Michael Ackermann

 

Editorial

 

 

 

Tom Schimmeck, Mitbegründer der taz und freier Journalist, hat seinen Frust über die Medienlandschaft zu Papier gebracht. In Am besten nichts Neues. Medien, Macht und Meinungsmache (Westend Verlag) rollt er vornehmlich den Niedergang des bundesdeutschen Journalismus auf. »Von 1992 bis 2004 hat das Gewicht politisch-gesellschaftlicher Berichte in den wichtigsten Nachrichtensendungen etwa 20 Prozent abgenommen, Politikberichterstattung ist ?kontinuierlich um 29 Prozent gesunken?«. Schlimmer noch als der politische Betrieb auf dem »Showplatz Mitte« erscheinen ihm die »Gleitmedien« mit ihrem Dauertalk und ihrer Skandalisierungssucht.

Neben einer »kruden Mixtur« aus Bilanz, Porträt und Sittenbild liefert er auch Strukturdaten: Ortstermine und Gespräche machen nur noch einen Anteil von 1,4 Prozent an journalistischer Recherche aus; 42 Prozent aller freien Journalisten arbeiten laut DJV- Umfrage auch für Pressestellen und PR-Agenturen (häufig aus Finanznot); 36 Prozent der PR-Leute stammen aus dem zunehmend brotloseren Journalismus; 18.000 PR-Leute stehen rund 30.000 Politik- und Wirtschaftsjournalisten gegenüber (Letztere haben sich zu großen Teilen der Finanzmarkt-PR verschrieben, siehe die Studie von Sebastian Dullien: »Wirtschaftspolitische Berichterstattung in Deutschland ? ein Fall von Marktversagen«, 2008). An den Journalistenschulen wird unerbittlich die »Eroberung von Meinungsführerschaft« gelehrt. Insgesamt sieht Schimmeck eine »Entgrenzung« zu einem »Ich«-»Wir«-und-»Ihr«-Journalismus. Er analysiert, wie Döpfner, Aust und Schirrmacher für Springer (Bild, Welt), Spiegel und FAZ seit 2004 einen neuen Kampagnenjournalismus in Gang setzten. Als Fanal des journalistischen Niedergangs gilt Schimmeck die Entwicklung des Spiegels zu einem Skandal- und die »68er sind an allem Schuld«-Magazin. An den Schlüsselstellen in den Medien sieht er Vertreter einer narzisstischen Generation, die »niemand gewählt hat« und die niemandem gegenüber rechenschaftspflichtig sind, jedoch einen »Verkündungsjournalismus« in Permanenz betreiben. Weithin »gibt es keinen Kontext mehr, keine Entwicklungen, keine Widersprüche«, sondern nur noch Schnittig- und Eindeutigkeit.

Eines der größten Hassobjekte ist der »Wohlfahrtsstaat« geworden. Wie weit dabei das Niveau der Auseinandersetzung herunterkommen kann, lässt sich am Sonderheft Merkur »Über Freiheit und Paternalismus« verfolgen. Schon einleitend ist von »sozialer Hirnwäsche« die Rede. In der Folge wird von einigen Autoren der »Wohlfahrtsstaat« zu einer paternalistischen Umverteilungsmaschine für alles und jedes und zum absoluten Feind der Freiheit erklärt. Dabei kommen Jürgen Kaube, Rainer Hank, Norbert Boltz, ja selbst ein Klaus Hartung ganz ohne strukturelle Arbeitslosigkeit aus. Hartung »vergisst« bei seiner Polemik gegen ausufernde Sozialprogramme die verheerenden Rahmenbedingungen der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes in Berlin. Legt man allein die Zahlen von Peter Lohauß daneben (S. 9 und S. 28 dieser Ausgabe), erkennt man, wie weit man diskursiv jenseits der Realität landen kann. Hartz-IV-Alltag wird hier schlicht auf »Hängemattenexistenzen« und Anspruchsdenken heruntergebracht. So versteigt sich Hartung gar zur Behauptung: »Im Grunde honoriert gerade die beste Kinderbetreuung die Lethargie, die Bequemlichkeit, den Alkoholismus, den Egoismus und die Asozialität von Eltern und Großeltern.«

In dieser Variante des Kampfes um die Verteidigung der Freiheit gibt es wenig Anstrengungen, über das Vermögen zur Freiheit nachzudenken. Das Gut der Freiheit ist jedoch auch sozial- und bildungsabhängig (siehe das »Thema« in dieser Ausgabe). Zum Vermögen zur Freiheit gehört die Verständigung über ihre Voraussetzungen. Wo Schmerzen und Unvermögen nicht gesehen und gewichtet werden, herrscht die selbstgewisse Behauptungskraft der Bessergestellten, die andere Lebensrealitäten erscheinungs- und stimmenlos werden lassen. Der Wahrnehmung der gehobenen Akademiker und gespreizten Edelfedern entschwinden die Alltagsanstrengungen, das Aufreiben in demütigenden Bewerbungsschleifen, die Entwertung von Arbeitsbiografien, die soziale Verletzlichkeit, insgesamt die Folgekosten einer Hochmobilität und der permanenten Anpassungsprozesse in Produktion und Dienstleistungsgewerbe. So bleiben ganze Lebensbereiche unterhalb ihrer Sichtbarkeits- und Anerkennungsschwelle.

Einen Einblick in diese Sphäre liefert der jobbende Jungakademiker Frank Hertel in Knochenarbeit. Ein Frontbericht aus der Wohlstandsgesellschaft (Hanser Verlag). Er berichtet von seinen Erfahrungen aus einer Backfabrik für Discounter-Waren. Es ist die Arbeitswelt im Billiglohnbereich, in der vornehmlich die Migranten tätig sind. »Nur Ausländer können mit so wenig Lohn auskommen. Nur Ausländer lassen sich dermaßen durch die Gegend peitschen.« Hertel selbst ist hin- und hergerissen zwischen der »Dummheit« oder »Naivität« dieser Menschen und der Anerkennung ihrer Leistungen. Obwohl sie das »Rad am Laufen halten«, halten »sie sich für wertlos«. Ihre Wertlosigkeit bekommen sie öffentlichkeitswirksam auch ständig gespiegelt. Hertel hält fest: »Ein Indikator für den Erfolg eines Landes ist die Lage seiner schwächsten Glieder.«

 

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 5/2010