Ereignisse & Meinungen:

 

Börsenpräsident Bush

 

Balduin Winter

 

Optimismus wird bei den Wall-Street-Auguren derzeit nicht unbedingt groß geschrieben, wenn es um die Bewertung der Wirtschaftslage geht. In der jährlichen Umfrage von Business Week werden zwar von 67 der wichtigsten Analysten durchaus positive Prognosen getroffen, der Dow Jones soll um 17 Prozent, der allgemeine Aktienindex P 500 um 18 Prozent, der Technologieindex Nasdaq gar um 24 Prozent steigen; allerdings sind die geschätzten Spannen weit gestreut, was die Aussagekraft der Prognosen deutlich relativiert und mehr Unsicherheit als Optimismus durchblicken lässt. Laut Brian Belski von US Bancorp Piper Jaffray, der Kursschwankungen im zweistelligen Prozentbereich erwartet, »befinden wir uns erst in der Erholungsphase nach der Baisse« (FAZ, 27.12.02). Die NZZ sieht mitten in der Diskussion der Bush-Pläne die »Kapitalmärkte im Zwiespalt«; eine der zahlreichen skeptischen Stimmen ist Steve Roach von der weltweit viertgrößten Emissionsbank Morgan Stanley, der von einer US-zentrierten Welt spricht, »die über keine anderen Wachstumsreserven verfüge. Als eine der Hürden für einen kräftigen globalen Aufschwung sieht er den noch nicht abgeschlossenen Reinigungsprozess nach den Exzessen der späten neunziger Jahre an. Bis dieser Prozess vollständig abgelaufen ist, werde unterdurchschnittliches Wachstum die Norm sein. ... Geopolitische Befürchtungen spielen laut Roach ebenso eine Rolle wie der anhaltende Zwang zum Kostenabbau, dem Unternehmen ohne ›Pricing Power‹ weltweit ausgesetzt sind, wie auch die Nachbeben der Unternehmensskandale in den USA und die mit ihnen verbundene Risikoaversion.«

@Body Text = Unbefriedigend, wenngleich nicht mehr so arg wie 2001, ist die Gewinnlage der US-Firmen laut einer Projektion der Securities Industry Association (SIA): »Weltweit fielen die unversteuerten Gewinne der US-Firmen nach den SIA-Projektionen um 26,6 Prozent auf 20,7 Mrd. $. Bereits im Vorjahr waren sie von 58,0 auf 28,2 Mrd. $ zurückgegangen. Die Entwicklung verlief auf den in- und ausländischen Märkten praktisch im Gleichschritt. Die Gewinne vor Steuern in den USA allein gingen um 24,6 Prozent auf 7,85 (10,41) Mrd. $ zurück.« (NZZ, 27.12.02)

@Body Text = Rekordschulden haben auch die privaten Haushalte, und zwar mehr als acht Billionen Dollar. Zugleich schmilzt ihr Nettovermögen auf Grund von Rückzahlungen und zunehmenden Kursverlusten am Aktienmarkt. Allein im 2. Quartal 2002 sank die Gesamtsumme von 40,1 auf 38,3 Billionen Dollar, das ist ein Rückgang um 4,5 Prozent. Die Schuldenabzahlungen einschließlich Hypothekenzahlungen verschlingen mittlerweile 14 Prozent vom verfügbaren Einkommen. Die Verschuldung selbst liegt heute, laut Federal Reserve Board, bei hundert Prozent des verfügbaren Einkommens. »Hier tickt eine Zeitbombe«, prognostiziert Christopher Low, Chefvolkswirt bei FTN Financial in New York. »Sie ist zu hören und wird explodieren, wenn die Zinsen nach oben gehen.« Auch vom Arbeitsmarkt drohen Probleme. Die Unternehmen haben angesichts der schwachen Konjunkturerholung kaum neu eingestellt. Seit dem Beginn der Rezession im letzten Jahr sind 1,6 Millionen Arbeitsplätze vernichtet worden. (http://quote.bloomberg.com/fgcgi.cgi?)

 

George Bush bereitet eine Steuerreform vor, um eine Rezession im Kriegsfall zu verhindern«, schrieb der Washington-Korrespondent Eric Leser von Le Monde am 4.1.03 und führte, wie viele andere Journalisten auch, das negative Beispiel des Vaters an: »Er hat offensichtlich nicht das Missgeschick vergessen, das seinen Vater ereilt hat. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität wenige Monate nach dem Sieg im Golfkrieg wurde er auf Grund der Rezession, die dem Konflikt gefolgt war, von einem unbekannten Demokraten (Bill Clinton) geschlagen. George W. Bush ist entschlossen, alles zu tun, damit für ihn 2004 die Zeichen der Wirtschaft günstig stehen.« Sein großes Programm mit einem Volumen von 674 Milliarden Dollar hat er »in Chicago (Illinois) vorgestellt, jener Stadt, wo in den Siebzigerjahren die modernen liberalen Wirtschaftstheorien geboren wurden, die später als reaganomics neu benannt wurden«, vermerkte die Washington Post (7.1.). Angelpunkt dieser Reform sind 300 Milliarden Dollar Steuerausfall für die nächste Dekade durch Streichung der Dividendensteuer, der zweite Pfeiler sind staatliche Mehrausgaben in der Höhe von etwa 250 Milliarden Dollar für das militärische Engagement im Irak. Der »Rest« von etwa 120 Milliarden Dollar sind eine weitere Senkung des Spitzensteuersatzes von derzeit 38,5 Prozent, Arbeitslosenförderung (nach vorangegangenen Streichungen), Startup-Hilfen, ein Kinderrabatt von 400 Dollar, Billigkredite für Kleinbetriebe und weitere kleinere Maßnahmen.

@Body Text = Über diesen Plan gibt es eine sehr lebhafte und sehr kontroverse Debatte, bei der Bush mit einigen Opponenten in den eigenen Reihen rechnen muss. Die Washington Post vom 11.1. zählt bereits die Möglichkeiten durch und kommt auf mindestens fünf Abweichler, allen voran der Bush-Antipode aus Arizona, Senator John McCain. Dem stellt sie die Entertainer-Fähigkeiten des Präsidenten entgegen, der bei der ersten Steuerreform im März 2001 für die benötigte qualifizierte Mehrheit zwölf demokratische Senatoren auf seine Seite ziehen konnte. Doch zwei von diesen sind nun im Führungsgremium der Demokraten, und die Parteiführung hat den republikanischen Plänen erbitterten Widerstand erklärt. Fasst man die in den US-Zeitungen sehr ausführlich zitierten Meinungen der Analysten aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammen, bekommt man das Bild eines gespaltenen Landes, wobei die Gräben kreuz und quer verlaufen. Tom Daschle, der demokratische Fraktionsführer, geißelte naturgemäß die Präsidentenpläne in bester Schärfe schon vor der Präsentation als »die falsche Idee zur falschen Zeit, den falschen Leuten mit falschen Mitteln zu helfen«. Zwei Studien des Tax Policy Centers und der Brookings Institution haben ergeben, »dass ungefähr 64 Prozent der Steuerreform zu Gunsten der wohlhabendsten 5 Prozent Steuerzahler gehen« (New York Times, 4.1.). Im Editorial der New York Times waren von Paul Krugman klassenkämpferische Töne zu hören, liberale Blätter wie der San Francisco Chronicle trugen Spotttiraden vor.

 

Der neuen Wirtschaftspolitik vorangegangen war ein signalgebendes personelles Revirement. The New Republic schreibt am 23.12.02, dass Finanzminister O’Neill wegen seiner Kritik an Bushs Steuerplänen und seinem Festhalten an Alan Greenspans Sparkurs gehen musste. »Von Snow wird nicht erwartet, Wirtschaftspolitik zu formulieren, sondern zu verkaufen«. Auch Le Monde staunt über den Kaderumbau in der Regierung: »Niemals zuvor in der amerikanischen Geschichte hat ein Präsident in derart kurzer Zeit sein Wirtschaftsteam so grundlegend erneuert. In den Monaten nach den Wahlen vom 5. November hat George W. Bush einen neuen Präsidenten der SEC (Securities and Exchange Commission, Börsenaufsicht), einen neuen Finanzminister und einen neuen Wirtschaftsberater ernannt.« (4.1.) Die Welt vom 10.12.02 zitiert Hans Günter Redeker von BNP Paribas: »Amerika steht vor einem Systemwechsel. Es geht jetzt darum, eine knallharte Wachstumspolitik für das amerikanische Inland durchzusetzen, im Zweifel auch zu Lasten des Auslands.« Die neue »America-First-Policy« wird sich vom starken Dollar abwenden, um den heimischen Export anzukurbeln und der ausländischen Konkurrenz den Zugang zum US-Binnenmarkt zu erschweren. Der Euro dürfte in den nächsten Monaten deutlich steigen, Folker Hellmeyer von der Bremer Landesbank rechnet mit einem Anstieg auf 1,15 Dollar, »im Extremfall sogar auf 1,30 Dollar«. Die Kommentatoren des The New Republic gehen auf den grundlegenden Politikwechsel genauer ein. Bush habe nun endgültig die »Clintonites« beiseite gefegt, die sich nicht einmal, so die Kritik neokonservativer Ökonomen wie Bush-Berater Glenn Hubbard, an ihr theoretisches Konzept der »Rubinomics« (nach Robert Rubin, Clintons erstem Finanzminister) gehalten hätten; das wäre ohnehin mit seinen Budgeteinschränkungen und Senkung der langfristigen Zinsen ein Flop gewesen. Clintons Sparpolitik sei völlig an den Gegebenheiten der überhitzten Konjunktur in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre vorbeigegangen, es sei daher höchste Zeit für eine völlig neue Wirtschaftspolitik, der eine neue Theorie zu Grunde gelegt ist (The New Republic, 13.1.). Eine Woche später gibt Ryan Lizza nach einer scharfen Kritik an Bushs Steuergeschenken einen Abriss der neuen Ökonomie, als deren Theoretiker er Michael Palumbo vom Federal Reserve Board nennt. In einer Studie zeigt er, dass »in den Neunzigern jene Haushalte, die am meisten von der Börsenhochkonjunktur gewannen, die gleichen Haushalte sind, die für die sinkende Sparrate der folgenden Ära verantwortlich sind«. Sie machen etwa 20 Prozent aller Haushalte aus, während die restlichen 80 Prozent von diesen enormen Schwankungen relativ unbewegt bleiben. Die 20 Prozent werden sofort aktiv, wenn die Börse aktiv ist, streuen ansonsten aus, etwa in den Immobiliensektor. »Der radikalste Teil der Arbeit Palumbos ist seine Ablehnung der traditionellen ökonomischen Ansicht, dass zur Anregung der Wirtschaft Bargeld in die Hände der Masse der kleineren Einkommensbezieher gepumpt werden muss, ... weil sie viel wahrscheinlicher als die Wohlhabenden dieses Extraeinkommen konsumieren. Für Anhänger des ›Überfluss-Effekts‹ hingegen ist die Art, den Konsum anzukurbeln, bei wohlhabenden Investoren das Bedürfnis nach Reichtum zu wecken, indem die Börse angeregt wird. ... Die Hochkonjunktur der Neunziger muss laut Palumbo den reichsten Gruppen der Haushalte gutgeschrieben werden.« (The New Republic, 20.1.)

Nicht mehr »die Wirtschaft«, sondern die Börse steht im Zentrum der Politik Bushs. Spätestens hier wird klar, dass die Regierung Bush den Staat wie ein Wirtschaftsunternehmen führt. Andere Details des Plans wie der Kinderscheck oder die Hilfen für Kleinunternehmer sind Zugeständnisse, um demokratische Senatoren und Abgeordnete zu gewinnen. Das Konzept soll 2004 voll aufgehen, wenn der nächste Wahltermin ansteht. »Einen verhältnismäßig schnellen und billigen Krieg und eine volle Implementierung der Steuerpläne Bushs vorausgesetzt, sagte David Wyss, Chefökonom von Standard & Poor DRI, dürfte das Defizit 2003 eine Höhe von 275 Milliarden Dollar erreichen, verglichen mit der Zahl von 109 Milliarden Dollar, die das Weiße Haus im August prognostiziert hat. Bis 2004 wird es 350 Milliarden Dollar erreichen. Diese Zahlen sind mit den Schätzungen identisch, die der Chefökonom von Morgan Stanley, Richard Berner, gemacht hat. Bank One und Economy.com, ein Wirtschaftsforschungsunternehmen aus Pennsylvania, haben etwas niedrigere Defizitprognosen entwickelt, die aber über 300 Milliarden Dollar liegen.« (Washington Post, 10.1.)

Der Krieg, das ist die große Unbekannte dieser Rechnung. Anthony Cordesman vom Zentrum für Internationale Strategische Studien in Washington hat drei Szenarien aufgestellt, ein günstiges (mit 40 bis 60<|>% Wahrscheinlichkeit), ein mittleres (30 bis 40<|>%) und ein schlechtes (5 bis 10<|>%). Letzteres sieht eine Kriegsdauer von sechs Monaten vor, während der sich der Ölpreis auf 80 Dollar pro Barrel erhöht. Die mittlere Annahme setzt für die reinen Kampfhandlungen sechs bis zwölf Wochen, eine schlechte öffentliche Meinung, Sabotage vor Ort, Opposition seitens Saudi-Arabiens und einen Ölpreis von 40 Dollar. Gesamtkosten sind in dieser Studie nicht berechnet. Wissenschaftler von der Amerikanischen Akademie für Kunst und Wissenschaft haben diesen Umstand kritisiert und ein eigenes Szenario aufgestellt, das die Konsequenz eines langen Bleibens nach dem Krieg mit einbezieht. Sie gehen insgesamt von zehn Jahren aus – dieselbe Zeitstaffel hat auch Bushs Erlass der Dividendensteuer – und kommen auf rund 1900 Milliarden Dollar (Le Monde, 4.1.)