Dem Multiethnischen eine Zukunft in Britannien?

Brigitte Voykowitsch

Auf Kritik, sagt Bhikhu Parekh, war er gefasst gewesen. Auch auf scharfe Kritik und auf mit Nachdruck präsentierte gegenteilige Ansichten. Doch damit war es bei weitem nicht getan, musste er nach der Veröffentlichung des Berichts über Die Zukunft des multiethnischen Britanniens feststellen. Blanker Hass und unverhüllter Rassismus offenbarten sich in vielen Reaktionen auf das Dokument, das mehr als nur eine Bestandsaufnahme der Beziehungen zwischen den diversen ethnischen Gruppen im Land sein sollte. Es war zugleich als Diskussionsgrundlage für anstehende Reformen gedacht, damit Großbritannien sich in Zukunft bewusst und positiv dazu bekennen würde, eine multikulturelle Gesellschaft zu sein. Vom Runnymede Trust, einem unabhängigen Think Tank, 1998 eingerichtet, arbeitete eine aus knapp zwei Dutzend angesehenen Akademikern und Medienvertretern bestehende Kommission unter der Leitung von Bhikhu Parekh zwei Jahre an der Erstellung des Berichts.

Auch Wochen nach der Präsentation des Dokuments im Spätherbst 2000 ist keine ernst zu nehmde Debatte in Gang gekommen. Parekh und sein Team wurden vielmehr zum Feindbild für konservative Kreise, weil sie es gewagt hatten, mit einigen Bemerkungen zum Begriff "britisch" den Finger auf eine schlimme Wunde zu legen. Parekh (65) selbst bekam zu spüren, dass manche britische Bürger gleicher sind als andere, zumal solche wie er, die aus einem anderen Erdteil, in seinem Fall dem westindischen Bundesstaat Gujarat, zugewandert sind. Dass er sich als langjähriger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Hull und Autor zahlreicher Bücher einen Namen gemacht und daneben Kinder und Enkel in Großbritannien großgezogen hat, gilt seinen Kritikern nichts. Man dürfe doch wohl erwarten, dass jemand wie Parekh nach vierzig Jahren im Land genug Manieren erlernt habe, um zu wissen, dass er seinen Gastgebern keine Ratschläge zu erteilen habe, empörte sich ein Leserbriefschreiber im konservativen Daily Telegraph. Und es war keinesfalls der bösartigste Kommentar.

Den Stein des Anstoßes gaben Parekh und sein Team in einigen wenigen der insgesamt mehr als 400 Seiten des Berichts, auf denen sie Überlegungen zu den Konnotationen der Bezeichnung "britisch" anstellen. Für Zuwanderer aus Asien, Afrika und der Karibik, heißt es da, gemahne das Wort "an Kolonisierung und Weltreich und ist insoferne nicht attraktiv ... Für die in Großbritannien geborenen Generationen, die den Anspruch haben, hier dazuzugehören, erscheint der Begriff ,englisch‘ oft unpassend, da Englischsein, so, wie das Wort gemeinhin verwendet wird, Weiß sein bedeutet ... Britischsein hat, so wie Englischsein, systematische und zumeist unausgesprochene rassische Konnotationen. Nirgendwo wird Weißsein explizit als Voraussetzung dafür festgehalten, als Brite gelten zu dürfen, aber dem allgemeinen Verständnis nach ist es doch so, dass Englischsein, und damit auch Britischsein, rassisch kodiert ist."

Selbst Innenminister Jack Straw, dessen New-Labour-Regierung die Erstellung des Berichts befürwortet hatte, sah sich da genötigt, ein öffentliches Bekenntnis zu seiner britischen Identität abzulegen. Er jedenfalls sei "stolz, Engländer und Brite zu sein", erklärte Straw und machte zugleich die Linke dafür verantwortlich, dass die britische Identität heute als "eng, ausschließend und konservativ" verstanden werde. Die Linke habe sich von Konzepten wie Patriotismus und Nation distanziert und dieses Feld der extremen Rechten überlassen. Doch deren enges Verständnis von Britischsein könne er, Straw, nie teilen. Vielmehr gehe es darum, die Vielfalt von ethnischen Gruppen im Land unter dem identitätsstiftenden Überbegriff britisch zu vereinen.

Letzterem konnte Parekh zur Gänze zustimmen. Nichts anderes sei das Ziel des Berichts und seiner Überlegungen, als eine Debatte über diese gemeinsame nationale Kultur einzuleiten. Wie diese Kultur im weitesten Sinne aussehen könnte, darüber aber müsse endlich diskutiert und verhandelt werden. Denn viel zu häufig würden diverse ethnische Gruppen wie mehr oder weniger willkommene Mieter, keinesfalls aber wie Miteigentümer des Landes angesehen. "Die britische Nationalidentität muss also so definiert werden, dass wir alle uns damit wohl fühlen und dass wir alle stolz darauf sind, Briten zu sein", erklärte Parekh, der im Jahr 2000 auch ein Buch mit dem Titel Rethinking Multiculturalism herausgebracht hat.

Noch aber kann die Kommission infolge ihrer Untersuchungen zu Bildungs- und Gesundheitswesen, Justiz und Polizeiapparat, sozialen, ökonomischen und kulturellen Rechten nicht umhin zu der Feststellung zu kommen, dass, wie es im Bericht heißt, "Großbritannien entstellt ist von Rassismus und Phobien vor kultureller Differenz ... von institutitioneller Diskriminierung sowie von einem systematischen Versagen sozialer Gerechtigkeit und des Respekts vor kultureller Differenz". Ohne bewusste Maßnahmen, die entsprechenden politischen Willen voraussetzen, werde dieser Rassismus nicht verschwinden, könne Großbritannien nicht eine Gesellschaft werden, die sich bewusst und im positiven Sinne zu ihrem Multikulturalismus bekenne.

Parekh und die Kommission sprechen von Großbritannien als einer Gemeinschaft von Gemeinschaften, wobei auch schwarze, asiatische, irische oder jüdische Briten keinesfalls als jeweils ein monolithischer Block mit einer einheitlichen Identität gesehen werden dürften, zu groß sei die jeweils interne Vielfalt. Aber auch der Bericht lässt – allen Kritikern zum Trotz, die ihm die geplante Abschaffung des Wortes britisch unterstellen – keinen Zweifel daran: "Großbritannien muss auf jeden Fall ,Eine Nation‘ sein – aber verstanden als Gemeinschaft von Gemeinschaften und Gemeinschaft von BürgerInnen, nicht als Ort einer oppressiven Einförmigkeit, die auf einer einzigen substanziellen Kultur beruht." Wie können in einer derart multikulturellen Gesellschaft die gemeinsamen Werte als nicht nur die der dominanten Gruppe definiert werden? Wie viel Differenz kann und muss möglich sein? Solch eine Debatte – neben der über ganz konkrete Maßnahmen im Justiz-, Sozial- und Bildungsbereich – wollten die Autoren des Bericht in Gang bringen. Noch ist nicht abzusehen, ob es gelingen wird.

 

The Future of Multi-Ethnic Britain. The Parekh Report, London (Profile Books Ltd) 2000

www.profilebooks.co.uk

Commission in the Future of Multi-Ethnic Britain, 133 Aldersgate Street, London EC1A 4JA

www.runnymedetrust.org.uk

 

 

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Zeitschrift Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur.

Kühl-Verlag (Frankfurt/Main)

Ausgabe Januar 2001 (19. Jg., Heft 1/2001)