Jens Thomas

Ich bin nicht schwul, und das ist auch cool so

Homophobie im deutschen HipHop: Sexismus in Reinform oder Fiktion nach Maß?*

Die Debatte um jugendgefährdenden, aggressiven Machismo-Rap hat eine neue Dimension bekommen. Neben den überbordenden phallisch-dominierten Sexismus tritt eine verfassungsfeindliche Schwulenfeindlichkeit. Kein Fall hat in letzter Zeit den Docht zur Debatte um gewaltverherrlichenden HipHop so entzündet wie der Fall G-Hot. Erstmals mischte sich die Politik derart in die Diskussion um gewaltverherrlichenden, sexistischen und auch homophoben HipHop ein. Unser Autor beschreibt die Entwicklungen und Hintergründe.

Sexismus, Homophobie: Nichts Neues, aber eine neue Dimension

G-Hot, Rapper aus Berlin und einstig beim Label Aggro Berlin unter Vertrag, schrieb mit seinem Kumpel »Die Kralle« den Song Keine Toleranz. Er fordert darin, »Schwuchteln« die Schwänze abzuschneiden und will es nicht hinnehmen, dass Schwule Deutschland »regieren«. Der Track landete im Internet, eine unbekannte Rapperin klagte, die Schwulen- und Lesebenverbände gingen auf die Barrikaden, selbst die Grünen positionierten sich auf ihrer Homepage gegen homophobe Entgleisungen im deutschen HipHop.(1)

Bislang drehte sich die Diskussion noch um Rassismus und plakative Deutschtümelei innerhalb der Szene, die der Autor und Ex-Rapper Hannes Loh (Anarchist Academie) durch sein Buch Fear of a Kanak Planet(2) entfachte. Sexismus und Homophobie sind im HipHop wirklich nichts Neues: Amerikanische Interpreten von Blowfly bis 2 Live Crew verwechselten schon immer das Mikrofon mit dem Penis und ließen sexistische Zeilen kommen, wenn sie auch, wie im Falle Blowfly, parodistisch, übertrieben und ironisch waren. In Deutschland hat »Battle-Rap« mit sexistischem Einschlag allerdings erst seit dem Boom von Aggro Berlin um die Jahre 2001/2002 Hochkonjunktur.(3)

Während jedoch die rassistischen und deutschnationalen Entgleisungen der letzten Jahre innerhalb der Szene im Grunde zu keinen Spaltungen zwischen verschiedensten Ethnien und Nationalitäten führten – gemeinsame Auftritte sind der Alltag –, stellt die Zunahme von homophoben Reimen eine neue und antidemokratische Dimension dar. Denn homosexuelle Interpreten sind im HipHop nicht nur eine Marginalie, sie bleiben aus der Szene auch so gut wie ausgeschlossen.(4)

Der Popularitätsschub von sexistischem, unter die Gürtellinie gehendem Machismo-Rap der letzten Jahre drückt zum einen jene zeitgenössische Angst aus, keinen Platz in einer auf permanenten Wettbewerb zentrierten Dienstleistungs- und Aufmerksamkeitsökonomie zu finden. Homophobe, sexistische und gewaltverherrlichende Texte sind Ausdruck von Spaltungstendenzen in der Gesellschaft. Geschlecht wird zu einer zentralen, identifikationsstiftenden und fixen Kategorie, auf die man sich bezieht, wenn Sicherheit beruflich nicht mehr garantiert werden kann. Das Geschlecht kann einem so schnell keiner nehmen. Zum anderen ist Sexismus in Reimform Teil einer Erlebniskultur und wird spielerisch im Modus der Übertreibung vermittelt. Homophobe und sexistische Einstellungen koexistieren mit rechtlichen Zusprüchen an Frauen und Homosexuelle. Die Anerkennung von Gleichgeschlechtlichkeit wird als Provokation empfunden und es wird mit Provokation reagiert. Schließlich kommt es auch zu einer Ethnisierung des Problems: Drehte sich die Debatte um Rassismus und Nationalismus im HipHop bislang um Rapper mit und ohne Migrationshintergrund – hier sei besonders das Beispiel Fler (Aggro Berlin) hervorgehoben –, erscheinen homophobe Reime nun als ein Problem von deklassierten und marginalisierten Jugendlichen mit Migrationshintergrund per se.

Homophobe Einstellungsmuster in der Gesellschaft

Aufschluss gibt eine erst kürzlich erschienene Studie über homophobe Einstellungen Jugendlicher, die im Auftrag des Lesben- und Schwulenverbandes in Zusammenarbeit mit dem Sozialpsychologen Bernd Simon von der Universität Kiel erstellt wurde.(5) Das Ergebnis: Gerade männliche migrantische Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund zeigen sich in der Studie vermehrt schwulenfeindlich. Knapp 80 Prozent dieser Gruppe halten es beispielsweise für »abstoßend«, wenn sich zwei Männer auf der Straße »küssen«.

Allerdings ist es problematisch, von einer Ethnisierung zu sprechen, denn die Studie zeigte auch, dass patriarchale Familienstrukturen, Religiosität und das Gefühl, in der Gesellschaft nicht integriert zu sein, Gründe für die verstärkte Abneigung gegen Gleichgeschlechtlichkeit sind. Homophobie unter arabischen und türkischstämmigen Jugendlichen kann also auch Zeugnis von Integrationsversäumnissen sein. Bis heute haben migrantische Jugendliche nicht das Gefühl, in einer Gesellschaft im gleichen Maße angekommen zu sein wie andere Gleichaltrige. Nationale Bildungsberichte und PISA-Ergebnisse demonstrieren den Zusammenhang von Migrationsstatus und schlechten Schulabschlüssen.

Zudem zeigten andere Studien, dass homophobe Einstellungen auch unter »deutschen« Jugendlichen weit verbreitet sind. So ergab eine repräsentative mündliche Befragung von 12- bis 17-jährigen Jugendlichen vom Marktforschungsinstitut iconkids & youth aus dem Jahre 2002, dass 61 Prozent der deutschen Jugendlichen gegenüber »Schwulen« und »Lesben« negative Einstellungen haben – sie finden sie »nicht« oder »überhaupt nicht gut«.(6) Die Studie verdeutlichte auch, dass vorwiegend männliche Jugendliche Vorbehalte gegen Homosexuelle haben.(7) Über eine generelle Zunahme von homophoben Einstellungsmustern in der Gesellschaft lässt sich dagegen nur spekulieren. So kommt der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer zu dem Schluss, dass sie – wenn auch geringfügig – abgenommen haben.(8) Zur Entwicklung homophober Einstellungen über Jahrzehnte lassen sich jedoch nur schwer Schlüsse ziehen, es gibt im Gegensatz zur Migrations- und Rechtsextremismusforschung keine vergleichende langjährige Forschungstradition.

Homophobie gilt in Heitmeyers Studien als Teil des Syndroms »Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« (GMF).(9) Parallel zu homophoben Einstellungsmustern ist auch eine Sensibilisierung gegenüber homophoben und menschenverachtenden Erscheinungsformen in der Gesellschaft zu beobachten. Gerade die Akzeptanz gleichgeschlechtlicher Lebensweisen führt auch zu Distinktionsreflexen und Abwehrmechanismen.

Homophobe und sexistische Texte im HipHop zeugen von Abwehrreaktionen. Exemplarisch dafür steht die Entwicklung in der deutschen Szene: Wurde HipHop zunächst als US-amerikanischer Importschlager der späten Siebzigerjahre aus dem Boden gestampft und hielt zu Beginn der Neunzigerjahre in deutschsprachiger Version Einzug in die Charts, ist HipHop heute auch Begleitmusik zur Deklassierung, der Soundtrack für Hartz 4. Zu Beginn der Neunzigerjahre waren die Stuttgarter »Die Fantastischen Vier« Vorzeigefiguren im Garten Pop, die Spaßkultur fern von amerikanischem Gangstergehabe als Unterhaltungsformat mit Vordiplom etablierten. Heute triumphieren Rap-Starschnitte wie Bushido oder Sido. Sie bilden die Lebensformen vieler Jugendlicher am Rande der Gesellschaft ab, ästhetisieren ihre Lebensweisen und bieten Identifikationsfolien.

HipHop in Deutschland kehrt sozusagen wieder zu seinen Wurzeln zurück und ist Sprachrohr der Marginalisierten. Wurde HipHop in den Neunzigerjahren zunächst durch MTV und Viva zum spaßzentrierten Verkaufsschlager für Jugendliche geschaffen, werden heute Ängste im Zuge von Orientierungslosigkeit und gesellschaftlicher Misere in Popformate verwandelt. Auch das gab es schon. In den Neunzigerjahren etablierte sich antirassistischer HipHop, als Zeichen verfehlter Integrationspolitik und als Gegenoffensive zu den pogromartigen Ausschreitungen gegen Asylbewerber der Nach-Wende-Zeit verstanden, der insbesondere durch die aus Heidelberg stammenden Advanced Chemistry populär wurde. HipHop wurde so auch für das linke Lager interessant.

Heute ist der Ton überdreht rauer, an keinem politisch korrekten Duktus geschult, es dominiert anti-akademische Übertreibungskunst. Ob Rapper Fler den Proto-Deutschen am Berliner Randbezirk unter ausländischen Jugendlichen mimt oder G-Hot Klartext reimt und Schwule am besten gleich kastrieren will: Für jeden gescheiterten oder in der Selbstsuche steckenden Jugendlichen gibt es das entsprechende Format. Seit 2000, so lässt sich grob skizzieren, kehrt sozial geerdeter, an sozialen Verhältnissen rüttelnder HipHop wieder auf die Plattenteller zurück, der aber zugleich geschlechtliche, ethnische und nationale Kategorien festschreibt und Ausgrenzungen (bewusst) forciert.

Sexismus als Teil der Unterhaltungskultur

Diese Übertretungen sind natürlich auch marktstrategisch durchdacht. Nicht alles, was gereimt wird, ist so gemeint. Die im Kreuzfeuer der Kritik stehenden Rapper wissen sehr wohl um die Aporien ihrer Übertreibung. Sie produzieren Kritik bewusst, sie erwarten sie, nicht selten wird sie erhofft. Die Spielweise des HipHops ist also geradezu an der Demokratie mitsamt ihren medialen Spielregeln geschult. Seitdem es HipHop gibt, gibt es auch die Debatte darüber, ob rassistische, schwulen- und frauenfeindliche Entgleisungen nur die Realität widerspiegeln. Zum einen gilt HipHop als reale Erlebniswelt, die wahre Gefühle und Emotionen transportiert und Authentizität verkörpert. Die Interpreten wollen also mit dem, was sie sagen, ernst genommen werden, wenn man sie auch oft nicht ernst nehmen kann oder will. Zum anderen, und gerade darum, ist HipHop natürlich Fiktion, Übertreibungskunst in Reinform.

Die homophoben und sexistischen Entgleisungen im deutschen HipHop sind im Grunde eines: die Wahrheit. Zwar möchte weder ein Bushido »Tunten vergasen«, so eine Zeile in einem Track, noch ein G-Hot »Schwänze abschneiden«. Das mag allenfalls eine Zuspitzung dessen sein, was für viele ein Problem ist, nämlich, dass sich Schwule freizügig zeigen und in einer demokratischen Gesellschaft gleichberechtigt sein wollen. Bushido gibt genauso selbstverständlich zu verstehen, dass Schwule nicht normal seien wie G-Hot unverblümt einräumt, dass es in seinen Kreisen normal wäre, Schwule scheiße zu finden.

Diese Entgleisungen sind Teil einer Unterhaltungskultur, in der die Geschlechterfrage zunehmend humoristisch oder durch die Kunst des Übertreibens geklärt wird. Für die Interpreten bleibt so immer ein Hintertürchen im Argumentationsfeld offen. Man sage nur, was der Volksmund spricht oder habe ohnehin nicht alles so ernst gemeint.

Die Linguistin Helga Kotthoff hat in ihrem Buch Das Gelächter der Geschlechter(10) angeführt, dass sich der »Belästiger« durch dieses Gelächter immer wieder mit dem Argument »zurückziehen« könne, er habe nur einen Scherz gemacht. Für die einen mag das ein Festival der Kalauer sein, für andere spaßig konnotierte sexuelle Belästigung. Wer über diese Scherze nicht lachen kann, gilt schnell als humorlos, prüde und verkrampft. So herrscht gerade bei obszönen Scherzen und dem Spiel überzogener Beleidigung ein gewisser Druck, alles tolerieren zu müssen. Wer Humor hat und wer nicht, definieren die medial Mächtigen.

Auch Rapper greifen im Zuge mediatisierter Geilheit auf einen Fundus von Stereotypen zurück und agieren mit sexuell konnotiertem Angriffswitz. Im spielerischen Modus der Beleidigungen werden Realitätsbezüge gelockert, zugleich verfestigt. Wer nicht lacht oder mitmacht, ist Spielverderber, wer mitlacht, bestimmt den Diskurs. Das schließt andere zwar nicht gleich aus, schließt aber viele nicht mit ein. Witzigkeit und die Kunst des Übertreibens wird Frauen bis heute nicht im gleichen Maße attestiert wie Männern. Die deutsche HipHop-Aktivistin Lady Bitch Ray mag eine Ausnahme sein, wenn sie sich mit Verweisen auf ihren »Fotzen-Bonus« zur Porno-Rap-Queen stilisiert. Mädchen üben sich in ihren Cliquen, so Helga Kotthoff, kaum in aggressiven Angriffsscherzen und auch nicht in dessen Abwehr. Bei Homosexuellen sieht das ähnlich aus. Heterosexuelle Jungen hingegen sozialisieren sich zunehmend mit Praktiken des Angriffshumors.

Neue deutsche Battle-Härte und neue Männlichkeit

Das heißt nicht, dass Frauen nicht sexistisch und homophob sein könnten. Doch gerade am Beispiel Lady Bitch Ray wird deutlich, dass verbale Überspitzungen von weiblicher Seite in der Regel weder Ängste instrumentalisieren noch Angriffe auf andere Minderheiten darstellen: Lady Bitch Ray inszeniert das Spiel sexualisierter Übertreibung in Form ironischer, plakativer Gegenwehr gegen männliche Dominanz in der HipHop-Szene. Ihr Kontern ist Zeugnis eines hohen Reflexionsgrades; Frauen üben sich kaum in sexualisierten Übertreibungen als Eigenleistung, ihre Duelle sind Abwehr von männlich promiskuitiver Leistungsübertreibung. Ein homosexuelles humoristisch parodistisches Pendant dieser Art gibt es in der Szene bis heute nicht.

Dass sich hinter Leistungsübertreibungen heterosexueller Jugendlicher in Wahrheit panische Ängste vor »Entmännlichung« (Horst-Eberhard Richter)(11) verbergen, dürfte ein offenes Geheimnis sein. Die Ängste der Jugend sind – glaubt man den Shell-Jugend-Studien – gerade die vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Im Gegensatz zu jungen Frauen, die aus Furcht vor Arbeitslosigkeit großen Ehrgeiz entwickeln, quartieren sich Jungs heute möglichst lange im »Hotel Mama« ein. Von diesen Ängsten zeugen auch die neuesten sexistischen und homophoben Ausfälle in der HipHop-Szene: Sie sind Angriff in und Abwehr einer Risikogesellschaft, in der Frauen nicht nur Hosen anhaben und längst die besseren Schulabschlüsse mit nach Hause bringen, sondern in der auch Schwule Bürgermeister werden. Sie sind Angriff in und einer Risikogesellschaft, die zugleich eine Konsensgesellschaft ist, in der alle miteinander sollen, in der Männlichkeit mitunter »neue Männlichkeit« bedeutet und diese Männlichkeit auch das Weibliche im Manne meint.

Zugegeben: Dieser »neue« Mann ist ein Medienprodukt.(12) Er wurde zu Beginn der 1990er-Jahre von den Medien lanciert. Der Sozialwissenschaftler Detlef Pech behält Recht, wenn er in seinem Buch Neue Männer und Gewalt(13) schreibt, dass der Begriff des »neuen Mannes« in den Medien eindeutig negativ bestimmt war. Das Neue an ihm war, was vom tradierten Männlichkeitsentwurf abwich, zugleich war es mit einem empfundenen Machtverlust verbunden; das meinte das Weibliche im Manne, also das, was heute im Jugendjargon als schwul gilt und als Schimpfwort locker über die Lippen auf deutschen Schulhöfen geht. Gleichwohl heißt neue Männlichkeit heute, dass sich junge Männer den Gegebenheiten einer umstrukturierten globalisierten Lohnarbeitswelt anpassen müssen, in der als weiblich geltende Kompetenzen, die soft skills, abverlangt werden.

Die sexistischen und homophoben Tendenzen im HipHop sind auch Ausdruck dieser Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt in einer globalisierten Arbeitswelt. Durchsetzungskraft ist immer weniger an Körperkraft in einer Gesellschaft gekoppelt, in der zunehmend kognitive Kompetenzen gefragt sind. Detlef Pechs Anmerkungen sind treffend, wenn er resümiert, dass sich mittels der drei großen repräsentativen Studien über Männlichkeit in der Bundesrepublik vor allem eines sagen lässt: dass eine Verlagerung in den Selbstbeschreibungen der Männer stattfindet. Die einstige Zusammenführung von Männlichkeit und Gewalt als Verständnis von Durchsetzungskraft und Macht gilt so nicht mehr. In diesem Punkt treffen sich Pechs Argumente mit denen von Robert W. Connell, der von »hegemonialer Männlichkeit«(14) spricht. Connell attestiert der Gesellschaft, dass die Legitimation patriarchaler Macht »zusammengebrochen« sei, wenn es auch ein Patriarchat gibt. Eine weltumspannende Bewegung für die Emanzipation der Frauen sei entstanden. Ähnliches gilt auch für die Homosexuellen, wenn auch in deutlich geringerem Maße.

Gegenentwurf HipHop und Integrationsversäumnisse

Weil es Eindeutigkeiten nicht mehr gibt, sind virile Formen von Männlichkeit für viele erstrebenswert. In diesem Punkt muss HipHop in seiner sexistischen Spielweise als plakativer Gegenentwurf in einer Gesellschaft begriffen werden, in der ein veraltetes Männlichkeitsmodell ausgedient hat. Das gilt für das Arbeitsleben ebenso wie für die Vorstellung von Geschlecht. Nicht nur in der Arbeitswelt wird schnelle Anpassungsleistung verlangt. Auch die Geschlechterbilder sind im Zuge der Individualisierung durcheinander geraten und überfordern Jugendliche.

Die Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit ist ein Produkt der Moderne: Seit dem 18. Jahrhundert kann man in Europa und Nordamerika, zumindest in den atlantischen Anrainerstaaten, von einer Geschlechterordnung sprechen, durch die Männlichkeit im heutigen Sinne definiert ist und als Gegensatz von Weiblichkeit gilt,(15) wenngleich es im frühen 18. Jahrhundert auch schon effeminierte Männer gab, die Frauenkleider trugen, tanzten und miteinander schliefen. Gerade aber Pop hat im Zuge der Friedensbewegung der Sechzigerjahre des letzten Jahrhunderts zu einer Aufweichung von Geschlechterstereotypen geführt. Die Hippie-Bewegung, Punk und elektronische Musik, insbesondere das Genre High Energy,(16) denaturalisierten seit den späten Sechzigerjahren Geschlechterbilder und ironisierten Maskulinität. HipHop blieb von solchen Entwicklungen immer relativ unberührt. HipHop war, ähnlich wie die Jugendkultur der Skinheads, eine »traditionelle Geschlechterstrukturen konservierende Praxis«, wie das Soziologen-Duo Malte Friedrich und Gabriele Klein in ihrem Buch Is this real? anführt.(17)

HipHop war nie dezidiert links. Das wurde nur gerne geglaubt. Ein Teil der HipHop-Szene gab sich immer schon bewusst offen geldgierig, war mit konkurrenzkapitalistischen Regeln per Du, nur eben bemüht, Straßengewalt in Wortgewalt zu verwandeln, scherte sich aber einen Dreck um politisch korrekte Worte und Liebeserklärungen an eine offene, freie und demokratische Gesellschaft. Das wird heute nur in geballter Form deutlich, denn für einen Teil der Szene galt schon immer: Es gibt keine völlige Gleichberechtigung und soll es auch nicht geben. Pädagogen, Sozialarbeiter und Akteure der HipHop-Szene selbst haben migrantische Jugendliche jahrelang von rassistischen Topoi und verbalen Fehltritten freigesprochen. Wer »ausländisch« war, konnte nicht »ausländerfeindlich« sein. Über Sexismus redete man erst gar nicht, zu schnell wurde der Vorwurf erhoben, hier beschuldige eine Majorität die Außenseiter der Bundesrepublik, das sei dann rassistisch.

Zudem wurde Sexismus im Gegensatz zu Rassismus immer als Bagatelle abgehandelt, schließlich gab es die Forderung eines Ausschlusses des anderen Geschlechts aus einer nationalen Gemeinschaft nicht, vielmehr einen Einschluss unter männlichen Vorzeichen. Und wenn die Jugendlichen in den Jugendklubs die Mikros in die Hand nahmen und zum Rappen ansetzten, dann war das schon per se ein Beitrag zur Integration.

Die Entwicklung in der deutschen HipHop-Szene der letzten Jahre zeugen von Integrationsversäumnissen in dreierlei Hinsicht: Zum einen wurde vieles als Integration gewertet, was auf Multikulti hindeutete, aber nicht für Gleichberechtigung stand. Zum anderen wurden Migranten und ethnische Minderheiten nicht integriert, was sich heute (auch) in Form ethnisch fixierter, sexistischer und homophober Reime zeigt. Und drittens zeugen die Entwicklungen in der HipHop-Szene von generellen Integrationsversäumnissen, unabhängig von Ethnizität und Nationalität: Auch nationaler HipHop konnte sich als Exportschlager etablieren, und zwar gerade in ostdeutschen Gefilden. So machte vor etwa einem Jahrzehnt die Schneeberger Gruppe »Anti« mit ihren Reimen auf sich aufmerksam, die Mehrheitsgesellschaft würde sie wie »Asylanten« und »Ostnigger« Deutschlands behandeln. Vor wenigen Jahren legte die Dessauer Gruppe Dissau Crime frisches Holz aufs Feuer, als sie auf ihrer Scheibe »Zyklon D« mit der »Flak« auf das »Judenpack« in einer »Fuck-Homo-Welt« zielte und anschließend indiziert wurde.

In der HipHop-Szene ist man an Grenzen durch Grenzenlosigkeit gestoßen. Vielfach weiß man nicht mehr, mit welchen Zeilen man rechtsextreme Argumentationsmuster bedient, wenngleich man sich nur in Übertreibung übt. Und wenn auch Okkupationsversuche von rechtsextremer Seite in der HipHop-Szene bislang relativ gescheitert sind, gibt es Überschneidungen: Rechtsextreme sind beileibe nicht »schwulenfreundlicher« als ein Teil der HipHop-Szene und sie werden von den Fehlschlägen á la G-Hot positiv Notiz nehmen. Und überhaupt: Auch der Boom rechtsextremer Musik zeugt nicht nur von Ängsten in einer globalisierten Welt, sondern auch von versäumter Integration. Rechtsextremismus keimt vorwiegend in strukturschwachen Regionen Ostdeutschlands, wenngleich Rechtsextremismus genauso wenig auf Ostdeutschland reduziert werden kann wie Homophobie auf ethnische Minderheiten. In diesem Sinne gibt es keine Ethnisierung des Problems, sondern ein Problem mitverschuldet durch Deklassierung, Marginalisierung und Desintegration als Nährboden für menschenverachtende Texte. Davon lässt sich auch die HipHop-Szene als Unterhaltungsformat nicht ausnehmen.

* Dieser Text ist eine leicht abgeänderte Version des gleichnamigen Textes aus testcard # 17 »Sex« und ein leicht gekürzter Vorabdruck eines Beitrages im Ventil Verlag, Mainz.

1

Das Label Aggro Berlin kündigte ihrem Interpreten G-Hot anschließend die Zusammenarbeit.

2

Hannes Loh, Murat Güngör: Fear of a Kanak Planet. HipHop zwischen Weltkultur und Nazirap, Planegg/München: Hannibal Verlag 2002.

3

Als erster Nennenswerter dieses Genres hierzulande muss der Berliner Rapper Kool Savas gelten, der schon vor dem Boom von Aggro Berlin derartige Schmuddelreime über Takte legte.

4

Homosexuelle Rapper, die ihre Gleichgeschlechtlichkeit in den Medien thematisieren oder sogar ihren Stil darüber definieren, sind mir hierzulande nicht bekannt. Im Gegensatz dazu gibt es in den USA und in Großbritannien mittlerweile durchaus homosexuelle Rapper wie Soce, Deadlee, Q-Boy oder Johnny Dangerous, die allesamt Protagonisten einer queeren Rapszene sind. Der homosexuelle Westcoastrapper Deadlee startete beispielsweise eine »Homorevolution Tour«.

5

http://www.berlin.lsvd.de/cms/files/Zusammenfassung%20Simon-Studie.pdf

6

http://www.iconkids.com/deutsch/05presse/2002.html

7

Mädchen sind der Studie zufolge »toleranter« als Jungen. Während 71 Prozent der Jungs offen ihre negative Einstellung zu »Schwulen« bekannten, äußerten »lediglich« 51 Prozent der Mädchen Vorbehalte gegen Homosexuelle.

8

Wilhelm Heitmeyer (Hrsg): Deutsche Zustände. Folge 5; Frankfurt am Main: edition suhrkamp 2007, S. 22.

9

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit subsumiert die Elemente Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie, Obdachlosenabwertung, Behindertenabwertung, Islamophobie, Etabliertenvorrechte und Sexismus.

10

Helga Kotthoff (Hrsg): Das Gelächter der Geschlechter. Humor und Macht in Gesprächen von Frauen und Männern, Konstanz: UVK Universitätsverlag 1996, S. 20.

11

Horst-Eberhard Richter: Die Krise der Männlichkeit, Gießen: Psychosozial-Verlag 2006.

12

Die Forscher Paul Zulehner und Rainer Volz gehen 1998 in einer repräsentativen Studie von 20 Prozent dieser »neuen« Männer in der Bundesrepublik aus. 19 Prozent seien »Traditionelle«, mit 37 Prozent gehören die meisten Männer ihres Erachtens zur Gruppe der »Unsicheren«. Vgl. Paul Zulehner, Rainer Volz: Männer im Aufbruch. Wie Deutschlands Männer sich selbst und wie Frauen sie sehen. Ein Forschungsbericht, Ostfildern: Schwabenverlag 1998.

13

Detlef Pech: »Neue Männer und Gewalt«. Gewaltfacetten in reflexiven männlichen Selbstbeschreibungen, Leverkusen: Leske+Budrich 2002.

14

Robert W. Connell: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Hamburg: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2006.

15

Ebd.: S. 210.

16

High Energy gilt als Grundstein heutiger elektronischer House-Musik und war besonders populär in der Homosexuellen-Szene.

17

Vgl. Gabriele Klein, Malte Friedrich: Is this real? Die Kultur des HipHop, Frankfurt am Main: edition suhrkamp 2003.

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 1/2008