öffnete sich also der Weg zu einer Politik, die endlich für das Gemeinwohl arbeiten konnte.

Während man sich den Wahlen in der Mitte der Präsidentschaft nähert, bei denen der Kongress und ein Drittel des Senats neu gewählt werden, erweist sich diese Hoffnung als Schimäre, als Frucht einer naiven Sichtweise, die davon ausging, dass das gute Volk es nun ? nachdem die irrationalen Hindernisse, die die Vergangenheit errichtet hatte, beseitigt waren ? verstehen müsste, jenseits aller politischen Spaltungen zusammenzuleben.(1) Der Traum vom Ende des Politischen geht in unseren Demokratien um und belastet ihre Fähigkeit, einer Finanzwelt die Stirn zu bieten, die ihrerseits auch antipolitisch ist, da sie weder gesellschaftliche Spaltungen noch legitime Interessenkonflikte anerkennt. Anders gesagt, der Kapitalismus besteht weiter, trotz unserer Hoffnungen, ihn zu überwinden.

 

Das Scheitern der Übereinstimmung jenseits der Parteien

Ist Barack Obama selbst ein Opfer dieser Illusion vom Ende des Politischen? Hat er nicht trotz der offensichtlichen und wiederholten Ablehnung der republikanischen Partei weiter den Weg für eine Politik gesucht, die von beiden Parteien getragen wird? Er hört nicht auf, »Washington« und seine politische Klasse zu bemäkeln, anstatt im Hinblick auf die Halbzeitwahlen im November die Führung einer demokratischen Partei zu übernehmen (ich sage bewusst Partei, nicht Inkarnation einer endlich vom Volk gefundenen Einheit). Er weiß allerdings durchaus, dass die Wahlzyklen wie Ebbe und Flut sind, hoch bei den Präsidentschaftswahlen, niedrig bei den Halbzeitwahlen. Warum handelt er nicht?

Barack Obama ist nicht infolge einer langen politischen Erfahrung zur Präsidentschaft gekommen. Er ist stolz auf seine Erfahrung vor Ort, als community organizer, der versucht, die verschiedenen gesellschaftlichen Interessen zu versöhnen. Seine Kampagne bei den Präsidentschaftswahlen ist nicht von der demokratischen Partei und ihren Netzen getragen worden; sein Erfolg wurde begründet durch seine Fähigkeit, fantastische Geldbeiträge im Internet zu sammeln und »unabhängige« Mitstreiter zu gewinnen, die sich zuvor noch nie an der organisierten Politik beteiligt hatten. In einem Wort, er ist der Partei sozusagen nichts schuldig ? aber in der schwierigen Phase des Wahlzyklus, in der die Demokraten möglicherweise in der einen oder anderen Kammer ihre Mehrheit verlieren, braucht er diese Partei.

Ein weiterer Faktor erklärt seine politische Untätigkeit. Jene, die gern Analogien heranziehen, dachten, dass seine Wahl auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise der Wahl von Roosevelt im Jahr 1932 ähnelte, auf die eine radikale Umgestaltung folgte, die durch den New Deal eingeleitet wurde. Offensichtlich legte das Zusammentreffen der Wirtschaftskrise von 2008 und der Niederlage der deregulierenden Regierung von G. W. Bush diesen Vergleich nahe. Doch man darf nicht vergessen, dass Roosevelt erst drei Jahre nach dem Ausbruch der Krise von 1929 an die Macht kam, während Obama bereits die von Bush im September ergriffenen Anti-Krisen-Maßnahmen unterstützt hatte, was wieder einmal zeigt, dass er dazu neigt, die Konflikte und die im Spiel befindlichen Interessen zu unterschätzen (das heißt, der naiven Idee anzuhängen, dass das Gemeinwohl das Ziel aller politischen Akteure ist). Dieser Unterschied zur Herangehensweise des Gründers des New Deal ist nicht überraschend: Roosevelt war ein Aristokrat, der die Neureichen und das leicht verdiente Geld der Wall Street verachtete, während Obama ein Meritokrat ist, der die Verhaltensweisen dieser neuen Finanzklasse, auch wenn er sie nicht teilt, sehr gut versteht. Das erklärt zum Beispiel die Beibehaltung von Ben Bernanke als Chef der Notenbank und die Entscheidung für Timothy Geithner, einen ehemaligen Mitarbeiter der Bank, als Finanzminister.(2)

 

Die Falle der Experten

Die Wirtschaftskrise schien die von der Bush-Regierung verfolgte Politik der Deregulierung infrage zu stellen und die Idee einer Intervention des Staates wieder aufzuwerten. Man konnte sogar glauben, dass Obama letzten Endes von dieser Notwendigkeit überzeugt war, als er sich entschieden hatte, einen schärferen Ton anzuschlagen, um seine Reform des Krankenversicherungssystems durchzubringen. Doch kurz nach diesem wichtigen Sieg, der trotz der einhelligen Ablehnung der republikanischen Opposition errungen wurde, kam die Ölpest von British Petroleum. Das kam im falschen Moment: Zwei Wochen vorher hatte Obama den Ölgesellschaften die Genehmigung gegeben, in der Tiefsee zu bohren, wobei er erklärte, die Technologie sei erprobt und ungefährlich. Hier zeigte sich also wieder der Meritokrat, der den »Garantien« der Experten Glauben schenkt und nach dem Unfall dumm dasteht. Der Ausdruck seines Vertrauens zu den Ingenieuren von BP in den folgenden Wochen wurde in den Augen der öffentlichen Meinung schlecht belohnt, die sah, wie sich die Schäden ausbreiteten, und feststellen musste, dass die Experten nichts dagegen tun konnten. So konnte es nicht weitergehen.

Zu Beginn der Katastrophe verglichen die Liebhaber von Analogien ihre Auswirkungen mit denen des Wirbelsturms Katrina, der für G. W. Bush der Anfang vom Ende war, aber in dem Maße, in dem sich das Desaster Tag für Tag ausbreitete, ohne dass die Regierung Lösungen bieten konnte, konnte man nicht umhin, sich an die Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft in Teheran im Jahre 1979 zu erinnern, die erst am Tag des Amtsantritts von Ronald Reagan zu Ende ging, also des Republikaners, der verkündete: »Die Regierung ist nicht die Lösung, die Regierung ist das Problem.« Das war keine Überraschung: In den 444 langen Tagen, an denen die Amerikaner in der Botschaft in Teheran festgehalten wurden, war die Machtlosigkeit der Regierung klar zutage getreten, und ihre Inkompetenz erreichte den Gipfel, als eine geheime Militärexpedition zu einem fatalen Scheitern in der iranischen Wüste führte. Diese Affäre hat schließlich in Misskredit gebracht, was vom New Deal übrig geblieben war, und dreißig Jahre der Deregulierung unter einer republikanischen Regierung vorbereitet.

Barack Obama ist sich nunmehr der Gefahr bewusst, die seiner Regierung droht, und das erklärt, dass sich nach über einem Monat der Ton geändert hat. Seine Kritik an BP ist aggressiver geworden, und die Androhung staatlicher Maßnahmen gegen den Ölriesen hat sich präzisiert. Auch wenn die politische Bilanz Obamas in den Augen der großen Mehrheit vor allem anhand der Frage der Senkung der Arbeitslosenrate gezogen werden wird, kennt Obama sehr wohl die Macht des Symbols und ihren Einfluss auf die Vorstellungswelt des Bürgers. Mit dieser Vorstellungswelt muss man sich beschäftigen, um das politische Feld zu verstehen, wie es sich in diesem Frühsommer 2010 abzeichnet.

 

Dunstkreis und Partei

Der traditionelle Burgfriede im Sommer des Jahres 2009 wurde gebrochen durch die Anhänger dessen, was man heute Tea Party nennt, und zwar in Anspielung auf eines der wichtigsten Ereignisse der amerikanischen Revolution, die Weigerung der Patrioten, die Steuern zu bezahlen, die von England auf den Tee erhoben wurden, der von einer der ersten multinationalen Gruppen, der East India Company, importiert wurde. Ihre Wiedergänger von 2009 wehrten sich mit Zähnen und Klauen gegen die Reform des Gesundheitssystems. Und im Maße ihrer ersten Erfolge ? vor allem im Januar 2010 die Wahl eines Republikaners auf den Sitz des verstorbenen Senators Kennedy ? haben sie sich eine Art Philosophie zugelegt, die man als »Ursprungstümelei« bezeichnen könnte. Diese Philosophie spiegelt auf ihre Weise ein antipolitisches Denken wider und artikuliert die Vision einer neuen Rechten, die man mit einigen Beispielen illustrieren kann.

Indem sie über die Politikerpolitik nachdenken, die von der Rolle des Geldes und der Allgegenwärtigkeit von Dreißig-Sekunden-Spots geprägt ist, schlagen einige Theoretiker dieser neuen Rechten vor, den 17. Zusatzartikel der Verfassung rückgängig zu machen. Kennen Sie den? Ratifiziert im Jahre 1913, regelt er die Wahl von Senatoren durch das Volk, die nach dem ursprünglichen Dokument der Gründungsväter durch die Parlamente der einzelnen Bundesstaaten ernannt wurden. Das hätte den doppelten Vorteil, die Auswahl zu filtern, die Stimmungsmache im Volk und Manipulation durch das Geld und die Medien zu vermeiden, und den Bundesstaaten wieder mehr Gewicht zu geben, die unter dem aus ihrer Sicht übertriebenen Übergewicht Washingtons leiden. Dass die Stimmen einer parlamentarischen Versammlung eventuell weniger kosten als eine Werbekampagne im Fernsehen scheint diejenigen nicht zu stören, die vorschlagen, zur Verfassung in ihrer ursprünglichen ? und oligarchischen! ? Reinheit zurückzukehren.

Es ist wahr, dass die meisten Anhänger und Wähler der Tea Party ? die trotz ihres Namens keine organisierte politische Partei ist, sondern ein Dunstkreis, der einen antipolitischen Geisteszustand zum Ausdruck bringt, welcher heute bei Auseinandersetzungen in den organisierten Parteien eine starke Rolle spielen kann ? sich nicht für Fragen der Verfassungsphilosophie interessieren. Sie wollen ganz einfach die ausscheidenden Abgeordneten loswerden.(3) Im Mai konnten sie einen zweiten großen Sieg feiern, als einer ihrer Kandidaten bei den Vorwahlen der Republikaner den der Partei schlagen konnte. So verfiel dieser schleunigst in die platteste »Ursprungstümelei«, indem er erklärte, er habe selbstverständlich nicht für das große Gesetz zu den Bürgerrechten von 1964 gestimmt, denn wenn er zum Beispiel Besitzer eines Restaurants gewesen wäre, hätte er das Recht haben müssen zu entscheiden, wer (und natürlich, wer nicht) bei ihm essen dürfe! Genau das haben früher, fast Wort für Wort, die Rassisten im Süden gesagt.

Davon ausgehend kann man nicht nur begreifen, dass die Tea Partys sich auf der Seite der Antipolitik ansiedeln, sondern auch, dass die Begeisterung ihrer Unterstützer bei den nächsten Halbzeitwahlen eine Gefahr für die republikanische Partei darstellt. Wenn es wahr ist, dass Barack Obama anscheinend nicht zum leader einer erneuerten demokratischen Partei werden will, so ist auch wahr, dass die republikanische Partei nichts anderes als ihre Opposition zu vereinen scheint ? eine Opposition, die sich nicht darauf beschränkt, die Vorschläge des Präsidenten abzulehnen, sondern sich bis hin zu ihrer eigenen Aufstellung erstreckt (im Mai wurden bei den parteiinternen Vorwahlen zwei Senatoren geschlagen).

Eine letzte Illustration dieser Tendenz verdient es, erwähnt zu werden. Der demokratische leader im Senat, Harry Reid, hat bei den Wahlen 2010 in Nevada ? einem Bundesstaat, der schwer unter dem schlechten Wirtschaftsklima gelitten hat ? schlechte Chancen. Auch hier hat bei den Vorwahlen der Republikaner eine Kandidatin, die stark von der Tea Party unterstützt wurde, die Gemäßigten geschlagen, die vom Parteiapparat unterstützt wurden. Diese ist die Traumgegnerin für einen Senator, der nur gewinnen kann, wenn er seine Konkurrentin in Misskredit bringt. Sie leugnet die Schäden, die durch den Treibhauseffekt verursacht werden und ist eher für die Ausweitung der Tiefseebohrungen; sie schlägt die Aufgabe des Sozialversicherungssystems vor, während sie gleichzeitig Steuersenkungen und die Beseitigung der Bankenregulierung befürwortet; und ihre Außenpolitik beschränkt sich auf den Rückzug der Vereinigten Staaten aus der UNO. Man ist nicht überrascht zu erfahren, dass ? abgesehen von der Unterstützung der Tea Party ? die Freunde von Senator Reid unter der Hand diese Kandidatur unterstützt haben.

Schließen wir mit Kalifornien, das in der Vergangenheit oft die Avantgarde von politischen Veränderungen in den Vereinigten Staaten gewesen ist. Bei ihren Vorwahlen am 8. Juni haben die Republikaner zwei Managerinnen aus Silicon Valley als Kandidatinnen für den Senat und den Gouverneursposten aufgestellt. Die eine, Meg Whitman, stand an der Spitze von Ebay, die andere, Carley Fiorina, hat die Schicksale von Hewlett-Packard geleitet. Sie treten gegen Jerry Brown an, einen Vertreter der alten Schule, der Anfang der 1980er-Jahre Gouverneur von Kalifornien war, und gegen Barbara Boxer, bereits Senatorin im Jahre 1992. Ist das eine neue Welle der Antipolitik, die Welle des high-tech business, die gerade Gestalt annimmt? Wird sie ein Gegengewicht zur Antipolitik von Barack Obama bilden, die ihrerseits auch durch den Einsatz von neuen Medien getragen wird?

 

Gas geben für November

Am 2. November werden die Amerikaner 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses und 36 Mitglieder des Senats (sowie 37 Gouverneure in den einzelnen Bundesstaaten) wählen. Traditionellerweise gewinnt bei diesen Halbzeitwahlen die Partei, die nicht an der Macht ist, Sitze hinzu, da mehr am Parteirand stehende Kandidaten, die ihre Wahl der Begeisterung und Mobilisierung von Unterstützern bei der Präsidentenwahl verdanken, geschlagen werden. ZurzZeit kontrollieren die Demokraten den Senat mit einer Mehrheit von 57 (plus zwei Unabhängige) zu 41 Abgeordneten, während sie im Repräsentantenhaus 255 zu 178 Sitze haben. Obwohl ihre Vorherrschaft im Senat sicherlich geringer werden wird (und damit die 60 Stimmen, die nötig sind, um ein filibuster, sprich eine Obstruktion oder Verschleppungstaktik abzuwehren), werden die Demokraten hier die Kontrolle behalten. Im Repräsentantenhaus würde ein Verlust von 39 Sitzen dazu führen, dass die Republikaner die Kontrolle bekommen.

Jüngste Umfragen deuten darauf hin, dass Siege der Republikaner im November sehr wahrscheinlich sind. Präsident Obamas Popularität ist unter die 50-Prozent-Marke gesunken, mit nur 43 Prozent Zustimmung zu seiner Wirtschaftspolitik (und 54 %, die dagegen sind, einschließlich ein Drittel der befragten Demokraten). Noch allgemeiner sagen sechs von zehn Personen, dass sie nicht an seine Fähigkeit glauben, die richtigen Entscheidungen zu treffen (zu Beginn seiner Amtszeit war dies genau umgekehrt). Diese Statistiken erinnern an die von Bill Clinton kurz vor den Halbzeitwahlen im Jahre 1994, bei denen die Demokraten überraschend 54 Sitze im Repräsentantenhaus und 8 Sitze im Senat verloren! Das Klima und die Aussichten für die Demokraten sehen ziemlich übel aus, und sie wissen das.(4)

Natürlich steht im November nicht Barack Obama zur Wahl; und lokale Umstände werden bei jeder einzelnen Wahl eine unterschiedliche Rolle spielen. Trotzdem bleibt der Vergleich mit 1994 von Bedeutung. In beiden Fällen erklären etwa 60 Prozent der Öffentlichkeit, dass sie nach »neuen Kandidaten« Ausschau halten, während nur 26 Prozent den vorhandenen Abgeordneten unterstützen wollen. Dazu kommt, dass die Wahlbeteiligung der Jungwähler, die sehr stark für Obama mobilisiert werden konnten, im Jahre 2010 massiv einbrechen wird. Und unter den weißen Wählern (die Obama viel stärker unterstützt haben als den demokratischen Kandidaten von 2004, John Kerry) hat Obama auch an Gunst verloren. Was die Politologen Wähler-»Intensität« nennen, hat die Demokratische Partei verlassen. Und dann sagen 51 Prozent der Bevölkerung, dass sie für einen Republikaner stimmen wollen, um der Vorherrschaft der Demokraten ein Ende zu machen.

Es gibt einen weiteren Faktor, der berücksichtigt werden muss und dessen negative Auswirkung auf die Wahl positive politische Wirkungen haben kann. Neben den Demokraten, die gesiegt haben, weil sie an den Rockschößen von Obama hingen, gibt es andere, die trotz ihrer ideologischen Vorlieben als Kandidaten aufgestellt wurden. Diese Abgeordneten werden manchmal DINOS (»Democrats in Name Only«, nur dem Namen nach Demokraten) genannt ? eine Anspielung auf das heute ausgestorbene kaltblütige Reptil.(5) Die Entscheidung, diese mitte-rechts-lastigen Kandidaten zu unterstützen, war eine pragmatische Entscheidung, die während Obamas Wahlkampf um die Präsidentschaft getroffen wurde, der darauf ausgerichtet war, Unterstützung in potenziell nicht so wohlgesonnenen Kreisen zu finden. Der Preis für diesen Pakt mit dem Pragmatismus bei den Wahlen wurde offensichtlich, als viele dieser Abgeordneten sich weigerten, die »öffentliche Option« bei der Gesundheitsreform zu unterstützen; er wird erneut offensichtlich bei der Betonung, die eher auf die Reduktion des Haushaltsdefizits gelegt wird als auf die Finanzierung der Arbeitslosenunterstützung, und bei der Ablehnung einer progressiven Politik für eine Einwanderungsreform und der Gesetzgebung zum Klimawandel. Ein Ergebnis ist, dass die Kompromisspolitik, die der Kandidat Obama 2008 versprochen hatte, nicht mit der republikanischen Partei unmgesetzt wurde, sondern innerhalb der demokratischen Partei selbst! Wenn diese DINOS 2010 verloren gehen, wird die Partei selbst geschlossener und mehr in der Lage sein, ihre politischen Ziele zu verwirklichen.

Doch wie sehen die politischen Ziele der Demokraten aus? Seit Mai hat sich der Präsident aktiver an der politischen Kampagne beteiligt. Er hat erkannt, dass er nicht über dem politischen Kampf stehen kann. Er warnt die Wähler, dass Siege der Republikaner im November schreckliche Folgen haben werden, einschließlich einer Rücknahme der Reform im Gesundheitswesen und einer Rückkehr zu der Wirtschaftspolitik, »die uns in die Klemme gebracht hat«. Der kühle und durchdachte Stil, der vielen elitär erschien und so, als ob er sich nicht für ihre alltäglichen Probleme interessieren würde, wurde durch die kämpferische Prosa der Wahlplattform ersetzt. Das ist schön und gut; und einige der unverschämten Behauptungen der Republikaner bieten sich für diese Art von parteikämpferischer Rhetorik geradezu von selbst an (zum Beispiel, als der republikanische leader im Repräsentantenhaus, John Boehner, meinte, die Vorschläge zur Steuerpolitik seien so, »als ob man eine Ameise mit einer Atombombe erschlagen wolle«, und zwar in derselben Rede, in der er vorschlug, das Rentenalter auf 70 hochzusetzen; oder als der stellvertretende Führer der Minderheit im Senat, John Kyl, den republikanischen Glauben bekräftigte, dass Steuersenkungen, wie die von George Bush, die staatlichen Einkünfte erhöhen würden). Doch die Frage bleibt: Kann eine politische Partei eine Wahl allein durch Negativität gewinnen? George Bush hat die Politik der Furcht benutzt, um die Demokraten als schwach darzustellen. Sollten auch die Demokraten diese Taktik einsetzen? Besteht das einzige Ziel der Politik darin, wiedergewählt zu werden? Das ist die Schlussfolgerung, die viele Wähler ziehen werden ? indem sie nicht wählen!

Ein Anhänger der Demokraten würde auf diese Kritik antworten, indem er darauf hinweist, wie viel diese Regierung schon geschafft hat. Die ersten Beispiele würden die Gesundheitsreform und das Konjunkturpaket sein, das, wie das Weiße Haus behauptet, über drei Millionen Arbeitsplätze geschaffen (oder gerettet) habe. Weitere Beispiele für Erfolge in der bisherigen Regierungszeit wären aus dem einfachen Grund sichtbar, dass Republikaner, die für den freien Markt und gegen staatliche Eingriffe eintraten, durch Demokraten ersetzt wurden, die wissen, dass der Staat Bürgern helfen kann, die in Not geraten sind. Diese Demokraten würden des Weiteren darauf hinweisen, dass die Kompromisse und halben Schritte, die diese Siege aus der Sicht der früher begeisterten Unterstützer Obamas beeinträchtigt haben, mit denen vergleichbar seien, die in der Anfangsphase des New Deal von Franklin D. Roosevelt und der Great Society von Lyndon B. Johnson errungen wurden. In beiden Fällen wurde ein erster Schritt gemacht, ein Zeichen gesetzt, und darauf konnten spätere Generationen aufbauen. Aber diese Analogie bricht zusammen, denn die Reformen des New Deal wurden durch die neuen Kräfte der Gewerkschaften vorangetrieben, und die der Great Society von der Bürgerrechtsbewegung. Im Jahre 2008 hatte es für einen Moment den Anschein, dass die Obama-Wahl eine solche neue Bewegung hervorrufen konnte. Aber leider ist das nicht geschehen, oder noch nicht.

Eine neue Bewegung, die in der Tat aufgetaucht ist, ist natürlich die Tea Party. Sie braucht hier nicht weiter diskutiert zu werden. Sie ist kaum eine einheitliche Kraft, und es ist höchst wahrscheinlich, dass sie in den Monaten bis zu den Wahlen im November viele Avatare bekommen wird. Ein Beispiel soll hier genügen. Mitte Juli hat die lokale Tea Party mitten in der kleinen Stadt Mason, Iowa, eine riesige Reklametafel aufgestellt, auf der neben einer Abbildung von Barack Obama links und rechts Fotos von Hitler und Lenin zu sehen sind. Unter jedem Bild steht das Wort »Veränderung«, und über den einzelnen Bildern »Nationalsozialismus«, »Demokraten-Sozialismus« und »Marxistischer Sozialismus«. Unter dieser Galerie steht in Großbuchstaben die Warnung: »Radikale Führer machen Jagd auf die Ängstlichen und Naiven.« Obwohl die Tafel sofort von anderen Tea Partys kritisiert und abgerissen wurde, wurde in den landesweiten Nachrichten darüber berichtet. Ich denke, viele werden sich zweifellos gefragt haben, wer wohl die »Ängstlichen und Naiven« sind.

 

Der Artikel folgt einem Beitrag für die französische Zeitschfrift Esprit, wurde für die Kommune jedoch um den letzten Teil (»Gas geben für November«) vom Autor ergänzt. Aus dem Französischen und Englischen von Ronald Voullié.

 

1

Das ist übrigens der gleiche Fehler, den man nach dem Fall der Mauer im Jahre 1989 gemacht hat, auf den ein Anstieg der unerwarteten und vorher manchmal unbekannten Spaltungen folgte. Doch das ist eine andere Geschichte.

2

Erklärt diese selbe Orientierung seine Afghanistanpolitik? Alles in allem gesehen, gibt es nichts, was meritokratischer ist als die demokratischen Armeen.

3

Man muss präzisieren, dass die Tea Party immer auf der Seite der Republikaner steht. Aber die Anti-Establishment-Reaktion ist auch bei den Demokraten zu finden, bei denen fortschrittliche Kandidaten sich bei den Vorwahlen den Zentristen widersetzen, oft zusammen mit den Gewerkschaften, die zu den traditionellen Kräften in der demokratischen Koalition gehören.

4

Der Pressesprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, gab dies in einer am 11. Juli landesweit ausgestrahlten Fernsehsendung zu. In diesem Eingeständnis sahen viele einen taktischen Schachzug, um die Partei auf die Gefahr hinzuweisen und in ihr zu mehr Aktivität aufzurufen.

5

Auf der Seite der Republikaner findet man die RINOS (»Republicains in Name Only«, nur dem Namen nach Republikaner). In diesem Fall bezieht sich die Anspielung auf das Rhinozeros, ein hässliches und böses Tier, das trotz seiner Größe von Blättern lebt.

 

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 4/2010