Dunja
Melcic
Die
Tragödie des Zoran Djindjic
Vom Intellektuellen zum Politiker, vom Sieger zum Opfer(1)
Mit der Ermordung des serbischen Ministerpräsidenten, das zeigen die
letzten Monate und Wahlen, kam der Demokratisierungsprozess in Serbien zum
Stillstand. In ihrem auch biographischen Essay beschäftigt sich unsere Autorin,
die Zoran Djindjic sehr gut kannte, mit dem politischen Weg und den politischen
Methoden eines Mannes, der viel wagte und gewann – und schließlich doch immer
mehr in Gefahr war. Unterschätzte er die Skrupellosigkeit der unbeschädigten
Machtgruppen des alten Regimes, unterschätzte er aber vielleicht auch seine
eigenen Möglichkeiten zu einer erneuten demokratischen Offensive?
Wann und
wie entstehen Situationen, die man zu Recht als »tragisch« bezeichnet? Ein
Element liegt darin, dass der oder die Handelnde von einem inneren Antrieb, von
der eigenen Persönlichkeits- oder Motivstruktur her zu einer bestimmten
Handlung oder zu einer Entscheidung geführt, geradezu gedrängt wird, die in
sich den Quell für den eigenen Untergang bereithält. Damit rede ich freilich
nicht das Wort der physiologischen Determinismus predigenden Hirnforscher wie
Wolf Singer oder Gerhardt Roth. Ganz und gar nicht. Dieser »innere Drang« hat
eher mit dem alten Wort Schicksal als mit neuronalen Synapsen zu tun – was
dennoch keine mystische Verklärung bedeutet.
Zoran Djindjic wollte unbedingt
zur falschen Zeit Politiker werden. Er hatte zwar das Talent und vieles andere,
was dazu gehört, um ein bedeutender, moderner Reformpolitiker zu sein. Aber
genau das war in seinem Heimatland lebensgefährlich. Gegen 1990 war seine
Entscheidung, in die aktive Politik zu gehen, noch nicht gefallen, zeichnete
sich aber schon ab. In unseren damaligen Diskussionen riet ich zwischen den
Zeilen und auch mal offen davon ab: »Man hätte 1939 auch nicht in Nazideutschland
oder im Italien Mussolinis die Demokratie aufbauen können. Solange die Massen
stramm hinter einem Nationalführer stehen, kannst Du keine aktive liberale
demokratische Politik betreiben; die Beteiligung am System wird Dich
kompromittieren.« In so einer Situation wird das System intellektuell bekämpft
– aus dem Ausland oder, soweit es dafür Nischen gibt, von innen heraus. Im
serbischen Fall war das gegeben: Wackere Intellektuelle konnten im
nationalistischen Totalitarismus à la Milosevic in einer kleinen und isolierten
Öffentlichkeit aufrichtige und profunde Kritik üben und lieferten
kenntnisreiche und treffsichere politische Analysen dieses eigenartigen Serbofaschismus.
Sie alle bewegen sich noch immer auf einem unabsehbar langen Weg der
Überwindung des »serbischen Zustands«. Wie ungewiss das ist, zeigten die
vorgezogenen Parlamentswahlen vom 28. Dezember 2003, als 53 Prozent der Wählerschaft
für serbische nationalistische Parteien votierten – die meisten davon (über 1
Mio.) für Seseljs Radikale, also Serbofaschisten der reinsten und rohesten
Form, gefolgt von etwa 700000 Anhängern des langsamen Kostunica, dem diese Eigenschaft
und seine sprichwörtliche Unentschlossenheit den Titel eines »mäßigen«
Nationalisten einbrachten. Die SPS, deren Wahlliste von Milosevic angeführt
wurde, gewann immerhin knapp 300000 Stimmen. So beginnt 2004 in Serbien – ein knappes Jahr nach
Djindjics Ermordung – ohne auch nur einen Funken Hoffnung auf die Überwindung
des undemokratischen Urzustands.(2)
Zoran Djindjic hatte damals keine
Geduld, sich auf allmähliche Prozesse und Vorbereitung eines ungewissen Wandels
einzulassen. Außerdem: Über ein Jahrzehnt lang vor den Neunzigern
veröffentlichte er pausenlos Bücher, Texte in zahlreichen Zeitungen und
Zeitschriften, Übersetzungen philosophischer und politischer Literatur, gab Sammelbände
heraus – alles in enthusiastisch aufklärerischer Absicht und mit einem
letztlich unbefriedigenden Ergebnis. In einem Volk voller Analphabeten haben
intellektuelle Diskurse, Bücher, das geschriebene Wort nur eine geringe Bedeutung.
Die elektronischen Medien – die ja im Grunde Medien für Analphabeten sind –
haben diesen Missstand nur noch verstärkt. Diese Einsicht, seine Ungeduld und vor
allem sein unbedingter, unzähmbarer Wille nach raschen Veränderungen durch
politisches Handeln und nach Umständen, die sein Mitgestalten der serbischen
Zukunft ermöglichen sollten, ließen ihn alle Bedenken über den denkbar
ungünstigen Zeitpunkt für solche Pläne vergessen, sollte er sie überhaupt gehegt
haben. Denn Zoran Djindjic war schon damals nicht nur ein Theoretiker.
Womöglich kann jemand, der einen so starken Impuls zum Vollblutpolitiker hat,
realistische Bedenken gar nicht wahrnehmen. Bestimmte Leidenschaften passten
auch dazu: Es freute ihn, im Mittelpunkt der Öffentlichkeit zu stehen; wenn
Machthaben zum Machen gehört, war er dem und der Möglichkeit, seine Mitmenschen
zu beeinflussen, nicht abgeneigt.
Zu jener Übergangszeit arbeiteten
Djindjic und ich zum letzten Mal konkret zusammen – an einem kleinen Aufsatz zu
Serbien und Milosevic und im Auftrag der Schweizer linken Wochenzeitung.
Auf Zorans Drängen fiel die Kritik an Milosevic geradezu mild aus und alles
ziemlich verschwiemelt. Das war schon Politik. Und es zeichnete sich ab, wie er
künftig in einer hoch intelligenten Argumentationsakrobatik um den Kern der
Sache herumschwimmen, sie mit dem Blick auf dringend geglaubte politische Ziele
verdrängen oder vernebeln wird. Im Ausland beziehungsweise in der westlichen
Öffentlichkeit bedeutete das nachher die Strategie, den Hauptkonflikt zu
nivellieren, das Verursacherprinzip zu verleugnen und die extremen und
extremsten Auswüchse der serbischen Politik unter Milosevic möglichst kleinzureden,
obwohl er nie Parteigänger dieser Politik war, vielmehr sie im Inland unter
hohem persönlichem Risiko bekämpfte. Dieses Lavieren kostete ihn viele
Freundschaften – aber auch eine potenzielle politische Anhängerschaft innerhalb
des serbischen Bürgertums sowie der wirklich demokratischen Kreise, die
freilich eine Minderheit darstellten.
Djindjics politische Methode
Als er
eine Zeit lang häufiger Gast einiger deutscher Massenmedien war, konnte man oft
als Kommentar hören: ein Wischiwaschi, ein Aalglatter, doch eher ein
Nationalist als ein Demokrat ... Vieles daran ist ein Missverständnis. Dennoch
enthält dieser Eindruck ein Indiz: Zoran Djindjic nahm so gut wie nie zu jenen
Punkten Stellung, mit denen die Erwartungen des Publikums verknüpft waren. Ein
besonders gutes Beispiel lieferte einer seiner ersten Auftritte bei einer
Diskussion in Frankfurt etwa Mitte 1991. Für die Kenner der jugoslawischen
Krise war deren äußerste Zuspitzung in jenem Moment unübersehbar. Jeder, der
Augen und Ohren hatte, musste sich gewiss sein, dass der erste Schritt zum
Krieg gerade gemacht wurde, da nämlich die aufständischen Serben (unterstützt
von der Armee und Milosevic selbst) mit bewaffneter Gewalt, Straßenblockaden
und Vertreibungen von Kroaten im dalmatinischen Hinterland den schwachen kroatischen
Staat herauszufordern begannen. Trotz wiederholter Fragen aus dem Publikum
wollte sich Djindjic zu diesem Sachverhalt überhaupt nicht äußern. Als Antwort
bot er kurze Lehrstücke aus der Demokratietauglichkeit jener Völker, die
allesamt nichts von Institutionen wissen und nicht begreifen, dass Demokratie
aus Verfahren besteht. Das paradoxe Nachspiel dieser Veranstaltung war, dass
dem deutschen Teil des Publikums diese kritischen Ausführungen gefielen und man
die erhitzten Fragen der kroatischen Teilnehmer und den wahren Anlass des
Konflikts ignorierte. Zoran Djindjic bediente sich später derselben Taktik: Als
man ihn auf deutschen Foren etwa fragte, was er von der Bombardierung Sarajevos
hielt oder warum er Radovan Karadzic besuchte, fand er immer einen
überraschenden Ausweg, um sich zur Sache nicht zu äußern. Und das war
irritierend, zumal man in ihm die Hoffnung für ein demokratisches Serbien sah.
Viel lieber hätte man Djindjic an
der gleichen Front mit wackeren moralischen Größen der serbischen Gesellschaft
wie Bogdan Bogdanovic oder Srdja Popovic und den mutigen Frauen wie Sonja
Biserko, Natasa Kandic oder Latinka Perovic gesehen. Doch ein solches
aufrichtiges und moralisches Engagement galt ihm als »naiv«.
Appellativ-moralische Stellungnahmen berauben einen außerdem der Möglichkeit,
in der serbischen Gesellschaft politisch zu handeln. Deshalb vermied er auch
konkrete Stellungnahmen zu den unzähligen in serbischem Namen begangenen Verbrechen
in den Kriegen in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo. Und dennoch: Bei
all dieser Enthaltsamkeit, die Verbrechen klar zu verurteilen, wurde er ein
ganzes Jahrzehnt lang in den Medien als Verräter und westlicher, ja, deutscher
(!) Spion behandelt und gebrandmarkt. Er nahm dies übrigens mit ziemlicher Langmut
hin. Dabei waren viele, die ihn so verleumdeten, seine einstigen Bekannten und
Freunde.(3)
Mit einem offen moralischen
Auftreten gegen die Kriegsführung, die Milosevic und seine Medien bewusst vor
den Landsleuten verschleierten und in ein Labyrinth aus Lügen, Halbwahrheiten
und Verdrehungen verwandelten, hätte Djindjic jeden Boden verloren, mit dem
»Volk« überhaupt zu kommunizieren. Zumindest musste er so gedacht haben. Was
nach außen zynisch wirkte, hatte in Djindjics Denksystem eine Logik. Außerdem
war er kein Zyniker. Um an das oben angeführte Beispiel der aufständischen
Serben anzuknüpfen: Eine der ersten Handlungen seines konkreten politischen
Wirkens war – wie er mir erzählte –, dass er zu den Anführern des Aufstands
ging und versuchte, sie zu überreden, sich für gewaltlosen Widerstand zu
entscheiden. So könnten sie Sympathien in der ganzen Welt bekommen und stünden
politisch gegenüber Zagreb ganz anders da. Das war das Grundmuster von
Djindjics politischem Handeln: Er fragte nicht danach, was es mit der
angeblichen »Entrechtung« der Serben in Kroatien, Kosovo oder
Bosnien-Herzegowina auf sich hat, sondern wollte die Agierenden zu einer anderen
Art des politischen Handelns bewegen. Verallgemeinert hieß das, dass
Djindjic eine Analyse des »serbischen Zustands«, die Ursachenforschung für die
zivilisatorische Katastrophe des Landes, hintanstellte und versuchte, die
Faktizität, so wie sie nun mal war, hinzunehmen, um die Art des Politiktreibens
in demokratischem Sinne zu beeinflussen. In der praktischen Politiksphäre ging
es ihm um die Methode des Politischen: Zivilisierung der serbischen Gesellschaft
durch demokratische Wandlung der politischen Verfahren. Wenn eine absolute
Mehrheit der Serben an all jene Lügen glaubte, die Milosevics Medien
propagierten, konnte man nicht von einem zum anderen gehen und zu erklären
versuchen, wie es sich eigentlich zugetragen hatte, auch wenn man wollte. Schon
Platons Höhlengleichnis macht klar, dass man Menschen, die aus ihrem Loch
heraus immer nur Schatten gesehen haben, nicht beibringen kann, was es damit
unter der Sonne der Wahrheit auf sich hat, solange sie in diesem
Schattenzustand verharren. Man muss ihnen – bildhaft gesprochen – erst
beibringen, sich aufzurichten und aus dem Schatten gehen zu lernen. Die
Aufklärung als eine intellektuelle Tätigkeit rückt so an die zweiten Stelle in
der Agenda – hinter die Einübung einer gewandelten politischen Praxis, die den
Umgang mit der Macht, mit anderen politischen Subjekten, Partizipation an
demokratischen Entscheidungsprozessen, Befähigung, Verantwortung zu übernehmen
in der konkret gegebenen (serbischen) Lebenswelt betrifft. So etwa kann man
Djindjics Vorgehen rekonstruieren. Um in dieser Lebenswelt wirken zu können,
musste er auch die Sprache, Symbole und Einstellungen übernehmen – zumindest
teilweise, konnte sie auf jeden Fall nicht öffentlich in Frage stellen,
so wie es einem rein reflektierenden, kritischen intellektuellen Habitus
entsprechen würde. Kurzum: die Wahrheit, die aus der Sprache dieser Lebenswelt
so ziemlich gründlich verschwunden war, konnte kein Thema sein – in diskursivem
Sinne.
Der politische Kämpfer
Ich
vermute, dass Djindjic sich nach dem Jahrzehnt seiner intensiven
intellektuellen Tätigkeit in der serbischen Öffentlichkeit, als die
jugoslawische Krise sich zuspitzte, des enormen intellektuellen Abstands zu
seiner Umgebung erst richtig bewusst wurde. Wahrscheinlich war das nichts,
worüber er lange reflektierte. So richtig zu grübeln, war nicht seine Sache.
Eher fasste er sofort einen kernigen Entschluss. Es konnte ihm auf jeden Fall
nicht entgangen sein, dass kaum jemand verstand, was er etwa im Rückgriff auf
Habermas oder Carl Schmitt schrieb, trotz vielen Lobes in intellektuellen
Kreisen Belgrads. Doch als er sich entschlossen hatte, durch das politische Tun
in der gegebenen Lebenswelt die »Wirklichkeit« zu verändern, war das kein
Sprung in eine völlig andersartige Denkweise. Der praxisorientierte Leitfaden
der neueren Philosophie hat sein Denken auch maßgeblich geprägt. Sein erster
philosophischer Aufsatz galt der berühmten 11. These von Marx. Wenn ich mich
recht entsinne, fragte er darin nach dem Begriff der philosophischen Interpretation
der Welt und äußerte die Vermutung, dass die Absicht einer die »Welt«
verändernden Praxis nicht vom Charakter dieses Wissens getrennt werden kann.
Damit wagte er eine originelle Interpretation einer kanonisierten These, die in
Schulen und an Universitäten bis zum Überdruss und ohne jeglichen
intellektuellen Gewinn durchgekäut wurde. Es handelte sich dabei um eine Frage,
die ihn wirklich intellektuell bewegte. Seine Dissertation an der Konstanzer
Universität galt der Frage der Möglichkeit einer »kritischen Theorie der
Gesellschaft« überhaupt auf der Folie des marxschen Schrifttums. Seine Skepsis
gegenüber der Idee einer »kritischen«, also gesellschaftlich verändernden
»Theorie« kam nachher in einigen polemischen Artikeln zum Ausdruck, in denen er
sich mit den »jugoslawischen« Praxis-Philosophen und Jürgen Habermas
auseinander setzte. Freilich können die philosophischen Denkansätze Zoran Djindjics
hier nicht tiefer eruiert werden – zumal sein philosophisches »Werk« doch eher
eine Skizze geblieben ist; diese Hinweise sollten jedoch genügen, um die
intellektuelle Verbundenheit mit dem Thema der gesellschaftlichen und
politischen Praxis anzudeuten. Erwähnt sei noch sein Versuch, vor dem Zerfall
des gemeinsamen Staates mit zahlreichen Essays eine Verfassungsdiskussion zu
entfachen mit der Hauptthese, dass der föderative Staat erst als ein
demokratischer Bundesstaat konstituiert werden sollte und dass Jugoslawien, so
wie es war, ein unvollendeter Staat sei.(4) Darin enthalten waren originelle
und ausbaufähige Ansätze über Demokratie, die aber im Schatten der These
standen, die die Demokratie mit dem starken Zentralstaat verband – was in den
anderen Republikzentren abgelehnt wurde und in der Wirklichkeit obsolet war. Da
verdrängte aber das politische Engagement die theoretische Beschäftigung
Djindjics. Der intellektuelle Abstand zur Umwelt wurde dadurch freilich nicht
kleiner.
In dieser
politischen Praxis leistete sich Djindjic anfangs, das heißt vor allem während
des Krieges in Kroatien und nachher in Bosnien-Herzegowina, für mein Empfinden
einige skandalöse Schnitzer. Das sei hier beiseite gelassen, zum einen aus
freundschaftlicher Verbundenheit – obwohl es nach dem Fall von Vukovar keinen
persönlichen Kontakt zwischen uns mehr gab; zum anderen aber auch deshalb, weil
ich in groben Zügen ahne, worum es ihm ging und was ihn bewegte. Konkret soll
das bedeuten, dass er sich nationalistischer Themen, Rhetorik und Gebärden nur
bediente, aber in der Struktur seines Denkens und seiner Persönlichkeit weit
entfernt von einem nationalistischen Habitus war, auch wenn er zeitweilig gegen
einige typisch serbische Vorurteile nicht immun war. Als er nach inneren
Streitigkeiten an die Spitze der Demokratischen Partei (DS) kam, wurde er zur
öffentlichen Persönlichkeit in größerem Stil und so auch für ausländische
Korrespondenten interessant. Von da an wurde an seinem Image – insbesondere in
deutschen Medien – mit einer Melange aus Halbwissen, Gerüchten, intriganten
Informationen samt einer Prise Bewunderung gestrickt. Er galt dann als
gewiefter Macher, weil er sich seiner Rivalen in der DS entledigte. Ich kenne
diese Vorgänge nicht aus eigener Anschauung, gehe aber jede Wette ein, dass er
sich bis dahin abrackerte, während die meisten seiner Parteigenossen in
Kaffeekränzchen großmäulig schwafelten und direkt oder indirekt seine Arbeit
konterkarierten. Was Serbien – und konkret die DS – ohne Djindjic darstellt,
zeigte sich spätestens bei den Präsidentschaftswahlen im November 2003, als Dragoljub
Micunovic als Kandidat antrat. Weder die DS noch andere aus der Koalition übrig
gebliebene Parteien trugen irgend etwas bei zum Gelingen der Veranstaltungen,
an denen sie teilnahmen, sodass der arbeitsscheue Micunovic schmählich von
einem ultranationalistischen Provinzpolitiker, dem Stellvertreter Seseljs,
besiegt wurde. Unter Djindjic wäre so etwas unmöglich passiert. Damals musste
es also in einem Moment für ihn klar gewesen sein, dass er entweder alles so
weit wie möglich in der Partei unter Kontrolle haben musste oder gleich die
ganze politische Arbeit aufgeben sollte – was übrigens die bessere Entscheidung
gewesen wäre. Es war in erster Linie seinem Einsatz zu verdanken, dass die
Partei bei den vorgezogenen Parlamentswahlen 1993 unglaubliche 29 Mandate
erreichte; mit dem unermüdlichen Werben für die DS, bei dem er das ganze
Serbien und auch noch das letzte Nest abklapperte, gelang es Djindjic in den
folgenden Jahren überall Ortsverbände zu gründen und über 10000 Mitglieder –
für serbische Verhältnisse eine erstaunliche Zahl – neu anzuwerben.
Der Jahreswechsel 1996/1997 zeigt
sich im Nachhinein als große Ouvertüre der serbischen Demokratie, der mit einer
Verspätung von drei Jahren der erste Akt folgte, um jäh mit der Ermordung
Djindjics abzubrechen. Ende der Veranstaltung. Die serbische Demokratie unter
Djindjic war nur »eine Episode« – wie der Rechtsanwalt und Publizist Srdjan
Popovic neulich sagte.
Djindjic kämpfte in diesen Jahren
im Verbund mit anderen demokratischen Kräften beharrlich für einen
Regimewechsel und war maßgeblich dafür verantwortlich, dass Milosevic letztlich
am 5. Oktober 2000 gestürzt wurde. Die nötige frische Zündung kam aber von der
Bewegung »Otpor« (= Widerstand), einem in der neueren serbischen Geschichte
gänzlich neuen Phänomen des spontanen politischen Handelns, einem dezentralen
Agieren kleiner Gruppen von Studenten und jungen Leuten, die keiner Ideologie
und keinem traditionellen nationalistischen Wertesystem huldigten und sich
einzig und allein der Ablösung von Milosevic verschrieben. Zwei weitere
wichtige Faktoren ergaben sich einmal aus der Unterstützung aus dem Westen(5)
für die auf der lokalen Ebene verankerte Anti-Milosevic-Koalition und dann auch
aus deren Erstarken in den Provinzstädten selbst. Djindjic bewies echtes
politisches Können, als es ihm gelang, diese recht disparaten politischen
Kräfte in eine massive Bewegung zu bündeln und einen Sternmarsch aus der
Provinz nach Belgrad gegen Milosevic erfolgreich stattfinden zu lassen. Da
wirkte sich die mit den Jahren gesammelte politische Erfahrung in Bezug auf
Kooperation mit anderen politischen Kräften vorteilhaft aus. Er ging natürlich
ein hohes Risiko ein. Der Plan konnte nur gelingen, wenn sich tatsächlich
Hunderttausende in Belgrad sammeln sollten. Bei einem geringeren Zulauf drohte
am 5. Oktober nicht nur einfach ein Misserfolg, sondern der Tod und
wahrscheinlich ein Blutbad. Erst unter dem Eindruck dieser Masse an Protestierenden
versagten die repressiven Apparate Milosevic die Loyalität. Diese Masse war
Djindjics Trumpf. Ob er einen Deal hatte mit der Killertruppe, zuletzt genannt
Einheit für Spezialeinsatz (JSO) – in ihrer wahren Bedeutung berüchtigt
geworden unter dem Namen »Rote Barette« und »Graue Wölfe« –, mag Korrespondenten
beschäftigen, die sich durch das typische serbische Gerüchtetreiben gern vom
Wesentlichen ablenken lassen. Die Geschichte, Djindjic hätte mit dem
berüchtigten »Legija«, dem Anführer der JSO, ausgehandelt, nicht auf die Massen
zu schießen und ihm dafür Schonung bei der Untersuchung seines mafiosen Sumpfs
versprochen, hat dasselbe Denkschema wie Tausende von solchen Politkrimis à la
serbische »Carsija« seit Urzeiten. Sie wurde zusammen mit weiteren fantasievollen
Ausarbeitungen, die Djindjic in die Nähe von kriminellen Banden bringen, gerade
von jenen »Zeitungen« kolportiert, die ihn sowieso mit abstrusen
Schmutzkampagnen seit Jahren bekämpften. Diese äußerst aggressiven Medien von
großer meinungsmachender Wirksamkeit voller Lügen, Halbwahrheiten und
bösartigen Verdrehungen kann man zwar nicht direkt mit jenem Unwesen des
ruandischen Rundfunks am Vorabend des Völkermords an den Tutsis 1994
vergleichen(6), aber die Art einiger Medien, gegen »Feinde« zu hetzen und Jagd
auf Persönlichkeiten der Öffentlichkeit zu machen, verdiente auch eine
strafrechtliche Verfolgung.
Als Djindjic nach dem Sieg der
Koalition bei den Parlamentswahlen im Dezember 2000(7) Serbiens Premierminister
wurde, war die machtpolitische Isolierung Kostunicas geradezu ein Muss. Was die
westlichen Korrespondenten – nicht ohne Einfluss aus dem serbischen
Souffleurkasten – als fruchtlose Rivalitätskämpfe der beiden Spitzenpolitiker
schilderten, war in Wahrheit ein Kampf um den Vollzug der Wende. Djindjic
tastete sich im Grunde vorsichtig an die Ablösung des bestehenden Systems
heran, das aber war nicht einfach ein von Milosevic geschaffenes, sondern ein
altes, durch Tradition gepflegtes Zusammenlaufen von offiziellen und
informellen Machtgruppen und Repressionsapparaten, in dessen Zentrum sich
Milosevic fand, weil er dazu damals am besten passte und auch fähig war, all
die Fäden in seiner Hand zu halten. Noch steckte Djindjic am Anfang seiner
Vorbereitungsphase. Ein großer Wurf war natürlich die Auslieferung Milosevics
nach Den Haag selbst und danach die Auflösung von Milosevics Staatsgebilde,
genannt BR Jugoslawien, die ihm Kostunica vom Halse schaffte. In der
Öffentlichkeit machte Djindjic vor einem Jahr auf einmal viel Wirbel mit alten
nationalistischen Themen à la »Kosovo ist unser«, im Hintergrund aber bahnte er
Maßnahmen an, um klandestine Strukturen in der Polizei und im Militär (das nie
einer Kontrolle der zivilen, demokratisch legitimierten Institutionen unterlag)
und die Geheimdienstapparate samt zugehörigen »Spezialtruppen« aufzulösen. Die
Chefanklägerin Carla Del Ponte sagte neulich, Djindjic hätte ihr kurz vor
seiner Ermordung gesagt, er werde bald imstande sein, den angeklagten Mladic
nach den Reformen in Militär und Polizei auszuliefern.(8) Ich weiß nicht, wie
man diese wahrlich umwälzenden Taten hätte erfolgreich durchführen können, ohne
selbst zu Schaden zu kommen. Mit welchen Verbündeten? Wie viel reale Möglichkeiten
hatte Djindjic überhaupt? Einige Reformansätze bei der Armee und Polizei sowie
im Gerichtswesen setzten zwar seine Nachfolger während des Ausnahmezustands um,
doch vieles davon ist mehr Schein als Sein. Das klandestine serbische Machtzentrum
wird weiterhin auf Jahre hinaus in Serbien das Sagen haben – erst recht nach
den Dezember-Wahlen, egal wie die neue Regierung formell konstituiert wird: aus
anti-reformerischen (Kostunica & Co.) oder aus ultranationalistischen (die
eigentlich siegreiche Radikale Partei) Kräften. Das alles besagt, dass diese
Bastion zu stark war und noch immer ist. Aber es stellt sich auch die Frage, ob
diese – im Grunde vorsichtige – Strategie Djindjics als Ministerpräsident die
richtige war.
Verhängnisvolle Illusionen
Djindjic
wusste bestimmt um die immense Gefahr im Verzug. Hat er sie dennoch ignoriert? Ich
denke, er hätte nur eine Chance gehabt, wenn er sich an das hochriskante Schema
des 5. Oktober auch in seiner Amtszeit gehalten hätte. Nach all den Risiken,
die er eingegangen war, nach diesen Taten von Schwindel erregendem Mut, lag
seine Chance nur noch in einem weiteren Sprung nach vorne. Hier gilt allerdings
wie immer bei solchen Spekulationen: Erst im Nachhinein ist man klug. In diesem
Fall sogar vollkommen umsonst – man kann nichts mehr ausbessern. Man
sieht bloß die Vergangenheit in schärferem Licht. Die Auslieferung Milosevics
an das Tribunal in Den Haag, die Vorstellung, Djindjic hätte dies einfach so
überleben können, zeigt sich im Nachhinein als kindliche Blauäugigkeit. In der
ohnehin prekären Situation seit dem 5. Oktober lieferte Djindjic seinen
Todfeinden mit der Auslieferung Milosevics – dazu noch ausgerechnet am 29.
Juni, dem mythologisierten »Vidovdan«, der als Datum der »heiligen«
Kosovoniederlage gefeiert wird – vermutlich den ultimativen Grund, nach seiner
Beseitigung zu trachten. Der Kreis der Interessierten an seinem Tod wuchs
ebenso schnell, wie die Hemmungen, an einen gewählten Ministerpräsidenten Hand
zu legen, schwanden. Im November 2001 probte die erwähnte Spezialtruppe (JSO)
den Aufstand gegen die Regierung, weil man sie zum ersten Mal so einsetzte, wie
es sich in einem Rechtsstaat gehörte, nämlich zur Festsetzung flüchtiger
Verbrecher sowie zweier vom Kriegsverbrechertribunal Angeklagten. Seine Soldaten
hätten die beiden Angeklagten nicht festgenommen, erklärte der damalige Chef der
Truppe, Legija, wenn sie gewusst hätten, dass diese nach Den Haag ausgeliefert
würden.(9) Breite Teile der serbischen Öffentlichkeit und der jugoslawische
Präsident Kostunica selbst zeigten Verständnis für diese Haltung. Legija wurde
abgesetzt, aber nicht strafrechtlich verfolgt. So konnte er mit zahlreichen
anderen Beteiligten an diesem Umsturzversuch ungestört weitere
Attentatsversuche gegen den serbischen Regierungschef planen – bis der letzte
am 12. März 2003 gelang.
Meistens meinen die Beobachter, Djindjic
hätte gar keine andere Wahl gehabt, als vorsichtig und peu à peu die
Veränderungen einzuleiten. Ich glaube, er wäre besser gefahren und geschützter
gewesen, wenn er offensiver gewesen wäre und die Öffentlichkeit durch
gründliche Enthüllungen aller Machenschaften des Regimes, Verstrickungen in
Kriege, Massenmorde, Liquidierungen von politischen Gegnern, Verfilzung mit
Mafia und allerlei illegalen Geschäften mobilisiert und versucht hätte, sie für
sich zu gewinnen. Er ignorierte die aggressiven Medien, die ihn die ganze Zeit
als den Feind behandelten, im Grunde den Krieg gegen ihn führten. Er hätte sie
– die Komplizen seiner Mörder – bekämpfen müssen.(10) Und zwar gleichsam
indirekt: durch Offensive mit massiven Enthüllungen. Stattdessen kamen sie tröpfchenweise:
der Fund eines LKW mit Leichen der Kosovo-Albaner wurde bekannt gemacht (zwei
Jahre nach der Entdeckung), von der späteren Beseitigung der Leichen und Exhumierung
berichtet; Milosevic wurde wegen Veruntreuung staatlicher Gelder angeklagt,
gegen einen Verantwortlichen für ein Attentat an Vuk Draskovic, den früheren
Polizeichef, fing man an, schlampig zu ermitteln, und so fort. Erst nach dem
Attentat sprudelten die Informationen in die Öffentlichkeit. Im vorigen
September erhob der Staatsanwalt in Belgrad die Anklage gegen Milosevic, einen
Mord und zwei Mordversuche an seinen politischen Gegnern in Auftrag gegeben zu
haben.(11) Der Ausführende: »Legija«.
Rätselhaft bleibt noch immer die
Nachlässigkeit des amtlichen und persönlichen Sicherheitsdienstes Djindjics und
seine eigene Leichtfertigkeit. Er musste nach dem 5. Oktober in gewissen
Kreisen bereits als »toter Mann« gegolten haben, bevor dies auch in den
»Zeitungen« stand (zwei Tage vor dem Attentat). Woher diese Sorglosigkeit? Wenn
man die Ermittlungsberichte nach seiner Ermordung liest, dann wird klar, dass
es nur eine Sache der Zeit war, wann sie ihn umbringen würden. Der Todesschütze
beschrieb in seinem Geständnis einen nach dem anderen die fehlgeschlagenen
Versuche, den ersten demokratischen Ministerpräsident Serbiens umzubringen. Der
Ministerpräsident und seine Leibgarde wurden über diese Bedrohungen nicht
informiert. »Der persönliche Schutz war so schlecht organisiert, dass ich es
nicht glauben konnte«, gab der Todesschütze zu Protokoll; und ferner: seine Auftraggeber
seien »über jeden Schritt von Djindjic« informiert gewesen. Vor Gericht
entschloss sich dieses Subjekt, dessen Beruf die Belgrader Zeitung Vreme
mit »professioneller Mörder« angibt, zu schweigen.(12) Das Auftreten dieses
Zweitangeklagten (der Erstangeklagte »Legija« ist flüchtig) am zweiten Tag des
Mordprozesses in Belgrad wurde mit Ovationen im Publikum begrüßt. Die aggressive
Atmosphäre im Gerichtssaal, in dem ein ganzes Rudel tollwütiger Verteidiger von
drei Dutzend Angeklagten für Chaos sorgten, veranlasste den Beobachter der für
eigenständige Meinung nicht gerade berühmten Tageszeitung Politika zu
fragen, ob es sich hier um einen Prozess gegen die Angeklagten oder ihr Opfer
handele.
Während der Nato-Luftschläge 1999
ist Djindjic wohl nur um Haaresbreite dem Tod entronnen, als er zusammen mit
der Familie das Land heimlich verließ. Einer vertraulichen Information zufolge
stand er an erster Stelle auf Milosevics Todesliste. Offensichtlich glaubten er
und seine Umgebung, dass eine so akute Gefahr nicht mehr möglich sei. Meinte
er, dass sein Traum von Serbien als einem normalen europäischen Land irgendwie
schon begonnen hatte, Wirklichkeit zu werden? Seine Stellungnahme zum
Mordversuch eine Woche vor seinem Tod legte das nahe: Ihn umzubringen würde
nichts ändern, denn der gefestigte Weg der Reformen und nach Europa sei
unumkehrbar. Das war leider eine verheerende Illusion. Sie erinnert ein
bisschen an den schon erwähnten Versuch Djindjics, die kroatischen Serben 1991
zu gewaltlosem Widerstand zu überreden und so zu tun, als wüsste er nicht, wer
hinter diesem »Aufstand« stand.
Bald nach Djindjics Tod wurde
vielen plötzlich klar, dass mit ihm auch sein politisches Werk zu Ende war. Das
ist verwunderlich, denn er war das Gegenteil von einem autoritären Egomanen und
es gehörte zu seinen Talenten, sich in einer Gruppe solidarisch zu verhalten
und andere Menschen zu ermuntern. Dass er kein richtiges Team hinterließ und
keine Persönlichkeit einer Nachfolge gewachsen war, muss wohl auch mit seiner
Umgebung zu tun haben.
Siehe zum
Thema in der »Kommune« auch:
Olga Popovic-Obradovic: Veränderung und Kontinuität. Serbien
zwischen verspäteter Demokratisierung und Nationalismus, 2/03
Ernst Köhler, »Diese Gesellschaft ist gespalten!« Ein Besuch
bei Zoran Djindjic in Belgrad, 7/02
Zoran Djindjic, Blick aus Belgrad,
8/91
ders.: Kriegsziele im jugoslawischen Konflikt. Belgrader
Szenarien, 11/91
Zora
ders.: Jugoslawien – wessen Heimat ist es?, 1/90
1
Folgende Zeilen schreibe ich auch gegen die Trauer und die
Wut, die mich bei jedem Gedanken an den gewaltsamen Tod Zoran Djindjics
überkommen. Das hat mit der alten Freundschaft zu tun. Davon kann die Analyse,
die folgt, nicht unbeeinflusst bleiben. Damit wird sie aber nicht automatisch
zu etwas bloß »Subjektivem«.
2
Mit den Worten des Belgrader Publizisten mit der schärfsten
Zunge, Petar Lukovic: »Wir leben in einem Land, das wählen kann, ob es nur ein
bisschen mehr oder ganz und gar rechts abdriften will, das heißt: Wollen wir
den reinen Faschismus oder den schmutzigen Nazismus – das ist hier die Frage«, Feral
tribune, 16. Januar 2004.
3
Die widerlichste solche Intrige sei hier in kurzen Zügen
erzählt: Der Ex-Marxist und spätere Chefideologe von Milosevics
Nationalsozialismus, Mihajlo Markovic, und Zoran Djindjic waren – trotz großem
Altersunterschied – gute Bekannte zu (nennen wir es so) Dissidentenzeiten. Man
traf sich in diesen Kreisen – mal in Belgrad, mal in Konstanz oder Frankfurt.
So waren Markovic einige oberflächliche Aspekte von Djindjics Privatleben
geläufig; nachdem Djindjic für ihn zum Feind wurde, nutzte er diese bruchstückhaften
Kenntnisse, um Djindjic als Verräter, der in Frankfurt mit einer Deutschen
verheiratet sei (das genügt als Oberbeweis), in einer der auflagenstärksten
serbischen Zeitungen zu denunzieren und ihn mit allerlei Dreck zu bewerfen.
Doch wenn das nicht so schäbig und niederträchtig gewesen wäre, wäre es richtig
komisch: denn Markovic hielt sich damals (etwa 1989/90) in Frankfurt hauptsächlich
deshalb auf, um seine deutsche Liebhaberin zu treffen! (Ich habe die
Dame damals kennen gelernt, und Markovic selbst hat sie mir als seine
»Freundin« vorgestellt – normalerweise fiel damals in Frankfurt in der Tat
nicht auf, ob jemand mit Frau, »Freundin«, zwei Frauen, zwei Liebhabern oder
der Gattin und dem Liebhaber zusammen aufkreuzt; in diesem Fall war es
auffallend.)
4
So auch der Titel des Sammelbandes mit diesen Aufsätzen.
5
Ausführlich geht Adam LeBor in seiner Milosevic-Biographie
(Bloomsbury, London 2002) auf diese westliche, amerikanische Unterstützung ein.
Zu ausführlich! Demzufolge seien die Amerikaner die Hauptmacher der Ablösung
von Milosevic. Ich sehe es schon vor mir, wie dieser, wenn er in einem halben
Jahr mit seiner Verteidigung vor dem Tribunal beginnt, aus dem Buch zitiert,
das beweise, dass das amerikanische Komplott von Budapest her ihn als legitimen
Präsidenten gestürzt habe.
6
Ende des vorigen Jahres verurteilte das Tribunal in Arusha
(ICTR) zwei Journalisten zu lebenslänglicher und zwei weitere zu 35
beziehungsweise 12 Jahren Haft.
7
Zum Vergleich: Die vereinigte Opposition (DOS) gewann damals
knapp 65<|>% der Stimmen und bekam 176 Mandate im Abgeordnetenhaus.
8
La Libre Belgique, 17.1.2004.
9
Es handelte sich um die Brüder Nenad und Predrag Banovic;
die Anklage gegen den Erstgenannten wurde in Den Haag umgehend fallen gelassen,
während der zweite ein Geständnis über seine direkte Beteiligung an Folter
zahlreicher Insassen des Lagers Keraterm (Prijedor/Nordbosnien) und am Totschlag
von fünf Gefangenen ablegte. Im Oktober 2003 wurde er zu 8 Jahren Hafte
verurteilt.
10
Nach dem Tod Djindjics wurde eine Untersuchung über sein
Bild in den Medien gemacht. Sie ist leider wenig brauchbar, da sie von
vornherein jene Medien ausschloss, die offensiv sein Feindbild pflegten.
11
Bei der Mordanklage handelt es sich um den einstigen
Ziehvater Milosevics, Ivan Stambolic, den dieser vor den Präsidentschaftswahlen
im August 2000 ermorden ließ, weil er in ihm den Konkurrenten sah, der die
Opposition vereinigen könnte. Stambolics sterbliche Überreste fand man im Zuge
der Ermittlungen gegen die Mörder Djindjics. Die beiden Mordversuche beziehen
sich auf Vuk Draskovic.
12
Der Prozess begann am 22.12.2003 und wurde bald vertagt.