Michael Ackermann

Editorial



Schon eine Präsidentin Hillary Clinton wäre ein Einschnitt in der Entwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika gewesen. Die Präsidentschaft von Barack Obama wirkt noch einschneidender. Sie stellt einen Bruch mit der weißen Vorherrschaft in der Gesellschaft dar – und sie enthält die Chance für eine Erneuerung der eigenen und der internationalen Beziehungen. Die Botschaft des »politischen Gottesdienstes« bei der Amtsübernahme zielte über den Appell an die Werte der Nation und die Stärkung des Selbstbewusstseins aller BürgerInnen hinaus auf den Geist einer Umkehr. »Ab heute müssen wir aufstehen, den Staub abklopfen und mit der Arbeit beginnen, Amerika zu erneuern«, war einer der zentralen Sätze von Obama. Zugleich wurde fast alles, was die Ära Bush jr. ausmacht, in dieser Rede in Frage gestellt oder verabschiedet. Die ersten Amtshandlungen bestätigten diesen Trend.

Gewiss hatte die Antrittsrede die Form einer Predigt. Neben den intellektuellen und sprachlichen Eigenheiten dieses Präsidenten speist sich diese Form auch aus der institutionellen Stellung und Machtfülle des Amtes. Dass dem 44. Präsidenten gelegentlich die Heilserwartungen einer »Lichtgestalt« entgegengebracht werden, hat etwas mit der Lage des Landes zu tun – zugleich sind solche Überhöhungen so bezeichnend wie gefährlich. Bezeichnend, weil sie die Hoffnungen auf die Kraft der Veränderung auf ein Individuum richten. Gefährlich, weil in einem solchen Verständnis von »Bürgerkönigtum« tendenziell die Bedeutung von Strukturen und Institutionen unterschätzt wird. Beiden Haltungen hat Obama allerdings entgegengewirkt. Anders als deutsche Bundespräsidenten, die wohlfeile »Ruckreden« nicht verantworten müssen, weiß der amerikanische Präsident, dass er an Ergebnissen gemessen wird, die nicht von ihm alleine abhängen und nicht durch Beschwörungen erreicht werden.

Größer als die Gefahren einer Überschätzung der Möglichkeiten dieser Präsidentschaft sind die realen Herausforderungen. Die Absage an eine dichotomische Weltsicht stellt einen großen Fortschritt dar, löst allerdings die dramatischen Konflikte noch nicht (zu Afghanistan siehe S. 76). Werden die USA bereit sein, das Bewusstsein ihrer Außerordentlichkeit, die Obama durchaus betonte, in Grenzen zu halten? Wird sich der Wille zu einer veränderten »leadership« mit der Einsicht in die Realitäten einer nonpolaren Entwicklung der Welt verbinden, wie sie Joscha Schmierer (S. 6) konstatiert? Werden die USA in einer der tiefsten Wirtschaftskrisen von ihrem traditionellen Protektionismus lassen? Und werden die Gebote ökonomischer und politischer Fairness, die ja immer ein Element der Gefährdung eigener Stärke enthalten, auch die Beziehungen zu den Schwellen- und Entwicklungsländern und das Verhältnis zu Europa leiten? Wenn in der Krise die Notwendigkeit für eine Europäische Wirtschaftsunion wächst, so Werner Polster (S. 10), ergibt sich daraus die Chance für eine verstärkte ökonomische Kooperation oder nur verschärfte Konkurrenz?

Skepsis gegenüber der Situation bleibt. Der US-Republikaner Andrew Bacevich sagte in einem Interview: »Unsere Freiheit ist nur noch eine Konsumfreiheit und ihr fehlt jedes Maß. … Wir glauben, wir wären anders als alle anderen, ausgestattet mit besseren, edleren Motiven. … Doch unsere Zwangslage ist ein Auswuchs unserer Lebenskultur, des American Way of Life. Daran ändert sich nichts durch einen Wechsel im Weißen Haus. Dazu müssen wir Bürger beschließen, anders leben zu wollen (SZ, 16.1.09) Doch was heißt »anders leben«, und lassen sich die Bürger der USA auf die Herausforderungen der Krise und eine ökologische Erneuerung ein? Wie weit werden die gewohnten zivilisatorischen Standards der westlichen kapitalistischen Gesellschaften in der Krise erodieren (siehe Herbert Hönigsberger, S. 20), und

welche Dimensionen müsste ein Umbruch haben? Läuft nicht doch wieder alles in Richtung »weiter so«, auch weil das Bedürfnis nach Sicherheit und Erhaltung des Status quo größer ist als der Wille zu Veränderungen, etwa zu einem »New Deal«? Woraus sollte dieser bestehen und könnte er Kontinente übergreifend angelegt und damit Erfolg versprechend sein?

Immerhin hat sich  mit Obama ein neuer »Sound« eingestellt. Er wirkt  dialogisch, bürgerrechtsbetont und unborniert. Diesen »Sound« mag man idealistisch nennen, aber ausgrenzend wirkt er nicht. Obama setzt erkennbar auf die Notwendigkeit einer umfassenden Erneuerung des Gemeinwesens und dabei auf die Kräfte der Vielfalt. Aus jenen Kräften bezog und bezieht die US-amerikanische Gesellschaft ihre Energie. »Obama widerlegt jene Theorien, die weltweit den Zusammenstoß der Kulturen und in Amerika selbst den Konflikt der Volksgruppen befürchten oder herbeireden wollen«, meint Kurt Kister (SZ, 20.1.09). Könnte ein Geist des Gemeinsinns auch auf die Bundesrepublik überspringen? Jedenfalls sind hier die Potenziale der Verschiedenheit verbreiteter, als so mancher vermutet, macht selbstständige und selbstbewusste Kooperativkraft von Verschiedenen ein Kernelement von Freiheit aus. Wenn bei der jüngsten Wahl in Hessen ein Grüner mit arabischem Namen zum beliebtesten Politiker aufsteigt, ist das ein Zeichen für einen fortschreitenden Abschied von altem Deutschtum. Trotz und gegen Koch. Auch dank Obama?

 

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 1/2009