Karl-Martin Hentschel


Wege aus der Schuldenfalle

Vorschlag für eine Entschuldung der Republik nach dem Vorbild des Lastenausgleichs von 1952



Die Verschuldung der öffentlichen Haushalte hat ein Ausmaß angenommen, der in Richtung Offenbarungseid führt. Unser Autor stellt einen Entschuldungsvorschlag zur Diskussion und wirft in diesem Rahmen einige wesentliche Fragen auf: Wie könnte ein Entschuldungsmodell aussehen? Ist es realistisch, zu glauben, wir könnten heute etwas Ähnliches wie in den Fünfzigerjahren zustande bringen? Bestand nicht nach dem Zweiten Weltkrieg eine einmalige Situation, eine Stunde Null, die nicht vergleichbar mit heute ist? Wenn es schon 1990 nicht möglich war, die Gunst der Stunde zu nutzen, wie soll das heute gehen?


Die einzige erfolgreiche sozialistische Revolution in Deutschland fand nicht 1918 statt ? sondern 1948 bis 1953. Sie bestand aus der Währungsreform von 1948 und wurde dann mit den Lastenausgleichsgesetzen durch eine CDU-geführte Bundesregierung abgeschlossen.(1) Ergebnis war die Entschuldung des Staates nach dem Zweiten Weltkrieg und eine erhebliche Umverteilung von Vermögen. So wurde die Grundlage für das beispiellose Wirtschaftswunder der Fünfzigerjahre gelegt ? ganz im Gegensatz zur lähmenden Stagnation nach dem Ersten Weltkrieg.

Nach der Herstellung der deutschen Einheit wurde dann die Frage diskutiert, ob in dieser historischen Stunde nicht die Erfahrungen mit dem Lastenausgleich genutzt werden können, um die deutsche Einheit zu finanzieren. Aber diese Chance wurde in der Euphorie der Vereinigung vertan. Die Einheit wurde auf Pump finanziert ? mit katastrophalen Folgen. Heute ist die Lage der Republik dramatischer als je zuvor. Wir brauchen eine nationale Kraftanstrengung ? einen Neuanfang. Deshalb wird es Zeit, die Gedanken von 1952 und 1992 wieder aufzugreifen.


Denn sie wissen nicht mehr, was sie tun

Die diesjährige Regierungserklärung der Kanzlerin war ein Ausdruck der Hilflosigkeit. Der durchaus realistischen Analyse der Situation folgte nichts außer dem Prinzip Hoffnung. Dass das nicht gut gehen kann, ahnen nicht nur die Fachleute. Zynismus und Ratlosigkeit dominierten denn auch in den Kommentaren.

Der deutsche Staat ist mit 1,6 Billionen Euro verschuldet. Bis 2013 wird die Verschuldung der öffentlichen Haushalte auf zwei Billionen Euro angewachsen sein.(2) Während sich das Nettovermögen der privaten Haushalte seit der Wende 1990 verdoppelt hat, haben sich die öffentlichen Schulden verdreifacht. Heute gehen bereits 17 Prozent der Steuereinnahmen des Bundes nur für die Zinsen für Schulden der Vergangenheit drauf.

Schon angesichts dieser Zahlen müssen die Fantasien der FDP und CSU von Steuersenkungen in Milliardenhöhe an der Realität zerschellen. Wenn in einer Phase drastisch wachsender Neuverschuldung Steuersenkungen in Höhe von mehr als 30 Milliarden Euro versprochen werden, dann beweist das nur, dass Ideologien immer noch den nüchternen Blick auf die Realität vernebeln. Allein die Vorgaben der EU werden schon zu Milliarden-Einsparungen zwingen. Weitere Einschnitte ins soziale Netz sind programmiert.

Noch brisanter wird es aber, wenn wir einen Blick in die Haushalte der Länder und Kommunen werfen. Ich war 14 Jahre Landtagsabgeordneter in Schleswig-Holstein. Deswegen kann ich über Pressemitteilungen des Steuerzahlerbundes, die weitere Milliarden-Einsparungen bei den Ländern fordern, nur noch den Kopf schütteln. Wir haben in neun Jahren rot-grüner Regierung fast zehn Prozent der Stellen abgebaut und nahezu das gesamte Vermögen des Landes verkauft. Wir haben dafür Prügel in Kindergärten, Schulen und Hochschulen bezogen, von der Polizei und Justiz und dem Beamtenbund ganz zu schweigen. Und trotzdem ist die Neuverschuldung kontinuierlich gewachsen. Die danach folgende große Koalition kapitulierte trotz großer Ankündigungen beim Stellenabbau völlig. Selbst die noch unter Rot-Grün konzipierte große Verwaltungsreform, bei der Landkreise und Landesbehörden zusammengelegt und neu organisiert werden sollten, scheiterte an den Kommunalpolitikern von CDU und SPD. Als die Regierung dann einknickte, ging gar nichts mehr, und die Regierung verendete in einem Rosenkrieg von gegenseitigen Schuldzuweisungen.

Und das ist gar nicht verwunderlich. Große Einsparungen bei den Ländern sind ohne Stellenstreichungen bei Bildung, Kinderbetreuung, Polizei und Justiz nicht mehr denkbar ? denn diese Bereiche umfassen 80 Prozent aller Stellen der Länderhaushalte. Und die Personalkosten machen fast die Hälfte eines Landeshaushaltes aus. Die andere Hälfte ist sowieso festgezurrt. So können zum Beispiel Zinszahlungen, Beamtenpensionen, Zuweisungen an die Kommunen, bundesgesetzlich festgelegte Sozialausgaben und zweckgebundene Zuweisungen des Bundes oder der EU, etwa für Landwirtschaft, Regionalentwicklung oder Regionalbahnverkehr, in der Höhe von den Ländern fast gar nicht beeinflusst werden.

Und das ist noch nicht alles. Denn zugleich stehen wir vor gewaltigen Aufgaben: Die Ausgaben für Bildung und Betreuung dürfen nicht gekürzt, sondern müssen im Gegenteil um mehr als 30 Prozent gesteigert werden.(3) Der Klimawandel erfordert den Umbau ganzer Wirtschaftszweige. Der demografische Wandel stellt gewaltige Ansprüche an den Ausbau des Pflege- und Gesundheitswesen. Und angesichts dieser Notwendigkeiten ist der Staat aufgrund seiner Schuldenlast auf Jahre hinaus handlungsunfähig. Man musste bei den Koalitionsverhandlungen im Bund und in den Ländern geradezu den Eindruck bekommen, dass Gedanken über die Finanzierung dieser Probleme kollektiv verdrängt wurden.


Die Stunde Null naht

In dieser Situation hat der Bundestag noch vor der Wahl eine grundlegende Entscheidung getroffen. Er hat mit der sogenannten Schuldenbremse ein Neuverschuldungsverbot in die Verfassung aufgenommen. Und um das alles zu toppen, stecken wir mitten in der Finanzkrise, und die Steuereinnahmen brechen weg wie noch nie. Ab 2011 müssen bereits die ersten Länder nachweisen, wie sie bis 2019 ihren Haushalt in Deckung bringen können. Und sie werden es nicht können.

Damit steht der Offenbarungseid bevor. Unsere Demokratie steht jetzt vor einer Nagelprobe. Drastische Sparmaßnahmen sind nur durch massive Einschnitte ins soziale Netz und bei der Bildung finanzierbar. Aber diese würden die Akzeptanz von Politik vollends untergraben. Und deshalb wird sich das niemand trauen ? schon heute fürchtet die Kanzlerin jeden ernsthaften Einschnitt wie der Teufel das Weihwasser. Und zu Recht!

Denn auch die Konzentration von Armut und Vermögen nimmt ständig zu.(4) Das Verhalten der Bankmanager und die hilflosen Reaktionen der Politik bringen die Demokratie bei Teilen der Bevölkerung immer mehr in Misskredit. Deshalb steht jede Regierung heute vor der Frage: Gelingt es, den Staat zu entschulden, damit er die Zukunftsaufgaben finanzieren kann? Gelingt es, das Anwachsen von Armut und Reichtum zu stoppen und wieder mehr Gerechtigkeit zu schaffen? Davon wird es abhängen, ob die Menschen Demokratie und soziale Marktwirtschaft als ihre Gesellschaftsordnung akzeptieren oder nicht. Die Stunde Null ist gekommen.

Dabei denke ich nicht, dass die Lage hoffnungslos ist. Wir stehen zwar vor großen Herausforderungen, aber sie können bewältigt werden. Unsere Nachbarn im Norden haben es vorgemacht. In Dänemark sank die Arbeitslosigkeit von 12,3 Prozent im Jahr 1994 auf das Rekordtief von 1,6 Prozent im Sommer 2008 und liegt jetzt bei 3,2 Prozent. Die Staatsschulden sanken im gleichen Zeitraum von 80,1 Prozent des BIP auf 26 Prozent.(5) Es geht also.

Aber dafür braucht man einen handlungsfähigen Staat. Nicht zufällig ist Dänemark nicht nur eines der wohlhabendsten Länder der Welt, sondern auch das mit den höchsten Steuern. Um dahin zu kommen, helfen uns keine Ideologien über Steuersenkungen. Wir brauchen eine gemeinsame nationale Anstrengung. Deswegen wird es Zeit, den Vorschlag aufzugreifen, der schon 1992 intensiv diskutiert wurde: Eine Vermögensabgabe nach dem Vorbild des Lastenausgleichs, durch die das Schiff »Deutschland« wieder flott gemacht wird.


Die Debatte von 1992

Die Idee ist also nicht neu. Sie wurde 1992 nach der Herstellung der deutschen Einheit intensiv diskutiert.(6) Hauptbefürworter waren damals der Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der Arbeitsminister Norbert Blüm, die stellvertretende CDU-Vorsitzende Angela Merkel, die SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier und die Grünen.(7) Aber die Zeit war noch nicht reif. Die Versprechungen von den blühenden Landschaften waren viel verlockender. Und so setzten sich die Gegner um Finanzminister Theo Waigel und den FDP-Parteivorsitzenden Otto Graf Lambsdorff durch. Die Folge war, dass die deutsche Einheit überwiegend auf Pump finanziert wurde. Nicht zufällig liegt der aufsummierte Wert der West-Ost-Transfers seit 1990 mit circa 1,5 Billionen Euro(8) in der gleichen Größenordnung wie die Schulden aller öffentlichen Haushalte. Ohne die Vereinigung wäre Deutschland also schuldenfrei.

Die Wahrheit ist aber noch etwas komplizierter. Denn den größten Beitrag zur Finanzierung des Transfers mussten die Sozialversicherungen leisten. Dadurch wuchsen die Beiträge für die Sozialversicherungen ? und damit wurden wesentliche Kosten der Einheit auf die sozialversicherungspflichtigen ArbeitnehmerInnen mit unteren und mittleren Einkommen abgewälzt. Die so wachsenden Lohnnebenkosten belasteten dazu noch den arbeitsintensiven Mittelstand besonders und trugen dazu bei, dass die Arbeitslosenzahlen noch mehr in die Höhe gingen und die Steuereinnahmen weniger wurden.

Und worum ging es Weizsäcker? Er wollte ein neues Wirtschaftswunder initiieren ? indem er auf die Initiative der Menschen setzen wollte. Er wollte die Einheit gerecht finanzieren. Und er wollte dazu keine neuen Schulden machen. Es ging den Initiatoren aber auch darum, dass die Kosten der Einheit solidarisch von denen getragen werden, die sie tragen können ? und die voraussichtlich auch den Nutzen davon haben. Denn wenn ein Staat nicht mehr die Zukunftsaufgaben finanzieren kann, dann leiden alle darunter. Auch und gerade die Wirtschaft braucht eine gute Infrastruktur, gut ausgebildete Menschen und auch eine leistungsfähige Justiz und Polizei, die den Rechtsstaat gewährleisten.

Heute stellt sich das Problem noch klarer: Wenn der Staat nicht mehr in der Lage ist, die Zukunftsaufgaben zu finanzieren, dann sägen wir an dem Ast, auf dem wir alle sitzen ? und das gilt auch für die Wirtschaft!

Dass die Kritiker der Schuldenfinanzierung wie Weizsäcker Recht hatten und dass in den vergangenen Jahren seit der Vereinigung die Weichen falsch gestellt wurden, das lässt sich an der Vermögensentwicklung seit 1990 sehr gut ablesen. Allein das Reinvermögen der privaten Haushalte nach Abzug der Schulden hat sich seit 1990 von circa vier auf acht Billionen Euro verdoppelt.(9) Selbst im Krisenjahr 2008 und der ersten Jahreshälfte 2009 ist das private Reinvermögen ? wenn auch etwas gedämpft durch die Wertpapierverluste ? weiter gewachsen. In der gleichen Zeit haben sich die Schulden des Staates von 536 Milliarden auf 1,6 Billionen Euro verdreifacht.(10)

Es stellen sich also mehrere Fragen: Ist eine Entschuldung überhaupt möglich? Wie könnte eine solche Entschuldung aussehen? Wieso wird in der Diskussion auf den Lastenausgleich von 1952 Bezug genommen? Und mit dieser Frage will ich beginnen:


Was geschah 1948 und 1952?

Nach dem Krieg war der Staat hoch verschuldet, während Milliarden Reichsmark im Umlauf waren, für die es keine Waren zu kaufen gab. Während ein Teil der Immobilien unbeschadet erhalten geblieben war und die Grundvermögen im Westen kaum betroffen waren, hatten Millionen von Menschen entweder ihren gesamten Besitz bei der Flucht verloren oder ihre Wertpapiere waren wertlos, und die Häuser waren im Bombenhagel vernichtet. Mit der Währungsreform von 1948 wurden zunächst alle Geldvermögen um bis zu 90 Prozent entwertet und der Staat von den Kriegslasten befreit. Mit den Lastenausgleichsgesetzen von 1952 und 1953 wurden dann alle sonstigen Vermögen mit einer Lastenausgleichabgabe in Höhe von 50 Prozent belegt. Stichtag war rückwirkend der Tag der Währungsreform, der 21. Juni 1948. Die Abgabe musste innerhalb von 30 Jahren bezahlt werden ? also bis 1979. Der kleinere Teil (28,6 Mrd. DM) wurde zur Entschädigung von Vermögensverlusten durch Vertreibung oder Ausbomben eingesetzt, der größere Teil (138,6 Mrd. DM) ging in Rentenentschädigung, vergünstigte Darlehen und den Bau von Altersheimen, Lehrlingsheimen und so weiter.(11)

Die Belasteten hatten allerdings 30 Jahre Zeit, die eingetragene Schuld an den Staat zu begleichen. Wachsender Wohlstand und die Inflationsrate trugen dazu bei, dass die Belastung am Schluss viel geringer war, als sie ursprünglich angesetzt wurde. Trotzdem geht man heute davon aus, dass die fast vollständige Entschuldung des Staates, die gerechte Umverteilung und die Abschöpfung der Kaufkraft wesentlich dazu beitrugen, dass es zu dem erstaunlichen Boom der Fünfzigerjahre in Deutschland kam.


Ein neuer Vorschlag

Für den Vorschlag von Weizsäcker diente der Lastenausgleich von 1952 als Vorbild. Aber der Problemdruck reichte damals noch nicht aus. Wie könnte nun ein solches Modell auf die heutige Situation übertragen aussehen? Dazu einige Zahlen: Will man die gesamte Schuldenlast der öffentlichen Haushalte tilgen, dann muss eine Sonderabgabe von 1,6 Billionen Euro erhoben werden. Das klingt ungeheuer viel. Verglichen mit 1952 wäre das aber »nur« eine durchschnittliche Belastung der Vermögen von circa 16 Prozent. Orientiert man sich weiter am Modell des Lastenausgleichs von 1952, dann würde die Vermögensabgabe nicht sofort erhoben werden, sondern könnte in einem Zeitraum von 30 Jahren getilgt werden. Wenn während dieser Zeit die jeweils noch zu erbringende Restschuld mit vier Prozent verzinst wird, dann ergibt sich für Tilgung und Zins eine jährliche Anfangsbelastung von gerade mal 0,9 Prozent ? die mit der Inflationsrate jährlich geringer wird. Es ist also machbar.

Die wichtigsten Argumente der Gegner waren denn 1992 auch nicht die Belastung der Eigentümer, sondern die Drohung mit der Steuerflucht. Aber gerade der Vorschlag einer Sonderabgabe vermeidet diese Gefahr. Wenn die Abgabe am Vermögenswert zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit ansetzt, ist Kapitalflucht sinnlos. Angesichts eines Zeitraumes von 40 Jahren, in dem eine Steuerhinterziehung entdeckt und verfolgt werden kann, ist die Entdeckungsgefahr so groß, dass Steuerhinterziehung sehr unattraktiv wird.(12)

Die Sonderabgabe sollte so gestaltet werden, dass alle Vermögen zum realen Wert zu dem gewählten Zeitpunkt veranlagt werden. Alle Privatvermögen deutscher Staatsbürger sollten ? nach Abzug der jeweiligen Schulden der Person ? der Abgabe unterliegen, egal wo das Geld oder die Wertanlage sich befindet, ob in Hamburg oder in Honolulu.

Bei den Firmen sollte das Reinvermögen der Firma besteuert werden. Dazu werden vom Gesamtwert der Firma der Wert der Aktien oder sonstiger Anteilscheine und die Summe des Fremdkapitals, das in der Firma drinsteckt, abgezogen. Ist die Differenz nicht positiv, wird die Firma nicht besteuert. Anteilrechte und Fremdkapital werden deswegen abgezogen, da sie ja schon im Privatvermögen oder Firmenvermögen des Besitzers oder eines Geldgebers enthalten sind. So wird eine Doppelbesteuerung vermieden. Das hat allerdings zur Konsequenz, dass Anteilsrechte und Fremdkapital von Ausländern, die in Deutschland investiert haben, nicht besteuert werden, wohl aber Auslandsanlagen von Deutschen.

Ein anderes Argument gegen eine Vermögensabgabe ist die Behauptung, es gäbe keine Datengrundlage für eine Feststellung der Vermögen. Dieses Argument spielte auch bei der Abschaffung der Vermögenssteuer eine große Rolle. Aber diesbezüglich hat sich die Situation mittlerweile deutlich geändert. Die deutsche Bundesbank hat nämlich 2007 zum ersten Mal eine Statistik aller Vermögen und Schulden von Privaten, Firmen, Finanzinstituten und öffentlichen Haushalten erstellt. Die Grundlage dafür sind Datenanforderungen der OECD, die mittlerweile international vereinbart wurden und weiter fortentwickelt werden.(13) Diese Regeln könnten also sehr gut als Grundlage für eine Feststellung der Vermögen zum Zeitwert genutzt werden.


Ist die Abgabe durchsetzbar?

Wer den zu erwartenden politischen Widerstand realistisch einschätzen will, der muss berücksichtigen, dass heute, anders als 1952, große Teile der Mittelschichten Wohneigentum besitzen. 53 Prozent der Bevölkerung wohnen in einem eigenen Haus oder einer eigenen Wohnung. Sie alle würden natürlich der Besteuerung unterliegen. Damit wäre auch der Widerstand gegen eine solche Abgabe viel größer. Gerade die Menschen, denen nur ein Teil ihres Hauses gehört, den sie mühsam abgezahlt haben, werden nicht einsehen, dass sie für die Folgen der Finanzmarktkrise und der deutschen Einheit bezahlen sollen.

Das ist allerdings ein gewichtiges Argument, wenn es darum geht, politische Mehrheiten zu überzeugen. Es spricht deswegen vieles dafür, dass die Abgabe nicht linear, sondern progressiv erhoben wird: Das macht angesichts des Auseinanderklaffens von Reichtum und Armut in der Republik auch verteilungspolitisch Sinn. Denn mittlerweile besitzen 10 Prozent der Bürger über 60 Prozent des privaten Reinvermögens, während die Hälfte der Bevölkerung praktisch keinen Besitz hat oder sogar verschuldet ist.(14) Nur wenn die Menschen das Gefühl bekommen, dass es gerecht zugeht, wird sich eine Mehrheit für eine solche Maßnahme gewinnen lassen.

Um die Abgabe progressiv zu gestalten, könnte sie folgendermaßen gestaltet werden: Vermögen bis 20.000 Euro sollten abgabenfrei bleiben. Mittlere Vermögen unterliegen einem progressiven Abgabensatz, der beginnend mit fünf Prozent schrittweise wächst. Der höchste Steuersatz von 25 Prozent würde dann für Vermögen ab einer Million Euro gelten. Auch bei einem solchen Modell läge die Belastung selbst für die großen Vermögen weit unterhalb des Lastenausgleichs von 1952. Damit die Abgabe breit akzeptiert wird, sollte sie unmittelbar mit Maßnahmen wie der Verbesserung der Kinderbetreuung und der Schulen, mit der Abschaffung der Studiengebühren und der Einführung von Stipendien verbunden werden. Also mit Maßnahmen, die sowieso erforderlich sind, aber nun endlich auch finanzierbar werden. Wenn dann noch ein Plan beschlossen wird, die Sozialabgaben schrittweise zu senken, dann besteht die Chance, eine aufgeklärte Öffentlichkeit für das Entschuldungsprojekt zu gewinnen.


Und wie geht es weiter?

Man kann natürlich fragen, warum dann nicht gleich eine entsprechend hohe Vermögenssteuer eingeführt wird. In der Tat halte ich eine Vermögensbesteuerung, wie sie international üblich ist, für notwendig und sinnvoll. Nicht nur die Skandinavier, auch die liberalen angelsächsischen Länder haben bekanntlich die höchsten Vermögenssteuern. Auch die OECD hat Deutschland empfohlen, eine Vermögensbesteuerung wieder einzuführen und dafür die Lohnnebenkosten zu senken.(15) Aber man muss auch zugestehen, dass die Einführung einer Vermögenssteuer zumindest in der Anfangsphase auf eine Vielzahl von Problemen stoßen wird, die sich nur schrittweise lösen lassen. Zumindest würde sie die Gefahr beinhalten, unerwünschte Reaktionen der Kapitalbesitzer auszulösen. Umgekehrt aber wird ein Schuh draus. Eine einmalige Vermögensabgabe mit einem Stichtag in der Vergangenheit kann eine solide Grundlage für eine Bewertung und Erfassung aller Vermögen schaffen. Zu einem späteren Zeitpunkt könnte dann eine Vermögensbesteuerung eingeführt werden. Sie könnte schrittweise eingeführt werden, sobald die reale Belastung der Kapitalbesitzer durch die Abzahlung der Abgabe auf unter 0,5 Prozent des Vermögens gesunken ist. Wann das ist, hängt natürlich von den Inflationsraten und dem Vermögenswachstum ab. Die jeweilige Höhe der Besteuerung sollte dann flexibel so gestaltet werden, dass das weitere Auseinanderdriften von Armut und Reichtum in der Gesellschaft in Zukunft vermieden wird.

Es gibt aber noch ein weiteres gewichtiges Argument für eine einmalige Vermögensabgabe. Auch wenn diese erst im Laufe von 30 Jahren fällig wird und zunächst nur Zinsen anfallen, dann ist rechtlich damit der Staat mit einem Schlag schuldenfrei. Damit könnte die neue Schuldenbremse, die in der Verfassung verankert worden ist, unmittelbar in Kraft treten und eine erneute Verschuldung verhindert werden. Es gibt dann für die Politik keine Ausreden mehr.

Natürlich ist die Entschuldung des Staates nur ein erster Schritt. In einem zweiten Schritt sollte dann die Finanzverfassung des Staates insgesamt überprüft werden. Allerdings nicht im Sinne eines pseudoliberalen Billigsteuer-Bierdeckel-Modells. Das geht auch anders. In Schweden passt die Steuererklärung tatsächlich zwar nicht auf einen Bierdeckel, aber auf eine DIN-A4-Seite. Man kann eben als Privatmensch nichts absetzen. Zu meinen persönlichen Prioritäten für eine neue Finanzverfassung gehören jedoch Projekte wie die weitgehende Verlagerung von Aufgaben und deren Finanzierung auf die Kommunen, wie das in Skandinavien Praxis ist. Dann brauchen die Kommunen und Länder natürlich auch das Steuerheberecht. Und die Bürger können dann jeweils vor Ort entscheiden, was ihnen die Leistungen der Kommune Wert sind und ob sie bereit sind, mehr Steuern zu bezahlen, um eine Schule, ein Krankenhaus und so weiter zu bauen oder die ÖPNV auszuweiten, um nur drei Beispiele zu nennen. Und nach aller Erfahrung sind die Bürger dann auch bereit, an die Kommunen dafür Steuern zu zahlen.(16)

Eine weitgehende Entschuldung des Staates durch eine Vermögensabgabe ist aber für all das die Vorraussetzung. Wenn zugleich die Verabschiedung einer solchen Abgabe mit einer Verbesserung des Bildungssystems und mit einer schrittweisen Senkung der Sozialabgaben verbunden wird, wie es von der OECD empfohlen wird, dann sollte es möglich sein, die Menschen für einen solchen Neuanfang zu gewinnen. Denn je dramatischer die Lage sich zuspitzt, desto mehr wird in den Parteien, aber auch in der Öffentlichkeit, in den Verbänden und Medien die Erkenntnis wachsen, dass eine gemeinsame Kraftanstrengung erforderlich ist. Dann würde die Republik wieder handlungsfähig, die Zukunftsaufgaben können angepackt werden. Davon würden dann nicht zuletzt auch die Wirtschaft und all diejenigen, die die Abgabe zahlen müssen, profitieren.

Anm.: 5 Tabellen und Grafiken in der Druckfassung. Red.

 

1

Diese erste Adenauer-Regierung war eine Koalition aus CDU, CSU, FDP und DP (Deutsche Partei: rechtskonservativ, durch Vertriebene geprägt).

2

»Schuldenberg wächst auf über 2000 Mrd. Euro«, in: Focus Online, 8.7.09.

3

Deutschland liegt mit 4,8 % des BIP für Bildung um ca. 1,5 bis 2 % hinter der Spitzengruppe der bei PISA erfolgreichen Staaten zurück ? das erfordert eine Steigerung um mehr als 30 % (siehe OECD: Bildung auf einen Blick 2009).

4

Bundeszentrale für politische Bildung (aufgrund von Berechnungen des DIW Berlin): siehe http://www1.bpb.de/wissen/U4CJQA,0,0,Verm%F6gensverteilung.html am 5.10.09.

5

Siehe Wikipedia: Wirtschaft von Dänemark, 9.10.09.

6

Nikolaus Piper: »Last mit dem Ausgleich«, in: Zeit, 29.5.1992.

7

Die Grünen hatten schon im März 2002 einen »Lastenausgleich Deutsche Einheit« gefordert. 1994 stand die Forderung im Bundestagswahlprogramm von Bündnis 90/Die Grünen.

8

»Deutsche Einheit noch viel teurer«, in: FAZ.Net, 19.9.04; seitdem sind pro Jahr weitere 75 Mrd. Euro angefallen, sodass die Kosten über 1,5 Bio. Euro liegen (»Kosten der Deutschen Einheit«, in: Wikipedia 5.10.09).

9

Deutsche Bundesbank: Monatsbericht Januar 2008; Bundeszentrale für politische Bildung: Vermögensentwicklung, http://www1.bpb.de/wissen/CHTDJW,0,0,Verm%F6gensentwicklung.html (4.9.09).

10

Statistisches Bundesamt, 30.10.06, http://www.destatis.de/indicators/d/lrfin03ad.htm (4.9.09); Schätzung Bund der Steuerzahler 23.6.09.

11

Klaus Peter Krause: »Der Lastenausgleich ? was er war und was er heute noch ist«, FAZ, 24.2.1996.

12

Aus: Der Brockhaus-Recht, http://www.brockhaus.de/wissen/lastenausgleich 24.8.09).

13

Die deutsche Bundesbank hat 2008 erstmals eine Aufstellung der gesamten Vermögen nach Zeitwert erarbeitet. Siehe: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Januar 2008. Die Feststellung des Vermögens erfolgt nach den Regeln des ESGV 95 (Europäisches System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung).

14

Bundeszentrale für politische Bildung ? Vermögensverteilung 2009.

15

»OECD fordert höhere Vermögenssteuern«, in: Focus Online, 15.10.08.

16

Karl-Martin Hentschel: »Bürger, Kommune und Staat. Über die kommunale Basis des skandinavischen Sozialstaates«, in: Kommune 6/06, www.oeko-net.de/Kommune/kommune06-06/akommunen.htm


In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 6/2009