Wege aus der
Schuldenfalle
Vorschlag für eine Entschuldung der Republik nach dem Vorbild des Lastenausgleichs von 1952
Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte hat ein Ausmaß angenommen, der
in Richtung Offenbarungseid führt. Unser Autor stellt einen
Entschuldungsvorschlag zur Diskussion und wirft in diesem Rahmen einige
wesentliche Fragen auf: Wie könnte ein Entschuldungsmodell aussehen? Ist es
realistisch, zu glauben, wir könnten heute etwas Ähnliches wie in den
Fünfzigerjahren zustande bringen? Bestand nicht nach dem Zweiten Weltkrieg eine
einmalige Situation, eine Stunde Null, die nicht vergleichbar mit heute ist?
Wenn es schon 1990 nicht möglich war, die Gunst der Stunde zu nutzen, wie soll
das heute gehen?
Die einzige erfolgreiche sozialistische Revolution in Deutschland fand nicht
1918 statt ? sondern 1948 bis 1953. Sie bestand aus der Währungsreform von 1948
und wurde dann mit den Lastenausgleichsgesetzen durch eine CDU-geführte
Bundesregierung abgeschlossen.(1) Ergebnis war die Entschuldung des Staates
nach dem Zweiten Weltkrieg und eine erhebliche Umverteilung von Vermögen. So
wurde die Grundlage für das beispiellose Wirtschaftswunder der Fünfzigerjahre
gelegt ? ganz im Gegensatz zur lähmenden Stagnation nach dem Ersten Weltkrieg.
Nach der Herstellung der
deutschen Einheit wurde dann die Frage diskutiert, ob in dieser historischen
Stunde nicht die Erfahrungen mit dem Lastenausgleich genutzt werden können, um
die deutsche Einheit zu finanzieren. Aber diese Chance wurde in der Euphorie
der Vereinigung vertan. Die Einheit wurde auf Pump finanziert ? mit
katastrophalen Folgen. Heute ist die Lage der Republik dramatischer als je
zuvor. Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung ? einen Neuanfang. Deshalb
wird es Zeit, die Gedanken von 1952 und 1992 wieder aufzugreifen.
Denn sie wissen nicht mehr, was sie tun
Die diesjährige
Regierungserklärung der Kanzlerin war ein Ausdruck der Hilflosigkeit. Der
durchaus realistischen Analyse der Situation folgte nichts außer dem Prinzip
Hoffnung. Dass das nicht gut gehen kann, ahnen nicht nur die Fachleute.
Zynismus und Ratlosigkeit dominierten denn auch in den Kommentaren.
Der deutsche Staat ist mit
1,6 Billionen Euro verschuldet. Bis 2013 wird die Verschuldung der öffentlichen
Haushalte auf zwei Billionen Euro angewachsen sein.(2) Während sich das
Nettovermögen der privaten Haushalte seit der Wende 1990 verdoppelt hat, haben
sich die öffentlichen Schulden verdreifacht. Heute gehen bereits 17 Prozent der
Steuereinnahmen des Bundes nur für die Zinsen für Schulden der Vergangenheit
drauf.
Schon angesichts dieser
Zahlen müssen die Fantasien der FDP und CSU von Steuersenkungen in
Milliardenhöhe an der Realität zerschellen. Wenn in einer Phase drastisch wachsender
Neuverschuldung Steuersenkungen in Höhe von mehr als 30 Milliarden Euro
versprochen werden, dann beweist das nur, dass Ideologien immer noch den
nüchternen Blick auf die Realität vernebeln. Allein die Vorgaben der EU werden
schon zu Milliarden-Einsparungen zwingen. Weitere Einschnitte ins soziale Netz
sind programmiert.
Noch brisanter wird es aber,
wenn wir einen Blick in die Haushalte der Länder und Kommunen werfen. Ich war
14 Jahre Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein. Deswegen kann ich über
Pressemitteilungen des Steuerzahlerbundes, die weitere Milliarden-Einsparungen
bei den Ländern fordern, nur noch den Kopf schütteln. Wir haben in neun Jahren
rot-grüner Regierung fast zehn Prozent der Stellen abgebaut und nahezu das
gesamte Vermögen des Landes verkauft. Wir haben dafür Prügel in Kindergärten,
Schulen und Hochschulen bezogen, von der Polizei und Justiz und dem Beamtenbund
ganz zu schweigen. Und trotzdem ist die Neuverschuldung kontinuierlich
gewachsen. Die danach folgende große Koalition kapitulierte trotz großer
Ankündigungen beim Stellenabbau völlig. Selbst die noch unter Rot-Grün
konzipierte große Verwaltungsreform, bei der Landkreise und Landesbehörden
zusammengelegt und neu organisiert werden sollten, scheiterte an den
Kommunalpolitikern von CDU und SPD. Als die Regierung dann einknickte, ging gar
nichts mehr, und die Regierung verendete in einem Rosenkrieg von gegenseitigen
Schuldzuweisungen.
Und das ist gar nicht
verwunderlich. Große Einsparungen bei den Ländern sind ohne Stellenstreichungen
bei Bildung, Kinderbetreuung, Polizei und Justiz nicht mehr denkbar ? denn
diese Bereiche umfassen 80 Prozent aller Stellen der Länderhaushalte. Und die
Personalkosten machen fast die Hälfte eines Landeshaushaltes aus. Die andere
Hälfte ist sowieso festgezurrt. So können zum Beispiel Zinszahlungen,
Beamtenpensionen, Zuweisungen an die Kommunen, bundesgesetzlich festgelegte
Sozialausgaben und zweckgebundene Zuweisungen des Bundes oder der EU, etwa für
Landwirtschaft, Regionalentwicklung oder Regionalbahnverkehr, in der Höhe von
den Ländern fast gar nicht beeinflusst werden.
Und das ist noch nicht
alles. Denn zugleich stehen wir vor gewaltigen Aufgaben: Die Ausgaben für
Bildung und Betreuung dürfen nicht gekürzt, sondern müssen im Gegenteil um mehr
als 30 Prozent gesteigert werden.(3) Der Klimawandel erfordert den Umbau ganzer
Wirtschaftszweige. Der demografische Wandel stellt gewaltige Ansprüche an den
Ausbau des Pflege- und Gesundheitswesen. Und angesichts dieser Notwendigkeiten
ist der Staat aufgrund seiner Schuldenlast auf Jahre hinaus handlungsunfähig.
Man musste bei den Koalitionsverhandlungen im Bund und in den Ländern geradezu
den Eindruck bekommen, dass Gedanken über die Finanzierung dieser Probleme
kollektiv verdrängt wurden.
Die Stunde Null naht
In dieser Situation hat der
Bundestag noch vor der Wahl eine grundlegende Entscheidung getroffen. Er hat
mit der sogenannten Schuldenbremse ein Neuverschuldungsverbot in die Verfassung
aufgenommen. Und um das alles zu toppen, stecken wir mitten in der Finanzkrise,
und die Steuereinnahmen brechen weg wie noch nie. Ab 2011 müssen bereits die
ersten Länder nachweisen, wie sie bis 2019 ihren Haushalt in Deckung bringen
können. Und sie werden es nicht können.
Damit steht der
Offenbarungseid bevor. Unsere Demokratie steht jetzt vor einer Nagelprobe. Drastische
Sparmaßnahmen sind nur durch massive Einschnitte ins soziale Netz und bei der
Bildung finanzierbar. Aber diese würden die Akzeptanz von Politik vollends
untergraben. Und deshalb wird sich das niemand trauen ? schon heute fürchtet
die Kanzlerin jeden ernsthaften Einschnitt wie der Teufel das Weihwasser. Und
zu Recht!
Denn auch die Konzentration
von Armut und Vermögen nimmt ständig zu.(4) Das Verhalten der Bankmanager und
die hilflosen Reaktionen der Politik bringen die Demokratie bei Teilen der Bevölkerung
immer mehr in Misskredit. Deshalb steht jede Regierung heute vor der Frage:
Gelingt es, den Staat zu entschulden, damit er die Zukunftsaufgaben finanzieren
kann? Gelingt es, das Anwachsen von Armut und Reichtum zu stoppen und wieder
mehr Gerechtigkeit zu schaffen? Davon wird es abhängen, ob die Menschen
Demokratie und soziale Marktwirtschaft als ihre Gesellschaftsordnung
akzeptieren oder nicht. Die Stunde Null ist gekommen.
Dabei denke ich nicht, dass
die Lage hoffnungslos ist. Wir stehen zwar vor großen Herausforderungen, aber
sie können bewältigt werden. Unsere Nachbarn im Norden haben es vorgemacht. In
Dänemark sank die Arbeitslosigkeit von 12,3 Prozent im Jahr 1994 auf das
Rekordtief von 1,6 Prozent im Sommer 2008 und liegt jetzt bei 3,2 Prozent. Die
Staatsschulden sanken im gleichen Zeitraum von 80,1 Prozent des BIP auf 26
Prozent.(5) Es geht also.
Aber dafür braucht man einen
handlungsfähigen Staat. Nicht zufällig ist Dänemark nicht nur eines der
wohlhabendsten Länder der Welt, sondern auch das mit den höchsten Steuern. Um
dahin zu kommen, helfen uns keine Ideologien über Steuersenkungen. Wir brauchen
eine gemeinsame nationale Anstrengung. Deswegen wird es Zeit, den Vorschlag
aufzugreifen, der schon 1992 intensiv diskutiert wurde: Eine Vermögensabgabe
nach dem Vorbild des Lastenausgleichs, durch die das Schiff »Deutschland«
wieder flott gemacht wird.
Die Debatte von 1992
Die Idee ist also nicht neu.
Sie wurde 1992 nach der Herstellung der deutschen Einheit intensiv
diskutiert.(6) Hauptbefürworter waren damals der Bundespräsident Richard von
Weizsäcker, der Arbeitsminister Norbert Blüm, die stellvertretende
CDU-Vorsitzende Angela Merkel, die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier und
die Grünen.(7) Aber die Zeit war noch nicht reif. Die Versprechungen von den
blühenden Landschaften waren viel verlockender. Und so setzten sich die Gegner
um Finanzminister Theo Waigel und den FDP-Parteivorsitzenden Otto Graf
Lambsdorff durch. Die Folge war, dass die deutsche Einheit überwiegend auf Pump
finanziert wurde. Nicht zufällig liegt der aufsummierte Wert der
West-Ost-Transfers seit 1990 mit circa 1,5 Billionen Euro(8) in der gleichen
Größenordnung wie die Schulden aller öffentlichen Haushalte. Ohne die
Vereinigung wäre Deutschland also schuldenfrei.
Die Wahrheit ist aber noch
etwas komplizierter. Denn den größten Beitrag zur Finanzierung des Transfers
mussten die Sozialversicherungen leisten. Dadurch wuchsen die Beiträge für die
Sozialversicherungen ? und damit wurden wesentliche Kosten der Einheit auf die sozialversicherungspflichtigen
ArbeitnehmerInnen mit unteren und mittleren Einkommen abgewälzt. Die so
wachsenden Lohnnebenkosten belasteten dazu noch den arbeitsintensiven
Mittelstand besonders und trugen dazu bei, dass die Arbeitslosenzahlen noch
mehr in die Höhe gingen und die Steuereinnahmen weniger wurden.
Und worum ging es
Weizsäcker? Er wollte ein neues Wirtschaftswunder initiieren ? indem er auf die
Initiative der Menschen setzen wollte. Er wollte die Einheit gerecht
finanzieren. Und er wollte dazu keine neuen Schulden machen. Es ging den
Initiatoren aber auch darum, dass die Kosten der Einheit solidarisch von denen
getragen werden, die sie tragen können ? und die voraussichtlich auch den
Nutzen davon haben. Denn wenn ein Staat nicht mehr die Zukunftsaufgaben
finanzieren kann, dann leiden alle darunter. Auch und gerade die Wirtschaft
braucht eine gute Infrastruktur, gut ausgebildete Menschen und auch eine
leistungsfähige Justiz und Polizei, die den Rechtsstaat gewährleisten.
Heute stellt sich das Problem
noch klarer: Wenn der Staat nicht mehr in der Lage ist, die Zukunftsaufgaben zu
finanzieren, dann sägen wir an dem Ast, auf dem wir alle sitzen ? und das gilt
auch für die Wirtschaft!
Dass die Kritiker der
Schuldenfinanzierung wie Weizsäcker Recht hatten und dass in den vergangenen
Jahren seit der Vereinigung die Weichen falsch gestellt wurden, das lässt sich
an der Vermögensentwicklung seit 1990 sehr gut ablesen. Allein das Reinvermögen
der privaten Haushalte nach Abzug der Schulden hat sich seit 1990 von circa
vier auf acht Billionen Euro verdoppelt.(9) Selbst im Krisenjahr 2008 und der
ersten Jahreshälfte 2009 ist das private Reinvermögen ? wenn auch etwas
gedämpft durch die Wertpapierverluste ? weiter gewachsen. In der gleichen Zeit
haben sich die Schulden des Staates von 536 Milliarden auf 1,6 Billionen Euro
verdreifacht.(10)
Es stellen sich also mehrere
Fragen: Ist eine Entschuldung überhaupt möglich? Wie könnte eine solche
Entschuldung aussehen? Wieso wird in der Diskussion auf den Lastenausgleich von
1952 Bezug genommen? Und mit dieser Frage will ich beginnen:
Was geschah 1948 und 1952?
Nach dem Krieg war der Staat
hoch verschuldet, während Milliarden Reichsmark im Umlauf waren, für die es
keine Waren zu kaufen gab. Während ein Teil der Immobilien unbeschadet erhalten
geblieben war und die Grundvermögen im Westen kaum betroffen waren, hatten
Millionen von Menschen entweder ihren gesamten Besitz bei der Flucht verloren
oder ihre Wertpapiere waren wertlos, und die Häuser waren im Bombenhagel
vernichtet. Mit der Währungsreform von 1948 wurden zunächst alle Geldvermögen
um bis zu 90 Prozent entwertet und der Staat von den Kriegslasten befreit. Mit
den Lastenausgleichsgesetzen von 1952 und 1953 wurden dann alle sonstigen
Vermögen mit einer Lastenausgleichabgabe in Höhe von 50 Prozent belegt.
Stichtag war rückwirkend der Tag der Währungsreform, der 21. Juni 1948. Die
Abgabe musste innerhalb von 30 Jahren bezahlt werden ? also bis 1979. Der
kleinere Teil (28,6 Mrd. DM) wurde zur Entschädigung von Vermögensverlusten
durch Vertreibung oder Ausbomben eingesetzt, der größere Teil (138,6 Mrd. DM)
ging in Rentenentschädigung, vergünstigte Darlehen und den Bau von
Altersheimen, Lehrlingsheimen und so weiter.(11)
Die Belasteten hatten allerdings
30 Jahre Zeit, die eingetragene Schuld an den Staat zu begleichen. Wachsender
Wohlstand und die Inflationsrate trugen dazu bei, dass die Belastung am Schluss
viel geringer war, als sie ursprünglich angesetzt wurde. Trotzdem geht man
heute davon aus, dass die fast vollständige Entschuldung des Staates, die
gerechte Umverteilung und die Abschöpfung der Kaufkraft wesentlich dazu
beitrugen, dass es zu dem erstaunlichen Boom der Fünfzigerjahre in Deutschland
kam.
Ein neuer Vorschlag
Für den Vorschlag von
Weizsäcker diente der Lastenausgleich von 1952 als Vorbild. Aber der
Problemdruck reichte damals noch nicht aus. Wie könnte nun ein solches Modell
auf die heutige Situation übertragen aussehen? Dazu einige Zahlen: Will man die
gesamte Schuldenlast der öffentlichen Haushalte tilgen, dann muss eine
Sonderabgabe von 1,6 Billionen Euro erhoben werden. Das klingt ungeheuer viel.
Verglichen mit 1952 wäre das aber »nur« eine durchschnittliche Belastung der
Vermögen von circa 16 Prozent. Orientiert man sich weiter am Modell des
Lastenausgleichs von 1952, dann würde die Vermögensabgabe nicht sofort erhoben
werden, sondern könnte in einem Zeitraum von 30 Jahren getilgt werden. Wenn
während dieser Zeit die jeweils noch zu erbringende Restschuld mit vier Prozent
verzinst wird, dann ergibt sich für Tilgung und Zins eine jährliche
Anfangsbelastung von gerade mal 0,9 Prozent ? die mit der Inflationsrate
jährlich geringer wird. Es ist also machbar.
Die wichtigsten Argumente
der Gegner waren denn 1992 auch nicht die Belastung der Eigentümer, sondern die
Drohung mit der Steuerflucht. Aber gerade der Vorschlag einer Sonderabgabe
vermeidet diese Gefahr. Wenn die Abgabe am Vermögenswert zu einem Zeitpunkt in
der Vergangenheit ansetzt, ist Kapitalflucht sinnlos. Angesichts eines Zeitraumes
von 40 Jahren, in dem eine Steuerhinterziehung entdeckt und verfolgt werden
kann, ist die Entdeckungsgefahr so groß, dass Steuerhinterziehung sehr
unattraktiv wird.(12)
Die Sonderabgabe sollte so
gestaltet werden, dass alle Vermögen zum realen Wert zu dem gewählten Zeitpunkt
veranlagt werden. Alle Privatvermögen deutscher Staatsbürger sollten ? nach
Abzug der jeweiligen Schulden der Person ? der Abgabe unterliegen, egal wo das
Geld oder die Wertanlage sich befindet, ob in Hamburg oder in Honolulu.
Bei den Firmen sollte das
Reinvermögen der Firma besteuert werden. Dazu werden vom Gesamtwert der Firma
der Wert der Aktien oder sonstiger Anteilscheine und die Summe des
Fremdkapitals, das in der Firma drinsteckt, abgezogen. Ist die Differenz nicht
positiv, wird die Firma nicht besteuert. Anteilrechte und Fremdkapital werden
deswegen abgezogen, da sie ja schon im Privatvermögen oder Firmenvermögen des
Besitzers oder eines Geldgebers enthalten sind. So wird eine Doppelbesteuerung
vermieden. Das hat allerdings zur Konsequenz, dass Anteilsrechte und
Fremdkapital von Ausländern, die in Deutschland investiert haben, nicht
besteuert werden, wohl aber Auslandsanlagen von Deutschen.
Ein anderes Argument gegen
eine Vermögensabgabe ist die Behauptung, es gäbe keine Datengrundlage für eine
Feststellung der Vermögen. Dieses Argument spielte auch bei der Abschaffung der
Vermögenssteuer eine große Rolle. Aber diesbezüglich hat sich die Situation
mittlerweile deutlich geändert. Die deutsche Bundesbank hat nämlich 2007 zum
ersten Mal eine Statistik aller Vermögen und Schulden von Privaten, Firmen,
Finanzinstituten und öffentlichen Haushalten erstellt. Die Grundlage dafür sind
Datenanforderungen der OECD, die mittlerweile international vereinbart wurden
und weiter fortentwickelt werden.(13) Diese Regeln könnten also sehr gut als
Grundlage für eine Feststellung der Vermögen zum Zeitwert genutzt werden.
Ist die Abgabe durchsetzbar?
Wer den zu erwartenden
politischen Widerstand realistisch einschätzen will, der muss berücksichtigen,
dass heute, anders als 1952, große Teile der Mittelschichten Wohneigentum
besitzen. 53 Prozent der Bevölkerung wohnen in einem eigenen Haus oder einer
eigenen Wohnung. Sie alle würden natürlich der Besteuerung unterliegen. Damit
wäre auch der Widerstand gegen eine solche Abgabe viel größer. Gerade die
Menschen, denen nur ein Teil ihres Hauses gehört, den sie mühsam abgezahlt
haben, werden nicht einsehen, dass sie für die Folgen der Finanzmarktkrise und
der deutschen Einheit bezahlen sollen.
Das ist allerdings ein
gewichtiges Argument, wenn es darum geht, politische Mehrheiten zu überzeugen.
Es spricht deswegen vieles dafür, dass die Abgabe nicht linear, sondern
progressiv erhoben wird: Das macht angesichts des Auseinanderklaffens von
Reichtum und Armut in der Republik auch verteilungspolitisch Sinn. Denn
mittlerweile besitzen 10 Prozent der Bürger über 60 Prozent des privaten
Reinvermögens, während die Hälfte der Bevölkerung praktisch keinen Besitz hat
oder sogar verschuldet ist.(14) Nur wenn die Menschen das Gefühl bekommen, dass
es gerecht zugeht, wird sich eine Mehrheit für eine solche Maßnahme gewinnen
lassen.
Um die Abgabe progressiv zu
gestalten, könnte sie folgendermaßen gestaltet werden: Vermögen bis 20.000 Euro
sollten abgabenfrei bleiben. Mittlere Vermögen unterliegen einem progressiven
Abgabensatz, der beginnend mit fünf Prozent schrittweise wächst. Der höchste
Steuersatz von 25 Prozent würde dann für Vermögen ab einer Million Euro gelten.
Auch bei einem solchen Modell läge die Belastung selbst für die großen Vermögen
weit unterhalb des Lastenausgleichs von 1952. Damit die Abgabe breit akzeptiert
wird, sollte sie unmittelbar mit Maßnahmen wie der Verbesserung der
Kinderbetreuung und der Schulen, mit der Abschaffung der Studiengebühren und der
Einführung von Stipendien verbunden werden. Also mit Maßnahmen, die sowieso
erforderlich sind, aber nun endlich auch finanzierbar werden. Wenn dann noch
ein Plan beschlossen wird, die Sozialabgaben schrittweise zu senken, dann
besteht die Chance, eine aufgeklärte Öffentlichkeit für das
Entschuldungsprojekt zu gewinnen.
Und wie geht es weiter?
Man kann natürlich fragen,
warum dann nicht gleich eine entsprechend hohe Vermögenssteuer eingeführt wird.
In der Tat halte ich eine Vermögensbesteuerung, wie sie international üblich
ist, für notwendig und sinnvoll. Nicht nur die Skandinavier, auch die liberalen
angelsächsischen Länder haben bekanntlich die höchsten Vermögenssteuern. Auch
die OECD hat Deutschland empfohlen, eine Vermögensbesteuerung wieder einzuführen
und dafür die Lohnnebenkosten zu senken.(15) Aber man muss auch zugestehen,
dass die Einführung einer Vermögenssteuer zumindest in der Anfangsphase auf
eine Vielzahl von Problemen stoßen wird, die sich nur schrittweise lösen
lassen. Zumindest würde sie die Gefahr beinhalten, unerwünschte Reaktionen der
Kapitalbesitzer auszulösen. Umgekehrt aber wird ein Schuh draus. Eine einmalige
Vermögensabgabe mit einem Stichtag in der Vergangenheit kann eine solide
Grundlage für eine Bewertung und Erfassung aller Vermögen schaffen. Zu einem
späteren Zeitpunkt könnte dann eine Vermögensbesteuerung eingeführt werden. Sie
könnte schrittweise eingeführt werden, sobald die reale Belastung der
Kapitalbesitzer durch die Abzahlung der Abgabe auf unter 0,5 Prozent des
Vermögens gesunken ist. Wann das ist, hängt natürlich von den Inflationsraten
und dem Vermögenswachstum ab. Die jeweilige Höhe der Besteuerung sollte dann
flexibel so gestaltet werden, dass das weitere Auseinanderdriften von Armut und
Reichtum in der Gesellschaft in Zukunft vermieden wird.
Es gibt aber noch ein
weiteres gewichtiges Argument für eine einmalige Vermögensabgabe. Auch wenn
diese erst im Laufe von 30 Jahren fällig wird und zunächst nur Zinsen anfallen,
dann ist rechtlich damit der Staat mit einem Schlag schuldenfrei. Damit könnte
die neue Schuldenbremse, die in der Verfassung verankert worden ist,
unmittelbar in Kraft treten und eine erneute Verschuldung verhindert werden. Es
gibt dann für die Politik keine Ausreden mehr.
Natürlich ist die
Entschuldung des Staates nur ein erster Schritt. In einem zweiten Schritt
sollte dann die Finanzverfassung des Staates insgesamt überprüft werden.
Allerdings nicht im Sinne eines pseudoliberalen
Billigsteuer-Bierdeckel-Modells. Das geht auch anders. In Schweden passt die
Steuererklärung tatsächlich zwar nicht auf einen Bierdeckel, aber auf eine
DIN-A4-Seite. Man kann eben als Privatmensch nichts absetzen. Zu meinen
persönlichen Prioritäten für eine neue Finanzverfassung gehören jedoch Projekte
wie die weitgehende Verlagerung von Aufgaben und deren Finanzierung auf die
Kommunen, wie das in Skandinavien Praxis ist. Dann brauchen die Kommunen und
Länder natürlich auch das Steuerheberecht. Und die Bürger können dann jeweils
vor Ort entscheiden, was ihnen die Leistungen der Kommune Wert sind und ob sie
bereit sind, mehr Steuern zu bezahlen, um eine Schule, ein Krankenhaus und so
weiter zu bauen oder die ÖPNV auszuweiten, um nur drei Beispiele zu nennen. Und
nach aller Erfahrung sind die Bürger dann auch bereit, an die Kommunen dafür
Steuern zu zahlen.(16)
Eine weitgehende
Entschuldung des Staates durch eine Vermögensabgabe ist aber für all das die
Vorraussetzung. Wenn zugleich die Verabschiedung einer solchen Abgabe mit einer
Verbesserung des Bildungssystems und mit einer schrittweisen Senkung der
Sozialabgaben verbunden wird, wie es von der OECD empfohlen wird, dann sollte
es möglich sein, die Menschen für einen solchen Neuanfang zu gewinnen. Denn je
dramatischer die Lage sich zuspitzt, desto mehr wird in den Parteien, aber auch
in der Öffentlichkeit, in den Verbänden und Medien die Erkenntnis wachsen, dass
eine gemeinsame Kraftanstrengung erforderlich ist. Dann würde die Republik
wieder handlungsfähig, die Zukunftsaufgaben können angepackt werden. Davon
würden dann nicht zuletzt auch die Wirtschaft und all diejenigen, die die
Abgabe zahlen müssen, profitieren.
Anm.: 5 Tabellen und Grafiken in der Druckfassung. Red.
1
Diese erste
Adenauer-Regierung war eine Koalition aus CDU, CSU, FDP und DP (Deutsche
Partei: rechtskonservativ, durch Vertriebene geprägt).
2
»Schuldenberg
wächst auf über 2000 Mrd. Euro«, in: Focus Online, 8.7.09.
3
Deutschland
liegt mit 4,8 % des BIP für Bildung um ca. 1,5 bis 2 % hinter der Spitzengruppe
der bei PISA erfolgreichen Staaten zurück ? das erfordert eine Steigerung um
mehr als 30 % (siehe OECD: Bildung auf einen Blick 2009).
4
Bundeszentrale
für politische Bildung (aufgrund von Berechnungen des DIW Berlin): siehe
http://www1.bpb.de/wissen/U4CJQA,0,0,Verm%F6gensverteilung.html am 5.10.09.
5
Siehe Wikipedia:
Wirtschaft von Dänemark, 9.10.09.
6
Nikolaus
Piper: »Last mit dem Ausgleich«, in: Zeit, 29.5.1992.
7
Die Grünen
hatten schon im März 2002 einen »Lastenausgleich Deutsche Einheit« gefordert.
1994 stand die Forderung im Bundestagswahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen.
8
»Deutsche
Einheit noch viel teurer«, in: FAZ.Net, 19.9.04; seitdem sind pro Jahr
weitere 75 Mrd. Euro angefallen, sodass die Kosten über 1,5 Bio. Euro liegen
(»Kosten der Deutschen Einheit«, in: Wikipedia 5.10.09).
9
Deutsche
Bundesbank: Monatsbericht Januar 2008; Bundeszentrale für politische
Bildung: Vermögensentwicklung,
http://www1.bpb.de/wissen/CHTDJW,0,0,Verm%F6gensentwicklung.html (4.9.09).
10
Statistisches
Bundesamt, 30.10.06, http://www.destatis.de/indicators/d/lrfin03ad.htm
(4.9.09); Schätzung Bund der Steuerzahler 23.6.09.
11
Klaus Peter
Krause: »Der Lastenausgleich ? was er war und was er heute noch ist«, FAZ,
24.2.1996.
12
Aus: Der
Brockhaus-Recht, http://www.brockhaus.de/wissen/lastenausgleich 24.8.09).
13
Die
deutsche Bundesbank hat 2008 erstmals eine Aufstellung der gesamten Vermögen
nach Zeitwert erarbeitet. Siehe: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht
Januar 2008. Die Feststellung des Vermögens erfolgt nach den Regeln des ESGV 95
(Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung).
14
Bundeszentrale
für politische Bildung ? Vermögensverteilung 2009.
15
»OECD
fordert höhere Vermögenssteuern«, in: Focus Online, 15.10.08.
16
Karl-Martin
Hentschel: »Bürger, Kommune und Staat. Über die kommunale Basis des
skandinavischen Sozialstaates«, in: Kommune 6/06,
www.oeko-net.de/Kommune/kommune06-06/akommunen.htm
In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 6/2009