Das Ende des industriellen Gens? Über die Folgen der Ära der Postgenomik für die
Gentechnik an Pflanzen In der New York Times
erschien 2007 ein Artikel, der die
Vorstellungen darüber, wie Gene funktionieren und wie sie reguliert werden,
grundlegend infrage stellte.(1) Hintergrund waren neue Forschungsergebnisse der
Genom-Forschung: Im internationalen ENCODE-Projekt hatte sich gezeigt, dass
Wirkungsweisen von Genen wesentlich komplizierter sind, als bislang angenommen
wurde (The ENCODE Project Consortium 2007). Die New York Times schrieb dazu: »Die Wissenschaftler, die
1973 die Technik der Genübertragung entwickelten, errichteten ihre Innovation
auf diesem mechanistischen ›ein Gen – ein Protein‹-Prinzip. Weil die Gene im
Ausgangsorganismus mit bestimmten Funktionen, mit unterscheidbaren
Eigenschaften und klaren Grenzen assoziiert werden konnten, glaubten die
Wissenschaftler dann, dass Gene von allen Lebewesen nahtlos und vorhersagbar in
ein größeres Design eingebaut werden könnten – in eines, um das herum Produkte
und Unternehmen errichtet werden konnten und das mit Patentgesetzen geschützt
werden konnte. Diese Vorstellung, die jetzt infrage gestellt wird, ist das, was
ein Molekularbiologe ›das industrielle Gen‹ nennt. ›Das industrielle Gen ist
eines, das definiert, besessen, verfolgt werden kann, dessen Sicherheit
ausreichend überprüft ist, dessen einheitliche Funktion nachgewiesen ist und
das verkauft und zurückgerufen werden kann‹, sagt Jack Heinemann ...« Dieses Ereignis und das
Ergebnis der Analyse des menschlichen Erbgutes, die 2001 vorgelegt wurde,
markieren einen Punkt, von dem ab die Fachwelt gerne von der Ära der
Postgenomik spricht: Seit der Jahrtausendwende steht nicht mehr die Analyse
einzelner DNA-Bausteine im Vordergrund, sondern die Beobachtung komplexer
Funktionseinheiten und Regulationsmechanismen. Diese Sichtweise hat sich längst
auch bei Pflanzen durchgesetzt (siehe z. B. Clark et al. 2007) –
überraschenderweise aber nicht in der Agro-Gentechnik. Wenn man aber den Gen-Mythen
des 20. Jahrhunderts nachspürt, sind sie in der Pflanzengentechnik immer noch
lebendig. Hier werden immer noch Gen-, Risiko- und Sicherheitskonzepte
angewendet, die schon vor etwa 20 Jahren entwickelt wurden (OECD 1993; EFSA
2006). Politik und die Zulassungsbehörden
können nicht eingestehen, dass die Agro-Gentechnik mit Methoden arbeitet, die
wissenschaftlich weitgehend veraltet sind und deren Risikopotenzial höher
einzuschätzen ist, als ursprünglich angenommen wurde, weil damit Milliarden
Investitionen infrage gestellt würden. Die Konzepte der Risikobewertung, die
hier zum Tragen kommen, gehen davon aus, dass konventionelle Züchtung und
Gentechnik an Pflanzen grundsätzlich vergleichbar sind (FAO/WHO 2000, Codex
Alimentarius 2003, EFSA 2006). Der Unterschied zwischen
konventioneller Züchtung und Gentechnik wird in der Ära der Postgenomik aber
deutlicher denn je. Galt vorher grundsätzlich die Vorstellung, dass jedes Gen
durch einen Abschnitt auf der DNA definierbar sei, dem eine bestimmte Funktion
zugeordnet werden kann, sind die Erklärungsmuster seitdem wesentlich komplexer.
Mattick (2003) beschreibt Gene beispielsweise als »fuzzy transcription clusters
with multiple products«, (etwa: »seltsame Transkriptionsorte mit
verschiedenartigen Produkten«). Derartige Gen-Konzepte sind
als Basis einer artenübergreifenden Übertragung von DNA weitgehend ungeeignet:
Die Gleichsetzung einer DNA-Sequenz mit einer bestimmten Genfunktion ist nur
noch eingeschränkt möglich. Voraussagen darüber, was passiert, wenn ich eine
isolierte DNA-Sequenz von einem Organismus (Spenderorganismus) auf einen
anderen (Empfängerorganismus) übertrage, können nicht a priori aus den
Funktionen abgeleitet werden, die die DNA ursprünglich im Spenderorganismus
hatte. Da bei der Übertragung
einzelner Gene sowohl die genetische Information als auch die genetische
Regulation verändert wird, kann das Resultat eines gentechnischen Eingriffes
nur sehr begrenzt vorausgesagt werden. Die übertragene DNA erhält ein neues
Umfeld, das die ursprüngliche Wirkung des Gens ganz wesentlich verändern kann.
Gene, die per technischer Manipulation von einem Organismus auf den anderen
übertragen werden, können demnach »als eine genetische Information verstanden
werden, deren Kontext in unkontrollierter Weise verändert wurde«. (Pickardt
2002) Auch Wissenschaftler, die
selbst gentechnisch veränderte Pflanzen herstellen, raten zur Vorsicht. So
meint der Schweizer Forscher Cesare Gessler: »Diese Gentechnik ist nicht
ausgereift. Die heutigen Produkte der Gentechnik sind noch auf dem Niveau einer
Dinosauriertechnologie. Wir benutzen artfremde Gene; wir wissen nicht, wo diese
Gene eingebaut sind, und wir wissen auch nichts oder nur wenig über subtile
Auswirkungen zwischen Genen und ihrer Umgebung.«(2) Um den Unterschied
zwischen gentechnischem Eingriff und
konventioneller Züchtung klarer zu machen, ist es hilfreich, sich die
Vorgehensweise bei der Herstellung von gentechnisch veränderten Pflanzen im
Detail vor Augen zu führen. Diehn et al (1996) dokumentieren das am Beispiel
von Insektengift produzierenden Pflanzen. Mit dem Einbau von Genen für
Bt-Gifte (Insektizide, die natürlicherweise in Bakterien, Bacillus
thuringiensis, gebildet werden), sollen Pflanzen wie Mais und Baumwolle
gegen Insektenbefall geschützt werden. Es mussten aber zahlreiche technische
und biologische Hürden überwunden werden, bevor dieses Gen mit der erwünschten
Wirkung auf Pflanzen übertragen werden konnte: – Zunächst wurde die DNA, wie sie natürlicherweise in Bakterien
vorkommt, in voller Länge auf Tomaten und Tabak übertragen. In ausgewachsenen
Pflanzen wurde daraufhin aber nur eine geringe Konzentration des Giftes
gemessen. – Im nächsten Schritt wurde die DNA verkürzt, scheinbar unwichtige
Abschnitte wurden abgetrennt. Die Gene zeigten dadurch tatsächlich eine höhere
biologische Aktivität, aber die Dosis des Giftes in den Pflanzen reichte noch
längst nicht aus, um die relevanten Schädlinge zu gefährden. – Deswegen veränderte man jetzt den Promotor (Genaktivator), der
aus dem Blumenkohl-Mosaik-Virus stammt und mit dem Gen für das Insektengift
gekoppelt ist: Die DNA-Abschnitte für den Promotor wurden verdoppelt. Die
Aktivität der Bt-Gene verzehnfachte sich daraufhin. – Aber auch diese Veränderung reichte noch nicht aus, um eine
ausreichende Konzentration des Insektengiftes zu erreichen und die
Fraßschädlinge zu töten. Erst als weitere zusätzliche strukturelle
Veränderungen an der DNA vorgenommen wurden, konnte das gewünschte Ergebnis
erzielt werden. Dieses Beispiel zeigt,
welche Hürden der natürlichen Genregulation überwunden werden müssen, um
isolierte Gene nicht nur zu übertragen, sondern auch zu aktivieren. Diehn et al. (1996) sind der Ansicht, dass sich hier grundlegende
Mechanismen zeigen, die die Pflanzen natürlicherweise gegen unerwünschten
DNA-Transfer und deren Stoffwechselprodukte schützen: »Die Mechanismen, die die
Expression des nicht modifizierten Bt-Toxins begrenzen, sind wichtige
Mechanismen der Pflanzen, die natürlicherweise die endogene RNA und
Protein-Konzentrationen regeln.« Dass sich Pflanzen durch
Mechanismen ihrer natürlichen Genregulation gegen die Übertragung fremder Gene
wehren, ist auch durch verschiedene Berichte über sogenanntes Gene-Silencing
bekannt: Sogar fremde Gene, die in der Pflanze zunächst erfolgreich aktiviert
werden konnten, können durch epigenetische Effekte wieder stillgelegt werden
(siehe beispielsweise Finnegan 1994, mehr dazu bei Moch 2006). Den gentechnisch veränderten
Pflanzen wird der neue Stoffwechsel also regelrecht aufgezwungen. Dazu müssen
die natürlichen Mechanismen der Genregulation (teilweise) außer Kraft gesetzt
werden. Ähnliche invasive Eingriffe gibt es weder bei normalen Kreuzungsverfahren
noch bei Mutationszüchtungen. Hier werden die Mechanismen der natürlichen Genregulation
nicht beeinträchtigt. Bei der konventionellen Züchtung wird neue genetische
Information (wie Mutationen) von den Pflanzen in der Regel nur dann genutzt,
wenn sie in die bestehenden genetischen Regelkreise eingepasst werden kann
(Fernandez-Martinez et al. 1997, siehe auch Nijhout 2003). Für die weitere Beurteilung
der Sicherheit gentechnisch veränderter Pflanzen erscheint es vor diesem
Hintergrund ganz essenziell, den Unterschied zwischen Zucht und technischer
Konstruktion zu berücksichtigen. Während die konventionelle Zucht natürliche
Potenziale nutzt (und wirtschaftlich optimiert), die über lange Zeiträume von
der Evolution entwickelt wurden, erteilt die gentechnische Veränderung der
Pflanze einen »Befehl« etwas zu tun, unabhängig davon, welche Veränderungen
damit in ihrer natürlichen Zellregulation ausgelöst werden. Bei der gentechnischen
Veränderung von Pflanzen sind die
dadurch ausgelösten Veränderungen keineswegs auf bestimmte Stellen im Erbgut
beschränkt. Bei Untersuchungen an der Fruchtfliege zeigte sich beispielsweise,
dass die Änderung der Aktivität eines einzigen Gens nachfolgend zur Änderung
der Aktivität von einigen hundert anderen Genen führen kann (Anholt et al.
2003). Auch bei Pflanzen zeigt sich, dass durch die Genübertragung die
Regulation das Genoms nicht nur punktuell, sondern auf verschiedenen Ebenen
verändert wird (Wilson et al. 2006). Darüber, dass es in gentechnisch
veränderten Pflanzen tatsächlich regelmäßig zu ungewollten Veränderungen kommt,
gibt es keinen Dissens (siehe auch Kuiper et al. 2001), unklar ist nur, wie diese
zu bewerten sind. Batista et al. (2008) untersuchten
die Veränderung der genetischen Aktivität bei Pflanzen, bei denen durch
Bestrahlung Mutationen ausgelöst wurden, und gentechnisch veränderten Pflanzen.
Bei Pflanzen, die gentechnisch manipuliert wurden, fanden sie zusätzliche 2318
Veränderungen der Genaktivität. In den nachfolgenden Generationen nahm die
Anzahl der in ihrer Aktivität veränderten Gene zwar deutlich ab, es blieben
aber auch dann deutliche Unterschiede nachweisbar. Zwar weisen Batista et al.
(2008) darauf hin, dass es bei den bestrahlten Pflanzen zu deutlich stärkeren
Veränderungen in der Genaktivität kam und schlagen deswegen vor, dass auch das
Risiko von Lebensmitteln, die aus diesen Pflanzen gewonnen werden, untersucht
werden solle. Einer Gleichsetzung der Risiken von bestrahlten Pflanzen und
gentechnisch veränderten Pflanzen kann aber nicht zugestimmt werden.
Mutationszüchtung wird nicht schon nur wesentlich länger betrieben als
Gentechnik, sondern sie basiert im Wesentlichen auch auf den Mechanismen der
Evolution: Pflanzen sind beständig mutationsauslösenden Reizen (wie dem
UV-Licht) ausgesetzt. Die Bandbreite der Mutationen, die tatsächlich genutzt
werden, ist gering, die tatsächlichen Veränderungen setzen sich erst in langen
Zeiträumen durch. Die gleichzeitige
Veränderung der Aktivität vieler Gene bei einer Bestrahlung ist nicht
erstaunlich, sie zeigt die natürliche Reaktion (inklusive der
Reparaturmechanismen) auf einen unspezifischen, aber für Pflanzen nicht ganz
ungewöhnlichen Reiz (hier kann man je nach Höhe und Dauer der Bestrahlung zu
einer differenzierten Bewertung kommen). Bei der gentechnisch veränderten
Pflanze wird dagegen eine spezifische Veränderung im Erbgut der Pflanzen
gesetzt, die von der Pflanze nicht kontrolliert werden kann und bei der eine
genetische Information hinzugefügt wird, die an den Stoffwechsel der Pflanze
nicht angepasst ist. Insgesamt ist eine komplexe Veränderung der Genaktivität
bei bestrahlten Pflanzen nicht erstaunlich. Dass aber durch den Gentransfer
ebenfalls eine sehr große Anzahl von Genen ihre Aktivität verändert, ist das
eigentlich Überraschende an dieser Untersuchung. Die neueren Erkenntnisse
über die Komplexität und die Bedeutung der natürlichen Genregulation werden in
den Konzepten der Risikobewertung von FAO/WHO (2000), Codex Alimentarius (2003)
und der EFSA (2006) nicht berücksichtigt. Sie setzen unerwartete Effekte, die
in der konventionellen Zucht auftreten können, grundsätzlich den Auswirkungen
gleich, die durch den gentechnischen Eingriff ausgelöst werden. In der Praxis der
Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) führt die der
Risikobewertung vorangestellte Hypothese dazu, dass gentechnisch veränderte
Pflanzen hinsichtlich ihrer Sicherheit, Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit
nicht mehr wirklich in Frage gestellt werden. Tauchen – wie in den meisten
Fällen dies tatsächlich der Fall ist – signifikante Unterschiede in den
Inhaltsstoffen zwischen gentechnisch veränderten und konventionellen Pflanzen
auf, werden diese von der EFSA regelmäßig als »biologisch nicht signifikant«
und damit als nicht relevant klassifiziert. Spök et al. (2004) schreiben dazu: »Bei der Analyse der
Inhaltsstoffe werden jedoch signifikante Unterschiede nicht beachtet und nicht
weiter untersucht, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, unerwartete Sekundäreffekte
zu entdecken.« Es ist höchste Zeit, die
Risikobewertung und Verwendung von gentechnisch veränderten Pflanzen in der
Landwirtschaft und Lebensmittelwirtschaft grundlegend zu überdenken. Es ist längst
nicht mehr die Angst vor dem Neuen, die eine kritische Hinterfragung der
Agro-Gentechnik nötig macht, sondern vielmehr die Tatsache, dass die
wissenschaftlichen Grundlagen dieser Technologie durch neue
Forschungsergebnisse mehr und mehr infrage gestellt werden. 1 Caruso, Denise: »A Challenge
to Gene Theory, a Tougher Look at Biotech«, in: New York Times, 1.7.07,
www.nytimes.com 2 Zitiert nach Greenpeace 2005. Referenzen: Anholt, R. R. et al. (2003) »The genetic architecture of odor-guided behavior in Drosophila«,
in: Nature Genetics 35, S. 180–184. Batista, R./Saibo,
N./Lourenco, T./Oliveira, M. M. (2008) »Microarray analyses reveal that plant
mutagenesis may induce more transcriptomic changes than transgene insertion,
in: PNAS, Vol 105 (9), S. 3640–3645 Clark, R. M./Schweikert,
G./Toomajian, C./Ossowski, S./Zeller, G./Shinn, P./Warthmann, N./Hu, T. T./Fu
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including draft document updated in 2008, in: The EFSA Journal 727, S.
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