Hartwig Berger

 

Grenzen der Erneuerbarkeit

 

Das Dilemma biogener(1) Energien

 

 

 

Die folgende Analyse stützt die kritische Sicht auf biogene Energien. Ihre Qualifikation als »erneuerbar« unterscheidet sie durchaus nachteilig von unbegrenzt verfügbaren und dauerhaften Energieträgern wie Sonne und Wind. Ihre verstärkte Nutzung kollidiert mit der Jahrhundertaufgabe, den anhaltenden Raubbau an der Biokapazität der Erde zu beenden. Zudem untergräbt ein Weltmarkt für biogene Energien zusätzlich das Menschenrecht auf Ernährung. Regulierungen durch soziale und ökologische Leitplanken erweisen sich als wenig realistisch. Speziell zur EU-Politik bezüglich »Bio«-Kraftstoffen wird eine Alternative und generell der beschleunigte Abschied vom Paradigma der Verbrennung in der Energieerzeugung vorgeschlagen.

 

Erneuerbare und dauerhafte Energien

Die Debatte um eine klimaverträgliche Energiewende leidet unter der Gleichsetzung von »Biomasse« – Sonne, Wind, Wasser und Erdwärme – als allesamt »erneuerbare Energieträger«. In dieser Qualifizierung steckt ein folgenreicher Denk- oder Kategorien-Fehler. »Erneuerbar« ist aufgrund der Vitalität lebender Pflanzen und Tiere einzig organisches Leben, wobei gerade die Vernichtung von Leben Voraussetzung ihrer Nutzbarkeit als Energiequelle ist. Die Qualifizierung »erneuerbar« impliziert, dass Leben ausgelöscht und damit auch energetisch nutzbar wird, sowie zweitens: dass sich mit neuen Lebensprozessen organische Stoffe neu bilden. In welchen Zeiträumen, Umfang und Naturqualitäten sich zuvor vernutztes Leben neu bildet, bleibt dabei immer die Frage.

Hingegen ist die Einstufung von Sonnenlicht, Wind, Wasser und Erdwärme als »erneuerbar« irreführend und, beim Wort genommen, falsch. Diese Naturelemente sind im Unterschied zu gewachsener Organik nicht erschöpfbar und insoweit als Energieträger unbegrenzt verfügbar. Zwar verändern sich Sonnenstrahlung, Luftbewegungen und Wasserkreisläufe ständig und sollten daher zutreffender »die ständig Wandelbaren« genannt werden. Wenn man überhaupt davon sprechen kann, dass sie sich »erneuern«, so tun sie das ganz unabhängig davon, dass ihr Energiepotenzial durch uns »angezapft« wird. Der Betrieb von noch so vielen Windrädern »verbraucht« dagegen keine Luftbewegung. Die Windpotenziale der Erde nehmen durch energetische Nutzung nicht ab. Luftbewegungen verändern sich ständig – und »erneuern« sich insofern –, jedoch geschieht das ganz unabhängig von eventuell zwischengeschalteten Windrädern. Die Einstrahlung der Sonne wird nicht schwächer, wenn infrarote Wärmestrahlung thermosolar konzentriert wird, oder wenn UV-Strahlung in PV-Zellen Spannungszustände erzeugt. Die in Gewässern, der Luft oder in unterirdischen Schichten vorhandenen Wassermengen verändern sich und ihre Kraftpotenziale in der Summe nicht, wenn aus ihrer Bewegung Energie extrahiert wird. Erdwärme ist mit der glühend aufgeheizten Unterwelt unseres Planeten in einem so ungeheuren Umfang vorhanden, dass eine nur die Außenhaut des Erdkörpers ritzende energetische Nutzung quantitativ nichts verändert.

Die spezifische Differenz dieser Energieträger gegenüber den fossilen wie den biogenen Quellen ist ihre praktisch unbegrenzte Verfügbarkeit, soweit sie zur Deckung menschlichen Energiebedarfs in Anspruch genommen werden. Zwar ist die Errichtung solarer, durch Wind, Wasser oder Erdwärme betriebener Anlagen keineswegs unbeschränkt möglich – allein die Verfügbarkeit des dazu erforderlichen Materials setzt Grenzen. Bezüglich der Energiequellen selbst ist das jedoch nicht der Fall. Sachgerechter ist es daher, von »bleibenden«, »unerschöpflichen« oder »dauerhaft verfügbaren Energieträgern« zu sprechen; »Erneuerbarkeit« von Energieträgern impliziert hingegen nur begrenzte Verfügbarkeit und vor allem Verwundbarkeit. Daher sind biogene Energieträger nicht nur aufgrund ihrer materiellen Substanz (Organik) eher in eine Reihe mit den fossilen Energieträgern Kohle, Erdöl und Erdgas zu stellen. Auch diese sind begrenzt verfügbar, erschöpfbar – und erneuerbar. Letzteres allerdings in Jahrmillionen zu rechnenden Zeiträumen. Auch darum ist ihre weitere Ausplünderung und Verbrennung binnen weniger Jahrzehnte menschlicher Zivilisation nicht zu verantworten.

Unter einem weiteren Aspekt sind biogene und fossile Energieträger eher einander zuzuordnen und von den »Dauerhaften« zu unterscheiden. Das in organischem Material, in Kohle, Erdöl wie Erdgas schlummernde energetische Potenzial setzt die Menschheit des 21. Jahrhundert noch immer nach demselben Verfahren frei, wie das unsere Vorfahren vor schätzungsweise einer halben Million Jahren gelernt und weitergegeben haben: Wir erzeugen, bändigen und regulieren Feuer. Diese Fertigkeit, die die menschliche Kulturbildung und wahrscheinlich die definitive Trennung des homo sapiens von seinen nächsten Artverwandten auf der Erde begründet, findet selbst in den ausgefeiltesten Techniken in Energieumwandlung weiter Anwendung.

Zwar gewinnen wir das energiespendende Feuer letztlich nur aus der Sonne. Jedoch die Energie der Sonne selbst, wie die der Winde, des Wassers und der Erdwärme nutzen wir ohne jede Zwischenschaltung von Feuer. Wir konzentrieren Sonnenwärme oder greifen auf unterirdische Erdwärme zurück; vor allem aber bedienen wir uns der erst seit 150 Jahren gezielt betriebenen Transformation von Licht- oder Bewegungs-Energie zu Strom. Aus den unerschöpflichen Energieträgern können Wärme, Licht und Bewegungskraft gewonnen werden, und zwar ohne die bei den erneuerbaren Energien nötige Zwischenstufe des Feuers, also der Vernichtung des Materials.

Nicht mit »erneuerbaren Energien«, also plus biogene Träger, beginnt das über die Industrialisierungsphase hinausreichende Energiezeitalter, sondern mit der umfassenden Nutzung der unerschöpflichen Energien, also minus Biomasse. Eine umfangreiche Nutzung der »ständig Wandelbaren« und zugleich» Dauerhaften« kann den Abschied vom Feuer als Paradigma der Energiegewinnung einläuten – wenn wir die Zeichen der Zeit zu deuten wissen.

 

Mobilität gegen Menschenrechte

Aus biogenen Quellen gewonnener Kraftstoff wurde besonders wegen möglicher Gefährdung der Ernährungssicherheit zum Streitfall: »Tank oder Teller, wie das zugespitzt formuliert wird. Anlass war und ist eine sich verschlimmernde weltweite Ernährungskrise. Im Mittel stiegen die Weltmarktpreise von Januar 2002 bis Juni 2008 um 130 Prozent, von Januar 2007 bis Juni 2008 allein um 56 Prozent.(2) Vor allem die Preise für die Grundnahrungsmittel Mais, Weizen, Reis und Bohnen schnellten binnen Jahresfrist um mehr als das Doppelte in die Höhe. Insbesondere die städtischen Armen in Entwicklungs- und Schwellenländern gerieten in eine existentiell bedrohliche Lage. Die ohnehin geringen Einkommen reichten vielfach nicht mehr, um nur den täglichen Bedarf an Nahrung zu decken. Immer mehr Menschen litten an chronischem Hunger und Unterernährung mit schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen. UN-Organisationen schätzen, dass sich die Zahl der Hungernden in dieser Zeit von ohnehin erschreckenden fast 900 Millionen auf eine Milliarde Menschen erhöht hat.

Die Ursachen der Preisentwicklungen sind komplex und in ihrem Zusammenwirken schwer durchschaubar. Der rasante Preisanstieg für Erdöl war zweifellos einer der Wirkfaktoren, wie auch der Preisverfall des Dollars als weltweite Leitwährung, klimabedingte Ernteausfälle in wichtigen Exportländern wie damals Australien und Kasachstan und – last but not least – kontinuierlich steigender Konsum tierischer Produkte durch die finanzkräftigen Ober- und Mittelklassen weltweit.

Genannt wird zudem immer der rasant anwachsende Anbau von Energiepflanzen, der sich in vielen Ländern binnen weniger Jahre mehr als verdoppelt hat. Wie ist seine Auswirkung auf die Ernährungssituation zu bewerten? Ein inzwischen klassisches Beispiel ist der Tortilla-Konflikt.(3)

Der weltweite Beitrag des Energiepflanzen-Anbaus zur Welternährungskrise der letzten Jahre wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Die US-Administration bezifferte den Anteil der Agrokraftstoffe am Preisanstieg 2007/8 auf drei Prozent. Mit Blick auf den Tortilla-Konflikt erscheint das eher beschönigend. Entwicklungspolitische Organisationen stellten das Problem dramatischer dar. So schätzte Oxfam den Preisanstieg auf 30 Prozent, mit der Folge, dass sich die Zahl der chronisch Hungernden auf 30 Millionen Menschen erhöht habe.(4) Eine Studie der Weltbank errechnete sogar, dass der Preisanstieg für Grundnahrungsmittel von 2002 bis 2008 zu 70–75 Prozent auf den Boom der Agrokraftstoffe zurückzuführen sei.(5) Ihr Autor setzt allerdings in seinen Berechnungen voraus, dass die spekulativen Preisaufschläge, etwa verursacht durch Hedge-Fonds, keine Eigendynamik entwickeln, sondern ohnehin eintretende Veränderungen, Preis- und Währungsverschiebungen lediglich »abbilden«. Diesem marktliberalen Dogma sollten wir nicht folgen.

Dennoch hilft die Weltbank-Studie weiter, weil sie die Wirkung schwankender Reservebestände im Welthandel einbezieht. Die wheat stocks für Getreide haben sich in den Jahren 2001 bis 2007 von rund 200 auf 120 Millionen Tonnen verringert. Im gleichen Zeitraum nahm hingegen der Anteil der für Energiepflanzen genutzten Landflächen in den acht hauptsächlichen Exportländern von Brotgetreide um über ein Drittel zu. Eine Simulationsrechnung ergibt, dass sich die Bestände der Reservelager nicht verringert hätten, sofern die für Energiepflanzen umgewidmeten Flächen im vollen Umfang für Brotgetreide genutzt worden wären.

Nun darf man, anders als der Autor der Weltbank das implizit tut, nicht unterstellen, dass die für Energiepflanzen zusätzlich genutzte Landfläche andernfalls dem Anbau von Brotgetreide gedient hätte. Immer aber gilt: Wenn und wo Land, auf dem bisher Brotgetreide kultiviert wurde, zum Anbau von Energiepflanzen umgewidmet wurde, gilt, dass die Erträge der Füllung von »Tanks« und nicht der von »Tellern« dienten. Da zuverlässige Gesamtrechnungen nicht möglich sind, muss der Versuch belastbarer Quantifizierung allerdings scheitern. Gleichwohl findet die Verdrängung von Brot- durch Energiepflanzen weithin und weiterhin statt. In entsprechenden Mengen fehlt das substituierte Brotgetreide auf dem Weltmarkt oder in den regionalen und lokalen Versorgungsstrukturen, mit negativen Folgen auf die Nahrungsmittelpreise.

Dem Dilemma »Tank oder Teller« dadurch zu entgehen, dass konsequent Neuland unter den Pflug genommen oder bisheriges Ackerland intensiver genutzt wird, statt Brotfrüchte-Anbau durch Energiepflanzen zu substituieren, verlagert nur die Probleme. Zum einen gehen solche Entwicklungen mit einer Verdrängung von Kleinbauern und einer »Klärung« zuvor gemeinschaftlicher Landrechte zugunsten der Exklusivansprüche von Agrarunternehmen zusammen.(6) Zum zweiten verschlechtert Intensiv- oder Um-Nutzung in der Regel die Ökobilanz. So schadet der Umbruch bisherigen Graslandes in Ackerfläche der biologischen Vielfalt, setzt große Mengen des im Boden gebundenen Kohlenstoffs in oxydierter Form als Treibhausgas frei und führt bei vorheriger Viehwirtschaft zu deren Verdrängung in bisher agrarisch nicht genutzte Gebiete, wie – Beispiel Amazonien – dadurch vernichteten Regenwald. Eine jüngst fertiggestellte Auftragsstudie der EU-Kommission(7) soll ergeben, dass die Politik der Staatengemeinschaft zur Ausweitung des Agrokraftstoffs der EU den Anteil der generierten Treibhausgase signifikant erhöht. Aus klimapolitischer Sicht ist das schlicht ein Desaster.

Mobilität im globalen Norden frisst also Menschlichkeit im globalen Süden. Nach einhelliger Auffassung der Sozialphilosophie sind Schritte zur Erhaltung oder Verbesserung eines gefährdeten Lebensstandards in den reichen Weltregionen und Sozialklassen nur dann als gerecht zu verteidigen, wenn sie zugleich die Lebenslage in den armen Bevölkerungsschichten merklich verbessern.(8) Wenn, wie im erörterten Problem, das eindeutig nicht der Fall, vielmehr eine gegenteilige Entwicklung zu erwarten und eingetreten ist, kann sich eine moralische Beurteilung nicht darauf zurückziehen, dass die genauen Ausmaße der negativen Wirkungen nicht bekannt und vielleicht sogar deutlich geringer sind, als Kritiker es an die Wand malen. Wenn Staaten(-gemeinschaften) wie die USA, die EU und Deutschland weiter auf biogene Kraftstoffe und deren Ausbau setzen, verstoßen sie gegen Prinzipien der Gerechtigkeit und Moral, die durchaus universelle Geltung beanspruchen.

 

Konsequenzen für die EU

Anzunehmen, dass politisches Handeln konsensfähigen ethischen Regeln folgt, ist wenig realitätsgerecht. Zynisch wäre es jedoch, damit überhaupt ernsthafte Bemühungen auszuschließen, mit wirtschafts- und energiepolitischen Regelungen Belangen der armen Bevölkerung in Entwicklungsländern nicht noch zusätzlich zu schaden. Deshalb wird eine machbare Alternative zur gegenwärtigen EU-Politik bezüglich der biogenen Kraftstoffe vorgeschlagen Die gegenwärtige EU-Regelung, die Beimischungspflicht für Biokraftstoffe in Höhe von 5,75 Prozent beizubehalten und diese schrittweise bis 2020 auf voraussichtlich 10 Prozent zu steigern, erwies sich als Mittel zur Verringerung klimawirksamer Gase als eher kontraproduktiv und in ihren sozialpolitischen Wirkungen außerhalb der westlichen Industrieländer als negativ. Ihre schrittweise und konsequente Zurücknahme ist daher vernünftig.

Die einfache Streichung der Beimischungspflicht als Einzelmaßnahme überzeugt allerdings aus zwei Gründen nicht. Beim gegenwärtigen und voraussichtlich wachsenden Verkehrsaufkommen in der EU würde sich damit zunächst der Einsatz fossiler Kraftstoffe erhöhen. Die EU geriete in noch stärkere Abhängigkeit von mit peak oil sich verknappenden Ölimporten – zudem würde der Ausstoß von Treibhausgasen nicht verringert. Der Klimawandel wäre mit einer einfachen Rolle rückwärts nicht eingedämmt. Da unter ihm überwiegend wenig entwickelte Regionen und dort die arme Bevölkerung zu leiden haben, wäre auch das aus moralischer Sicht abzulehnen, da Nichtstun jedem Bemühen um weltweite Klimagerechtigkeit widerspricht.

Diesem Dilemma kann die EU entgehen, wenn sie den Abbau der Beimischungspflicht mit der Einführung eines strikten und flächendeckenden Emissionshandels für Kraftstoffe verbindet. Dazu sind CO2-Obergrenzen für den Verkehrssektor festzulegen, die mit den Jahren schrittweise so weit zu verringern sind, dass die Reduktionsziele der EU – -30 Prozent 2020, gerechnet auf 1990; -80 bis 95 Prozent 2050 – insgesamt eingehalten werden können. Die jeweils pro Jahr ausgegebenen CO2-Zertifikate müssen von den großen Verteilunternehmen für Kraftstoffe ersteigert werden. Mit den Versteigerungserlösen hätte die EU zugleich Mittel in der Hand, um ihre in Kopenhagen 2009 eingegangenen Verpflichtungen einzulösen, betroffene und nicht verursachende Länder und Bevölkerungsgruppen beim Kampf gegen den Klimawandel und seine Folgen finanziell und organisatorisch zu unterstützen.

Nach dem hier nur skizzierten Konzept(9) wird die CO2-Minderung real durch Verringerung des gesamten Kraftstoffverbrauchs erreicht. Die motorisierte Mobilität in Europa würde nicht auf Kosten globaler Gerechtigkeit in voller Höhe aufrechterhalten oder gar gesteigert, sondern in einer dreifachen Handlungsalternative

– insgesamt verringert,

– effizienter bei geringerem Spritverbrauch gestaltet,

– durch Antriebssysteme ersetzt, die nicht auf der Verbrennung von Kohlenstoff basieren.

Ein Emissionshandel mit strikten und kontinuierlich sinkenden Obergrenzen im Verkehr ist ein starkes wirtschaftspolitisches Instrument, um die Einführung effizienter Motoren und verbrauchsarmer Fahrzeuge zu beschleunigen. Zudem gibt sie deutliche Impulse, die Mobilität schneller und stärker auf Elektro-Antrieb umzustellen. Diese Substitution ist klimapolitisch dann schlüssig, wenn im Sektor der Stromerzeugung die Chance genutzt wird, die Motorbatterien mit tageszeitlich wechselnd verfügbarem Strom aus Wind- und Sonnenenergie aufzuladen. Und nicht zuletzt verbindet sich ein konsequenter Emissionshandel im Verkehrssektor mit der Erwartung, die im Weltvergleich weit überzogenen Mobilitätsansprüche in der EU Zug um Zug einem im globalen Maßstab nachhaltigen Standard anzugleichen.

Aus einem weiteren Grund reicht die einfache Rücknahme der Beimischungspflicht nicht aus. Der Wirtschaftssektor der Agrokraftstoffe hat inzwischen eine Dynamik entwickelt, die ihn auch ohne diese Regelung lebensfähig halten könnte. Die Preise für Erdöl und daraus gewonnenem Treibstoff werden mit dem Schwinden der Erdölressourcen und erhöhten Förderkosten stark ansteigen. Die Einführung eines strikt mengenreduzierenden Emissionshandels mit Versteigerungspflicht im Verkehrsbereich treibt die Preise für diese Art von Kraftstoff weiter hoch. Somit können biogene Kraftstoffe wirtschaftlich attraktiv werden, zumal sich ihr Anbau auf die milliardenschweren EU-Agrarsubventionen stützen kann.

Es bleibt daher unumgänglich, auch für den biogenen Kraftstoffsektor quantifizierbare Kriterien zu entwickeln, um die jeweilige Bilanz in der Generierung klimawirksamer Gase berechenbar zu machen. Diese Kriterien müssen im Emissionshandel wie bei Erdöl Berücksichtigung finden. Sekundiert von einer Einschränkung sonstiger Fördermaßnahmen wird das aller Voraussicht nach dazu führen, dass sich die Erzeugung biogenen Kraftstoffs auf ein umweltpolitisch durchaus sinnvolles, nicht Flächen beanspruchendes und vor allem ausbaufähiges Segment beschränkt: Die Transformation von organischen Abfällen und in der Natur überschüssigen Reststoffen zu Biogas.

Bleibt der Import biogener Energieträger, der aufgrund der ungleichen Tauschverhältnisse auf dem Weltmarkt weiterhin wirtschaftlich lukrativ sein dürfte. Angesichts der angesprochenen ökologischen und sozialen Probleme von Landnutzungsänderungen in den produzierenden Regionen sehe ich hier keine andere Lösung als einen EU-weiten Importstopp für biogene Energien. Die EU kann und sollte das mit der Beendigung jeglicher EU-internen Subventionierung des Exports von Nahrungsmitteln verbinden, um der Schädigung regionaler Märkte im Süden vorzubeugen.

Ein solcher Importstopp findet bisher wenig Anklang. Auch viele innereuropäische Umweltorganisationen setzen stattdessen auf die Einführung von Regeln der ökologischen und sozialen Zertifizierung. Aber ist die Einhegung eines Weltmarkts für Agrokraftstoffe in ökologische und soziale Leitplanken eine realitätstüchtige Option?

 

Soziale und ökologische Leitplanken

Zentrale Voraussetzung für eine solche Option ist zunächst die Chance eines zuverlässigen Einsatzes vereinbarter Zertifizierungsregeln. Angesicht der endemischen Korruption in den weitaus meisten Ländern, die für außereuropäische Biomasse-Importe in Frage kommen, ist das gegenwärtig nicht vorstellbar. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass festgelegte Regeln übergangen und Scheinzertifikate ausgestellt werden. Man könnte allenfalls argumentieren, dass die Vereinbarung von Zertifizierungsregeln eine Art zivilisatorischen Effekt auf die Wirtschaftspraxis der fraglichen Länder haben kann. Das Prinzip Hoffnung darf jedoch ein zuverlässig funktionierendes Regelsystem nicht ersetzen; zumindest wäre dann ein Übergangszeitraum von unbestimmter Dauer und einem unklaren Ausgang hingenommen, bei dem ausgestellte Zertifizierungen immer mit einem Fragezeichen zu versehen sind. Für eine zugleich sozialverträgliche Strategie des Klimaschutzes ist das ein entschieden zu dünnes Eis.

Vor allem aber sind starke Zweifel angebracht, ob hinreichend aussagefähige Kriterien der Zertifizierung überhaupt entwickelbar sind. Nicht zufällig gibt es Zertifizierungssysteme bisher nur im naturwissenschaftlich zu klärenden Bereich: Dort sind eindeutige und insofern überprüfbare Operationalisierungen in der Regel möglich. Wir können Alter wie Art der Bäume eines Holztransports und, durch Anwendung von DNA-Analysen, den ungefähren Ort seiner Herkunft klären. Entscheidbar ist auch, ob bei Fällmaßnahmen Wald breitflächig gerodet oder vorsichtig und bestandserhaltend gelichtet wurde. Doch schon hier beginnen Grauzonen. Wie umfangreich war der Eingriff? Hat der Einsatz schwerer Maschinen Schäden verursacht? Ist der Bau von Pisten zum Abtransport aus sonst unzugänglichem Gebiet noch vertretbar?

Erst recht uneindeutig wird eine Zertifizierung, wenn sie gesellschaftliche Kriterien der Nachhaltigkeit betrifft. So hat jeder Einschlag von Holz zu Exportzwecken im Einzelfall nur schwer abschätzbare Folgen für die Gemeinden und Bewohner im engeren wie im weiteren Umkreis. Generell lässt sich sagen, dass mit jedem erfolgten Holzexport eine entsprechende, nachhaltig nutzbare Menge für den Bedarf im Gebiet selbst fehlt. Wie wirkt sich das nun vor Ort aus? Werden die dort lebenden Menschen weiterhin Holz einschlagen und damit die schon zuvor fragliche Grenze einer nachhaltigen Nutzung definitiv überschreiten? Wird der regionale Holzbedarf nunmehr aus benachbarten Gebieten abgedeckt, und welche Folgen hat das dort?

Nehmen wir als weiteres Beispiel die Umstellung auf Energiepflanzen-Anbau für Exportzwecke. Sofern auf den dafür vorgesehenen Flächen Ackerbau betrieben wurde, verringert sich diese Produktion im entsprechenden Umfang. Damit werden aller Voraussicht nach die Preise für Nahrungsmittel auf den regionalen Märkten anziehen. Ob und in welchem Umfang das geschieht, ließe sich, wenn überhaupt, erst in den entfernt liegenden Städten feststellen, in denen die Lebensmittelversorgung überwiegend marktabhängig ist. Sind die Städte damit mehr auf Lebensmittelimporte angewiesen und die arme Bevölkerung stärker von den Schwankungen der Weltmarktpreise abhängig? Wie lässt sich eine solche Wirkungskette vermeiden, wenn ein Land den Energiepflanzenanbau für Exportzwecke fördert? Jedes Zertifizierungssystem wäre überfrachtet, wenn es diese Problemlagen berücksichtigen soll. Gerade sie sind aber für die Lebenslage der einheimischen Bevölkerung relevant.

Eine Einschränkung des Marktes für Grundnahrungsmittel ist dann nicht zwangsläufig gegeben, wenn vorheriges Grasland – oder gar Wald – für den Anbau von Agrokraftstoffen umgebrochen wird. Sofern die Fläche zuvor als Viehweide diente, stellt sich dann aber die Frage, ob bei konstanter Marktnachfrage die Viehhaltung zukünftig anderswo und unter welchen Umständen stattfindet sowie welche Folgen das hat. Zu den ökologisch klar nachteiligen Möglichkeiten zählt hier die Abholzung von Wald zwecks Umwandlung in Weide oder die Trockenlegung von Feuchtgebieten zu Viehweiden. Wie können solche eher weiträumigen Folgewirkungen im Zertifizierungsprozess überprüft werden?

Hinzu kommt, dass der Umbruch von natürlich bewachsenem Land, vor allem von Grasland zu Ackerland, eine deutliche ökologische Verschlechterung darstellt und in signifikanten Mengen klimawirksame Gase freisetzt. Jedes Zertifizierungssystem, das mehr als ein Placebo für eine weiterhin schlechte Praxis sein soll, müsste diese Art der Umnutzung von Land durchgängig ausschließen. Wie das überprüfbar sein soll, ist allerdings unklar.

Vollständig unklar ist schließlich, wie eine Zertifizierung soziale Auswirkungen für die bäuerliche Bevölkerung erfassen kann. Wenn landwirtschaftliche Produktion auf Vermarktung durch Export umgestellt werden soll, wird eine Klärung der Landrechte unumgänglich. In vorkapitalistischen bäuerlichen und (halb-)nomadischen Gesellschaften sind diese in aller Regel ungeklärt oder gemeinwirtschaftlich mit jeweils neuen Aushandlungen unter den bewirtschaftenden Familien und Clans gestaltet. Wie soll ein Zertifizierungsverfahren erfolgreich sicherstellen, dass im direkten oder indirekten Zugriff exportorientierter Kapitalunternehmen die Belange und Ansprüche der indigenen oder autochthonen Bevölkerung fair und angemessen berücksichtigt werden?

Die Realität weist mit dem land grabbing – angemessen zu übersetzen als legalisierter Landraub – in die gegenteilige Richtung. Nach Schätzungen der entwicklungspolitischen NGO INKOTA wurden von 2006 bis 2009 von dieser faktischen Enteignung der ursprünglichen Nutzer weltweit zwischen 22 und 50 Millionen Hektar an Land erfasst, das entspricht einem Viertel bis der Hälfte der Ackerflächen innerhalb der EU. Einen großen Anteil deckt dabei die Inanspruchnahme für Energiepflanzen (Holz, Ölpalme, Jatropha, Zuckerrohr etc.) ab. Wie wird entschieden, ob hier Landenteignung stattgefunden hat? Inwieweit macht sich ein Zertifizierungssystem der Hinnahme von Landraub schuldig, wenn Jahre später der das Land okkupierende Konzern wegen umweltschonender Bewirtschaftung und akzeptablen Arbeitsbedingungen zugelassen wird?(10)

Auch ist am grünen Tisch der Zertifizierung kaum entscheidbar, ob der mit der Umstellung auf Exportmärkte häufige Wechsel von Kleinpachten zu immer ungesicherter Lohnarbeit eine wirtschaftliche und soziale Verschlechterung darstellt. Welche Rolle spielt dabei der kulturelle Faktor des Wechsels von autonomer zu abhängiger Tätigkeit? Wie vergleichen wir Lohnhöhen mit den weitgehend der Subsistenz dienenden Einkünften der vormaligen Kleinbauern? Welche Rolle spielen vertragliche Vereinbarungen, das formelle Arbeitsrecht, das Risiko, als Landarbeiter jederzeit entlassen zu werden? Ein zumindest operationalisierbares Kriterium, die Zahl der geschaffenen sowie der »eingesparten« Arbeitsplätze, führt in der Regel zu einer Negativbilanz: Bezogen auf das nördliche Lateinamerika bieten 100 Hektar bäuerlich bewirtschafteter Familienbetriebe für 35 Menschen Arbeit, 100 Hektar Eukalyptusplantage einen, 100 Hektar Sojafelder zwei und 100 Hektar Zuckerrohr oder Ölpalme 10 Arbeitsplätze.(11) Allein wegen der zumeist einschränkenden Folgen auf den Arbeitsmarkt, noch dazu in zumeist von Massenarbeitslosigkeit und prekären Tätigkeiten geprägten Regionen, ist der Wechsel von kleinbäuerlicher Parzellen- zu Plantagen- und Großfelderwirtschaft kaum »sozialverträglich« zu nennen.

 

Wald und Energiehunger

Innerhalb der EU nimmt seit einiger Zeit die energetische Nutzung von Holz deutlich zu. Vorreiter sind Österreich und Schweden, auch in Deutschland hat sich die Menge an Holzfeuerung von 2002 bis 2008 mehr als verdoppelt.(12) Impulsgebend war hier – wie beim flüssigen oder gasförmigen biogenen Brennstoff – das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das die Einspeisung von Strom zu günstigen Preisen gestattet. Die Errichtung von Holzkraftwerken ist aus finanzieller Sicht attraktiv. Vor allem aber reagieren die Betreiber von Kohlekraftwerken auf Entwicklungen im EU-Emissionshandel, die sie ab 2013 verpflichten, ihre Zertifikate zur Emission von Kohlendioxid zu ersteigern. Kohleverstromung verteuert sich damit, und in zunehmendem Maß, da der Markt der Zertifikate für Großemittenten Jahr für Jahr um 1,74 Prozent schrumpft. Viele Kraftwerksbetreiber suchen daher dem Preisdruck des Emissionshandels auszuweichen, indem sie in ihren Anlagen formell CO2-neutrale Biomasse, zumeist Holz, mit verfeuern. Der Mengenbedarf an Holz ist relativ zur Kohle, seiner geringeren Energiedichte entsprechend, hoch.(13)

Dass ein derart immenser Bedarf nicht regional oder über den EU-Binnenmarkt abzudecken ist, liegt auf der Hand. Der Holzmarkt in Deutschland ist überbeansprucht, der Verband der Holzwerkstoffindustrie schlägt Alarm, die in vielen Regionen betriebene naturgemäße Waldwirtschaft wird durch übermäßige Holzentnahme untergraben. Der Weg zur Holzbeschaffung auf dem Weltmarkt ist vorgezeichnet. Die auf Holzzufeuerung setzenden Energiekonzerne wie Vattenfall und RWE schließen bereits Verträge zur Zulieferung aus außereuropäischen Ländern.

Ohne hier in Details zu gehen,(14) sind negative ökologische wie soziale Auswirkungen dieser Importstrategie absehbar. Wir leben in einer Zeit, in der weltweit Waldbestände schwinden aufgrund weiter steigenden Holzbedarfs, als Folge von Landnutzungsänderungen (Viehweiden, Plantagen, Landwirtschaft), teilweise auch mit dem sich bereits vollziehenden Klimawandel. Mit ihren Konsumansprüchen und ihrem vielfältigen Holzbedarf sind die wirtschaftsstarken Industrieländer ohnehin Hauptverursacher des Klimawandels, zentrale Akteure in der chronischen Übernutzung der Wälder. Wenn sie ihre Nutzungsansprüche an Holz mit der Ausweitung seiner energetischen Verwertung noch steigern, wird der ohnehin dramatische Schwund der Waldbestände nur beschleunigt. Es grenzt an politische Schizophrenie, wenn sich die EU – gut und richtig – auf den Weltklimakonferenzen für den Erhalt der Waldbestände engagiert und – wie jüngst in Cancún geschehen – die Finanzierung eines globalen Fonds zum Schutz der Wälder mit beschließt, zur gleichen Zeit jedoch eine Energiestrategie zulässt und mit ihrer Regelung des Emissionshandels noch befördert, welche den ökonomischen Druck auf Entwaldung und Waldverluste weiter erhöht.

Dabei setzt sich in der internationalen Debatte um Ursachen und Bekämpfung von Klimawandel zunehmend die Einsicht durch, dass neben einer dringenden Verringerung der industriell erzeugten Treibhausgase Schritte eingeleitet werden müssen, welche geeignet sind, die Biosphäre, die Biokapazität der Erde zu stärken. Neben dem weltweit vereinbarten Ziel des Biodiversitätsschutzes ist eine der damit erzielten Wirkungen, dass mehr atmosphärisch überschüssiges CO2 wieder organisch im Pflanzenwachstum gebunden wird. Wälder gehören zu den potentesten und vor allem zu den ausgedehntesten Ökosystemen der terrestrischen Biosphäre. Sie zu erhalten, ihre Vitalität zu schützen und zu stärken und, nicht zuletzt, den weltweiten Waldbestand zu erweitern, ist auch aus klimapolitischen Gründen unabweislich.(15)

Der Weg der europäischen Energiewirtschaft in die vermehrte Verfeuerung von Holz weist in die Gegenrichtung. Ihn, wie die handelnden Unternehmen und auch manche Akteure aus den Umweltverbänden, als sinnvolle Maßnahme für den Klimaschutz darzustellen, überzeugt nicht. Eher liegt hier ein klassischer Fall von kognitiver Dissonanz vor: Während der Klimawandels fortschreitet und sich beschleunigt, beruhigt man sich mit der irrigen Annahme, einen wenn auch nur kleinen Schritt zur Linderung der Problemlage »Klimawandel« getan zu haben. In Wirklichkeit wird das Dilemma nur vergrößert. Allerdings entlastet die Selbsttäuschung psychisch wie politisch und ist aus diesem Grund erwünscht. Kognitive Dissonanzen dieser Art sind in der Klimapolitik umso wahrscheinlicher, je weniger eine zwar unbequeme, jedoch durchaus realisierbare Kursänderung verfolgt wird, die tatsächlich aus der Sackgasse weist: Wenn, bei gleichzeitiger Verringerung der Energienutzung in den wirtschaftsstarken Industrieländern, konsequent auf die dauerhaften Energiequellen gesetzt wird und die nur »erneuerbaren« eine nur marginale Rolle in der energetischen Abfall- und Reststoffverwertung spielen.

Die Strategie eines verstärkten Imports von Energieholz ist auch wegen zu erwartender sozialer Folgen problematisch. Innerhalb der EU war die Holznutzung, gemessen zum Gesamtenergieverbrauch, bis in die jüngste Zeit gering. Sie beschränkte sich, bei eher sinkender Tendenz, im Wesentlichen auf Kleinfeuerungsanlagen, wie sie – von technischen Verbesserungen abgesehen – seit Jahrhunderten in Europa üblich sind. In den überwiegend für Holzexporte vorgesehenen Ländern des globalen Südens hingegen ist der Anteil der energetischen Holznutzung, insbesondere für Kochzwecke, eher dominant. Auch in absoluten Mengen scheint er nach vorliegenden Statistiken die Holznutzung in der EU zu übertreffen.(16)

Während aber im globalen Norden der industrielle Einstieg in thermische Holznutzung die Beibehaltung eines im Weltvergleich weit überhöhten Energiestandards absichert, ist die Holzfeuerung für die Bevölkerungsmehrheit des globalen Südens bei weit niedrigerem Lebensstandard schlicht überlebensnotwendig. Zugleich führt der dortige hohe Alltagsbedarf an Holz dazu, dass die Waldbestände übernutzt und teilweise vernichtet werden. Das anhaltende Bevölkerungswachstums und die sich eher steigernde Massenarmut werden nach Lage der Dinge diese ungünstige Entwicklung noch beschleunigen. Auch die negativen Umweltfolgen für Wasserhaushalt, Erosion und Desertifikation in wüstennahen Gebieten wie dem Sahel sind bekannt.

Und so stellt sich in der internationalen Entwicklungsarbeit, mit zusätzlichen Impulsen aus den vereinbarten Maßnahmen zur Klimawandel-Anpassung, die dringende Aufgabe, in Südländern eine effizientere Nutzung von Brennholz zu unterstützen und, noch überzeugender, als holzfreie Alternative Techniken etwa thermosolaren Kochens mit organisatorischen und finanziellen Hilfen zu verbreiten. Wenn jedoch vermehrt Holz ebenfalls zur thermischen Verwertung aus Entwicklungsländern in die wirtschaftsstarken Kernländer verbracht wird, kann sich die ohnehin chronische Holzverknappung für inländische Zwecke in den betroffenen Exportländern nur verstärken. Und das mit nachteiligen Folgen für die Lebensumstände der Bevölkerungsmehrheit.

 

Gewöhnung und Vergessen

Wir leben in einer gespaltenen Welt. Der globale Norden greift zur Modernisierung seiner Energieversorgung (auch) auf die Potenziale nachwachsender Organik zurück. Das ist sinnvoll und aus ökologischer Sicht vorteilhaft, insofern es organische Abfälle und sonst nicht verwertbare Reststoffe betrifft – also eine eher geringfügige Ergänzung, kein Bestandteil einer wirklichen Energie-Alternative. Jetzt aber wird die Nutzung biogener Energien durch direkten oder indirekten Zugriff auf nachwachsende Rohstoffe aus anderen Erdregionen ausgeweitet.

Der Zugriff trifft im globalen Süden auf eine Situation, die durch Übernutzung und teilweise Ausplünderung der Biosphäre gekennzeichnet ist, verursacht durch vielfältige Gründe wie Bevölkerungswachstum, Expansion kapitalistischer Märkte oder imperiale Wirtschaftsinteressen aus dem globalen Norden. Die chronische Degradierung der Biosphäre wird durch verstärkten Zugriff für energetische Nutzungen verstärkt. Im globalen Süden stellt sich aber vorrangig die Aufgabe, der notorischen Übernutzung der Biosphäre Einhalt zu gebieten. Zum Beispiel stehen wir hier vor der Herausforderung, den hohen täglichen Bedarf der Bevölkerungsmehrheit an Holzkohle und Brennholz wirksam und in sozialverträglicher Weise zu verringern.

Warum sind hochindustrialisierte Gesellschaften des 21. Jahrhunderts so stark auf biogene Energien als eine Zukunftsoption fixiert? Ich sehe hier soziokulturelle Zusammenhänge mit der langfristig eingeübten Habitualisierung eines spezifischen Umgangs mit Energie:(17) Sie über den Prozess der Verbrennung von organischem Material freizusetzen, ist über Jahrhunderttausende eingeübt und als eingespielte Praxis verfestigt. Die Zähmung des Feuers ist zweifellos eine der größten zivilisatorischen Leistungen, Die Industrialisierung hat konsequent – mit teils neuen Techniken wie der Dampfmaschine und der Turbine, teils mit erprobten wie der Mühle – auf die weitere Entfesselung von Energiepotenzialen gesetzt. Ermöglicht wurde dies durch Zugriff auf die »unterirdischen Wälder«, zunächst die Kohle, später auch Erdöl und Erdgas. Die Moderne hat sich damit in eine Abhängigkeit von der Energiefreisetzung durch Feuer begeben. Andere Wege, die sich im Verlauf der Industrialisierung mit der Stromerzeugung auf Sonne und Wind frühzeitig angeboten hatten, wurden lange Zeit nicht weiter verfolgt. Perspektivenreiche Alternativen waren mit der Selbstblockade der prometheischen Energienutzung vorerst verbaut.

Die habitualisierte Lernsperre zeigt sich besonders deutlich im Mobilitätssektor. Hier wird weiter auf die Technik des Verbrennungsmotors gesetzt, mit dem wenig anspruchsvollen Zusatz im Antrieb geringe Anteile erdgeschichtlich abgelagerter durch nachwachsende Organik zu ersetzen. Die hingegen perspektivenreiche Technik des Elektroantriebs wird erst seit wenigen Jahren – und in nur wenigen Ländern – ernsthaft ausgebaut. Dabei war der Elektro-Antrieb zu Beginn der Motorisierung eine dem Verbrennungs-Antrieb durchaus gleichwertige Option. Mit dem entscheidenden Vorteil, dass der Wirkungsgrad strombetriebener Motoren heute die von Verbrennungsmotoren um ein Mehrfaches übertrifft. Vorausgesetzt ist hier natürlich Stromerzeugung aus dauerhaften Energieträgern.

Den übermäßigen Zugriff auf biogene Energien lese ich auch als eine sozialpsychologisch zu erklärende gesellschaftliche Regression. Mit dem Ziel der Angstbewältigung, aufgrund der sich auftürmenden Probleme des Klimawandel und der Verknappung fossiler Ressourcen, erfolgt ein Rückzug auf eine frühere Entwicklungsstufe der Gesellschaft. Die Option »biogene Energien« führt in eine Praxis zurück, die allerdings in Europa vor rund 250 Jahren als Sackgasse erkannt und damals durch den Zugriff auf die Kohle verlassen wurde. Das frühmoderne Europa litt, bei weit geringerer Bevölkerungszahl, an einer chronischen Übernutzung der Biosphäre, insbesondere einem massiven Schwund der Waldbestände. Die Nutzung von Holz zu Energiezwecken hatte daran einen erheblichen Anteil. Mit ihr wäre die Industrialisierung in den Anfängen stecken geblieben, das alte Europa ökologisch endgültig ruiniert worden.

Angesichts dessen war der Zugriff auf den »unterirdischen Wald« ein konsequenter Ausweg. Doch führte er immer erkennbarer in eine neue Sackgasse: die Klima- und Ressourcenkrise. Auf dem Scheitelpunkt dieser Erkenntnis erleben wir gegenwärtig regressive Rückzüge in Energieoptionen einer früheren historischen Entwicklungsstufe, die aus gutem Grund damals drittrangig geworden sind.

Als Hegel um 1820, zu Beginn des fossilen Zeitalters, sein berühmtes Diktum von der erst zur Abenddämmerung auffliegenden Eule der Minerva schrieb, meinte er, einfacher formuliert, dass rettende Erkenntnisse meist zu spät kommen. Dass wir auch dazu neigen, Fehler der Vergangenheit zu vergessen, um sie dann aufs Neue zu begehen, hätte er hinzufügen können.

 

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Biogen: Aus dem biologischen Zyklus, dem Kreislauf des Wachsens und Vergehens auf der Erde stammend. Die gebräuchliche Bezeichnung »Bioenergien« ist wegen der Äquivokation zu umweltschonender Landwirtschaft irreführend. Zutreffend wäre auch »nachwachsende Organik«, durchaus in Analogie zu erdgeschichtlich abgelagerter Organik.

2

Donald Mitchell: »A Note on Rising Food Prices«, in: Policy Research Working Paper Nr. 4682, Weltbank, Juli 2008.

3

Mit den Freihandels-Vereinbarungen zwischen den USA und Mexiko in den Neunzigerjahren, die den Aufstand der Zapatistas in Chiapas auslösten, ging die bäuerliche Maisproduktion in Mexiko stark zurück. Sie wurde von den US-Großfarmen in den USA niederkonkurriert, die weit größere Flächenerträge aufweisen und die zudem von hohen Agrarsubventionen gestützt werden. Sie eroberten den Mais-Markt der rasch wachsenden mexikanischen Städte. Als im folgenden Jahrzehnt die USA massiv in die Herstellung agrarisch gewonnenen Kraftstoffs einstieg, nahm auch der dortige Maisanbau entsprechend ab. Mit der Reduzierung des Angebots schnellten die Preise für das Grundnahrungsmittel in die Höhe.

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Oxfam: »Another inconvenient truth«, Juni 2008. www.oxfam.org.uk

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Donald Mitchell, a. a. O.

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Diskutiert wird das vor allem unter dem Oberbegriff des land grabbing. Als Fallbeispiel: Hartwig Berger: »Soziale Folgen der Palmölwirtschaft. Im Agrarkapitalismus – das Beispiel Kolumbien«, in: Kommune 4/08, S. 50 ff.

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Die Expertise zu indirekten Landnutzungsänderungen durch den Anbau von Energiepflanzen wurde von der EU-Kommission beauftragt und von mehreren Fachinstituten durchgeführt. Sie liegt seit Jahresende bisher nur intern vor.

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U. a. John Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit, Frankfurt am Main 1975.

9

Hartwig Berger: »Den Tiger reiten. Logik und Moral eines weltweiten Emissionshandels«, in: Kommune 4/09, S. 18 ff. Auch unter: www.hartwig-berger.de

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Dieselbe Frage lässt sich für alle Plantagen stellen, die in der Vergangenheit infolge der Vernichtung von Regenwald eingerichtet wurden.

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Berechnungen nach der kolumbianischen Umweltorganisation CENSAT Agua Viva, S.45. Llenando tanques, vaciando territorios, Bogota 2008: www.odg.cat/documents/novetats/CENSAT2008.

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Stellungnahme des Verbands der Deutschen Holzwerkstoffindustrie, Juni 2010.

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Nehmen wir als Beispiel Vattenfall, das nach eigenem Bekunden allein in Berlin demnächst 1,28 Millionen Tonnen Holz pro Jahr energetisch nutzen will. Als Einsatzmenge in ganz Deutschland nennt Vattenfall im Sommer 2010 6 bis 8 Millionen Tonnen. Wenn wir umrechnen, wie viel Wald in hiesigen Breiten dann für den hierzu erforderlichen jährlichen Holzzuwachs erforderlich ist, kommen wir auf eine Fläche von 2500 Quadratkilometern an Wald – ein Gebiet, fast dreimal so groß wie ganz Berlin und ein rundes Viertel der Forsten des waldreichen Bundeslandes Brandenburg umfassend. Pro Hektar ist ein Zuwachs von etwa 5000 Kubikmeter Holz jährlich zu erwarten (Angaben nach Rolf Peter Sieferle: Rückblick auf die Natur, München 1997, S.144 f.). Würde das Holz aus schnell wachsenden Holzplantagen gewonnen, würde sich die Fläche – bei allen Folgeproblemen intensiver Landbewirtschaftung – auf 1300 Quadratkilometer verringern, deutlich mehr als die Fläche ganz Berlins mit 893 Quadratkilometer.

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Zur Kritik an den von Vattenfall geplanten Holzimporten aus Liberia verweise ich auf meine Artikel unter www.hartwig-berger.de

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Herbert Girardet, Miguel Mendonca: A Renewable World, London 2009, dort insbes. Kap. 2.

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Für das Jahr 2001 wurde der weltweite Holzeinschlag, sofern als Brennholz oder Holzkohle genutzt, auf 1,8 Mrd. Kubikmeter geschätzt. Als mit Abstand größtes Nutzungsland wird Indien mit 277 Mio. Kubikmeter genannt. Auch die Angaben für afrikanische Länder liegen überdurchschnittlich hoch: Äthiopien 89 Mio., Nigeria 60 Mio., Demokratische Republik Kongo 66 Mio. Kubikmeter. Entwickelte Länder weisen mit deutlich unter 10 Mio. Kubikmeter liegenden Beträgen damals deutlich geringere Werte aus. Wegen fraglicher Zuverlässigkeit dieser Statistiken sollte man sie nur als – allerdings deutliche – Trendangabe werten. – Daten nach fischer weltalmanach 2006.

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Dazu ausführlich: Hartwig Berger: Der lange Schatten des Prometheus. Über unseren Umgang mit Energie, München 2009.

 

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 1/2011