Anton Mlynczak
Im Banne neuer
Produktionsregime
Lernförderliche oder verdummende
Arbeit in der Industrie
Veränderungen
in der »Black Box«-Fabrik
Unter dem
Etikett »Lean« (schlanke Produktion, schlanke Administration, schlanke Entwicklung)
segeln die Bemühungen, wertschöpfungsorientierte, synchrone Produktion, Prozesssystem
oder ein »Produktionssystem« zu etablieren. Harter Kern der meisten Unternehmensphilosophien(1)
ist ein hoher Anspruch an die Beschäftigten auf Verhaltensänderung,
Unterordnung, Leistungsverdichtung und zunehmende körperliche, aber auch
psychische Belastungen. Diese Wendung hin zu taktgebundener und mit detaillierter
Anweisung verbundene Arbeit verläuft vor dem Hintergrund, dass Deutschland bis
heute ein hohes mittleres Qualifikationsniveau im Vergleich etwa zu den USA
besitzt. Das hat der deutschen Wirtschaft einen speziellen durch Industrie geprägten
Charakter gegeben und sie im internationalen Wettbewerb gestärkt.(2)
In der
Massenproduktion lag das Qualifikationsniveau meist über dem Anforderungsniveau.
In den Krisen der Achtziger- und Neunzigerjahre war diese Differenz die Ressource,
Qualitäts- und Variantenprobleme zum Beispiel durch Gruppenarbeit zu lösen. Zusätzlich
zieht der deutsche Geräte-, Maschinen- und Anlagenbau seine Exportstärke zum
großen Teil aus dem deutschen Sonderweg der Berufsbildung und handwerklicher
wie industrieller Facharbeit.
In der
Automobilindustrie (und bei ihren Zulieferern) wurden Fortschritte an Eigenverantwortlichkeit
durch die Rückkehr des kurzen Taktes weitgehend wieder kassiert. Mindestens
genauso schwungvoll verändert sich die Arbeitsorganisation in Betrieben des
Geräte-, Maschinen- und Anlagenbaus. Alte Strukturen industrieller Facharbeit
werden oft unter Beteiligung von Facharbeitern nur so weggeputzt. Synchrone Produktion
hat nicht nur die Massenproduktion (wieder) erobert. Sie greift auch von der anderen
Seite an, die eher durch Facharbeit geprägt ist. Sie reicht heute vom
Einzelstück mit Taktzeiten von vier Stunden (z. B. einem hochauflösenden
Mikroskop) bis hin zum tausendfach gefertigten Kleinwagen mit Takten von
weniger als einer Minute. Sie erfasst die Fertigung und Montage von Präzisionswaagen
wie von tonnenschweren Hochspannungstrafos für die
Versorgung mit Elektrizität.
Internationalisierung
der Verfahren und Vorherrschaft von Kostensenkungsprogrammen führen dabei in
vielen Unternehmen zu Einfachlösungen mit niedrigem Anforderungsniveau. Das
Anforderungsniveau liegt nach solchen Veränderungen häufig unter dem
Qualifikationsniveau der Belegschaft. Die Versuchung, (internationale)
Konkurrenz durch Vernutzen statt durch Entwickeln von
menschlichen Fähigkeiten auszutragen, ist in den Leitungsetagen längst
salonfähig geworden.
Was macht getaktete oder synchrone Produktion erfolgreich, wo liegt
ihre Achillesferse? Ein kurzer Blick in die Geschichte kann helfen, das zu
verstehen.
Fordismus und Arbeiter als
Wirtschaftsmaschine (»economic man«)
»Bei jedem
guten Handwerker stehen praktisches Denken und Handeln in einem ständigen
Dialog.«(3) Die Erfolgsgeschichte der Industrie
gegenüber dem Handwerk beruht auf der Zerstörung dieses Zusammenhangs. Sie ist
gekennzeichnet durch ihre ungeheure Produktivität und auch oft höherwertige
Qualität, aber auch durch ihre höhere Intensität. Die Produktivität der
Manufaktur ergab sich aus der Standardisierung von Arbeiten (wirksamere Arbeit)
und der aus gegenseitigem Ansporn resultierenden höheren Leistung (intensivere
Arbeit). Ford steht für Trennung von Fertigung und Montage und die Auflösung
der Werkstatt in fließende Prozesse. Die Trennung erfordert standardisierte
Teile, die mit Maschinen gefertigt werden. Fließende Prozesse erzwingen eine
standardisierte Arbeitsfolge und ein durchschnittliches Arbeitstempo. Wird der
Takt genügend verkürzt, so geht mehr oder weniger bewusste Arbeit in psychisch
automatisiertes Tun über. Dafür liefert Taylor das Instrumentarium. Taylor(4)
steht für die strenge Trennung von Kopf- und Handarbeit, von Planung und
Ausführung. Dementsprechend erfolgt die Standardisierung durch Experten, die
Ausführung durch angelernte Arbeiter am Band. Für beide gilt, dass ihre Arbeit
nicht mehr vollständig ist.(5)
Gruppenarbeit und Arbeit als Selbstverwirklichung
(»social und self-actualizing
man«)
Taylors
»wissenschaftliche Betriebsführung« beruht auf einem mechanistischen Verständnis
der Natur des 18. und 19. Jahrhunderts. Die Ironie dabei ist, dass gerade die
Naturwissenschaften seit Beginn des letzten Jahrhunderts Reduktionismus
und Ganzheitlichkeit (der Teil und das Ganze) vertreten. Der Arbeiter ist ein
individuelles, soziales, denkendes und handelndes Wesen und kein durch Muskeln
und Blutkreislauf getriebener sowie mit Sensoren ausgestatteter Bewegungsapparat.
Dem auf wenige Verrichtungen reduzierten und arbeitsteilig eingesetzten
Individuum setzte schon die Arbeitspsychologie der Zwanzigerjahre die ganze
Person entgegen. Das ersieht man unter anderem aus dem Text von Kurt Lewin
»Zwei Gesichter der Arbeit«.(6) (Siehe Kasten)
Zusätzlich
zeigten sich die überbordenden Kontrollsysteme der tayloristischen
Arbeit als nicht in der Lage, insbesondere in der Phase des Aufschwungs der
Automobilindustrie eine immer höhere Leistung der Arbeiter zu veranlassen.
Überall wurde die Verantwortungslosigkeit des Arbeiters beklagt, im Besonderen
da, wo keine Verantwortung übertragen wurde.
Nach dem
Krieg trat in Skandinavien Volvo als Pionier der Gruppenarbeit hervor; zunächst
in Kalmar. Höhere Anforderungen an Qualität und Variantenvielfalt ab den Achtzigerjahren,
Grenzen der Steigerung von Produktivität durch Automatisierung (VW Halle 54)
brachten einen erneuten Schub für die Gruppenarbeit.
Produktivitätsfortschritte,
Qualitätsverbesserungen, Lieferzeitverkürzungen, Lieferwünsche,
Produkteinführungszeiten, Produktionsanläufe, flexible Auslastung der Maschinerie
sind durch Gruppenarbeit günstiger gestaltet worden. In der Massenproduktion
der Automobilindustrie gab es vereinzelt vom Takt (teilweise) entkoppelte Gruppenarbeit
in Montageinseln mit größeren Arbeitsumfängen (mehr als 40 Minuten) und
(teilweise) Autonomie in der Arbeitsdurchführung. Das galt und gilt am ehesten
für Premiumprodukte. Wenn es sonst Gruppenarbeit
gibt, dann vorzugsweise in Bezug auf die Arbeitseinsatzplanung, den Urlaub und
die Lage der individuellen Arbeitszeit sowie kontinuierliche
Verbesserungsprozesse und Qualitätszirkel.
Was das
Selbstbewusstsein der Beschäftigten und ihrer Interessenvertretung angeht, so
ergibt sich kein einheitliches Bild. Wenn wenig Wert auf die Entwicklung guter
Kommunikation, auf Absprache und Kooperation in der Gruppe gelegt wird, dann
überwiegen bald die Widersprüche in der Gruppe; der soziale Aufwand für Gruppenarbeit
erscheint einigen oder allen Beteiligten zu hoch. Bei funktionierenden Gruppen
und guten Leitungsstrukturen genießen die Beschäftigten ihre Autonomie in der
Verteilung von Arbeit und der Lage der Arbeitszeiten. In der Regel macht
bereicherte Arbeit auch selbstbewusster im täglichen Aushandeln von Arbeitsprozessen
und Leistungserwartungen.
Gruppenarbeit
setzt höhere inhaltliche und zyklische Vollständigkeit der Arbeit voraus und
bietet Voraussetzungen, bereicherte Arbeit (Job Enrichment)
auszudehnen. Mit der Gruppenarbeit wird eine neue Art von Facharbeit
beziehungsweise Beruflichkeit sichtbar. Nicht mehr
der materielle Gegenstand macht den Kern der Beruflichkeit
aus, sondern industrielle Prozesse mehr oder weniger zu organisieren, zu
kontrollieren und durchzuführen.
Toyota Produktion-Ssystem
? Sicherheit gegen strikte Unterordnung
Das
Toyota-Produktions-System (TPS) entwickelte sich in der räumlichen Enge Japans
als Alternative zum Fordismus. Es nimmt Elemente aus allen Schulen auf, sowohl
des economic man, des social man und des self-actualizing
man, aber jeweils auf einer neuen Ebene und in einem anderen Kontext. In
der europäischen Automobilindustrie spielte das Toyota-Produktions-System seit
1993 und zumindest bis zur Krise 2008 die Rolle des Vorreiters für die Rückkehr
zum Band und zu kurzen Takten. In weltweiten Vergleichen liegt Toyota fast
immer auf dem ersten Platz. In der Automobilindustrie gelten (oder galten
zumeist bis vor kurzem) die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen von Toyota als
Messlatte für alle anderen. Für fast alle Toyota-Marken gilt, dass Toyota den geringsten
Zeitaufwand für die Neuentwicklung (z. B. Lexus) wie für die Fertigstellung eines
Automobils benötigt.
Toyota
verwandelt die ganze Fabrik in ein getaktetes System,
in dem autonome Arbeit kaum noch Platz findet. Während bei Ford der Takt durch
die Optimierung von Mengeneffekten bestimmt ist (hohe Stückzahlen bei geringer
Zahl von Rüstvorgängen, Optimierung von Maschinenläufen durch nicht optimale
(hohe) Lagerbestände), wird er bei Toyota durch die Kundennachfrage bestimmt.
Quantitative und qualitative Bandbreiten, die bei autonomer Gruppenarbeit
zwangsläufig auftreten, verbietet die synchrone Produktion. Insofern gibt es
keinen Akkord, sondern einen Vorgabetakt für alle. Vom Fordismus übernimmt
Toyota die Verwandlung aller Fertigung und Montage in Fließfertigung, vom
Taylorismus die Zerlegung von Arbeit in kleinste Einheiten. Aus diesen Systemen
nimmt Toyota die getaktete Arbeit. Allerdings ist im
Idealfall die Herstellung von einem Stück ebenso möglich wie die von tausend
Stück.
Aus der
Arbeitspsychologie übernimmt Toyota die Sicht des Menschen als Ressource von
Wissen und Veränderung. Anders als in der autonomen Gruppenarbeit, aber nicht
als Veränderung aus Selbstständigkeit, sondern als geleitete Veränderung über
ein System von nahe übereinander liegenden Hierarchieebenen. Die Verbesserungen
der einen Gruppe werden als Standard aller Gruppen weltweit etabliert. Es
handelt sich um die Etablierung des Widerspruchs zwischen externen Experten und
der arbeitenden Gruppe. Im Zweifel wird er gelöst durch Unterordnung der Gruppe
unter die Unternehmensphilosophie. Dazu ist ein neuer Typus von loyalen,
pflichtbewussten, dem industriellen Prozess vollständig ergebenen und nicht zu
teuren Arbeitnehmern zu erziehen.(7)
Das
Toyota-Produktions-System in der Massenproduktion setzt sich durch schlanke
Kontrolle, ständige Verbesserung der Prozesse und systematische Entwicklung der
Übung von Beschäftigten vom Fordismus ab. In Japan stößt sich die Belegschaft
wenig an seinem kollektivistischen Charakter. Die strikte Unterordnung bei
dauerndem Ruf nach Perfektion bei kleinsten Arbeitsinhalten erkauft sich das
Unternehmen mit dem Versprechen von Sicherheit für die Stammbelegschaft.
Synchrone, wertschöpfende Produktion
Diese
autokratische, durch Kontrolle und Flexibilitätszwang gekennzeichnete
synchrone, wertorientierte Produktion herrscht vor in der Massenproduktion. Betriebsräte
nehmen häufig die vergebliche Mühe auf sich, nicht taktgebundene Arbeiten im
Unternehmen zu halten. Nur so ergeben sich wenige Möglichkeiten, einigermaßen
vollständige Arbeit zumindest zeitweise zu ermöglichen.
Diesem Modell
ist das Modell einer menschengerechten, beteiligungsorientierten und durch
Elemente von Autonomie und Kreativität gestützten synchronen Produktion entgegenzusetzen.
Man findet es in Ansätzen in der Produktion von Premiumprodukten
(Konsum- sowie Investitionsgütern) und in Entwicklungsbereichen. Es zeichnet
sich dadurch aus, dass an den Verbesserungsprozessen möglichst viele in KVP-
beziehungsweise Kaizenworkshops beteiligt werden. Bei
langen Takten (3 bis 8 Stunden, in der Entwicklung bis zu einem Vierteljahr)
wird gleichzeitig ein hohes Maß an Vollständigkeit der Aufgabenstellungen
angestrebt. Wenn die Belegschaft bestimmte Randbedingungen erstreitet, ist ein
bestimmtes Maß an Vollständigkeit der Aufgabenstellung unumgänglich.
Unabhängig
von der Ausgestaltung eines Produktionssystems liegen allen Realisierungen
widersprüchliche Zielsetzungen zugrunde:
? Es werden standardisierte Abläufe
etabliert als Zwang für alle Beschäftigten. Diese Abläufe werden flexibel und
regelmäßig restandardisiert.
? Verschwendung wird eliminiert, auch
wenn das (zunächst) wegen fehlender Reserven zu Störungen oder
Beeinträchtigungen führt. Störungen gelten dann als Ressource, um (verdeckte)
Probleme abstellen zu können.
? Produziert wird im Kundentakt,
gleichzeitig wird ein gleichmäßiger und geglätteter Produktionsfluss
angestrebt.
? Es werden nur fließende, getaktete (synchrone) Prozesse eingerichtet. Eine Sache
wird in einem Rutsch, aber durchaus an mehreren Stationen bearbeitet, möglichst
bis zu einem verkaufbaren Nutzen ohne Zwischenlager. Auch wenn dieser Prozess
stockt, soll er nicht von einem anderen, später beauftragten Prozess überholt
werden (One Piece Flow).
? Arbeitsziele und -ergebnisse werden
beobachtet oder gemessen und in aller Öffentlichkeit visualisiert. Auch
auf die Gefahr hin, Personen anzuprangern, wird auf dieses Element von
Ergebnis- und Verhaltenskontrolle beziehungsweise -selbstkontrolle nicht
verzichtet.
? Großen Veränderungen folgen kleine, kontinuierliche
Veränderungsprozesse. Nach Prüfung in und an der Praxis werden diese
Veränderungen entschieden und sofort umgesetzt. Aufgabe von Vorgesetzten ist
es, durch die Sache oder durch Menschen bedingte Umsetzungshindernisse zu
beseitigen.
Man kann das
Toyota-Produktions-System als eine ständige, von Experten geleitete, aber nicht
selbst durchgeführte Verwandlung von implizitem in explizites Wissen auffassen.
Implizites Wissen gehört dem einzelnen Handwerker, Industriearbeiter (der die Akkordvorgabe
durch ein selbst gebautes, aber geheim gehaltenes Werkzeug austrickst) oder der
Gruppe bei der Gruppenarbeit. Explizites Wissen ist öffentlich, aus Sicht des
Unternehmens aber nur unternehmensweit.
Je mehr
Wissen explizit wird, desto weniger ist der Arbeiter ausschließlicher Träger
von Wissen und Können an sich. Nicht nur die Möglichkeit der »Subsumtion des
Arbeiters unter die Maschine« eröffnet sich, sondern auch seine Unterwerfung
unter den industriellen Prozess. Dazu werden mit einfachen Mitteln automatische
Abläufe erzwungen, ohne sie maschinell zu automatisieren. Die Mittel ? eine
sequentielle Anordnung von einfachen Fertigungs- und Montagestationen(8) ? sind
so gestaltet, dass sie weltweit eingesetzt werden können.
Möglichkeiten der Arbeitsteilung und
der Ausdehnung einfacher Arbeit in Produktionssystemen
Schlanke
Reorganisation setzt bewusst nicht auf Rationalisierung durch maschinelle
Automatisierung. Sie hängt zwar von modernen Informationssystemen ab. Aber nur
in dem Sinne, dass Aufträge und Arbeitsanweisungen unterschiedlicher Art und
mit vielen, nachvollziehbar veränderlichen Varianten den Produktionsfluss und
die Logistik steuern. So weit wie möglich wird in der schlanken Produktion mit
einfachsten Mitteln vorgegangen, sowohl für die Fertigung und Montage als auch
für das Büro und die Kommunikation im Betrieb. Zum Beispiel beginnt die
Einführung schlanker Administration damit, dass der Schreibtisch von allem
Unnötigen leer geräumt werden muss. Es gibt nur noch einen Stift auf dem Tisch,
stehen zwei Tische zusammen, so gibt es für beide Tische nur einen Locher.
Durchgesetzt wird das durch die Vorgesetzten. Betreten sie das Zimmer und sehen
sie zwei Stifte auf dem Tisch, wird dem Beschäftigten einer weggenommen.
Standardisierter
Abläufe haben sich
alle zu bedienen. Ihr Arbeitsethos hat darin zu bestehen, sich diesem
expliziten Ablauf zu unterwerfen. Standardisierte Abläufe werden durch
Anweisung, genau zur Verfügung gestelltes Material und Werkzeuge, insbesondere
aber durch überschaubare (häufig kleinste) Abschnitte im Fließprozess
sichergestellt. Anweisungen erfolgen durch Listen oder Bilder von Arbeitsschritten.
Durch Lichtstrahlen gesteuert entnehmen Beschäftigte Material aus dem montagenahen
Lager und legen es für die nächste Montage bereit (pick by
light); in Einzelfällen steuert Sprachausgabe (Memorystick mit Kopfhörer) die Beschäftigten in der
Logistik (pick by voice).
Ergebnisse werden in unterschiedlichster Form visualisiert, durch Zahlen und
Grafiken, Ampeln (rot, gelb, grün) oder in wenigen Fällen dadurch, dass
verlangt wird, Beschäftigte mit den meisten Fehlern in der Woche auf den
überall aufgestellten Pinnwänden namentlich oder sogar per Bild bekannt zu
geben.(9) In regelmäßigen Auditings wird die
Einhaltung von Verfahrens- und Ordnungsvorschriften bepunktet.
Rückmeldung und Kontrolle erfolgen eher direkt durch Zahlen und Bilder, weniger
durch Aufsichtspersonal (Capos).
Beseitigung
von Verschwendung
durchzieht jeden Reorganisationsprozess und ist sein Leitmotiv. Im strikten
Sinn ist damit gemeint, dass nur Tätigkeiten oder Aufgaben zugelassen sind, die
direkt einen nächsten Schritt hin zum Kundennutzen gehen. Solche Tätigkeiten
heißen wertschöpfend. Daneben gibt es notwendige und vermeidbare Verschwendung.
In Reorganisationsprozessen wird in der Regel ein Drittel aller Tätigkeiten als
vermeidbare Verschwendung identifiziert. Wenn ich als Autor gerade darüber nachdenke,
ob meine Abschweifungen beim Schreiben dieses Artikels notwendige oder vermeidbare
Verschwendung sind, so ist das Verschwendung schlimmer Sorte.
One Piece Flow bedeutet, dass eine einmal begonnene
Arbeit zu Ende geführt wird, bis eine neue begonnen wird und möglichst nichts
in Zwischenlagern liegt. Es bedeutet aber auch, dass nicht Rüstzeiten, die zum
Beginn einer (neuen) Arbeit erforderlich sind, die Losgröße
bestimmen. Rüstzeiten werden im Idealfall so verkürzt, dass auch ein Einzelstück
lohnend gefertigt werden kann. Ansatzpunkt ist wieder die Standardisierung des
Rüstprozesses. Rüstprozesse sind oft durch Individualität und implizites Wissen
der rüstenden Person bestimmt. Zur Verkürzung der Rüstzeiten wird der Prozess
zum Beispiel in Rüstworkshops explizit gemacht und standardisiert.
Wie man sich
leicht vorstellen kann, begünstigen Standardisierung, Konzentration auf
»Wertschöpfung«, One Piece Flow eine Tendenz zu
verstärkter Arbeitsteilung und zur Beschränkung von Selbstständigkeit. Zwar
geben sie auch Beschäftigten Halt und Orientierung. Aber ihnen liegt das Bild
strikt nach Anweisung und ohne Abschweife durchgeführter Arbeit zugrunde. Eine
Verkleinerung der Arbeitsumfänge ermöglicht es, Beschäftigte nach kurzer Einweisung
einzusetzen. Einfache Arbeit ist in einer globalisierten Produktion leichter
weltweit gleich zu organisieren, regional erleichtert sie den Einsatz von
Leiharbeitern. Die Unternehmen versprechen sich Kostenvorteile durch Bezahlung
von Entgelten für einfache Arbeit anstatt von Facharbeit. Dieser weit
verbreitete Trend wird verstärkt durch zunehmenden Einsatz von Einfachmaschinerie.
Der Durchlauf eines Stücks in einem Rutsch wird manchmal leichter möglich, wenn
Montageschritte mit Bearbeitungsschritten hintereinander gekoppelt werden.
Statt großer maschineller Fertigungsinseln sind solche Einfachmaschinen auch
leichter in Schwellenländern einzusetzen. Aufwändige und wissensintensive
Installation und Wartung solcher Maschinen entfällt.
Produktion
nach Kundentakt ist
auf verschiedene Weise möglich. Unternehmen lassen dafür die wöchentliche
Arbeitszeit zwischen 25 und 45 Stunden schwanken. Sie mieten Leiharbeit an und
wieder ab. Solche Methoden verstärken die Tendenz zur Ausdehnung einfacher
Arbeit und von Arbeitsteilung. Besteht aber ein technischer, vertraglicher oder
gesetzlicher Zwang, Arbeit im Kundentakt mit der Stammbelegschaft und in engen
Grenzen wöchentlicher Arbeitszeit zu organisieren, so ist das nur mit einer
flexibel einsetzbaren Belegschaft möglich. Wird das eine Produkt gerade weniger
benötigt, so boomt das andere. Beschäftigte, die verschiedene Arbeiten
bewältigen können (Arbeitsanreicherung), sind dann ein Segen. Meist ist es
sogar so, dass eine gute Mischung von Anforderungen (höhere und weniger hohe,
Arbeitsbereicherung) das Geschäft optimieren können.
Kontinuierliche
Produkt- und Prozessverbesserungen sind Voraussetzungen, am Markt zu bestehen.
Der kontinuierliche Verbesserungsprozess kann auf zwei Arten gestaltet
werden. Externe Spezialisten beobachten die Arbeitsweise von Beschäftigten,
beseitigen jede Menge »Luft« aus den Prozessen, geben dann neue Leistungsvorgaben
aus und drehen so an der Leistungs-, aber auch Taktverkürzungsschraube. Eine
andere Möglichkeit ist, Beschäftigte an den Prozessverbesserungen zu beteiligen
und sie an einem Teil der Ergebnisse teilhaben zu lassen. Das geht in der
Produktion selbst, aber auch im Verhältnis von Konstruktionsabteilungen und
Werkern zum Beispiel bei der Gestaltung fertigungsgerechter Produkte.
Lernförderliche
Arbeit, selbstbestimmte Arbeit
Entgegen
diesem Trend müssen Möglichkeiten gefunden und durchgesetzt werden, in Produktionssystemen
Arbeit persönlichkeitsfördernd zu organisieren. Die wesentlichen Ergebnisse der
Arbeitspsychologie liefern Kriterien zur Gestaltung von lernförderlichen
Arbeitsprozessen.
Im Prozess
der Arbeit wird nicht nur ein bestimmtes Produkt hergestellt. Menschen können
sich bei der Arbeit auch mehr oder weniger entwickeln. Auf die enge Wechselbeziehung
zwischen Arbeit und Persönlichkeitsentwicklung hat bereits Karl Marx in den Feuerbachthesen(10)
hingewiesen. Im Verlauf des letzten Jahrhunderts wurde dieser Zusammenhang von
Arbeitspsychologen immer wieder behandelt.
Lernförderlich
sind demnach:
? Ganzheitlichkeit der Aufgabenstellung,(11)
? soziale Einbindung der Arbeit,
? Partizipationschancen,
? Eigenständigkeit und Wahlmöglichkeiten zum
Arbeitsablauf,
? berufliche Entwicklungsmöglichkeiten im
Betrieb.
Werden diese
Gesichtspunkte vernachlässigt, so ergeben sich Befunde wie beispielsweise im
Projekt PFIFF. Die Autoren fassen die Ergebnisse aus ihren Vergleichen bei
Opel-Beschäftigten von Arbeit am Band (in der Linie) und nicht am Band so
zusammen:
»Bereits
50-jährige Linienarbeiter zeigen massive Defizite des Arbeitsgedächtnisses bei
hoher Gedächtnisbelastung, während sie bei extern vorgegebenen
Handlungshinweisen wenige Probleme haben.« Sie ziehen daraus den Schluss:
»Obwohl in einer Querschnitts-Studie keine Kausalitätsaussagen möglich sind,
lassen die Ergebnisse einen Zusammenhang zwischen langjähriger repetitiver
Tätigkeit und kognitiven Beeinträchtigungen vermuten.«(12) (Patrick Gajewski und Michael Falkenstein).
In
Untersuchungen von Juhani Ilmarinen,(13) die aus dem
NRW-Arbeitsministerium verbreitet werden, zeigt sich, dass die Arbeitsfähigkeit
im Alter (gemessen mit einem Work Ability Index)
mindestens konstant bleibt gegenüber der Jugend, wenn Mischarbeit, altersgerechte
(horizontale) Arbeitskarrieren, und lernförderliche Arbeit ermöglicht werden.
Anderenfalls (auch bei gesundheitserhaltenden Maßnahmen) sinkt sie um ein
Drittel.
Ohne
«lernförderliche» Arbeit und ohne die Mobilisierung der menschlichen kognitiven
Fähigkeiten beim Arbeiten läuft die »Bildungsoffensive«, die alle Teile der
Gesellschaft einfordern, ins Leere. Das lässt befürchten, dass den Bildungs-
und Weiterbildungsanstrengungen der Gesellschaft (die immer noch zu wenig
sind), Arbeitsanforderungen gegenüberstehen, die menschliches Vermögen
verkümmern lassen, statt es zu weiteren Fähigkeiten zu entwickeln. Diese
Befürchtung wird zum Beispiel zusätzlich genährt dadurch,
? dass die Arbeitsagenturen von Jugendlichen
und Langzeitarbeitslosen die Annahme jeglicher Arbeit verlangen, ohne auf
zumindest ein Anforderungsniveau zu achten, das ihrer
Qualifikation entspricht;
? dass nach verschiedenen Untersuchungen zwei
Drittel der im Niedriglohnsektor Beschäftigten eine Berufsausbildung haben;
? dass zum Beispiel im Programm 5000*5000 bei
VW 5000 (dem Plan nach) Langzeitarbeitslose eingestellt wurden, die fast
ausschließlich Facharbeiter waren, ohne mit typischen Facharbeiteraufgaben
betreut zu werden;
? dass in Maschinenbaubetrieben umfangreiche
selbstorganisierte Tätigkeit in Fließarbeit umgewandelt wird ? allerdings sind
hier die Takte nicht 40 Sekunden (wie in der Automobil- und Elektroindustrie),
sondern eine halbe bis acht Stunden.
Wenn später
die hauptsächlich kognitiv zu vollziehenden Umstellungen auf neue Produkte und
Verfahren nicht gelingen, dann kann die Solidargemeinschaft Arbeitslosigkeit
und frühen Rentenbeginn bezahlen. Vermutlich verliert das Unternehmen auch
seine Wandlungsfähigkeit. Der heute beklagte Mangel an Facharbeitern,
Technikern und Ingenieuren zeigt nicht einen absoluten Mangel. Er macht
vielmehr die mangelnde Fähigkeit der Unternehmen deutlich, das
Qualifikationsniveau ihrer Belegschaft zu halten und zu entwickeln.
Möglichkeiten lernförderlicher
Arbeitsgestaltung in Produktionssystemen
Setzen sich
Gewerkschaften und Betriebsräte lernförderliche Arbeitsgestaltung zum Ziel, so
sehen sie sich hier sehr differenzierten und komplexen Handlungsmöglichkeiten
und Notwendigkeiten gegenüber. Die richtige Balance zwischen Konflikt und
Mitgestaltung, zwischen Boxing und Dancing, zwischen Kritik an Experten sowie Leitung einerseits
und deren Einbeziehung anderseits zu finden, ist in diesen großen und auch kleinen,
kontinuierlichen Veränderungsprozessen nicht einfach. Auch in den Belegschaften
finden sich unterschiedliche Hoffnungen und Befürchtungen zu neuen Verfahren.
Selbst wenn es gelingt, grundsätzliche Vereinbarungen über dauerhaft
lernförderliche Arbeit zu erzielen, stoßen diese keine Selbstläufer im System
an. Ihre Einhaltung erfordert Steuerungsaufwand, Kontrollaufwand und
entsprechende Mittel, wie sie heute Betriebsräte kaum aufwenden können. Dazu
einige Schlaglichter, die die unbefriedigende Lage von humanisierender
Arbeitspolitik und die Fragilität von möglichen Lösungsansätzen andeuten
sollen.
Es gibt
beispielsweise noch Montagearbeit mit Takten von 20 Sekunden Dauer, die durch
Monotonie belastend und gesundheitsgefährdend sind. Für Beschäftigte mit solchen
Arbeitsplätzen wäre es abwechslungsreicher, in einer U-Linie fünf hintereinandergeschaltete
Montageschritte zu machen. Aber ob diese das nach jahrelanger Gewöhnung an die
andere Arbeit auch als angenehm empfinden, ist nicht ausgemacht. Mit
60-Sekunden-Takten ist ja auch keine Perspektive auf eine Tätigkeit mit leicht
erhöhten Anforderungen eröffnet.
In Fabriken,
in denen das Produktionssystem im 60-Sekunden-Takt gefahren wird, sehen
Betriebsräte kaum Chancen durchzusetzen, dass der persönliche Takt länger als
15 Minuten beträgt. Sie suchen oft verzweifelt nach Möglichkeiten, im Betrieb
Arbeiten zu finden, die außerhalb des Taktes eine höhere Vollständigkeit
erreichen. Das gelingt ihnen kaum, weil nach Outsourcing und bei
Lieferantenbeziehungen Just-in-Time und Just-in-Sequence
häufig keine solchen Arbeiten mehr aufzutreiben sind, ohne das getaktete System zu ändern. Rotation zwischen
unterschiedlichen Teilen des Fließbandes ist unbedingt notwendig, um
Gesundheitsschäden am Muskel-Skelett-System zu vermeiden. Weil es sich aber
fast immer um Arbeiten von demselben Charakter handelt, sehen viele
Beschäftigte keinen Sinn in der Rotation.
Die dort
entstehende Kompetenz ist, verordnete Arbeit unterschiedlicher Abläufe zu
adaptieren und ohne Widerwillen auszuführen. Von Arbeitern in der kurz getakteten Montage wird gesagt, dass sie gegenüber ihrer
Arbeit einen Schutzpanzer aufbauen. Sie seien aber in der Lage, jedwede
Montagearbeit zu übernehmen, wenn sie weniger feingliedrig und anspruchsvoll
ist als die vorhergehende.
Diese
Verhältnisse finden sich häufig, aber nicht überall. Wo sich solche
standardisierten und taktgebundenen Arbeiten eingenistet haben, ist eine
Begrenzung der Arbeitszeit auf eine Zeit unter 7 Stunden am Tag unumgänglich.
Würde sie beispielsweise auf 4 Stunden begrenzt, so ergäbe sich die
Möglichkeit, zusätzlich eine anders geartete Arbeit, auch bei einem anderen
Unternehmen, aufzunehmen.
Bereicherte
Mischarbeit im selben Betrieb zu organisieren, gestaltet sich schwierig (wie
oben schon benannt). Eine Hürde ist, dass viele indirekte Tätigkeiten in andere
Unternehmen ausgelagert sind, eine andere, dass Beschäftigte, die dem Takt
teilweise entronnen sind (zum Beispiel in die Nacharbeit oder die
Arbeitsvorbereitung) wenig Neigung verspüren, einen Teil ihrer Arbeit wieder im
Takt zu verbringen.
Dennoch
werden solche Modelle gedacht und ansatzweise realisiert. Am leichtesten geht
das dann, wenn Win-Win-Situationen
gesucht werden und sich abzeichnen. Ist die Arbeitszeit nicht zu flexibel, dann
benötigt man bei variantenreichen Produkten eine jeweils unterschiedliche Kombination
von Arbeit, angefangen bei der Auftragsabstimmung über die Logistik bis hin zur
Fertigung und Montage.
In länger
dauernden Fließprozessen ist es geboten, dass Beschäftigte an mehreren Abschnitten
dieser Prozesse eingesetzt werden und auch in anderen Linien. Aber auch hier
gilt, dass es Standardarbeit ist. Im Gegensatz zu selbstorganisierten
Arbeitsabläufen erlaubt standardisierte Arbeit möglicherweise den Einsatz an
mehr Stationen, aber es bleibt im Einzelnen verordnete und durch technische
Systeme geführte Arbeit.
Damit
Störungen behoben werden können, bedarf es einer Einsicht in die Zusammenhänge
des Ablaufs. Was Lernförderlichkeit der Arbeit angeht, macht es natürlich einen
Unterschied, ob sechs oder ob 60 Prozent der Beschäftigten einer Gruppe in die
Lage versetzt werden, Störungen zu beheben. Wenn es eben geht, versucht das
Unternehmen mit sechs Prozent der Beschäftigten auszukommen, obwohl 60 Prozent
in irgendeiner Form geeignet wären, eine höher qualifizierte Arbeit auszuüben.
Hier setzen manche Betriebsräte in ihrer Politik an.
In der
Teilnahme an großen und kontinuierlichen Veränderungen liegen Anforderungen,
die Beschäftigte sich wünschen und die ihnen erlauben, ihre Persönlichkeit,
ihre Prozess- und Fachkenntnisse einzubringen und zu entwickeln. In der Umstellungsphase
werden bei einem großen Teil, sagen wir einem Drittel der Beschäftigten, große
Energien freigesetzt. Endlich werden die eigenen Ideen gehört. Sogar die
Möglichkeit besteht, diese Ideen durch den Bau von Vorrichtungen aus einem
Baukastensystem gleich umzusetzen. Ernüchterung erfolgt dann, wenn letztendlich
nur der Teamleader zu den Kaizenzirkeln
(KVP-Zirkeln) hinzugezogen wird. Es gelingt fast nie, diese Verbesserung auf
eine breite Basis zu stellen und auch dementsprechend in der Entlohnung zu verankern
(gemäß der Volksweisheit: »Was nichts kostet, ist auch nichts«).
Vielversprechend
scheint mir folgender Vorschlag von Betriebsratsmitgliedern. Beschäftigten wird
ein Arbeitsvertrag als Kleingruppe (zum Beispiel aus drei Personen bestehend)
angeboten. Sie verpflichten sich, innerhalb von, sagen wir, fünf Jahren
zwischen Fertigung, Montage, Arbeitsvorbereitung und Einkauf zu rotieren. Auch
andere Kombinationen sind möglich. Der Betrieb hat den Vorteil von
Beschäftigten, die unterschiedliche Stufen des Produktionsprozesses verstehen.
Aber
Tätigkeitswechsel, horizontale Karrieren, Job-Rotation, Maßnahmen beruflicher
Neuorientierung ? all dies sind unbeliebte Maßnahmen. Eine Begründung dafür
ist, dass Lernen Eingebundensein, Selbstständigkeit
und Erfolgserleben benötigt. Nur wenn Personalabteilung und Führungskräfte für
diese Maßnahmen das notwendige Vertrauen schaffen (oder schaffen dürfen),
können sie mit solchen Modellen erfolgreich sein. Dabei ist es unbestritten,
dass gerade ein frühzeitiger Wechsel der Tätigkeiten Lernen und altersgerechtes
Arbeiten fördert. Aber selbst die Hälfte der Ingenieure über 45 Jahren kann
nicht von Tätigkeitswechseln berichten. Kein Wunder, dass sie mit 55 Jahren in
ihren Betrieben keine Perspektive mehr sehen.
Soziale Nachhaltigkeit in einer durch
Wandel geprägten Gesellschaft
Produktionssysteme
sind hoch transparent und treiben sich in die Richtung stetiger Verdichtung und
Vereinfachung von Arbeit. Sie bevorzugen den menschlichen Automaten, zumindest
in seiner täglichen und regelmäßigen Arbeit. Sie verlangen, den nächsten Nutzen
zu erzeugen und greifen damit sowohl unsinnige Elemente im Arbeitsprozess an
wie auch suchende, organisierende, kreative Elemente.
Andererseits
verlangen sie zumindest in ihren Prinzipien nachhaltiges Wirtschaften,
Entwicklung von Personal und Lieferanten. Es werden Manager gefordert, die sich
in die Problemwelt der Produktion oder Administration begeben und dort Lösungen
voranbringen. Das hört sich gut an, ist häufig in schematischer Umsetzung
untergegangen oder wird hoch ideologisch aufgeladen ganz simpel gemeint. So
wird selbst in traditionellen Unternehmen vom »Menschen im Mittelpunkt«
gesprochen, wenn man meint, dass er in die U-Linie im Minutentakt gesteckt
gehört, statt an einem maschinellen Fertigungszentrum zu arbeiten. Damit diesen
Prinzipien eine Komponente in Richtung menschengerechter,
persönlichkeitsförderlicher Arbeit gegeben werden kann, ist es formell und
durch Gestaltungsmacht notwendig, sie als Ziele und Maßnahmen sowie Steuerungs-
und Kontrollelemente in diesen Systemen zu verankern.
Bei
traditioneller Facharbeit besteht immer die Möglichkeit, implizites Wissen zu
verbergen und sich zumindest teilweise unentbehrlich zu machen. Maschinen
müssen nicht nur bestückt, sondern auch eingefahren, eingerichtet,
instandgehalten und umgerüstet werden. Beides verlangt Fachqualifikation.
Beides ermöglicht individuelle Freiräume und Räume, sich mit seiner Arbeit zu
behaupten. Bei Produktionssystemen tritt die Notwendigkeit zu kollektiven,
gleichzeitig aber hoch differenzierten Vereinbarungen in den Vordergrund.
Es ist es
gerade Ziel von Produktionssystemen, alles Wissen explizit zu machen. Dem
Unternehmen, dem das am besten gelingt, winkt ein Konkurrenzvorteil. Insofern
kann lernförderliche Arbeit sich nur gegen einen Versuch, Qualifikation
auszuzehren, durchsetzen, wenn sie auch den Zielen nach und formell abgesichert
werden kann. Vermutlich gelingt das nicht, wenn die Gesellschaft jede Arbeit
will. Vielmehr muss sie ihren Stolz darin sehen, deutlich zu Arbeit mit
angemessenen Anforderungen, guten persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten und
hohem Nutzen in der Breite beizutragen.
Die
Konkurrenzfähigkeit einer hoch entwickelten Gesellschaft besteht darin,
nachhaltig und erträglich technologischen und sozialen Wandel gestalten zu
können. Was die Erwerbsarbeit angeht, so sind heute dazu zwei Maßnahmen im
Gespräch: verstärkte Anstrengungen (des Staates) an Bildung und Weiterbildung
wie auch Immigration.
Beides hat
seine Bedeutung. Beides verpufft aber weitgehend, wenn nicht darauf geachtet
wird, dass die hauptsächliche Weiterbildung bei der Erwerbsarbeit geschieht
oder zu erfolgen hat. Den überbordenden Forderungen der Unternehmen (und der
sie leitenden Schichten) an die Gesellschaft (Schule, Universität,
Infrastruktur, Steuererleichterungen, Verhalten von Menschen) sollte die
Gesellschaft entgegenstellen, dass sie von ihnen Leistung erwartet; nämlich
Arbeiten zu organisieren, die dem Qualifikationsniveau der Beschäftigten
entsprechen und es entwickeln. Wenn schon Leiharbeit erlaubt ist, dann sollte
sichere, qualifizierte und dem Wissenstransfer dienende Leiharbeit gefördert
und billig machende und für die Drecksarbeit zuständige Leiharbeit verhindert
werden. Den schnellen Wechsel von Arbeiten ermöglichen nur lernförderliche
Arbeiten über das gesamte Arbeitsleben. Die Alternative ist für viele Armut ab
50.
Gewerkschaftliche
Betriebspolitik auf diesem Feld braucht ein öffentliches Umfeld, sodass sie
sich leichter mit einer Mentalität des Ausschlachtens des nächsten Nutzens
herumschlagen kann. Man kann da an die von Marx gelobten englischen Gesundheitskommissare
des 19. Jahrhunderts denken, die uns heute einen erheblichen Gesundheitsschutz
vorbereitet haben. Man kann auch an die Millionen Treffpunkte bei Wein und
Tennis denken, wo weniger die Dummheit des (natürlich nicht anwesenden)
Einzelnen als seine Möglichkeiten besprochen werden.
In der
modernen Wissensgesellschaft beruht die Arbeitsfähigkeit des Einzelnen auf der
Entwicklung seines Wissens und Könnens. Das muss ihm in der Arbeit ermöglicht
werden. Wie bei der Ergonomie ist ein Ansatzpunkt aus betriebspolitischer Sicht
in Win-Win-Verhältnissen zu
finden: lernförderliche Arbeit gegen nachhaltige Wandlungsfähigkeit des
Unternehmens. Aber schon das setzt ein hohes Maß an Konfliktfähigkeit voraus.
Hier äußert
sich ein Problem, das insgesamt gesellschaftlicher Aufmerksamkeit und Interventionen
bedarf. Die Gestaltung des Arbeitskörpers in Industrie und Dienstleistungen
nach den hier skizzierten Prinzipien beinhaltet die Tendenz, Arbeit weiter zu
teilen (und dementsprechend zu bezahlen) in standardisierte Arbeit und in
Arbeit, die die Prozessgüte entwickelt. Das reicht insbesondere in die
mittleren Schichten der Erwerbsbevölkerung. Die Mehrheit der Software
ProjektleiterInnen werden zu ÜberwacherInnen und AnwenderInnen des Standards und wenige andere zu EntwicklerInnen von Standards. Die einen Bankangestellten
betreuen den Kunden nach Standardentscheidungsmodellen (»Was kann ich für sie
tun?«) und wenige entwickeln Finanzprodukte und trainieren die erstgenannten
Bankangestellten. Die einen FacharbeiterInnen machen angelernte Arbeit, wenige
andere werden zu LeiterInnen des KVP-Prozesses. Der
Wunsch nach einigermaßen selbstständiger und qualifizierter Arbeit für viele Beschäftigte
wurde mit dem Schlagwort von der Wissensgesellschaft belegt. In den
Produktions- oder Prozesssystemen von heute wird er nicht verwirklicht,
jedenfalls nicht im Selbstlauf. Eine hoch entwickelte Wirtschaft muss
Wandlungsfähigkeit in der Breite beweisen. Sie kann einen hohen kulturellen und
materiellen Lebensstandard nur halten oder entwickeln, wenn sie in dem neuen
Paradigma industrieller Beziehungen Selbstständigkeit fördert, horizontale und
vertikale Durchlässigkeit für alle ermöglicht und eine neue Form von Facharbeit
und Beruflichkeit verankert.
Dieser
Artikel beruht auf dem Buch Arbeit gestalten ? Fähigkeiten entfalten von
Martin Allespach, Walter Beraus
und Anton Mlynczak, erschienen 2009 im Schüren Verlag
(Marburg), stellt aber die persönliche Meinung des Autors dar.
1
Roland
Springer: Survival of
the Fittest, München: Finanzbuchverlag, u. a. im
Kapitel »5S als Erziehungsmaßnahme«, S. 149 ff.
2
Siehe
Werner Abelshauser: »Die Stärken des deutschen
Modells«, in: FAS, 12.7.10.
3
Richard
Sennet: Handwerk, Berlin 2008, S. 20.
4
Arbeitsablauf-
und Bewegungsstudien wurden von Taylor (à REFA, Zeitstudien) und Gilbreth (à MTM, Filme von Bewegungen) durchgeführt.
5
Inhaltlich
vollständig ist Arbeit, wenn sie Fach-, Sozial-, Methoden und Persönlichkeitskompetenz
abruft; zyklisch vollständig ist sie, wenn sie sowohl vorbereitende,
ausführende, kontrollierende und organisierende Aufgaben enthält.
6
Siehe
Kasten »Beruf wie Arbeit ? zwei Gesichter«.
7
Roland
Springer: Survival of
the Fittest, München: Finanzbuchverlag, S. 169:
»Dem einzelnen Mitarbeiter muss seitens seines Vorgesetzten auch signalisiert
werden, dass abweichendes Verhalten nicht toleriert wird.«
8
Meist
in Form eines U angeordnet und mit wiederverwendbaren »Regalsystemen« aufgebaut.
9
Diese
mit Sanktionsdrohungen vorgetragene Forderung des japanischen Auditors konnte
der Betriebsrat bis vor Kurzem noch zurückweisen.
10
Karl
Marx: »Thesen über Feuerbach«; in: Marx-Engels-Werke, Bd. 3, Berlin
(Ost) 1983, S. 192.
11
Siehe
Fußnote 5.
12
Patrick
Gajewski, Michael Falkenstein, Institut für
Arbeitsphysiologie Universität Dortmund, Vortrag auf der Tagung der
Becker-Stiftung, 2009.
13
Zitiert
in Gottfried Richenhagen, Ministerium für Arbeit und
Soziales NRW, Gastvorlesung RWTH Aachen 2009.
Kasten
Kurt Lewin
Der Arbeit Gewicht
und Gesicht
»Beruf wie
Arbeit treten dem Einzelnen mit zwei verschiedenen Gesichtern entgegen.
Arbeit ist
einmal Mühe, Last, Kraftaufwand. Wer nicht durch Renten oder Herrschaft oder
Liebe versorgt ist, muss notgedrungen arbeiten, um seinen Lebensunterhalt zu
verdienen. Arbeit ist unentbehrliche Voraussetzung zum Leben, aber sie ist
selbst noch nicht wirkliches Leben. Sie ist nichts als ein Mittel, ein Ding
ohne eigenen Lebenswert, das Gewicht hat nur, weil es die Möglichkeit zum Leben
schafft, und zu bejahen ist nur, sofern es solche schafft. Wie man nicht lebt,
um zu essen, sondern isst, um zu leben, so arbeitet man wohl notgedrungen, um
zu leben, aber man lebt nicht, um zu arbeiten ... Darum Arbeit so kurz und so
bequem wie möglich! Also ökonomischste Gestaltung des Arbeitsprozesses. Aller
Fortschritt in Arbeitsdingen gehe auf Erleichterung der Arbeitsmühe und
Erhöhung ihrer Leistungsquote, sein Ziel sei möglichste Befreiung vom Zwang zur
Arbeit durch Herabdrücken ihrer zeitlichen Ausdehnung und ihres Gewichtes den
andern Lebensdingen gegenüber auf ein Minimum. Wenn die Arbeit dazu gleichförmiger
und einseitiger werden muss, so schadet das nichts, solange es ihrer Produktivität
keinen Abbruch tut. Denn aller positiver Wert kommt dieser Arbeit nur indirekt
zu, nur durch die wirtschaftlichen Vorteile, die sie dem Arbeitenden bietet.
Sie ist eine Last ohne eigenen Wert, nichts als Mittel.
Demgegenüber
das andere Gesicht der Arbeit: Die Arbeit ist dem Menschen unentbehrlich in
ganz anderem Sinne. Nicht weil die Notdurft des Lebens sie erzwingt, sondern
weil das Leben ohne Arbeit hohl und halb ist. Auch vom Zwange der Notdurft
befreit, sucht jeder Mensch, der nicht krank oder alt ist, eine Arbeit,
irgendein Wirkungsfeld. Dieses Bedürfnis nach Arbeit, die Flucht vor dauerndem
Müßiggang, die bei zu kurzer Arbeitszeit zur Arbeit außerhalb des Berufes
treibt, beruht nicht auf bloßer Gewohnheit zu arbeiten, sondern gründet sich
auf den ?Lebenswert? der Arbeit. Es ist die gleiche überindividuelle Qualität
der Arbeit, die den Arbeitenden veranlasst, saubere, solide, ?gute? Arbeit zu
leisten, auch wenn weniger gute Arbeit keinen sachlichen oder persönlichen
Nachteil brächte. Diese Fähigkeit der Arbeit, dem individuellen Leben Sinn und
Gewicht zu geben, wohnt irgendwie jeder Arbeit inne, ob sie schwer oder leicht,
abwechslungsreich oder monoton ist, sofern sie nur keine Scheinleistungen
hervorbringt wie das sinnlose Hin- und Herstapeln von
Holz in Gefängnishöfen; sie kommt freilich verschiedenen Arbeiten in sehr
verschiedenem Maße zu. Weil die Arbeit selbst Leben ist, darum will man auch
alle Kräfte des Lebens an sie heranbringen und in ihr auswirken können. Darum
will man die Arbeit reich und weit, vielgestaltig und nicht krüppelhaft beengt.
Darum sei Liebe zum Werk in ihr, Schaffensfreude, Schwung, Schönheit. Sie hemme
die persönliche Entwicklungsmöglichkeit nicht, sondern bringe sie zur vollen
Entfaltung. Der Fortschritt der Arbeitsweise gehe also nicht auf möglichste
Verkürzung der Arbeitszeit, sondern auf Steigerung des Lebenswertes der Arbeit,
mache sie reicher und menschenwürdiger.«
Aus: Kurt
Lewin (1890?1947): »Die Sozialisierung des Taylor-Systems«; in: Schriftenreihe
Praktischer Sozialismus 4 (1920). Zitiert in: Eberhard Ulich:
Arbeitspsychologie, Stuttgart 1994, S. 14 f.
Auszug
aus einem Manteltarifvertrag
In
den Manteltarifverträgen (MTV) haben sich Arbeitgeber und Gewerkschaften
verpflichtet, Arbeit persönlichkeitsförderlich zu gestalten. So heißt es
beispielsweise im Manteltarifvertrag für Baden-Württemberg in der Fassung ERA
vom 14. Juni 2005 in § 3:
»3
Arbeitsplatz, Arbeitsablauf, Arbeitsumgebung und Arbeitszeit
3.1
Arbeitsplatz, Arbeitsablauf und Arbeitsumgebung sind menschengerecht zu gestalten.
3.2.
Dabei sind insbesondere folgende Grundsätze zu beachten:
Arbeits-
und Leistungsbedingungen und Arbeitszeiten sind im Rahmen der betrieblichen und
wirtschaftlichen Möglichkeiten so zu gestalten
?
dass sie auch auf Dauer zu keiner gesundheitlichen Beeinträchtigung der Beschäftigten
führen,
?
dass die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb Beschäftigten
geschützt und gefördert sowie das Recht auf Menschenwürde geachtet wird,
?
dass bei Vereinbarungen zu Lage und Verteilung der Arbeitszeit im Rahmen der betrieblichen
Möglichkeiten dem Einzelnen Entscheidungsspielräume eingeräumt werden.
Werden
diese Grundsätze nicht eingehalten, so können die Beschäftigten Vorschläge zur
Verbesserung der Arbeitssituation einbringen. Die Vorschläge sind umgehend zu
prüfen und, soweit sachlich berechtigt und wirtschaftlich vertretbar, vom
Arbeitgeber umzusetzen.«