Tim Engartner

Privatisierungen im Fadenkreuz

Kommunen entdecken die Vorzüge öffentlichen Eigentums wieder

Dass die »öffentliche Hand« nicht wirtschaften kann und Effizienz im Umgang mit den gemeinen Gütern jeder »Bürokratie« fremd ist, war die stete Rede in der seit mehr als zwei Jahrzehnten ablaufenden Privatisierungswelle. Mittlerweile gibt es jedoch genug Hinweise darauf, dass die chronische Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte nicht durch »Ausverkauf« gelöst werden kann. Die Beispiele für eine Rückverstaatlichung in Städten und Gemeinden mehren sich. Kommt es zu einer Trendwende im Umgang mit öffentlichem Eigentum wie der »Spiegel« letzthin mutmaßte? Wird die »Qualität von Staatlichkeit« neu entdeckt?

Es war eine Entscheidung mit bundesweiter Signalwirkung, die am 19. Juni 2000 in Potsdam bekannt gegeben wurde. Nur drei Jahre, nachdem die brandenburgische Landeshauptstadt 49,9 Prozent ihrer Wasserbetriebe an den deutsch-französischen Konzern Eurawasser verkauft hatte, kündigte sie den Kooperationsvertrag und kaufte ihre Anteilscheine für 4,9 Millionen D-Mark (2,4 Mio. Euro) zurück. Hatten sich die Wasserpreise seit der Privatisierung bereits verdoppelt, nahm die Stadt die Ankündigung der dritten Preiserhöhung innerhalb von zwei Jahren zum Anlass, den laufenden Vertrag zu kündigen – trotz der damit verbundenen Abfindungskosten. Bis dahin hatte die Betriebsführung und damit das Sagen im Unternehmen dem Minderheitsgesellschafter Eurawasser oblegen. Nicht einmal einen Aufsichtsrat hatte es gegeben, lediglich eine Koordinierungsstelle. »Trotzdem haben wir durchgehalten: eine feindliche Übernahme endlich mal andersherum. Ich kenne keinen vergleichbaren Fall, in dem eine Privatisierung … nach so kurzer Zeit wieder beendet wurde«,(1) lautet das stolze Resümee des Geschäftsführers der Potsdamer Stadtwerke, Peter Paffhausen.

Pinonierarbeit wurde auch andernorts in Brandenburg geleistet – im Landkreis Uckermark an der polnischen Grenze. Die Verträge mit den westdeutschen Müllentsorgungsfirmen wurden gekündigt, weil man nicht länger dulden wollte, »dass ein privater Investor mit einer öffentlichen Aufgabe zweistellige Renditen erzielt«.(2) Nachdem in Reaktion auf die öffentliche Ausschreibung im Spätsommer 2005 keine passenden Angebote für den Entsorgungsauftrag eingegangen waren, entschloss sich Landrat Klemens Schmitz (SPD), die Aufgaben wieder in staatliche Hände zu legen. »UDG – Uckermärkische Dienstleistungsgesellschaft« prangt nun in blau-gelber Schrift auf den silberfarbenen Lkw, die täglich vom Betriebshof der Kreisstadt Prenzlau rollen. Zwar warnte Schmitz unlängst im Spiegel: »Wenn da erst der Filz einzieht, ist die Sache mit der Kommunalwirtschaft auch ganz schnell wieder vorbei.«(3) Aber bislang liegen die dem Kreis entstehenden Kosten trotz zahlreicher neu eingestellter, tariflich bezahlter Mitarbeiter weit unterhalb denen, die zu Zeiten anfielen, als die Müllabfuhr zwischen Gramzow, Grünow und Ziechen in privaten Händen lag. So konnten die Gebühren im vergangenen Jahr um 6,5 Prozent gesenkt werden – eine spürbare Entlastung für die Menschen in einer Gegend, die mit 54 Einwohnern pro Quadratkilometer nicht nur zu den am dünnsten besiedelten, sondern auch zu den ärmsten der Bundesrepublik zählt.

Dämmerung einer »orangen Revolution«

Lässt sich aus diesen Beispielen schlussfolgern, dass die seit mehr als zwei Jahrzehnten rollende Privatisierungswelle allmählich abebbt? Die Frage ist (noch) schwer zu beantworten. Jedenfalls hat die Rückverstaatlichung der Müllentsorgung – neuerdings als »orange Revolution« apostrophiert – auch andernorts Platz gegriffen. Dem Beispiel der Uckermark folgten die nordrhein-westfälischen Städte Bergkamen, Fröndenberg und Leichlingen ebenso wie der Rhein-Sieg-Kreis, die Kreise Aachen und Hannover, der Landkreis Neckar-Odenwald und der Rhein-Hunsrück- Kreis. Obwohl 63 Prozent des Hausmülls von Privatfirmen eingesammelt werden, titelte das Handelsblatt im Oktober letzten Jahres: »Die Kommunen entdecken den Charme des Hausmülls«.(4) Bernd Klinkhammer von der auf Kommunalfirmen spezialisierten Beratungsfirma Ökon unterstreicht diese Einschätzung: »Wir spüren einen deutlichen Trend, privatisierte öffentliche Aufgaben wieder zu rekommunalisieren.«(5) Insbesondere bei der Abfallent- und der Energieversorgung steige das Interesse der Kommunen, die Geschäfte wieder eigenständig abzuwickeln. Zu beträchtlich waren die Gewinne, die Großunternehmen in diesen Branchen in der Vergangenheit durch die (Aus-)Nutzung monopolartiger Strukturen abschöpfen konnten. Umsätze von rund zwei beziehungsweise drei Milliarden Euro konnten die Branchenriesen Sulo und Remondis im vergangenen Jahr erwirtschaften, weil viele Kommunen mit der Einführung des Dualen Systems in den Neunzigerjahren nicht nur das Einsammeln der Verpackungen mit dem »Grünen Punkt« ausgliederten, sondern auch den Abtransport des Restmülls privaten Anbietern überließen.(6)

Die Lukrativität des Müllentsorgungsmarktes veranlasste auch Roland Schäfer, Bürgermeister der Stadt Bergkamen und amtierender Präsident des Deutschen Städte- und Gemeindebunds, die Mülltonnen der Ruhrgebietsstadt wieder von städtischen Angestellten leeren zu lassen. Obschon anfangs rund 1,6 Millionen Euro in neue Fahrzeuge und eine zeitgemäße Logistik investiert werden mussten, sanken die Kosten für die Abfallsammlung seit dem 1. Januar 2006 um ein Drittel. Die erzielten Einsparungen wurden mit zwei aufeinander folgenden Gebührensenkungen an die Bürger weitergegeben. »Das war die beste Investition, die die Stadt je gemacht hat«, schlussfolgert Schäfer.

»Katharsis« in Freiburg und Dortmund

Ähnlich lautet der Tenor in Freiburg und Dortmund. Beide Städte holten jüngst die Reinigung der öffentlichen (Hoch-)Schulen, Kindergärten, Sportstätten und Toiletten unter das kommunale Dach zurück – und hier wie dort sind sich die Verantwortlichen einig: Die öffentlichen Auftragnehmer arbeiten gründlicher, weil sie neben der bloßen Reinigung auch die »Substanzerhaltung«, das heißt die sorgsame Pflege der Fenster, Fußböden und Möbel, im Blick haben.

Die umfassendere Verantwortung hat nicht nur das Selbstbewusstsein und die Arbeitsfreude (und damit die Produktivität) der Reinigungskräfte erhöht, sondern auch das »Stadtsäckel« entlastet. Mittlerweile werden die Mitarbeiter des Reinigungsdienstes auch einbezogen, wenn die Anschaffung eines neuen Bodens beratschlagt wird, kann sich doch ein vermeintlich preiswerter Bodenbelag als regelrechter »Geldfresser« erweisen – dann nämlich, wenn die Reinigung extrem kostspielig ist. Neben der nur bei kommunaler Trägerschaft möglichen engen Verzahnung der vormals getrennten Arbeitsbereiche wird die stärkere Einbindung der Mitarbeiter in die Entscheidungsprozesse als entscheidend für die erfolgreiche Restrukturierung angesehen: »Dies war der Erfolgsfaktor schlechthin«, betont Beatus Kamenzin, Verwaltungsleiter des Freiburger Hochbauamtes und damit verantwortlich für die Gebäudereinigung in der Universitätsstadt.

Er war es auch, der dafür sorgte, dass mit den Reinigungskräften neue Arbeitszeitmodelle entwickelt, Teams gebildet und Vertretungsregelungen erarbeitet wurden. Durch die Verbesserung der Arbeitsabläufe und die Anschaffung neuer Reinigungsmaschinen konnten 1325 Arbeitsstunden pro Woche eingespart werden. Die damit gewonnenen 34 neuen Vollzeitstellen wurden aber nicht gestrichen, sondern genutzt, um zuvor an Private vergebene Aufträge zurückzuholen. Demnächst sollen bis zu 50 Reinigungskräfte eine neue Stelle bei der Stadt Freiburg antreten. Ähnlich das Ergebnis in Dortmund: Auch dort wurden die durch die Optimierung der Arbeitsabläufe gesunkenen Kosten für Neueinstellungen genutzt, so dass nun wieder 52 Prozent der städtischen Gebäude in »Eigenregie« gereinigt werden.(7)

Im seit 2002 vom grünen Oberbürgermeister Dieter Salomon regierten Freiburg werden durch die Neuorganisation rund 800.000 Euro pro Jahr gespart. Zudem hat sich der Krankenstand von 10,75 Tagen auf 8,7 Tage pro Mitarbeiter und Jahr reduziert – trotz eines Schwerbehindertenanteils unter den Beschäftigten von 14 Prozent. 25 Zeitverträge konnten zum 1. Januar 2006 in unbefristete Stellen umgewandelt werden. Gespart wird also auch hier nicht am Personal, sondern indem Arbeitsabläufe optimiert werden und beim Bau eines Gebäudes sorgsamer als zuvor auf die bei der Reinigung entstehenden Folgekosten geachtet wird.

Nahezu ungebrochene Privatisierungseuphorie

Während Bund und Länder weiterhin der von wirkmächtigen Instituten, Kommissionen und Arbeitskreisen propagierten Kernthese »Less government is good government«(8) folgen und Universitätskliniken ebenso wie die Deutsche Flugsicherung dem Diktat der Privatwirtschaft unterwerfen (wollen), setzen immer mehr Bürgermeister und Landräte auf die Wahrnehmung vormals privatisierter Aufgaben durch die öffentliche Hand. Hunderte Kommunalverwaltungen haben festgestellt, dass auch in öffentlicher Regie effiziente Organisationsstrukturen geschaffen werden können – zu Gunsten einer preiswert(er)en Versorgung der Bürger und mit positiven Effekten für die kommunalen Haushalte. Denen fließen nun jene Gebühren und Einnahmen zu, die zuvor als Gewinne an häufig ferne Konzernzentralen überwiesen wurden. »Das Interesse von Investoren beschränkt sich (inzwischen) auf profitable Filetstücke. Die Kommunen schauen bei Public-Private-Partnerships, der weniger sichtbaren, aber expandierenden Form der Privatisierung, genauer hin.«(9)

Aber die Legitimationskrise der Privatwirtschaft in den Sektoren der so genannten Daseinsvorsorge ist längst nicht so tief, wie es die Vielzahl fehlgeschlagener – und teilweise rückgängig gemachter – Privatisierungen vermuten lassen könnte. Weiterhin plant jede dritte Großstadt Privatisierungen. Noch immer verstehen sich die meisten Städte und Gemeinden einseitig als Wirtschaftsstandorte und nicht auch als Motoren sozialer Integration, die sie mit leistungsfähigen öffentlichen Krankenhäusern, Kindergärten, Seniorenheimen, Schwimmbädern und Bibliotheken sein könnten. Stattdessen veräußern viele Kommunen – insbesondere solche, die dem Haushaltssicherungsrecht und damit der Verpflichtung zur Vorlage eines ausgeglichenen Haushalts unterliegen – ihre Einrichtungen »aus einer erpresserischen Notlage heraus«, kritisiert der Münchener Oberbürgermeister Christian Ude (SPD): »Der Regierungspräsident sagt ihnen, dass er andernfalls den Haushalt nicht genehmigen würde.«(10)

Besonders deutlich sichtbar wird die kaum getrübte Privatisierungseuphorie auf dem Wohnungsmarkt. Noch immer folgen zahlreiche Städte und Gemeinden dem Beispiel Dresdens, dessen Stadtrat vor eineinhalb Jahren den Totalverkauf des kommunalen Wohnungsbestands an die US-amerikanische Investorengruppe Fortress beschloss. Dass das Milliardengeschäft Dresden zur »Avantgarde der deutschen Kommunalpolitik« machte, wie die Wochenzeitung Die Zeit nach dem Vertragsabschluss jubilierte, lässt sich an einer einzigen Zahl ablesen: 2006 wurden im hiesigen Immobiliensektor Privatisierungserlöse in Höhe von neun Milliarden Euro erzielt – Tendenz steigend.(11) Dabei wirtschaften zahlreiche städtische Wohnungsbaugesellschaften selbst unter strenger Wahrung struktur- und sozialpolitischer Vorgaben ausgesprochen profitabel: So führt die kommunale Wohnungsgesellschaft SAGA GWG, deren Marktwert auf mehr als sieben Milliarden Euro geschätzt wird, pro Jahr rund 100 Millionen Euro Gewinn an die Freie und Hansestadt Hamburg ab.(12)

Und obwohl Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust (CDU) den seinerzeit vom rot-grünen Senat beschlossenen Verkauf der kommunalen Elektrizitätswerke an den schwedischen Konzern Vattenfall einen »Fehler« nennt, weil die Stadt nun »keinen Einfluss mehr auf die Strompreise und nur noch geringen Einfluss auf die Investitionen habe«,(13) zeigte sich die von ihm geführte Landesregierung gerade erst wieder äußerst privatisierungsfreudig. Nachdem vor geraumer Zeit getreu dem Vorbild der Berlusconi-Regierung alle öffentlichen Vermögenswerte bis hin zu Denkmälern erfasst worden waren, trennte sich die städtische Beteiligungsgesellschaft am 2. November im Rahmen eines Börsengangs von 30 Prozent ihrer Anteile an der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA).(14)

Das Kapitalmarktdebüt spülte zwar den Löwenanteil des Erlöses in Höhe von 1,17 Milliarden Euro in die klammen Kassen des Stadtstaates, aber hier gilt wie auch in anderen Kommunen (sowie auf Landes- und Bundesebene): Die chronische Unterfinanzierung der öffentlichen Haushalte lässt sich durch einmalige Verkaufserlöse – seien sie auch noch so hoch – allenfalls auf mittlere Sicht lindern. Bleibt die finanzielle Basis in Form von (mangelnden) Einnahmen aus Steuern und/oder Abgaben unangetastet, kommt der »Verkauf des Tafelsilbers« dem Kurieren von Symptomen gleich. Denn statt neuer politischer Gestaltungsspielräume erwachsen den Städten und Gemeinden vor allem seit der von Hans Eichel initiierten »Unternehmenssteuer(spar)reform« aus dem Jahre 2000 fortlaufend neue finanzielle Engpässe, weshalb deren Investitionen inzwischen auf die Hälfte des Niveaus von 1992 gesunken sind.

Das Gewerbesteueraufkommen ist durch das gesunkene Steuerniveau, durch großzügige Verlustvor- und -rückträge und durch den Großunternehmen gewährten Spielraum bei der Wahl ihres Veranlagungsortes eingebrochen, so dass einige Kommunen sogar bei »ihren« Konzernen in der Kreide stehen. Über einst wohlhabenden Großstädten wie Berlin, Darmstadt, Gelsenkirchen und Köln kreist immer häufiger der Pleitegeier, so dass ungeachtet der umwelt- und sozialpolitisch kaum zu überschätzenden Bedeutung eines preiswerten, eng getakteten Bus- und Bahnverkehrs insbesondere auch der ÖPNV privatisiert wird. Und auch im Gesundheitssektor ist keine Trendwende zu erkennen – im Gegenteil: Bei fortlaufender Entwicklung wird 2015 jedes zweite Krankenhaus im Besitz von privaten Betreibergesellschaften wie Asklepios, Helios oder Rhön-Klinikum sein.

»Potenzial eines neuen Klassenkampfes«

Angesichts dieser sich wandelnden »Qualität von Staatlichkeit« (Wolfgang Streeck) ist davon auszugehen, dass die Diskussion der Fragen, welchen Staat und wie viel Staat wir brauchen, auf absehbare Zeit eine bedeutende, wenn nicht gar die zentrale Bruchlinie durch unsere Gesellschaft markieren wird. Jan Roß, Redakteur der Zeit, glaubt gar, dass »in der Auseinandersetzung um den Staat … das Potential eines neuen Klassenkampfes« stecke.(15)

Nachdem lange Zeit die Vorstellung dominiert hatte, der Staat müsse die Feinsteuerung komplexer ökonomischer Systeme übernehmen und im Falle des Marktversagens intervenieren, wurden die »Steuerungsdefizite des Staates und im Staate«(16) spätestens seit der von Helmut Kohl im Herbst 1982 ausgerufenen »geistig-moralischen Wende« unter dem Etikett der »Unregierbarkeit« thematisiert. War die materielle Leistungserbringung durch den Staat einst konstitutiv für diesen, ist seit einem Vierteljahrhundert eine deutlich verstärkte Inanspruchnahme Privater für die Erfüllung vormals öffentlicher Dienstleistungen zu beobachten.

Der Staat ist »übergewichtig« – so lautet die gängige Diagnose, seit der Neoliberalismus weltweit zum »bestimmenden Narrativ« geworden ist.(17) Aber der Staat wird nicht nur als ausbeuterischer, eigenwilliger Leviathan, der seine Bürger mit zu hohen Steuern und Abgaben drangsaliert, um- oder fehlinterpretiert. Zugleich werden Ineffizienzen und Fehlplanungen als Charakteristika des öffentlichen Sektors gedeutet, um vormals partei- und länderübergreifend akzeptierte Schlüsselstellen staatlicher Wirtschaftstätigkeit in private Hände überführen zu können. Worin aber liegen die entscheidenden Unterschiede, ob (Hoch-)Schulen, Wasserwerke und Verkehrsgesellschaften in privatem oder öffentlichem Eigentum stehen?

Der triftigste Grund ist darin zu sehen, dass Eigentum sowohl aus- als auch einschließend wirken kann. Während Privateigentum nach der geltenden Zivilrechtsordnung (§ 903 Satz 1 BGB) eine Ausschlussbefugnis gegenüber Dritten beinhaltet und damit zugleich Schutz vor staatlicher Willkür bietet, stellt sich die Sachlage bei öffentlichem Eigentum genau gegensätzlich dar: Öffentliche Güter und Dienstleistungen unterliegen einem politisch zu bestimmenden Zugriff und erlauben in der Regel die Teilhabe aller Bürger. Sie wirken »integrativ« und egalisierend, weil Menschen sie nicht wie private Güter in Abhängigkeit von ihrer Kaufkraft als Konsumenten erwerben, sondern in Ausübung ihres politischen Rechts als Staatsbürger nutzen.

Diese Unterscheidungsmerkmale deuten an, dass Eigentumsverhältnisse gleich in mehrfacher Hinsicht das Scheidewasser einer Gesellschaft bilden. Da sich die Verfügungsgewalt, das ius disponendi de re sua, nicht allein auf die Nutzung oder Nichtnutzung erstreckt, sondern darüber hinaus soziale Beziehungen stiftet, auslöst, verhindert oder hierarchisiert, sind die Eigentumsverhältnisse seit jeher Gegenstand der Staats-, Rechts- und Sozialphilosophie. So nahm der englische Aufklärer John Locke im 17. Jahrhundert an, Menschen würden sich vornehmlich deshalb einer Regierung unterordnen, weil sie ihr Eigentum geschützt wissen wollten.(18)

Der am 16. November 2006 verstorbene US-amerikanische Ökonom Milton Friedman behauptete ebenso wie andere (neo-)liberale Ökonomen, dass der volkswirtschaftliche Wohlstand steige, je mehr Eigentum sich in privaten Händen befindet. Durch den Trickle-Down-Effekt würde der erwirtschaftete Reichtum – wenngleich zeitlich verzögert – letztlich auch die ärmeren Bevölkerungsschichten erreichen. Dass bei derartigen Grundannahmen lediglich der Zahlungsbereitschaft Bedeutung beigemessen wird, nicht jedoch dem häufigen Fall der Zahlungsunfähigkeit oder der begrenzten finanziellen Ressourcen, ist verständlich, zeugt jedoch von der zu Grunde liegenden unsolidarischen Geisteshaltung: Warum soll es unfair sein, so lautet die wenig subtil formulierte Botschaft, wenn einer Person der Zugang zu etwas verwehrt wird, was sie zuvor hätte erwerben können? Die dogmatische, bisweilen unreflektierte Präferenz zu Gunsten privaten Eigentums dient dem »Hohepriester des Monetarismus«, Friedman, genauso wie einem anderen Vertreter der Chicagoer Schule, James M. Buchanan, als Ausgangspunkt ihrer Überzeugung, dass neben einer Privatisierung des Gesundheits-, Bildungs- und Rentenversicherungssystems auch eine flächendeckende Überführung staatlicher Unternehmen in private Hände erfolgen müsse. Staatliche, gemeinwohlorientierte Wirtschaftstätigkeit wird als »präzeptoral aufgedrängte Tugendhaftigkeit« disqualifiziert.(19)

Gegenentwurf zu Gunsten öffentlichen Eigentums

Den umfassendsten und folgenreichsten Gegenentwurf zu dieser nach wie vor dominanten »Eigentumstheorie« hat Karl Marx verfasst, der »die gesamte Menschheitsgeschichte mit dem Fluchtpunkt der Entstehung des modernen Kapitalismus als Abfolge von Trennungs- und Enteignungsprozessen« rekonstruierte.(20) Seiner Ansicht nach spiegelt das Eigentum als ökonomisch-deskriptive Größe zugleich die gesellschaftlichen Antagonismen wider. Aber auch ohne die marxistische Theorie bemühen zu müssen, lässt sich der zentrale Stellenwert von Eigentumsverhältnissen veranschaulichen.

Wenn öffentliches Eigentum dem Markt mitsamt seinen Ausgrenzungsmechanismen unterworfen wird (und keine kompensatorischen Maßnahmen ergriffen werden), wächst die Gruppe derjenigen, die »auf der Strecke bleiben«, darunter vor allem Obdachlose, Sozialhilfeempfänger und Behinderte. Dabei sind die zuletzt rasant gestiegenen Strom-, Gas- und (Ab-)Wasserrechnungen zuvorderst der Tatsache geschuldet, dass vielerorts nicht mehr gemeinwirtschaftlich operierende Stadtwerke am Markt auftreten, sondern private Anbieter, die sich der öffentlichen Kontrolle weitestgehend entziehen. Die derzeitige Debatte um die vier großen hierzulande tätigen Energiekonzerne E.ON, ENBW, RWE und Vattenfall zeigt, wie verheerend die Folgen für die Verbraucher sind, wenn die Schaffung wettbewerblicher Strukturen misslingt und die Arme der Regulierungsbehörden nicht weit genug reichen. Um die Eigentumsverhältnisse so auszugestalten, dass privatwirtschaftlichen Gewinninteressen Einhalt geboten wird, sollte der Staat aber nicht nur als Dompteur auftreten (z. B. durch Preisvorgaben), sondern auch eigene Angebote schaffen: in Gestalt öffentlicher Güter und Dienstleistungen, mit denen der gesamtgesellschaftlich erwirtschaftete Reichtum allen Bevölkerungsschichten zugute kommt, nicht nur den Kapitalanlegern und denjenigen, die über die erforderliche Kaufkraft verfügen.

Deshalb gehört der öffentliche Sektor nicht nur von den politisch Verantwortlichen zur Kenntnis genommen, wenn es um sensible Belange wie die Herstellung von Banknoten, Briefmarken oder Personalausweisen geht, sondern auch dann, wenn die Kapitalrentabilität die Renditeerwartungen der Privatinvestoren unterschreitet, so dass diese keine Investitionen tätigen. Betrifft die »privatwirtschaftliche Abstinenz« Sektoren der öffentlichen Daseinsvorsorge wie das Gesundheits-, Verkehrs- oder Bildungswesen, muss der Staat im Interesse seiner Bürger tätig werden – entweder indem strikte Auflagen ausgesprochen werden (was sich oft als wenig wirkungsvoll erweist), oder indem Unternehmen in öffentlichem Eigentum diese Aufgaben wahrnehmen. Wie die verfehlten Geschäftspolitiken der Berliner Sparkasse und der Sächsischen Landesbank zeigen, bedarf es dazu aber nicht nur einer (Wieder-)Herstellung staatlicher Verfügungsrechte, sondern vor allem einer eindeutig definierten und demokratisch legitimierten Zielsetzung im Sinne der Gemeinwirtschaftlichkeit.

Leonid Hurwicz, Träger des diesjährigen Wirtschaftsnobelpreises, argumentiert: »Freie Märkte mögen frei sein, aber sie sind nicht immer das Beste. Das ist eigentlich ein wohl bekannter Fakt, der zu den wichtigsten Grundlagen unseres Faches gehört. … Für mich lautet in jeder konkreten Situation die Frage, wie viele Abstriche wir vom Ideal eines freien, gut funktionierenden Marktes machen müssen und welche. Viele Leute denken darüber nie besonders tief nach. Die fordern eine bestimmte Marktstruktur nicht als eine Lösung für ein Problem, sondern als ideologisches Ziel. Sie reden sich ein, man solle nach einem perfekten Markt streben, und gehen damit den wirklichen Problemen aus dem Weg.«(21)

Glaube an die Allmacht des Marktes erschüttert

Wie die Bürgerentscheide gegen Privatisierungen in Düsseldorf, Freiburg, Mülheim an der Ruhr und andernorts zeigen, ist der Glaube an die Allmacht des rein privatwirtschaftlich organisierten Marktes erschüttert. Eine vor wenigen Monaten von der Zeit in Auftrag gegebene Umfrage ergab, dass 67 Prozent der Bundesbürger Unternehmen wie die Deutsche Bahn und die Energieversorgung in staatlicher Hand lassen wollen. Sie realisieren, dass bei jeder Privatisierung ein Stück weit durchschlägt, was das lateinische Ursprungswort »privare« bedeutet, nämlich »rauben«. In dem von Jörg Lau verfassten Kommentar mit dem Titel »Viel Sehnsucht, viel Angst« heißt es: »Bei keinem Thema wird die Abkehr vom so genannten ›Neoliberalismus‹ so deutlich wie bei der Privatisierung von Staatsunternehmen. Die Anhänger der Volksparteien lehnen dies noch heftiger ab als der Rest des politischen Spektrums. Bei den Wählern der Linkspartei ist der Widerwille gegen die Deregulierung von Infrastrukturunternehmen nur geringfügig stärker als bei Union und SPD: 72 Prozent der SPD-Wähler, 71 Prozent der Unionswähler und 76 Prozent der Linke-Wähler sind sich einig darin, dass Bahn, Post und Gaswerk beim Staat besser aufgehoben sind als in privaten Händen. … Die Zeiten, in denen man dem Staat nichts zutraute und unterstellte, dass private Akteure fast alles besser oder günstiger bereitstellen könnten, sind gründlich vorbei. Die Staatlichkeit ist gerade durch die fortschreitende Globalisierung wieder zum Adressaten für Schutzwünsche und Sicherheitserwartungen geworden.«(22)

Da Eigentumsverhältnisse nach wie vor als eine politisch konstruierte Entscheidung zu begreifen sind, sollte in Zukunft stärker als bislang auf die eingangs geschilderten Positivbeispiele staatlicher (Wirtschafts-)Tätigkeit Bezug und die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse Einfluss genommen werden. Allzu häufig wird die Debatte um Deprivatisierungen noch von konditionierten Reflexen – »Weg zur Knechtschaft«, »Staatssozialismus«, »Kommandowirtschaft« – dominiert. Dabei wird es Zeit, dass eine in Vergessenheit geratene Sparte der Ökonomie eine Renaissance erlebt: die Kommunalwirtschaft. Denn es liegt vor allem an den Kommunen, eine auf sozialen Ausgleich angelegte »Daseinsvorsorge« mittels bürgernaher Beratungsangebote, gestaffelter Gebühren und unentgeltlicher Nutzungen zu gewährleisten. Die sich mehrenden Beispiele gelungener kommunaler Wirtschaftstätigkeit lassen die Vorzüge öffentlicher Güter und Dienstleistungen eindeutig erkennen: die vergleichsweise preiswerte Gewährleistung der Versorgungssicherheit, die Sicherung von Beschäftigung und die Begrenzung sozialer Ungleichheiten auf personeller wie räumlicher Ebene.

1

Zitiert nach: Stefan Scheytt (2007): »Weg mit Schaden«, in: brand eins, 9/07, S. 34; hatte der Preis für einen Kubikmeter Trinkwasser 1998 noch bei 4,92 D-Mark (ca. 2,52 Euro) gelegen, belief sich dieser unmittelbar vor der Rekommunalisierung auf 8,80 D-Mark (ca. 4,47 Euro).

2

Siehe Günter Hoffmann (2006): »Sozialistische Müllhaufen«, in: Die Zeit, 28.9.06, S. 13.

3

Matthias Bartsch, Cordula Meyer, Markus Verbeet (2007): »Profis an der Spitze«, in: Der Spiegel, 11.6.07, S. 50.

4

Florian Vollmers (2006): »Kommunen entdecken den Charme des Hausmülls«, in: Handelsblatt, 18.10.06, S. 1.

5

Matthias Bartsch, Cordula Meyer, Markus Verbeet (2007), a. a. O., S. 48.

6

Ulrike Meyer-Timpe (2006): »Begehrter Müll«, in: Die Zeit online, 22.6.06 (abgerufen am 9.11.2007).

7

Weitere Details zu finden bei Beatus Kamenzin, Martina Schächtele (2005): Ergebnisbericht zur Neuausrichtung der Gebäudereinigung, Freiburg, S. 4–17 und unter www.kommunalverwaltung.verdi.de/themen/rekommunalisierung/dortmund-reinigung (abgerufen am 11.11.2007)

8

John Moore (1983): »Why privatise?«, in: John A. Kay, Collin Mayer, David Thompson (eds.): Privatisation and Regulation. The UK Experience, Oxford, S. 93.

9

Mario Candeias, Rainer Rilling (2007): »Privatisierung in der Krise?«, in: RosaLux, 3/07, S. 12.

10

Zitiert nach: Klaus-Peter Schmid (2006): »Kommunalwaren. Alles muss raus«, in: Die Zeit, 22.6.06, S. 19.

11

Vgl. Karsten Polke-Majewski (2006): »Dresdner Coup«, in: Die Zeit online, 10.3.06 (abgerufen am 10.11.2007) und Mario Candeias, Rainer Rilling (2007), a. a. O., S. 12.

12

Ulrike Meyer-Timpe (2006): »Käufliches Hamburg«, in: Die Zeit, 6.7.06, S. 21.

13

Ole von Beust, zitiert nach: Stefan Scheytt (2007), a. a. O., S. 35.

14

Hanno Mußler (2007): »Hohe Zeichnungsgewinne mit HHLA«, in: FAZ, 3.11.07, S. 23.

15

Jan Roß (2000): Die neuen Staatsfeinde. Was für eine Republik wollen Schröder, Henkel, Westerwelle und Co.?, Frankfurt am Main, S. 20.

16

Martin Jänicke (1993): »Vom Staatsversagen zur politischen Modernisierung?«, in: Carl Böhret, Göttrik Wewer (Hrsg.): Regieren im 21. Jahrhundert – zwischen Globalisierung und Regionalisierung. Festgabe für Hans-Hermann Hartwich zum 65. Geburtstag, Opladen, S. 65 (Hervorh. im Original).

17

Eva Kreisky (2001): »Ver- und Neuformungen des politischen und kulturellen Systems. Zur maskulinen Ethik des Neoliberalismus«, in: Kurswechsel, 4/01, S. 38.

18

Vgl. John Locke (1966): Über die Regierung, Reinbek bei Hamburg, S. 26 ff.

19

Gerhard Willke (2003): Neoliberalismus, Frankfurt am Main/New York, S. 68

20

Wolfgang Hein, Reinhart Kößler, Michael Korbmacher (2006): »Historisch-kritische Überlegungen zum Eigentum«, in: Peripherie, 101/102 (2006), S. 6.

21

Thomas Fischermann (2007): »›Wie schlimm ist es?‹, Interview mit dem Wirtschaftsnobelpreisträger Leonid Hurwicz«, in: Die Zeit, 18.10.07, S. 35.

23

Jörg Lau (2007): »Viel Sehnsucht, viel Angst«, in: Die Zeit, 9.8.07, S. 3.

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 1/2008