Das
herrschende System ist ökologisch, ökonomisch und durch die Finanzkrise an die
Wand gefahren. Es steht nicht mehr einfach die Reform des Systems zur Debatte,
sondern die Transformation.« So brachte es Dany Cohn-Bendit in einem
taz-Interview (19.9.) auf den Punkt. Ganz ähnlich sehen es Claus Leggewie und
Harald Welzer. In ihrem Buch Das Ende der Welt, wie wir sie kannten. Klima,
Zukunft und die Chancen der Demokratie (S. Fischer Verlag) bündeln sie die
Komponenten einer Metakrise: Bisher beruhten »80 Prozent unseres komfortablen
Lebensstils … auf fossilen Energien«. Dieses Modell sei zum Scheitern
verurteilt, es brauche einen »neuen Referenzrahmen« – ein neues kulturelles
Modell. In seinem Kern müsse der Bruch mit dem gegenwärtigen Zeitbewusstsein
stehen. »Es ist das politische Zeitmaß, das dem Gegenwartskult der Markt-
anbeter ebenso abhanden gekommen ist wie der Gegenwartsverleugnung
politisch-religiöser Sektierer.« Beide verkennen die Bedeutung der mittleren
Frist. Mindestens diese aber sehen die Autoren als den Zeithorizont des nötigen
Wandels. Nun
fallen Jetztzeit und Vorausdenken, Umweltbewusstsein und -handeln nicht in
eins. Kulturelle Verpflichtung und Habitus werden eher wenig reflektiert und
sind auch der persönlichen Entscheidung nicht leicht zugänglich. Ein neuer
Verzichtsdiskurs müsste den Autoren zufolge raus aus der Quäl-Ecke und hin zu
einer »coolen« Haltung für eine »dritte Industrielle Revolution«. Ein »so
radikaler Umbau der Industriegesellschaft … funktioniert nur, wenn er als
Projekt angelegt wird, in das sich die Gesellschaftsmitglieder identitär
einschreiben können, wenn sie ihn als ihr Projekt begreifen.« Dieses Projekt
des radikalen Umbaus soll die Trägheit der Politik überwinden und die
»erstarrte Parteiendemokratie« aufmischen. Dazu setzen die Autoren auf die
»Selbstermächtigung« in Form einer neuen Bewegung – der »APO 2.0«. Wie
aber kann ein solches »Projekt« im nationalstaatlichen Rahmen erfolgreich sein?
Und ist nicht die Projekte-Macherei selbst zu einem eminenten Problem geworden?
Projekte sind ihrem Wesen nach kurzfristig angelegt, und längst hat auf breiter
Fläche schon eine nur mittelfristige Verbindlichkeit abgenommen. Darunter
leidet auch die Politik. Gerade bei den Jüngeren erkennen etliche Studien die
Neigung zum kurzfristigen, punktuellen Engagement. Zu dieser Entwicklung haben
auch die Umwälzungen in den medialen Öffentlichkeiten beigetragen, denn die
alte Sender-Empfänger-Struktur mit ihren wenigen Zentren befindet sich in
Auflösung. Mit den interaktiven Medien senden die einstigen Empfänger nun
millionenfach selbst. Gewiss erweitern sich damit die Möglichkeiten der
Beteiligung an Meinungs- und Willensbildungsprozessen – doch folgt daraus nicht
automatisch eine bessere Verständigung über zentrale gesellschaftliche
Probleme. Denn je schneller sich die Aufmerksamkeitsspirale dreht, umso
schwerer wird es, Aufmerksamkeit relevant zu bündeln. Von der Zerstreuung der
Aufmerksamkeiten sind daher nicht nur die »alten Medien« betroffen, sondern wesentlich
auch das Politische. Vor
diesem Hintergrund verliert das World Wide Web einiges von seiner
emanzipatorischen Aura. Die neue Blog-Kultur zeigt sich vornehmlich als eine
Ausweitung des Momentum. Die Web-Kultur bestätigt vorderhand Quote, Klickrate
und Ad-hoc-Meinungsbildung. Senkt sie nicht auch Frustrationstoleranz und
Durchhaltevermögen? Werden Erscheinungsformen hier nicht noch mehr zum
Wesentlichen gemacht? Wird Politik hier nicht auch vulgarisiert? Ein
Paradestück der Vulgarisierung lieferten jüngst allerdings die »alten Medien«
mit ihrem als »Duell« bezeichneten Fernsehtribunal. Dort zeigte sich mit den
Kanzlerkandidaten weniger das Elend der Politik als das der »Mediendemokratie«.
Selbst ermächtigte Moderatoren erreichten einen neuen Tiefpunkt der
Performance-Sucht. Damit wurde eine gemeinsame Tendenz der offiziellen wie der
neuen Medien sichtbar: Ein medialer Zirkus untergräbt das Wesen von
Öffentlichkeit und Politik, indem er Botschaften aussendet, die er selbst nicht
verantworten muss. Die politische Verblödung durch die Simplifizierungen in den
Leitmedien wirkt weitaus dreister als jene, die der Politik zugeschrieben wird.
Selbst das neue Fünf-Parteien-System und seine politischen Herausforderungen
für jede Regierungskoalition werden medial auf den Skandal heruntergebracht.
Auch eine »APO 2.0« müsste sich also diesen Formen pervertierter Öffentlichkeit
stellen. Und käme dabei wohl kaum um die Erkenntnis herum, dass eine
ökologische Wende mit knappen Mehrheiten so wenig zu machen ist wie ein Paradigmenwechsel
per Willensbekundung. Einen
realen Paradigmenwechsel analysiert Evelyn Hanzig-Bätzing in diesem Heft am
Beispiel der Biologie. Die bisherigen Annahmen über die »Bausteine des Lebens«
sind demnach hinfällig. Das Gen ist kein Schlüssel, sondern Teil eines
komplexen Systems von Interaktivität: nicht determiniert, offen für Einflüsse
aller Art. Ein solcher Erkenntnissprung täte auch anderen Feldern gut. Etwa dem
Verständnis von Wachstum und Entwicklung (ein impliziter Streit über Wachstum
und Wachstumsbegriff wird im »Thema« ausgefochten). Wenn das cartesianische
Weltmodell falsifiziert ist, könnte auch ein monokausales Fortschrittsdenken
ins Wanken kommen.
Editorial
In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 5/2009