Eine Finanz- und Wirtschaftskrise so global wie nie
zuvor, etliche Sprengsätze an der Staatenwelt, die dringlich entschärft werden
müssen, und die Übernahme der US-Präsidentschaft durch jemand, der sich seiner
weltbürgerlichen Verantwortung bewusst ist: Mit 2009 dürfte gerade ein Jahr
begonnen haben, in dem sich zwanzig Jahre nach dem Ende der Blockordnung
entscheiden könnte, ob nun endlich ernsthafte Schritte in eine neue Weltordnung
unternommen werden. Die Krise der Weltwirtschaft und tödliche Konflikte wie in
Afghanistan und Irak, wie zwischen Palästinensern und Israel, wie in Kaschmir
und den Stammesgebieten von Pakistan, wie im Sudan und im Kongo verlangen
solche Schritte, der Wechsel in der amerikanischen Präsidentschaft bietet den
USA die Chance, Initiativen in diese Richtung zu ergreifen.
Von einem Kurswechsel in den
USA hängt deshalb so viel ab, weil die Finanz- und Wirtschaftskrise in der
durch Schulden finanzierten globalen Konsumentenrolle der USA eine Wurzel
haben. Lokomotive der Weltkonjunktur waren die USA in den letzten Jahren durch
einen Verbrauch an Reichtum, der weit über ihre Reichtumsproduktion hinausging.
Hinter der internationalen Verschuldung steht die politische Macht der USA als
Sicherheit. Zugleich hat die Aufrechterhaltung und Stärkung der militärischen
Potenziale dieser Macht und ihr selbstherrlicher Einsatz die Stellung der USA
in der Welt geschwächt. Die widersprüchliche Doppelrolle der USA als Konsument,
der über die eigenen Verhältnisse lebt, und als egozentrische Militärmacht, die
über eigenen Abenteuern ihre internationalen Verpflichtungen vernachlässigt,
ist selbst zu einem Problem der internationalen Ordnung geworden.
Aus dieser verhängnisvollen
Doppelrolle müssten sich die USA unter dem neuen Präsidenten lösen. Leicht wird
das nicht, denn sie war für einige Zeit ziemlich bequem. »Was die Welt braucht,
ist nicht, dass Amerika untergeht«, schrieb Emmanuel Todd 2002 in seinem Essay
über die Brüchigkeit der amerikanischen Weltmacht, »sondern dass Amerika wieder
es selbst wird, ein demokratisches, liberales, produktives Land – soweit das
möglich ist, denn in der menschlichen Geschichte wie in der Entwicklung aller
Tierarten gibt es keine vollkommene Rückkehr in statu quo ante. Die
Dinosaurier sind nicht zurückgekommen. Die großzügige Weltmacht, die Amerika in
den fünfziger Jahren war, wird es nie mehr sein.«(1)
Die USA werden nicht untergehen, aber dass sie sich ändern müssen und ändern
können, war im Wahlkampf die Botschaft Barack Obamas an das amerikanische Volk. Wie das Wahlergebnis
zeigt, ist sie aufgegriffen worden. Jetzt treten die Schwierigkeiten beim
Wenden in der Sackgasse in den Vordergrund.
Sich die letzten zwanzig Jahre noch einmal durch den
Kopf gehen lassen
1989 revoltierten die
Gesellschaften der Satellitenstaaten der Sowjetunion, befreiten sich die
äußeren Provinzen des Imperiums aus der Sowjetherrschaft. Die Sowjetunion
musste sich zurückziehen, zunächst aber nur auf sich selbst. Durch diesen
Rückzug sollte die Sowjetunion als Staat gestärkt werden, so die Absicht
Gorbatschows. Als Bush senior von der neuen Weltordnung zu sprechen begann,
stand in deren Zentrum immer noch die Verständigung unter den beiden
Supermächten, den Vormächten der bisherigen Blöcke. Die neue Weltordnung wurde
zunächst einfach als Folge der Verständigung zwischen den Supermächten gedacht.
Die Beendigung des Kalten Krieges erschien als gemeinsamer Erfolg von USA und
Sowjetunion, als Sieg eines neuen Denkens, als dessen vorzüglicher Vertreter
Gorbatschow im Westen galt. Die Blöcke lösen sich auf, die deutsche Vereinigung
wird möglich, die ostmitteleuropäischen Staaten kehren nach Europa zurück. Nun
kann man darangehen, das gemeinsame europäische Haus zu errichten und die OSZE
zum Sicherheitsbündnis des Nordens umzubauen. In diesem Gefühl der Annäherung
und Verständigung wurde Gorbatschow im Westen mit »Gorbi-Gorbi«-Rufen
bedacht. Er wurde damit nicht als Verlierer verspottet, sondern als »Held des
Rückzugs« und Friedenspolitiker gefeiert. Von einem Sieg im Kalten Krieg war
damals auch in den USA kaum die Rede. Zu offensichtlich war der Beitrag, den
die Sowjetunion unter Gorbatschow zu seinem weitgehend unblutigen Ende
beigetragen hatte.
Indem der ältere Bush Anfang
der 1990er-Jahre die neue Weltordnung als Ziel der internationalen
Anstrengungen postulierte, machte er deutlich, dass es mit der Aufgabe des
Sowjetimperiums durch Gorbatschow nicht sein Bewenden haben könne. Dass neue
Verständigung über die ehemaligen Blockgrenzen hinweg möglich sei, war das
vorherrschende Gefühl. Das Ende des Kalten Krieges sollte ermöglichen, dem Ordnungsrahmen,
der nach dem Zweiten Weltkrieg mit der UNO geschaffen worden war, neu und
ernstlich Geltung zu verschaffen.
Mit dem Überfall Saddam
Husseins auf Kuwait und seinem Versuch, den kleinen, aber ölreichen Staat als
neue Provinz dem Irak einzuverleiben, wurde dann schnell sichtbar, dass eine
solche neue Weltordnung ohne die Bildung globaler Ordnungsmacht im und über den
Sicherheitsrat nicht zu haben war. Die gewaltsame Befreiung Kuwaits zog ihre
Legitimation aus der Verteidigung der UN-Charta und aus der erklärten Absicht,
nach den Jahrzehnten der teilweisen Lähmung durch den Blockgegensatz die UNO
als »Parlament der Völker« (Vollversammlung) und als Organisator und Garant
kollektiver Sicherheit (Sicherheitsrat) endlich praktisch ins Zentrum der
internationalen Beziehungen zu rücken. Ohne die Initiative und Beharrlichkeit
der USA hätte Saddam Hussein wahrscheinlich mit der Einverleibung Kuwaits
zugleich den UN-Rahmen sprengen können.
Aus dem militärischen Erfolg
und der politischen Selbstbeschränkung, die Befreiung Kuwaits nicht zum Sturz
des irakischen Regimes zu nutzen, entwickelte sich in den USA ein
grundsätzlicher Konflikt: Verzichteten die USA unter der Berufung auf die
Beschlusslage der UN nicht darauf, die Gelegenheit zu nutzen, sich selbst als
globale Ordnungsmacht zu etablieren? UN-Rahmen gut und schön, aber sind nicht
die USA und nur sie allein Macht genug, um Weltordnung zu setzen und zu
sichern? Indem die Regierung der USA sich an die Beschlüsse des
Sicherheitsrates hielt und trotz des überwältigenden Erfolges das Kriegsziel
der Befreiung Kuwaits nicht um die Eroberung des Irak und den Sturz des Regimes
erweiterte, wurde sie zum Gegenbild des Neokonservatismus, der dann der
Regierung des jüngeren Bush nach dem 11. September 2001 die Rhetorik
bereitstellte.
1989 aus dem Blickwinkel von 1991
Gegenüber 1989 wird das Jahr
1991 oft in seiner Bedeutung unterschätzt. Vor 1991 hätte niemand von der
einzig verbliebenen Supermacht gesprochen. Es gab ja noch die andere, zwar
angeschlagene Supermacht, mit der man sich über die Geschicke der Welt, etwa
über die deutsche Einheit, doch von gleich zu gleich verständigen musste. Mit
dem Putsch in der Sowjetunion, den Gorbatschow politisch nicht überlebte, und
der handstreichartigen Auflösung der Sowjetunion durch Jelzin und die
Präsidenten von Belarus und Ukraine veränderte sich auch der Blick auf 1989.
Nun konnte das Ende des Kalten Krieges als Sieg des Westens und vor allem der
USA angesehen werden. Mit dem Verschwinden der anderen Supermacht konnten die
USA als »einzig verbliebene Supermacht« und die Welt als unipolar durch die USA
geprägt missverstanden werden.
Der militärische Erfolg über
den Irak und die Selbstauflösung der Sowjetunion beherrschten nach 1991
zunehmend die Selbstwahrnehmung der USA und die Definition ihrer
weltpolitischen Rolle. Unter Clinton blieb die Regierung noch weitgehend zurückhaltend.
Deshalb konnte Condoleezza Rice
später von verlorenen Jahren für die amerikanische Außenpolitik sprechen. Von
heute aus gesehen muss man die letzten zwanzig Jahre und erst recht die acht
Jahre der letzten Bush-Regierung als Zeit der versäumten Gelegenheiten, in der
globalisierten Welt eine angemessene politische Ordnung zu errichten,
verstehen. Das zeitliche Zusammentreffen der militärischen Machtdemonstration
gegenüber dem Irak und der Auflösung der Sowjetunion zwei Jahre nach 1989
erleichterte strategische Fehlschlüsse aus der neuen internationalen Situation.
Eine feine Analyse der
verpassten Gelegenheit hat Michael Lind bereits 2004 vorgelegt. Er meinte, das
Scheitern der amerikanischen Außenpolitik in den damals erst anderthalb
Jahrzehnten nach 1989 sei im Kern ein Scheitern von Ideen gewesen. Den
Administrationen von George Herbert Walker Bush und Bill Clinton hätte die
Vorstellungskraft gefehlt, eine neue internationale Ordnung sich anders zu
denken denn als schrittweise Ausdehnung des Systems einer Pax
Americana wie im Kalten Krieg und als Wiederkehr
eines ökonomischen Laissez-faire. George W. Bush
dagegen fehle es nicht an einer Vision, aber seine Vision einer auf brutale
Gewalt und Verachtung internationalen Rechts und der Diplomatie gestützten
einseitigen amerikanischen Weltherrschaft sei gründlich fehlkonzipiert.
Der neue amerikanische Internationalismus hätte sich, so Michael Lind 2004,
leichter unmittelbar in dem Jahrzehnt nach Ende des Kalten Krieges
verwirklichen lassen als in einer Zeit, in der die amerikanische Regierung
durch galoppierende Haushalts- und Handelsdefizite eingeschränkt werde. Um den
Schaden zu beheben, den die Administration des zweiten Bushs mit ihrem
kriegerischen Unilateralismus dem amerikanischen
Ansehen in der Welt zugefügt habe, werde es Jahre brauchen.(2) Entgegen der
Hoffnung Michael Linds gewann dann George W. Bush die zweite Wahl. Auch wenn er
in seiner zweiten Präsidentschaft weniger Schaden anrichtete als in seiner
ersten, war er doch der Letzte, von dem die erforderliche Korrektur hätte ausgehen
können.
Die Fehldeutung von 1989
Es macht einen Unterschied,
ob man die Auflösung der Blockordnung als Sieg des Westens und der USA oder als
Durchbruch zu einer globalisierten Welt begreift. Im einen Fall kann es nur
darum gehen, die Macht und den Einfluss zu konsolidieren, die dem Westen und
den USA mit dem Ende des Kalten Krieges in den Schoß gefallen sind. Es bleibt
nur ein Anpassungsproblem von zurückgebliebenen Teilen der Welt an den Westen.
Im anderen Fall muss die Welt in ihrer neuen Beschaffenheit selbst erst noch verstanden
werden.
Was ist überhaupt
Globalisierung, von der seit Anfang der 1990er-Jahre überall die Rede war?
Allermeist wurde die Globalisierung lediglich als ökonomische Durchdringung der
Welt mit Kapitalismus und moderner Technologie verstanden. In diesem Sinn hatte
der Zusammenbruch des Sowjetblocks lediglich die letzten Schranken beseitigt,
die der Ausbreitung des Kapitalismus und der Moderne in der zweiten Hälfte des
zwanzigsten Jahrhunderts noch lange im Wege gestanden hatten. Diese Reduzierung
der Globalisierung auf ökonomische und technologische Entwicklungen verträgt
sich natürlich gut mit der Version vom »Sieg des Westens« und einem
Selbstverständnis der USA als einzig verbliebener Supermacht in einer
unipolaren Welt. Das kann man dann als neokonservative oder als antikapitalistische Ideologe positiv oder negativ werten.
Die zugrunde liegende Sichtweise bleibt gleich.
Schaut man aber genauer hin,
welche Entwicklungstendenzen mit der Auflösung des Sowjetblockes eine neue Stufe
erreicht haben, dann zeigt sich nicht nur eine Vermarktung, sondern auch eine
»Verstaatlichung« der Welt. Die kapitalistische Produktionsweise stand immer in
Wechselbeziehung zu bestimmten politischen Herrschaftsformen. Der reale
Kapitalismus ist immer durch die politische Form geprägt, in der er sich
entfaltet. Seine erste Ausbreitung in die Welt war mit der Expansion der europäischen
Imperien verbunden. Seit deren Auflösung entwickelt sich die kapitalistische
Weltwirtschaft in einer Welt von Staaten. Durch den Staat, beziehungsweise den
Gesetzgeber, nimmt die Öffentlichkeit auf konkrete Ausformung des Kapitalverhältnisses
Einfluss. Die inneren Bewegungsgesetze des Kapitals sind überall die gleichen.
Die Schranken, die ihnen die politische Form der Gesellschaft zieht,
unterscheiden die Kapitalismen. Auch an die Stelle des Sowjetimperiums sind schließlich eine Reihe von unabhängigen Staaten getreten.
Für die USA, die sich lange in einer Welt europäischer Imperien bewegten und
zuletzt als Blockvormacht des Westens gegen das Sowjetimperium agierten,
bedeutete die neue Stufe der Globalisierung, dass sie sich entweder als
stärkster Staat unter Staaten um eine weltweite Zusammenarbeit dieser Staaten
bemühen oder sich selbst zur imperialen Macht aufwerfen mussten. Keins von
beiden taten sie konsequent. Die eine Option schien unter der Würde der »einzig
verbliebenen Supermacht« zu sein, die andere bürdete Lasten auf, die auch von
den USA nicht zu tragen sind.
Zeitalter der Globalisierung – Age of Nonpolarity
Es scheint einen
historischen und funktionellen Zusammenhang zwischen dem »Zeitalter der
Globalisierung«, das 1989 eröffnet wurde, und einer neuen Nichtpolarität der
Welt zu geben. Die grenzüberschreitenden transnationalen Netze der Weltwirtschaft
sind rund um den Globus auf Rechtsräume angewiesen, in denen sie sich entfalten
können. Wie die Dinge liegen, können diese Rechtsräume heute nur von Staaten
garantiert werden. Daraus erwächst die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit unter
ihnen. Zugleich erweist sich diese Zusammenarbeit auf Grund der proklamierten
Gleichheit der Staaten als sperrig gegen jede feste Hierarchisierung nach dem
Prinzip von Befehl und Gehorsam, der Unterordnung der schwächeren unter die
stärkeren Staaten. Die Staatenwelt macht es neuen Imperien schwer.
Auch eine sehr enge
Zusammenarbeit unter Staaten führt nicht zum Superstaat oder global gedacht zum
Weltstaat, auch wenn neulich sogar in der Financial Times von einer
Weltregierung als gar nicht so abwegiger Möglichkeit zu lesen war.(3) Die mehr
oder weniger entwickelte politische Form der Kooperation unter Staaten ist die
Integration, das heißt eine Form des Zusammenwirkens, in der auf Souveränität
nicht prinzipiell verzichtet wird, sondern die Souveränitäten institutionell
miteinander verflochten werden. Die Europäische Union ist ein Beispiel für eine
relativ weit fortgeschrittene Form der Integration, aber auch die Vereinten
Nationen sind eine politische Form der Integration. Indem die UNO in ihr
Reformdokument von 2005 die »Responsibility to protect« aufnahm, überwand sie ausdrücklich ein Verständnis
von Souveränität, das die Staaten als gegeneinander abgeschlossene Monaden
setzt. Staaten im Sinne der UNO haben Verpflichtungen gegenüber ihren Bürgern,
die notfalls durch die Staatengemeinschaft eingelöst werden müssen. Staaten
sind definiert als Mitglieder der Staatengemeinschaft. Wenn Staaten in ihren
Aufgaben vollständig versagen, bleiben ihre Verpflichtungen an der UNO hängen.
Sie kann aber funktionierende Staaten nicht ersetzen. Jede Intervention der UNO
muss deshalb die Staatsbildung als zentrale Aufgabe auf sich nehmen.
Der Unterschied der jetzigen
Finanz- und Wirtschaftskrise und der von 1928 ff. besteht wahrscheinlich
weniger darin, dass die Ökonomen heute ein besseres Verständnis der Krise
hätten als damals und die Staaten über bessere Instrumente verfügten, um Bankenzusammenbrüche
zu vermeiden und Konjunktureinbrüchen entgegenzuwirken. Das eine scheint nicht
der Fall zu sein und das andere muss sich erst noch weisen. Die Unterschiede liegen
in einer größeren Verflechtung der Ökonomien. Das lässt eine Krise wie die
jetzige durch Staatsgrenzen nicht ausgrenzen. Zugleich haben sich nach dem Ende
der Imperien Staatsräume und Wirtschaftsräume so auseinander entwickelt, dass
kein Staat »seinen« Wirtschaftsraum von der globalen Wirtschaft abtrennen kann,
ohne sich selbst den Garaus zu machen. Stattdessen verlangt die Globalität der
Krise das enge Zusammenwirken der Staaten, in erster Linie das der
wirtschaftlichen Schwergewichte. Dieses Bewusstsein scheint vorhanden. Im
Verlauf dieser Krise wird sich wahrscheinlich das Missverhältnis zwischen hoch
vernetzter Weltwirtschaft und immer noch ziemlich segmentierter Staatenwelt
schmerzlich bemerkbar machen. Die Forderung nach stärkerer Kooperation der
Staaten und größerer Vereinheitlichung staatlicher Regulierungen wird nicht
zuletzt von Interessenvertretern der Banken- und Wirtschaftsverbände zu hören
sein.
Neuauftritt alter Mächte – notwendige
Gewichtsverschiebungen
Dass mit der Globalisierung,
also dem Ende der europäischen Imperien, die Teile der Welt, die durch die
europäischen Imperien kolonialisiert oder in eine Randposition gedrängt worden
waren, ihre Rückkehr in die Welt anstreben und realisieren, kann eigentlich
nicht überraschen. Die globalisierte Welt lebt von ihren horizontalen Verknüpfungen
und ist zugleich auf deren Sicherung im Raum angewiesen. Da heute Staaten und
nicht Weltreiche diese Sicherheit bieten müssen, können sich die Staaten nicht
untereinander abschotten, sondern müssen ihrerseits ihre Fähigkeit zur
Kooperation unter Beweis stellen. Eine entscheidende Rolle wächst unter diesen
Bedingungen der Bürokratie zu. Sind die Staatsapparate, also die Beamten in der
Lage, horizontale Verknüpfungen untereinander zu pflegen und auszubauen? Man
muss sich nur vorstellen, wie viele Telefonate unter Beamten, wie viele E-Mails
zwischen Ministerbüros notwendig waren, um die gemeinsame Erklärung der G 20
vom November des letzten Jahres vorzubereiten und abzustimmen. Die Staaten
müssen unter Bedingungen der Globalisierung ihrerseits auf allen Ebenen
horizontale Verbindungen knüpfen. Auf Grund der globalen Vernetzung der
Weltwirtschaft sind auch die Staaten daran interessiert, keinen Staat
auszuschließen und sich selbst nicht ausschließen zu lassen. Jeder Staat hat
schon aus wirtschaftlichen Gründen ein Interesse, bei der Globalisierung dabei
zu sein. Das wichtigste Pfund der EU gegenüber den Mitgliedstaaten und anderen
Mächten dürfte ihre geschmeidige Bürokratie sein, die sich täglich in der
Moderation unterschiedlicher Interessen bewähren muss.
Dass China und Indien, aber
auch Staaten wie Brasilien, an relativem wirtschaftlichem Gewicht gewinnen und
dies auch zunehmend in den internationalen Institutionen berücksichtigt sehen
wollen, ist kein Nachteil für die USA und die EU, sondern geradezu eine
Voraussetzung dafür, dass die Chancen wachsen, eine der Globalisierung angemessene
neue Weltordnung zu etablieren. Dass Russland wieder an Stärke gewonnen hat,
ist ebenfalls wichtig. Dass diese Stärke fast ausschließlich auf der Ausbeutung
von Gas- und Ölvorkommen beruht, macht sie extrem von äußeren
Marktentwicklungen abhängig. Als Rentnerstaat mit Atombombe bleibt Russland ein
starker Risikofaktor der internationalen Beziehungen. Die russische Regierung
sorgt in kurzen Abständen dafür, dass diese Tatsache nicht in Vergessenheit
gerät.
Weil die USA eine Republik
sind, in der Wahlen einen Kurswechsel erzwingen können, dürfen nun wieder
politische Erwartungen an die USA gerichtet werden. Weil in den letzten zwanzig
Jahren andere Mächte als die USA an Bedeutung gewonnen haben, können und müssen
die politischen Erwartungen an eine neue Weltordnung sich heute nicht allein an
die USA richten. Die USA aber scheinen reif für die Einsicht geworden zu sein,
dass es für sie kein Nachteil sein muss, mit anderen Mächten und ihrem Einfluss
zu rechnen. Für die Überwindung der Wirtschaftskrise wird von entscheidender
Bedeutung sein, wie die USA und China mit ihrer Fähigkeit, sich ökonomisch
gewaltig schaden zu können, in der jetzigen Situation umgehen. Um die Sprengsätze
an der Staatenwelt zu entschärfen, bleibt die Ermächtigung der UNO durch die
Mitglieder eines vielleicht erweiterten Sicherheitsrates die wichtigste
Voraussetzung. Mit den Schwierigkeiten der USA sind vielleicht staatliche
Allmachtsfantasien überall erledigt. Die Vorstellung von den USA als »einzig
verbliebener Supermacht« war die Mutter aller Blasen. Vielleicht ist mit ihr
die Vorstellung, in der globalisierten Welt Supermacht entwickeln zu können,
ganz allgemein und definitiv geplatzt. 2009 könnten so die Chancen, die sich
1989 zeigten, schließlich doch noch ergriffen werden.
1
Emmanuel
Todd: Weltmacht USA. Ein Nachruf. Aus dem Französischen von Ursel
Schäfer und Enrico Heinemann, München (Piper Verlag) 2003, S. 250; vgl. die
Besprechung in Kommune 2/03, S. 108.
2
Michael Lind: »Opportunity missed«, New American
Foundation, 1. Februar
2004 (http://www.newamerica.net/publications/policy/opportunity_missed).
3
Gideon Rachman: »And now for a world government«, in: Financial Times, 8.12.08.