Tom Schimmeck, Mitbegründer
der taz und freier Journalist, hat seinen Frust über die Medienlandschaft zu
Papier gebracht. In Am besten nichts Neues. Medien, Macht und Meinungsmache
(Westend Verlag) rollt er vornehmlich den Niedergang des bundesdeutschen
Journalismus auf. »Von 1992 bis 2004 hat das Gewicht
politisch-gesellschaftlicher Berichte in den wichtigsten Nachrichtensendungen
etwa 20 Prozent abgenommen, Politikberichterstattung ist ?kontinuierlich um 29
Prozent gesunken?«. Schlimmer noch als der politische Betrieb auf dem
»Showplatz Mitte« erscheinen ihm die »Gleitmedien« mit ihrem Dauertalk und
ihrer Skandalisierungssucht.
Neben einer »kruden Mixtur«
aus Bilanz, Porträt und Sittenbild liefert er auch Strukturdaten: Ortstermine
und Gespräche machen nur noch einen Anteil von 1,4 Prozent an journalistischer
Recherche aus; 42 Prozent aller freien Journalisten arbeiten laut DJV- Umfrage
auch für Pressestellen und PR-Agenturen (häufig aus Finanznot); 36 Prozent der
PR-Leute stammen aus dem zunehmend brotloseren Journalismus; 18.000 PR-Leute
stehen rund 30.000 Politik- und Wirtschaftsjournalisten gegenüber (Letztere
haben sich zu großen Teilen der Finanzmarkt-PR verschrieben, siehe die Studie
von Sebastian Dullien: »Wirtschaftspolitische Berichterstattung in Deutschland
? ein Fall von Marktversagen«, 2008). An den Journalistenschulen wird
unerbittlich die »Eroberung von Meinungsführerschaft« gelehrt. Insgesamt sieht
Schimmeck eine »Entgrenzung« zu einem »Ich«-»Wir«-und-»Ihr«-Journalismus. Er
analysiert, wie Döpfner, Aust und Schirrmacher für Springer (Bild, Welt),
Spiegel und FAZ seit 2004 einen neuen Kampagnenjournalismus in
Gang setzten. Als Fanal des journalistischen Niedergangs gilt Schimmeck die
Entwicklung des Spiegels zu einem Skandal- und die »68er sind an allem
Schuld«-Magazin. An den Schlüsselstellen in den Medien sieht er Vertreter einer
narzisstischen Generation, die »niemand gewählt hat« und die niemandem
gegenüber rechenschaftspflichtig sind, jedoch einen »Verkündungsjournalismus«
in Permanenz betreiben. Weithin »gibt es keinen Kontext mehr, keine
Entwicklungen, keine Widersprüche«, sondern nur noch Schnittig- und
Eindeutigkeit.
Eines der größten
Hassobjekte ist der »Wohlfahrtsstaat« geworden. Wie weit dabei das Niveau der
Auseinandersetzung herunterkommen kann, lässt sich am Sonderheft Merkur
»Über Freiheit und Paternalismus« verfolgen. Schon einleitend ist von »sozialer
Hirnwäsche« die Rede. In der Folge wird von einigen Autoren der
»Wohlfahrtsstaat« zu einer paternalistischen Umverteilungsmaschine für alles
und jedes und zum absoluten Feind der Freiheit erklärt. Dabei kommen Jürgen
Kaube, Rainer Hank, Norbert Boltz, ja selbst ein Klaus Hartung ganz ohne
strukturelle Arbeitslosigkeit aus. Hartung »vergisst« bei seiner Polemik gegen
ausufernde Sozialprogramme die verheerenden Rahmenbedingungen der Wirtschaft
und des Arbeitsmarktes in Berlin. Legt man allein die Zahlen von Peter Lohauß
daneben (S. 9 und S. 28 dieser Ausgabe), erkennt man, wie weit man diskursiv
jenseits der Realität landen kann. Hartz-IV-Alltag wird hier schlicht auf
»Hängemattenexistenzen« und Anspruchsdenken heruntergebracht. So versteigt sich
Hartung gar zur Behauptung: »Im Grunde honoriert gerade die beste
Kinderbetreuung die Lethargie, die Bequemlichkeit, den Alkoholismus, den
Egoismus und die Asozialität von Eltern und Großeltern.«
In dieser Variante des
Kampfes um die Verteidigung der Freiheit gibt es wenig Anstrengungen, über das
Vermögen zur Freiheit nachzudenken. Das Gut der Freiheit ist jedoch auch
sozial- und bildungsabhängig (siehe das »Thema« in dieser Ausgabe). Zum
Vermögen zur Freiheit gehört die Verständigung über ihre Voraussetzungen. Wo
Schmerzen und Unvermögen nicht gesehen und gewichtet werden, herrscht die
selbstgewisse Behauptungskraft der Bessergestellten, die andere
Lebensrealitäten erscheinungs- und stimmenlos werden lassen. Der Wahrnehmung
der gehobenen Akademiker und gespreizten Edelfedern entschwinden die
Alltagsanstrengungen, das Aufreiben in demütigenden Bewerbungsschleifen, die
Entwertung von Arbeitsbiografien, die soziale Verletzlichkeit, insgesamt die
Folgekosten einer Hochmobilität und der permanenten Anpassungsprozesse in
Produktion und Dienstleistungsgewerbe. So bleiben ganze Lebensbereiche
unterhalb ihrer Sichtbarkeits- und Anerkennungsschwelle.
Einen Einblick in diese
Sphäre liefert der jobbende Jungakademiker Frank Hertel in Knochenarbeit.
Ein Frontbericht aus der Wohlstandsgesellschaft (Hanser Verlag). Er
berichtet von seinen Erfahrungen aus einer Backfabrik für Discounter-Waren. Es
ist die Arbeitswelt im Billiglohnbereich, in der vornehmlich die Migranten
tätig sind. »Nur Ausländer können mit so wenig Lohn auskommen. Nur Ausländer
lassen sich dermaßen durch die Gegend peitschen.« Hertel selbst ist hin- und
hergerissen zwischen der »Dummheit« oder »Naivität« dieser Menschen und der
Anerkennung ihrer Leistungen. Obwohl sie das »Rad am Laufen halten«, halten
»sie sich für wertlos«. Ihre Wertlosigkeit bekommen sie öffentlichkeitswirksam
auch ständig gespiegelt. Hertel hält fest: »Ein Indikator für den Erfolg eines
Landes ist die Lage seiner schwächsten Glieder.«