Udo Riechmann

 

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Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) und Schuldenbremse*

Wurde mit der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse ein zweischneidiges Schwert geschaffen? Und hat man mit den Öffentlich-Privaten Partnerschaften weniger zur Entlastung der Kommunen beigetragen, als vielmehr einen neoliberalen Selbstbedienungsladen für das Finanzkapital geschaffen, um sich an den öffentlichen Gütern schadlos zu halten? Unser Autor stellt kritische Überlegungen zu diesen Fragen an und geht einigen Beispielen merkwürdiger politisch-wirtschaftlicher Verstrickungen zwischen Berlin und Frankfurt nach.

 

Jeder kennt den Witz: Wenn ich 100.000 Euro Schulden habe, habe ich ein großes Problem, wenn ich 100 Millionen Euro Schulden habe, hat die Bank ein Problem.

Richtig daran ist, dass Schulden nicht gleich Schulden sind und Geld nicht gleich Geld. Das Geld, das ich mit meiner Arbeit verdiene, als Rente oder Stipendium beziehe, mit dem ich meine Bedürfnisse befriedige und möglicherweise noch eine Rücklage für mich und meine Familie bilde, hat wenig zu tun mit dem Geld, das investiert wird oder mit dem öffentliche Aufgaben erfüllt werden; und schon gar nichts hat es zu tun mit der Spekulationsblase, die als eine riesige Computer-Cloud um den Globus schwirrt und nur auf neue Opfer wartet, nachdem die US-amerikanischen Häuslebauer abgenagt sind und nichts mehr abwerfen.

Angela Merkels Appell an die Instinkte der »schwäbischen Hausfrau« ist reine Demagogie, es sei denn, sie ist als Physikerin auf dem Niveau der Newton’schen Mechanik stehen geblieben und denkt einfach zu schlicht, um die Komplexität der modernen Wirtschaft zu erfassen. Auch die schwäbische Hausfrau weiß, dass Schulden nicht gleich Schulden sind. Sie führt nicht nur ein Haushaltsbuch, sondern hat zum Beispiel auch einen Acker geerbt und geht mit dessen Grundbucheintrag, ihrem Gatten und dessen Bausparvertrag zur Spar- und Darlehenskasse. Sie lassen sich das Geld zum Hausbau sofort anweisen und warten nicht, bis genug angespart ist und die Kinder aus dem Haus sind. Auch Bund, Länder und Kommunen werden in Zukunft ähnlich verfahren müssen. Die bald im Grundgesetz und in vielen Landesverfassungen verankerte Schuldenbremse erzwingt nur eine teure Umwegfinanzierung, die außer den Banken noch eine große Zahl von Beratern und Anwälten in Brot setzt. Sie fördert zudem die Korruption und andere Diebereien, da sie nach Normen des Privatrechts erfolgt und deshalb außerhalb öffentlicher und demokratischer Kontrollbefugnisse liegt. Die vom Bundestag schon beschlossene Schuldenbremse wird die Finanzmärkte nicht daran hindern, weiterhin mit Bund, Ländern und Kommunen gute – und das heißt für Privatunternehmen immer: für sie Gewinn bringende – Geschäfte zu machen. Schöpferisch sind sie vor allem im Erschließen neuer Geschäftsfelder, in denen sich vor allem eins schöpfen lässt: Geld.

Warum also die Schuldenbremse, die jetzt per Volksabstimmung zusätzlich in der hessischen Verfassung verankert wurde? Wie wir gleich sehen werden, dient sie vor allem dazu, Bilfinger Berger mit Roland Koch als neuem Vorstandsvorsitzendem und der Deutschen Bank mit allen ihren Bonus-Beziehern und Shareholders neue Quellen des Reichtums zu erschließen.

 

Die sogenannte Schuldenbremse

Die meisten technischen Errungenschaften sind zunächst vom Staat über Schulden, Anleihen, Kredite und durch Risikokapital finanziert worden. Dem Kapital wurde das »Risiko« auf vielerlei Weise schmackhaft gemacht, durch Gewinngarantien, Monopole, Grundrechtszuweisungen, Bürgschaften, Steuererleichterungen und lukrative Militäraufträge: Vom Eisenbahnbau (Vanderbuildt) über die Datenverarbeitung (Volkszählung, Atombombe, COBOL) bis hin zum Internet, das seinen Ursprung im Arpanet der US-Armee und in einer der größten internationalen Forschungseinrichtungen, dem Genfer Teilchenbeschleuniger CERN hat, sind Großprojekte direkt oder indirekt vom Staat über Steuern oder Schulden finanziert. Viele der Voraussetzungen, von der allgemeinen Schulbildung bis hin zur Energieversorgung, sind für Wirtschaft und Gesellschaft unverzichtbar geworden und werden vom Staat selbst erbracht oder durch gesetzliche Regelungen erzwungen. Für die moderne Wirtschaft gilt noch mehr als für den Staat das Wort des ehemaligen Verfassungsrichters Böckenförde, dass sie auf Voraussetzungen beruht, die sie nicht gewährleisten kann. Die Voraussetzungen für das Funktionieren der Wirtschaft kann, wie ein Vergleich der Vereinigten Staaten mit dem »alten Europa« zeigt, ein starker Staat besser garantieren als ein schwacher. Je stärker der Staat, desto aufmerksamer und genauer muss aber auch die öffentliche Kontrolle sein.

Der Staat erfüllt seine Aufgaben durch Steuern. Will er dies nicht, bleibt ihm nur die Kreditaufnahme. Dieser Unwille zur Steuererhöhung kann konjunkturelle Gründe haben. Bei den schwarz-gelben Bundes- und Landesregierungen begünstigt er vor allem aber nahestehende Interessengruppen: So ist in den Sozialismus-unverdächtigen USA der Anteil der vor allem die großen Vermögen belastenden Erbschafts- und Vermögenssteuer am gesamten Steueraufkommen viermal höher als in der Bundesrepublik.

Wie passt das zur Schuldenbremse?

Die seit einigen Jahren immer beliebteren Öffentlich-Privaten Partnerschaften (ÖPP), die – in der Regel – jahrzehntelange Zahlungsverpflichtungen gegenüber privaten Geschäftspartnern bedeuten, belasten den öffentlichen Haushalt nicht anders als ganz herkömmliche Schulden. Die Bundesregierung weigert sich, große Vermögen angemessen steuerlich zu belasten. Ländern und Kommunen wird die eigene Steuererhebung immer schwerer gemacht, gleichzeitig wachsen ihre Aufgaben – nicht nur, aber auch, durch neue Bundesgesetze. Die Schuldenbremse fördert also, indem sie traditionelle Schuldformen verbietet, direkt ÖPP als Anlageform für private Vermögen, denn Bilfinger Berger, Philipp Holzmann oder die Bertelsmann-Tochter Arvato finanzieren ihren ÖPP-Anteil natürlich nicht selbst, sondern über die Finanzmärkte: Sie lassen sich von den Banken mit nur geringem Zinsabschlag – die Forderungen an die öffentliche Hand sind ja sicher – die Zahlungen für die nächsten Jahrzehnte sofort bar auszahlen: Für sie die billigste Form der Kreditaufnahme. In den Banken stehen kreative Ökonomen schon bereit, neue Derivate für den weltweiten Spekulationshandel zu entwickeln. Sie könnten die Forderungen in winzige Teile stückeln, diese Teile einzeln als Sahnehäubchen und Verkaufsargument auf viele schlechte Forderungen legen und dann gebündelt an Kleinanleger verkaufen. Bald wird dann der Sparer in Idaho Derivate auf Schulen im Rodgau genauso in seinem Besitz haben, wie noch vor Kurzem die Sparerin im Rodgau Derivate auf Eigenheime in Idaho besaß. Wenn diese Finanzblase platzt, ist wieder der Staat zur Bankenrettung gefragt, indem er den Steuerzahlern Hunderte von Milliarden aufbürdet. Denn hier, wie auch sonst in »Naturkatastrophen«, gilt die Schuldenbremse ausdrücklich nicht. Zuvor sind aber die Schulen, die Brücken und Straßen, das ganze sonstige in Generationen erarbeitete Volksvermögen, das Kommunen, Länder und Bund als ihren Anteil in die ÖPP eingebracht haben, mit in den Strudel geraten. Sie müssen dann mit viel Geld wieder in Sicherheit gebracht werden.

 

Wie der juristisch-finanzielle Komplex die Demokratie unterwandert

»Wir in den Regierungsgremien müssen uns vor unbefugtem Einfluss – ob erbeten oder nicht – durch den militärisch-industriellen Komplex schützen. Die Möglichkeit für die verhängnisvolle Zunahme dieser fehlgeleiteten Kräfte ist vorhanden und wird weiterbestehen. Wir dürfen es nie zulassen, dass die Macht dieser Verbindungen unsere Freiheiten und unsere demokratischen Verfahren gefährdet. Wir sollten das nicht einfach hinnehmen. Nur wachsame und informierte Bürger können die richtige Einordnung der riesigen Industrie- und Militärmaschine in unsere friedlichen Methoden und Ziele erzwingen, sodass Sicherheit und Freiheit gemeinsam wachsen und gedeihen können

Dwight D. Eisenhower, Generalkommandeur der US-Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg, richtete in seiner Abschiedsrede als republikanischer Präsident am 17. Januar 1961 diese alarmierende Warnung an die amerikanische Gesellschaft. Sein demokratischer Nachfolger John F. Kennedy war offensichtlich nicht »wachsam und informiert« genug, um »die richtige Einordnung der riesigen Industrie- und Militärmaschine in ... (seine) friedlichen Methoden und Ziele zu erzwingen, sodass Sicherheit und Freiheit gemeinsam wachsen und gedeihen können«. Er ließ sich in das Desaster der Kubakrise treiben. Dass der Atomkrieg in letzter Minute verhindert wurde, ist mindestens so sehr das Verdienst Chruschtschows wie das von Kennedy. Der noch von Kennedy begonnene Vietnamkrieg, die Kriege in Afghanistan und im Irak führten zu einer Spaltung der US-Gesellschaft. Die dadurch angeblich gefährdete innere und äußere Sicherheit führte zur realen Aufhebung vieler der »Freiheiten und demokratischen Verfahren«, vor deren Gefährdung Eisenhower noch gewarnt hatte.

Margaret Thatcher und Ronald Reagan nahmen die Sowjetunion schon nicht mehr so recht ernst. Während Reagan und die starke US-Rüstungsindustrie sich noch darauf konzentrierten, das Reich des Teufels militärisch niederzurüsten, machte sich Margaret Thatcher daran, das britische Volksvermögen an das internationale Big Business zu verschleudern. Sie gab die Gesellschaft zur Ausplünderung frei, indem sie einfach ihre Existenz leugnete: »There is no such a thing as society«, erklärte sie am 31. Oktober 1987 in der Zeitschrift Woman’s Own.

Thatcher trieb es am Schluss so dreist, dass Tony Blair seine »New Labour« als dritten Weg verkaufen konnte. Nachdem Thatcher die Post, das Telefonnetz und die Eisenbahnen zum Abwirtschaften verscherbelt hatte, nahmen die Plündereien jetzt geschicktere Formen an: Sie nannten sich Public Private Partnership (PPP). In einem solchen Projekt sollte die Londoner Metro für 44 Milliarden Euro modernisiert und 30 Jahre gewartet werden. Firmen wie KPMG, Pricewaterhouse Cooper, Freshfields, Ernst and Young – die uns alle in Deutschland wieder begegnen werden – strichen für die Beratung und einen 28.000 Seiten starken Vertrag vorab 700 Millionen ein. Die beiden ausführenden Konsortien – Tochter- und Enkelfirmen von Electricité de France, Bombardier, Bechtel, der deutschen RWE und anderen internationalen Großunternehmen – stellten schon nach vier Jahren milliardenhohe Nachforderungen. Als der Staat nicht auf sie einging, gingen sie: In die Insolvenz. So musste der Staat die inzwischen völlig marode U-Bahn mitsamt einem Riesenschuldenberg, den die Plünderer hinterlassen hatten, übernehmen. Außer Spesen nichts gewesen. Die sehr qualifizierten Berater und Anwälte hatten die Verträge natürlich so ausgearbeitet, dass weder sie noch die Muttergesellschaften der insolventen Betreiberkonsortien in Regress genommen werden konnten.

Vor der Bundestagswahl 1998 hatten der damalige SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine zusammen mit seinem späteren Finanzstaatssekretär Heiner Flassbeck, der Spitzenkandidat der Grünen Joschka Fischer und sogar Helmut Kohls damaliger Wunschnachfolger Wolfgang Schäuble Konzepte vorgelegt, wie das unter der Hauptlast der Wiedervereinigung ächzende deutsche Sozialsystem auf eine langfristig gesicherte steuerfinanzierte Basis gestellt werden konnte. In einem Kerneuropa sollten effektive Außenwirtschaftskontrollen verhindern, dass Gewinne durch Bilanztricks nach außen transferiert werden. Damit wäre eine wirksame Besteuerung der Kapitalgewinne in einem Viertel bis einem Drittel der Weltwirtschaft möglich geworden. Dominique Strauss-Kahn in Frankreich, Romano Prodi in Italien und Felipe Gonzales in Spanien verfolgten ähnliche Pläne. In Skandinavien und den Benelux-Ländern hätten sich weitere Verbündete gefunden. Heute haben die Vordenker dieses Konzepts, Strauss-Kahn als Direktor des Internationalen Währungsfonds (IWF) und Flassbeck als Chef-Volkswirt der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD), führende Positionen in den Weltwirtschaftsorganisationen inne.

Als Lafontaine nach der Wahl als Finanzminister erste Schritte unternahm, seine Wahlversprechen einzulösen, zeigte sich vor allem in den Unternehmen starker Widerstand, aber auch in den Medien gab es großes Geschrei. Schröder, der nach eigenem Bekunden auf nichts was gibt, außer auf »Bildzeitung und Glotze«, wurde der »Kanzler der Bosse«: Er antwortete mit dem Schröder-Blair-Papier. Lafontaine trat zurück, Fischer schwieg, die Fachminister servierten, was in der Hannoveraner Küche gebrutzelt wurde. Es schlug die große Stunde von Riester, Hartz (IV) und anderen Meisterdenkern aus dem Niedersächsischen. Die Sozialleistungen wurden reduziert, die Kosten zu immer größeren Teilen den Versicherungspflichtigen aufgelastet oder ganz privatisiert.

Im Folgenden wurden immer weitere Teile genuin staatlicher Aufgaben – von der Bildung über die Wasserversorgung bis zur Verteidigung – in der demokratisch unkontrollierbaren öffentlich-privaten Grauzone abgewickelt. Gerade nicht-öffentlich werden hier die in Generationen erworbenen Güter der Allgemeinheit – von den Schulen bis hin zu den Autobahnen – dem privaten Gewinninteresse Einzelner zugeschoben. Die Skandale häufen sich, von der Lkw-Maut über die Berliner Wasserversorgung bis hin zur European Business School (EBS) im beschaulichen Rheingau. Persönliches Fehlverhalten, die Korruption Einzelner werden breit getreten, die öffentlich-privaten »Partnerschaften« aber nie infrage gestellt. Die Rest-Linken bejammern soziale Schieflagen. Nicht gesehen wird, wie das Kapital, nachdem es längst in »die letzten Poren des Arbeitstages« eingedrungen ist, sich immer weitere Teile des Staates direkt unterwirft. In dem gattungsgeschichtlichen Moment, in dem die Chance »des Reichs der Freiheit« sichtbar wird, droht das bornierte Interesse der vielen kleinen Shareholders den gesamtgesellschaftlichen Reichtum in den Strudel der Kapitalkatastrophen, vom Golf von Mexiko bis Fukushima, zu reißen. Riester-Rentner werden zu Geiseln des Kapitals.

 

ÖPP am Beispiel einiger ausgewählter Personen und Firmen

Die Zusammenhänge zwischen Schuldenbremse und ÖPP wurden mir blitzartig deutlich, als ich vom schnellen Wechsel Roland Kochs auf den Chef-Sessel von Bilfinger Berger las. Bilfinger Berger hatte sich in den letzten Jahren aus einem klassischen Baukonzern in einen rundum versorgenden Dienstleister von der Bauplanung über die Errichtung bis hin zu Wartung, Substanzerhaltung und Modernisierung gewandelt. Der Aktienkurs hat sich seit Beginn dieser Umstellung verdoppelt. Die Gewinne haben sich vervielfacht. Während dieser Zeit hat Roland Koch als Verhandlungsführer der CDU und der Länder mit Bundesfinanzminister Peer Steinbrück die Finanzreform der Großen Koalition einschließlich der Grundgesetzänderung für die Schuldenbremse durch Bundestag und Bundesrat gebracht.

Um das besser zu verstehen, habe ich mir zunächst den Hauptstadtsumpf angesehen. Im Verlauf der Kurzrecherche werden wir fast von selbst wieder am Main landen. Die Berliner Korruptionsskandale gehören seit Frontstadtzeiten zur politischen Folklore. Die Dekoration des »Schaufensters des Westens« am Rande der westsibirischen Steppe (Gottfried Benn) bot eine Vielzahl von Verdienstmöglichkeiten, die nicht in den Rechnungsbüchern auftauchten und die auch in langwierigen Prozessen nie ganz aufgeklärt wurden. Der Umzug der Bundesregierung in die Märkische Heide hat sicher auch mit dem für Lobbyisten und Politiker angenehmen Verhandlungsklima zu tun.

Schon der erste Name, den ich aufgrund diffusen Hinterkopfwissens eingab, führte mich weiter. Annette Fugmann-Heesing war im Januar 1994 wegen eines Skandals um die Veruntreuung von Lotto-Geldern als hessische Finanzministerin zurückgetreten. In Berlin überführte sie als Finanzsenatorin ab 1996 die Wasser-, Gas- und Strombetriebe sowie die Wohnungsbaugesellschaft in ÖPP-Projekte. Einzelheiten dieser Vorgänge sind bis heute nicht bekannt. Die Akteneinsicht wurde nicht nur der Öffentlichkeit sondern auch Parlamentariern durch alle Instanzen bis hin zum Berliner Verfassungsgericht verwehrt, da für diese Gesellschaften, die sich öffentlich-privat nennen, nur das Privatrecht gilt. Und hier stehe das Privatinteresse am eigenen Vermögen über dem der Öffentlichkeit nach demokratischer Kontrolle dessen, was mit seinen Vermögensanteilen geschieht, ja ob überhaupt vertragsgemäß mit ihnen umgegangen wird. Das ist durchaus in Übereinstimmung mit ähnlichen Urteilen hessischer Gerichte über öffentlich-private Schulprojekte im Landkreis Offenbach. In Berlin weckten diese Vorgänge so viel Unmut, dass Fugmann-Heesing bei der nächsten Wahl nicht wieder aufgestellt wurde. Der Unmut steigerte sich trotzdem weiter. »Whistleblower«, die taz und vor allem eine Bürgerinitiative konnten nach 16 Jahren Kampf am 14. Februar 2011 eine erfolgreiche Volksabstimmung zur Rücknahme der Privatisierung zumindest der Wasserbetriebe und zur Offenlegung aller Verträge durchführen. Der Senat will dem angeblich trotz rechtlicher Bedenken folgen. Das wage ich zu bezweifeln. Die Nebenabsprachen und Zusatzklauseln werden bestenfalls Stück für Stück und nach langem Gezerre in jedem Einzelfall bekannt werden. Hier wird man weiter auf »Whistleblower« angewiesen bleiben. Die Schadensersatzforderungen der Privatfirmen werden erheblich sein.

Annette Fugmann-Heesing braucht das nicht mehr zu kümmern. Nach dem Abgang in Berlin stellte sie der damalige Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping als Geschäftsführerin der Gesellschaft für Entwicklung, Betrieb und Beschaffung der Bundeswehr ein. Anschließend arbeitete sie für die Berliner Beratungsdienste (BBD), eine Firma, spezialisiert auf die Überführung öffentlichen Eigentums in diese strikt nichtöffentlichen privaten Aneignungsgemeinschaften. Zu deren Gründern und geschäftsführenden Gesellschaftern gehört Dietrich Stobbe. Auch Dietrich Stobbe ist als Politiker am Berliner Sumpf gescheitert, 1981 als Regierender Bürgermeister. Ab 1983 wieder im Bundestag, war er für die SPD zuständig für die Kontakte zur Ost-SPD; und er war an der Abfassung aller Verträge beteiligt, die im Rahmen der Wiedervereinigung geschlossen wurden. Als 1991 die wichtigsten Privatisierungsvoraussetzungen geschaffen sind, heuert er bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little (ADL) an, gleich als Vice-President Europe mit Zuständigkeit für das Gebiet des ehemaligen Warschauer Paktes.

Auch bei ADL hatte sich einiges getan. Von den nicht gerade wohlbeleumdeten Beratungsgesellschaften war sie als die übelste verschrien. Im Prozess um den bisher größten Chemie-Unfall der Geschichte – 1984 im indischen Bhopal mit bis zu 50<|>000 Toten und einer halben Million Verletzten – hatte sie in einem Gutachten für die Betreibergesellschaft Union Carbide versucht, die Schuld an dem Unfall der Belegschaft in die Schuhe zu schieben. Das konnten aufgrund der aufgebrachten Bevölkerung und der aufmerksam gewordenen Weltöffentlichkeit nicht einmal die korrupten indischen Gerichte durchgehen lassen. ADL-Gutachten verloren so sehr an Ansehen, dass die Firma pleiteging. Französische Investoren bewahrten sie vor dem Erlöschen. Paris wurde Hauptfirmensitz.

Stobbe hatte die Überleitungsbestimmungen, die es in den Nachwendejahren auszunutzen galt, mit ausgearbeitet, möglicherweise sogar mit den Vertragspartnern der Treuhand, die ihm später gegenübersaßen. ADL hatte in Indien reichliche Erfahrungen mit korrupten Beamten erworben. Als jetzt französische Firma berät sie in der Person Stobbes die französische Mineralölgesellschaft Elf-Aquitaine beim größten Deal in der Ex-DDR: Der kostenlosen Überführung des auch in der BRD noch profitablen Tankstellenmonopols Minol in den 100-prozentigen Besitz von Elf-Aquitaine. E-A und ihr Förderer Francois Mitterand hatten sich die Qualifikation für diese Übernahme in einer Vielzahl von Staatsstreichen in Afrika erworben, in denen es auch um Verstaatlichung, Re-Privatisierung und die Eindämmung des Einflusses der anglo-amerikanischen Öl-Multis ging. Der Mord an Karsten Rohwedder, dem ersten Chef der Treuhandanstalt und striktem Gegner der Verschleuderung des DDR-Vermögens, ist immer noch nicht aufgeklärt. Total, die Nachfolgegesellschaft von E-A, besitzt immer noch über 50 Prozent der Tankstellen in der ehemaligen DDR.

Dietrich Stobbe gründet im gleichen Jahr 1991, in dem er zu ADL geht, eine Vorläufergesellschaft der Berliner Beratungsdienste(BBD). Die preisen sich auf ihrer Website folgendermaßen an:

»Aufgrund der langjährigen Berufserfahrung für die öffentliche Wirtschaft sowie umfangreicher Kenntnisse um politische Willensbildungsprozesse verfolgt die BBD einen ganzheitlichen und umfassenden Beratungsansatz.

Diesem Ansatz folgend bieten die BBD sowohl die Erarbeitung von Lösungen, Konzepten und Empfehlungen als auch eine flankierende Kommunikation von Projektergebnissen, die Mitwirkung an Gremienbeschlüssen sowie die aktive Umsetzung durch die Beraterteams der BBD.«

Nachdem vom DDR-Volksvermögen nichts mehr übrig ist, begleitet der Ex-Regierende Bürgermeister Stobbe die noch regierende Senatorin Fugmann-Heesing bei der bis heute der öffentlichen Kontrolle entzogenen Überführung öffentlichen Eigentums in privatrechtliche, der Gewinnmaximierung, sprich Bereicherung, verpflichtete Unternehmen. Fugmann-Heesing findet, nachdem sie als Senatorin nicht wieder aufgestellt wurde und nach einem Zwischenspiel als Leiterin der Bundeswehrbeschaffungsgesellschaft, das mit Scharpings politischem Scheitern endet, ihr Zubrot als einfaches Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses bei den Berliner Beratungsdiensten. Da nutzen ihr ihre Kontakte aus der Zeit als hessische Finanzministerin und Herrin der Finanzaufsicht über die hessischen Kommunen, um der klammen Stadt und dem Kreis Offenbach Angebote aus der Wundertüte ÖPP zu unterbreiten, die diese nicht glauben ablehnen zu können. In diesem, wie wir wissen, »ganzheitlichen« Angebot ist auch »die Mitwirkung an Gremienbeschlüssen« enthalten.

Da erklärt also im Haupt- und Finanzausschuss des Kreises Offenbach zu Dietzenbach die ehemals finanzaufsehende Ministerin den Abgeordneten aus Mainflingen, Zellhausen und Egelsbach Tausende Seiten Verträge, die keine natürliche Person, vulgo Mensch, ganz gelesen hat, sondern nur die juristischen Personen der Großkanzleien und der ausführenden Firmen, also die Summe der abschnittsweise vertragsformulierenden Fachanwälte und die Summe der ihnen die Sachinformationen zuliefernden Ingenieure der zur Vertragserfüllung vorgesehenen Firmen. Wie die Geschichte der ÖPP zeigt, sind diese Firmen aber sehr lax in ihrer Vertragserfüllung. Jede unterlassene Reinigung, jeder eingesparte Hausmeister ist ja ihr Gewinn. Eine effiziente Kontrolle würde sowieso schon alle im Vorfeld versprochenen Einsparungen auffressen. Da diese Einsparungen ausbleiben, fehlt für die Kontrollen das Geld. Aber selbst der Nachweis offen zutage liegender Vertragsverletzungen – in abhängigen Arbeitsverhältnissen Grund fristloser Kündigungen – wird durch eine Vielzahl von Klauseln erschwert bis unmöglich gemacht. Damit, wenn’s doch mal zum Streit kommt, die Öffentlichkeit nichts erfährt, werden als allererstes privatrechtliche Vorverträge geschlossen, die das und alles Folgende automatisch außerhalb öffentlicher Kontrollen transferieren.

Über die allgemeinen Bestimmungen des Privatrechts hinaus werden existenzbedrohende Konventionalstrafen für das Bekanntmachen von Verträgen oder Absprachen angedroht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der alte Trotzkist und heutige Berliner Finanzsenator Harald Wolf nicht am liebsten längst schon, wie von den Bürgerinitiativen gefordert, die Wasserverträge veröffentlicht hätte. Meiner Meinung nach hat er Angst vor hohen Millionen-, wenn nicht Milliardenforderungen an das Land Berlin oder gar ihn persönlich. Vielleicht fürchtet er auch strafrechtliche Folgen für sich, wenn er private Eigentumsrechte verletzt – ganz wie ein ordinärer Dieb.

 

Die treibenden Kräfte

Wenn man der Frage nachginge, warum sich Rudolf Scharping nach seiner Zeit als Verteidigungsminister ausgerechnet in Frankfurt als selbstständiger ÖPP-Berater niederlässt, stieße man nicht nur auf seine große Liebe zur Gräfin Pilati, sondern sehr bald auch auf ähnliche Zusammenhänge wie in Berlin. Wir stießen bald auf den ehemaligen Bundesforschungsminister und Frankfurter Ex-OB Volker Hauff und seine Tätigkeit für die Beratungsgesellschaft KPMG und ihre Tochtergesellschaften, auf den Ex-OB und ehemaligen Staatssekretär in Bund und Land Andreas von Schöler, Berater bei Andersen Consult, später als Accenture firmierend. Dessen Bekanntschaft mit Rudolf Scharping hat möglicherweise geholfen, der Bundeswehr die in der Website erwähnten »Dienstleistungen für militärische Einsätze« zu verkaufen. Vielleicht wurde das Geschäft schon während der Dienstzeit Fugmann-Heesings bei der Bundeswehrbeschaffungsgesellschaft eingeleitet. Im Zuge der Bundeswehrreform fallen noch einige Verdienstmöglichkeiten an.

Ich habe meine Kurzrecherche nicht nur anhand von Firmennamen geführt, auch Personennamen waren dazu gut geeignet. Mithilfe des Werdegangs dieser Personen ließen sich auch die Zusammenhänge ganz praktisch darstellen. Doch wäre es falsch, diese Machenschaften den Charaktereigenschaften dieser Figuren zuzuschreiben. Entscheidend ist die große Beute, um die es geht: Der ganze Staat mit seinem in Generationen gewachsenen Volksvermögen von den Bundesautobahnen bis hin zum Kindergarten in Mainflingen. Bei dieser Beute lassen sich immer Handlanger finden, deren Gier über ihre persönliche Moral geht, egal wie brav sie waren und auch geblieben wären, wäre nicht diese Versuchung an sie herangetreten. Wir alle wissen, dass das über hundert Jahre alte Abwassernetz dringend erneuert werden muss. Ich warte auf den Tag, an dem die Grüne Umweltdezernentin zusammen mit Roland Koch, dem Vorstandsvorsitzenden von Bilfinger Berger, ein Sanierungskonzept mitsamt einem wundersamen Finanzierungsplan der Deutschen Bank vorlegt, der verspricht, aus der Kacke Gold zu machen. Die Bertelsmann-Stiftung wird anbieten, das wissenschaftlich und neutral zu begutachten. Ihre Tochtergesellschaft Arvato erledigt in einer mittelenglischen Stadt schon heute die ganze Verwaltung. Ein Bürgerbüro, das Arvato für die Stadt Würzburg eingerichtet hat, ist für die Stadt teurer und für die Bürger umständlicher als die bisherige Regelung. Zu lesen ist das natürlich im Focus und nicht in den Bertelsmann-Gazetten Spiegel oder Stern.

Als antreibende Kraft hinter dem Ganzen sehe ich vor allem das Finanzkapital, das nach dem Fall der Sowjetunion alle Zurückhaltung aufgibt. Die Freiheitsrhetorik ist nur noch Geschwätz von gestern. Sein Bedarf an Sachgütern ist unersättlich. Schon Karl Marx beschrieb, wie das Kapital in die letzten Poren des Arbeitstages eindringt. Heute fordern die Sozialdemokraten, dass jeder Chef seiner eigenen Ich-AG wird. Nach Feierabend spielt sich das Leben immer mehr in einem riesigen, teils werbefinanzierten, teils kostenpflichtigen Freizeitpark ab. Adornos Kritik der Kulturindustrie könnte hier weiterführen, bedürfte aber erst der ökonomischen Grundierung. Craig Venter und Kollegen machen aus unserem biologischen Erbe ein Geschäftsmodell. Eine kritische Theorie der Kapitalisierung dieses biologischen Erbes ist noch nicht einmal in Ansätzen vorhanden.

In Deutschland spielt sich zurzeit ein Vorgang ab, der dringend der Analyse Bedarf. Ich meine den Übergang der öffentlichen Verwaltungen von der kameralistischen Buchhaltung zur kaufmännischen. Im Magazin des Frankfurter Städel-Museums werden Bilder, die seit Jahrzehnten keiner mehr gesehen hat, auf Heller und Pfennig in ihrem Wert bemessen, damit beleihbar und können bei der nächsten anstehenden Renovierung als städtischer Anteil in ein ÖPP-Projekt eingebracht werden. Aber was geschieht zum Beispiel mit einer Wiese im Niddapark, die seit Urzeiten in Gemeindebesitz war, davor Allmende und davor Wildnis, wenn ihr Wert plötzlich in Geld ausgedrückt wird? Man könnte sie – analog zum Bauerwartungsland – Kapitalerwartungsland nennen. Aber was heißt das? Eine ernst zu nehmende Geldtheorie sollte den Vorgang zumindest versuchen zu erklären.

 

* Der Text beruht auf einem Vortrag, der aus aktuellem Anlass, der Hessischen Volksabstimmung über die Schuldenbremse, entstanden ist.

 

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 3/2011