Die globale Wasserkrise

Nachhaltige Wasserinfrastruktur wird noch gesucht

Roland Schaeffer

Weil ohne Wasser kein Leben ist, könnte die Wasserwirtschaft eine glänzende Zukunft haben. Und deutsche Unternehmen mit ihrem technischen Know-how könnten dazu weltweit einen Beitrag leisten, dass auch dort sauberes Wasser zur Verfügung steht, wo es bisher knapp oder unbrauchbar ist. Dass Wasser nicht nur ein allzu rares Lebensmittel, sondern auch eine käufliche Dienstleistung mit gewaltigen Marktchancen ist, hat sich in den letzten Jahren herumgesprochen, und an klangvollen Versprechen, mittels deutschem Öko-Know-how die Lösung eines der drängendsten Gegenwartsprobleme der Menschheit voranzubringen, fehlt es nicht. An lautstarken Antworten mangelt es anscheinend nicht. Nur: Beziehen sie sich überhaupt auf die gestellten Fragen?

Schon vor einigen Jahren hatte die Research-Abteilung der Deutschen Bank in einer Studie gefordert, deutsche Unternehmen sollten sich am weltweiten Aufbau und Betrieb von Wasserinfrastrukturen aktiver beteiligen. Sie hatte auch gleich einen Weg gewiesen, wie das deutsche Know-how zu mobilisieren sei: durch Verkauf vieler kleiner Wasserver- und Entsorgungsunternehmen an einige Große sollten auch in Deutschland international wettbewerbsfähige "global players" entstehen.

Seither hat sich einiges verändert: Zahlreiche private Beteiligungen an öffentlichen Wasserunternehmen sind zu Stande gekommen. Ein munteres Spiel mit wechselnden Allianzen zwischen den früheren deutschen Energiemonopolisten und einigen internationalen Anbietern hat begonnen. RWE hat vor einigen Wochen die britische Thames Water übernommen und so durch den Kauf eines bereits global tätigen Anbieters die Abkürzung genommen. An den Berliner Wasserbetrieben, seit längerem um den Einstieg ins internationale Geschäft bemüht, hat sich der französische Großversorger Vivendi beteiligt, und Gelsenwasser oder die Mannheimer MVV akuirieren in anderen Kontinenten. Die deutsche Beteiligung am globalen Markt für Wasserdienstleistungen ist damit zwar immer noch sehr bescheiden. Aber immerhin wurde der deutsche Wassermarkt unter dem Motto: "Global denken, lokal privatisieren" in Bewegung gebracht – und möglicherweise war es den Deutsche-Bank-Researchern ja auch genau darum gegangen. Schließlich verspricht der Wassersektor die sichersten denkbaren Anlagemöglichkeiten, die obendrein aufgrund der hohen stillen Reserven, über die kommunale Unternehmen in der Regel verfügen, beachtliche Renditen ermöglichen.

Die Gründe, aus denen deutsche Verbraucher sich eine Privatisierung wünschen sollten, sind allerdings bis heute nicht deutlich geworden. Weder eine Verbilligung noch eine Serviceverbesserung durch private Eigentümer sind erkennbar. Die Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen in Berlin haben die Strategie der Banken und der Großversorger im Wassersektor offenbar in diesem Sinne interpretiert und kürzlich entschieden gegen den Verkauf von kommunalen Versorgungsunternehmen Stellung genommen.

 

Wasser und Entwicklung

Gänzlich andere Perspektiven werden sichtbar, wenn derzeit unter umwelt- und entwicklungspolitischen Gesichtspunkten über die globale Wasserkrise und die deutsche Beteiligung an ihrer Bewältigung gesprochen wird. Wenn sich die Debatte also nicht auf den lukrativen Markt für Bauaufträge und Dienstleistungen beschränkt, der dank der Privatisierung von Wasserversorgungsaufgaben in einigen Metropolen der "Dritten Welt" – also konkret: dank der Finanzierung solcher Vorhaben durch internationale Geberinstitutionen wie Weltbank und IWF – entstanden ist. Dann ist die Rede vom katastrophalen Scheitern der Wasserdekade der UNO: Bis zum Jahr 2000, so das vor einem guten Jahrzehnt verkündete Ziel, sollte durch eine globale Anstrengung allen Menschen der Zugang zu sauberem Trinkwasser garantiert werden. Tatsächlich ist die Zahl derjenigen, die auf diese Grundvoraussetzung für ein menschenwürdiges Leben verzichten müssen, seither nicht gesunken, sondern auf 1,4 Milliarden Menschen gestiegen. 3,3 Milliarden Menschen besitzen am Beginn des 3. Jahrtausends keine hygienisch akzeptablen Sanitäreinrichtungen. Und dieser Hälfte der Weltbevölkerung würde nach allen bisherigen Erfahrungen auch durch die noch so entschiedene Fortsetzung der bisher angewandten Verfahren zum Aufbau von Wasserinfrastruktur nicht geholfen.

Die deutsche GTZ hat diese Problematik kürzlich zum Gegenstand einer Fachkonferenz gemacht. "We have no answers", kommentierte der Leiter der GTZ-Wasserabteilung, Stefan Helming, das Scheitern des UNO-Vorhabens und vieler Bemühungen auch der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Eine mutige Feststellung, die es ermöglichte, unter internationaler Beteiligung Bilanz zu ziehen und neue Fragen zu stellen. Anstatt auf Wunder durch die Privatisierung staatlicher Unternehmen zu hoffen, scheint sich die deutsche Entwicklungsagentur (vorsichtig unterstützt durch die grüne Staatsministerin Uschi Eid) verstärkt mit den Leistungen der von ihr angebotenen Infrastrukturen und ihrer Anpassung an die lokalen Problemlagen befassen zu wollen. Dann allerdings würden auch jene technischen Grundlagen wasserwirtschaftlichen Handelns in Frage gestellt, die in Deutschland angeblich so perfekt gehandhabt werden. Die im regenreichen Nord- und Mitteleuropa entwickelten  Verfahren zum Umgang mit Trink- und Abwasser, deren Übertragung auf andere Kontinente die Weltbevölkerung endlich mit westlicher Hygiene beglücken soll, gerieten in die Kritik. Denn am Glück hapert es. Anil Agarwal etwa, Direktor der renommierten indischen Umweltagentur CSE, präsentiert ein langes Sündenregister der westlichen Wassertechnik. Das fängt mit dem Begriff des "Wassermangels" selbst an: Sauberes Trinkwasser, so Agarwal, gibt es immer und überall "zu wenig". Die Diagnose der "Wasserknappheit", wie sie von internationalen Expertenkommissionen verwendet werde, sehe von den kulturellen und infrastrukturellen Hintergründen ab und orientiere sich an einer Infrastruktur, die durch ihre technische Auslegung den Bedarf selbst vervielfache, anstatt sich an regionale Bedingungen anzupassen. Von einigen Regionen Europas und Nordamerikas abgesehen, sind für den indischen Fachmann weder die natürlichen noch erst recht die sozialen Voraussetzungen für europäische Badezimmerverbräuche gegeben. Weder die Wassermenge, die von europäischen Duschen und Wasserklosetts pro Person benötigt wird, könne in weiten Teilen des indischen Subkontinents bereitgestellt werden, noch seien  brauchbare Techniken für die Klärung der dadurch produzierten Abwasserströme erkennbar. Und selbst wenn in manchen Regionen in Indien ebenso viel Regen fällt wie etwa in Deutschland, ereignet sich dies innerhalb weniger Tage. Eine nach deutschen Normen gebaute Kanalisation, sofern vorhanden, kann also in einem Teil des Jahres nicht funktionieren, weil das Wasser ausbleibt. An den wenigen Regentagen hingegen muss das Abwasser an der dann hoffnungslos überlasteten Kläranlage vorbeigeleitet werden.

Dass derzeit nach UNO-Schätzungen nur etwa fünf Prozent der weltweit anfallenden Haushaltsabwässer einer Klärung zugeführt werden, ist angesichts solcher Berichte, die aus anderen Teilen Asiens, Afrikas oder Lateinamerikas zwanglos ergänzt werden können, wenig verwunderlich. Nicht nur die "natürlichen", auch die sozialen und kulturellen Bedingungen gerade jener Regionen, in denen das durch Wasserbedingte Krankheiten verursachte Elend am größten ist, sind für die Einführung von Kanalisations-Großsystemen nach dem Vorbild der europäischen "hydraulischen Maschinerie" (Thomas Kluge)1 offensichtlich völlig ungeeignet. Werden sie dennoch errichtet, sind ihre Vorteile auf die reicheren Viertel in den Stadtzentren beschränkt. Die von der Bevölkerungszahl her meist viel größeren Slumgebiete werden nicht erreicht. Ihre Nachteile hingegen – die Belastung der Oberflächengewässer mit ungereinigten Abwässern – treffen vor allem die Armen.

Immer mehr Fachleute stehen deshalb der Hoffnung skeptisch gegenüber, man könne durch zentrale Ver- und Entsorgungssysteme die Lebensbedingungen in jenen 660 Millionenstädten erträglicher machen – eine Zahl, die für das Jahr 2025 vorausgesagt wird –, von denen 600 in den Entwicklungsländern liegen werden. Dagegen sprechen auch ökonomische Grundüberlegungen: Selbst wenn es gelingen sollte, die für Wasserversorgung, Kanalisation und Abwasserklärung erforderlichen extrem hohen Systemkosten von etwa 40000 Dollar pro Haushalt durch die internationale Gemeinschaft zu subventionieren, wäre die Zahlungsfähigkeit der meisten Nutzer allein durch die Betriebskosten überfordert. Schon im Süden Europas kann man die Folgen solcher Fehlanpassungen besichtigen: In manchen Regionen sind sowohl Kanalisation als auch Kläranlage vorhanden, weil sie von höheren Instanzen verordnet, gebaut und finanziert wurden. Die Abwässer aber werden, um Betriebs- und Reparaturkosten zu sparen, ungeklärt in das nächste Gewässer geleitet. Ein Verfahren, das in anderen Kontinenten die Regel ist. Der indische Experte Himansuh Parik, ein Kenner der Abwassersituation und auch der Kläranlagen in einigen größeren Städten des Subkontinents, war bei der GTZ-Veranstaltung bereit, sich dafür zu verbürgen, dass keine einzige dieser Anlagen tatsächlich funktioniert.

Das ungelöste Problem: Abwasser

Während "Trinkwassermangel" in der westlichen Öffentlichkeit zum Thema geworden ist, wird die andere Seite der Wasserinfrastruktur, die Abwasserreinigung, meist entschlossen beschwiegen. Das ist sachlich nicht gerechtfertigt. Denn der Mangel an trinkbarem Wasser wird fast überall durch die Verschmutzung sauberer Ressourcen durch Fäkalien zumindest mitverursacht. Und die Not, die Notdurft einigermaßen sauber zu verrichten, erschwert nicht nur die Gestaltung eines mühseligen Alltags – sie stellt auch ein extremes Gesundheitsrisiko und eine Verletzung der Menschenwürde dar. Aber es ist nicht eben prestigeträchtig, das wissen die Fachleute, sich mit Abwässern zu befassen. Während sexuelle Tabus heute global durchbrochen werden und das Sprechen darüber gerade wegen der Tabuisierung reizvoll erscheint, ist die Abwehr gegen menschliche Ausscheidungen stabil geblieben. Ob es um Armut, Schmutz oder schlechte Gerüche geht: wer etwas werden will, sucht sich andere Aufgaben.

So hat die Menschheit zahlreiche komplizierte und fern liegende Probleme erledigt – andere, scheinbar einfache und nahe liegende, harren hingegen einer befriedigenden Lösung. Zwar umkreisen zu Beginn des dritten Jahrtausends Raumstationen die Erde, und auch das Verrichten der Notdurft unter Bedingungen der Schwerelosigkeit wird technisch beherrscht. Aber wie man mit den täglichen Ausscheidungen von 6-8 Millarden Lebewesen so umgehen könnte, dass diese nicht daran erkranken und auch deren Nachkommen noch artenreiche Korallenriffe, gesunde Böden und intakte Feuchtgebiete kennen lernen können, ist weitgehend unklar geblieben.

Der europäisch-nordamerikanische Beitrag, der indes mehr zur Entstehung als zur Beantwortung dieser Frage beiträgt, stammt aus dem letzten Jahrhundert. Die von englischen Ingenieuren entwickelte Schwemmkanalisation – also das Verfahren, Fäkalien und Urin nach dem Motto "aus der Nase, aus dem Sinn" mit viel Wasser zu vermischen, sie im Kanal mit Industriegiften anzureichern und am Ende der Röhre eine Kläranlage zu platzieren, mittels derer eigens ausgebildete Spezialisten das Gebräu weiter bearbeiten sollten – war zwar bis vor ein paar Jahren bis hinein in umweltorientierte Kreise weithin als Problemlösung akzeptiert. Es hat, zumindest in Mitteleuropa, durchaus auch Erfolge vorzuweisen. Lange wurden deshalb die Grenzwerte beim Kläranlagenablauf kritisiert – nicht die Infrastrukturlösung selbst. Nach Jahrzehnten des Ausbaus und der Optimierung im Rahmen des Systems und enormen Kosten sind zwar Bäche und Flüsse noch immer nicht zum Baden geeignet, aber verglichen mit anderen geht es hierzulande erkennbar gut.

Inzwischen aber gerät die Akzeptanz des Grundprinzips dieser Infrastruktur – der (versuchten) "end-of-the-pipe"-Trennung zuvor vermischter Stoffe – ins Wanken. Weder unter ökologischen noch unter ökonomischen Gesichtspunkten erscheint es befriedigend, wenn im "Durchflussreaktor" kommunales Kanalsystem hochbrisante Stoffe wie Industrie- und Gewerbeabfälle mit Pflanzennährstoffen und Regenwasser vermischt werden, um dieses Gebräu anschließend in der Kläranlage (am "end of the pipe") mit hohem Einsatz von Energie und Chemikalien wieder in H2O und andere Bestandteile zu sortieren. Unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten werden der hohe Wasserdurchsatz, die Notwendigkeit, den "Klärschlamm" zu deponieren, anstatt Pflanzennährstoffe und für die Struktur gerade schwacher Böden notwendige Biomasse in den Naturkreislauf zurückzuführen, die Risiken für die Gewässer infolge mangelnder Klärleistung und die enorm hohen Kosten nicht mehr als naturgegeben hingenommen. Selbst scheinbar unveränderliche Expertenausbildungen und Fachgrenzen werden hinterfragt. Ist Wasser tatsächlich ein Stoff, auf den die in Röhren- und Anlagenbau ausgebildeten Wasserfachleute einen ausschließlichen Deutungsanspruch erheben können? Müsste die Diskussion nicht den unterschiedlichen Kulturen des Umgangs mit Wasser Rechnung tragen, müsste sie nicht von der Nahrungskette und den damit verbundenen landwirtschaftlichen Techniken ebenso handeln wie vom Erhalt der letzten Feuchtgebiete, von Seuchenprävention oder wirtschaftlichen Entwicklungschancen? In Deutschland werden meist noch nicht einmal Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung gemeinsam geplant (die im Osten vorhandenen integrierten Wasserbetriebe wurden nach der Wende aufgelöst). Inzwischen fragen viele, ob das richtig war.

Auch die im engeren Sinne technologische Grundsatzdiskussion hat nach einer fast hunderjährigen Pause wieder begonnen. Dabei überrascht vor allem die Ähnlichkeit der Entwicklung im Wassersektor mit den grundlegenden Veränderungen des letzten Jahrzehnts in anderen Infrastrukturbereichen wie dem der Telekommunikation oder der Energie. So wie in diesen Zukunftsmärkten, die mit mehr gesellschaftlicher Anerkennung gesegnet sind, sollen auch im Wassersektor ressourcenintensive Netze und "end-of-the-pipe"-Lösungen durch anpassungsfähige, dezentrale Infrastrukturen ersetzt werden. Denn die zentralen Ver- und Entsorgungssysteme, die in Europa im Zeitalter kollektiv-bürokratischer Großorganisation entstanden sind, können wegen ihres hohen Bedarfs an zuverlässiger Pflege, regelmäßiger Erhebung der finanziellen Beiträge und komplexer baulicher Aufgabenstellungen in Ländern mit anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen kaum betrieben werden. Auf ihren Export zu setzen, führt demnach direkt in die Sackgasse.

Nicht alte Kanäle in neuen Eigentumsverpackungen ("public private partnership" – ein Kürzel, das ehrlicherweise in der Regel mit "durch internationale Kredite finanziert und privat gebaut" übersetzt werden muss) zu verkaufen, sondern neue, regional angepasste und modernen Hygieneansprüchen entsprechende Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln– das wäre demzufolge die Aufgabe einer innovativen Exportnation. Um exportfähig zu sein, müsste die Infrastruktur dezentrale, Ressourcen und Geld sparende Ver- und Entsorgungsverfahren ermöglichen. Dass es so etwas geben kann, wird jetzt in Ansätzen erkennbar.

Eine Jahrtausend-Lücke der Technikentwicklung

Dabei werden technologische Strategien für den Umgang mit menschlichen Ausscheidungen, die früher als Randerscheinungen behandelt wurden wie etwa die viel belächelte Komposttoilette, ebenso neu bedacht wie die historischen Überreste der Alternativen zur Schwemmkanalisation, die in vielen Ländern erhalten geblieben sind. Vorreiter der Innovation sind, (auch dies eine Parallele zum Energiesektor), nicht etwa die großen (Wasser-)Versorgungsunternehmen, die sich im besseren Fall als schweigende Zuschauer, im schlechteren als Bedenkenträger verhalten, sondern alternative Technikanbieter und mittelständische Unternehmen.

Auch sind Ähnlichkeiten der Entwicklungsstrategie – bei allen Unterschieden in Bezug auf Komfortniveau und technische Komplexität – unübersehbar. Das Prinzip der systematischen Getrennthaltung der Ausgangsstoffe setzt sich gegen die "end-of-the-pipe"-Verfahren durch. Ähnlich wie die chemische Industrie (zumindest in den reicheren Ländern) ihre Abwasserprobleme in den letzten beiden Jahrzehnten durch Kreislaufführung in der Produktionsanlage selbst, durch Verminderung der Wassermengen oder gar durch den gänzlichen Verzicht auf den Einsatz von Wasser gelöst hat, versucht auch die alternative Sanitärtechnik, die Vermischung von menschlichen Ausscheidungen mit Wasser zu begrenzen oder gänzlich zu vermeiden.

Das drastisch verminderte Volumen ermöglicht die Verkleinerung der Leitungsnetze auf Haus- oder Quartiersebene. Da die Fäkalien nicht mit Industriegiften versetzt werden, können sie nach einer Kompostierung oder Vergärung (ein Verfahrensschritt, der schon aus epidemiologischen Gründen notwendig und zur Biogasgewinnung nützlich ist) relativ problemlos in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Der Nahrungskreislauf wird  geschlossen. Das durch Spartechnologien verminderte und anschließend ebenfalls getrennt erfasste "Grauwasser" der Duschen und Küchenabflüsse kann, je nach örtlicher Situation, wieder aufbereitet oder zur Bewässerung weiterverwendet werden.

Selbst dort, wo technische Innovationen den westlichen Badezimmerstandard zu ökologisch akzeptablen Bedingungen erreichen sollen, werden indes alte Gewohnheiten in Frage gestellt. So experimentiert der Harburger TU-Professor Ralf Otterpohl2, einer der Protagonisten der neuen Entwicklung, mit der Trennung von Fäkalien und Urin, die in Vietnam seit Jahrhunderten praktiziert wird. In Zusammenarbeit mit der Hanauer Firma Roediger wurde auf der Basis schwedischer Vorbilder ein modernes "Trenn-WC" entwickelt, das in Bezug auf Wasserverbrauch und ökologische Effizienz hervorragende Werte erreicht. Andere Hightech-Konzepte setzen Vakuum-Technologien, wie sie heute im ICE oder in Flugzeugen üblich sind, für die Spülung oder für den Abwassertransport ein. Oder sie arbeiten, wie die Arbeitsgruppe Wasser des BBU in Freiburg, an der Kreislaufführung des Toilettenspülwassers mit Hilfe der Membran-Filtertechnik, einer in den letzten Jahren entstandenen, sehr viel versprechenden Hochtechnologie. Erste Pilotanlagen sind in Lübeck, Freiburg oder Hamburg zu besichtigen. Allerdings: Mit Ausnahme der Komposttoilette ist gegenwärtig keine dieser Technologien serienreif, und die Pilotvorhaben haben verschiedenste

 

Nachhaltigkeit vor Privatisierung

Wie oben dargestellt, endet die Fantasie jener deutschen Energieversorger, die seit einigen Jahren auch im Wassersektor tätig werden wollen, gegenwärtig bei – auf den ersten Blick – lukrativen Übernahmeangeboten an klamme Kommunalpolitiker für den Verkauf ihrer Wasserwerke. Belege für die Innovationswirkung von Privatisierungen fehlen bisher. Die Chance, nach der Wende im Osten etwas Neues zu realisieren, wurde von den Privaten genauso vertan wie von den öffentlichen Versorgern, und die viel gerühmten "public private partnerships" waren dort für einige der krassesten Fehlplanungen verantwortlich.

Weshalb die Infrastruktursysteme des letzten Jahrhunderts jetzt unter dem Motto "deutsche Spitzentechnologie" weltweit vertrieben werden sollten, ist völlig unerfindlich. Zumal dieser Markt unter französischen und amerikanischen Unternehmen bereits verteilt ist – die ebenfalls genau das anbieten und betreiben, was sie von zu Hause her kennen.

Wenn der Weltmarkteintritt deutscher Know-how-Anbieter mehr sein sollte als das Abziehen eines "deutschen Anteils" an den von Weltbank und IWF angebotenen Bau- und Betriebskrediten, müsste deshalb nicht nur die beschleunigte Entwicklung ökologisch und ökonomisch angepasster innovativer Technologien, sondern auch deren Anwendung hierzulande – zumindest in einzelnen Stadtteilen oder Gebäudekomplexen – schnellstmöglich vorangebracht werden. Genau dagegen wenden sich aber die (privaten oder öffentlichen) Besitzer der zentralistischen Ver- und Entsorgungsanlagen, die um ihre Monopoleinnahmen fürchten und sich auf den von der preußischen Regierung einst etablierten Anschluss- und Benutzungszwang berufen können. Hinzu kommt gerade in Deutschland ein massiver Widerstand gegen wassertechnische Innovationen: Wassertechnik ist in jedem einzelnen Bestandteil genormt, Abweichungen von dieser Norm verpflichten den Technikanbieter zur Übernahme des vollen Risikos. Wenn die alte Infrastruktur erst einmal etabliert ist, verursacht deshalb jedes Experiment mit alternativen Lösungen, und mögen sie noch so kostengünstig sein, zunächst vor allem zusätzliche Kosten.

Die ökonomische und ökologische Innovation in der Wassertechnologie bleibt so in einem Circulus vitiosus gefangen, der erst dann durchbrochen werden wird, wenn diejenigen Staaten, die ihre Wasserinfrastruktur erst aufbauen, mit Selbstbewusstsein und eigenen Ansprüchen ihre Forderungen formulieren – und sich nicht länger von den Schalmeientönen der Experten des alten Know-hows berücken lassen. Bisher jedenfalls bleiben die Erfolge neuer Sanitärtechnologien – trotz eines enormen Bedarfes und guter Ergebnisse gerade auch in weniger reichen Ländern – äußerst begrenzt. Während internationale "Geber" für traditionelle Technik ohne Wimpernzucken zweistellige Milliardenbeträge einkalkulieren, liegen innovative Vorhaben meist unter der Millionenschwelle.

Trotzdem ist aufgrund der technologischen Entwicklung wie der ökologischen Rahmenbedingungen davon auszugehen, dass sich dieses Verhältnis bald ändern wird. Ob die deutschen Großversorger dabei eine Rolle spielen, ist offen. Wenn nicht alles täuscht, ziehen sie bisher die Fusion der Innovation vor.

Um mehr zu sein als eine bequeme Strategie zur Erschließung weiterer Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge für die Erzielung privater Renditen, müsste eine innovative Wasserwirtschaft ihre technologische Basis in Richtung Nachhaltigkeit verschieben. Sie müsste also auch ihren Kunden hierzulande mittelfristig billigere und ökologisch angepasstere Lösungen anbieten. Erst dann könnte sie geltend machen, dass sie einen ernsthaften Beitrag zur Lösung der globalen Wasserkrise zu leisten beabsichtigt.

1 Kluge, Thomas: Wasser und Gesellschaft, Von der hydraulischen Maschinerie zur nachhaltigen Entwicklung, Opladen (Leske und Budrich) 2000. Siehe auch: Kluge, Thomas/Schramm, Engelbert: Wassernöte. Zur Geschichte des Trinkwassers, Köln 1988.

2 Ralf Otterpohl ist Mitautor eines Buches, das schon vor einigen Jahren die technischen Hintergründe der Diskussion verständlich zu machen versuchte. Siehe Lange, Jörg/Otterpohl, Ralf: Abwasser, Handbuch zu einer zukunftsfähigen Wasserwirtschaft, Donaueschingen-Pfohren (Mallbeton-Verlag) 1997.

 

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Zeitschrift Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur.

Kühl-Verlag (Frankfurt/Main)

Ausgabe Januar 2001 (19. Jg., Heft 1/2001)