Rainer Emschermann

 

Sparen für Europas Banken

 

Wie aus EU-Partnern Gläubiger und Schuldner werden

 

 

 

Die »Eurokrise« nur ein Spekulationshype und das reiche, exportwütige und hartherzige Deutschland der böse Bube der EU? Das alles ist pure Ideologie. Tatsächlich ist es eine Schuldenkrise – und nicht alle kleinen Länder sind verschuldet. Es müsste für die Hauptschuldner das Konkursverfahren eingeleitet – und nicht ein immer teurer »Rettungsschirm« aufgezogen werden, der den EU-Bürgern einmal noch schwer auf die Zehen fallen könnte. Was heute vor sich geht, gleicht einer Zerstörung der Solidarität und ist eine Sackgasse für die Integration.

 

Dies ist die ökonomische Kurzgeschichte der Krise: Europäische Banken verstricken sich für leichte Renditeaufschläge in fragwürdige Darlehensgeschäfte. Statt, wie in der gerade vorausgegangenen Subprime-Krise, angeschlagene Banken zu verstaatlichen, wird nun die unbedingte Verpflichtung der (dieses Mal öffentlichen) Schuldner zur Rückzahlung der Darlehen verordnet. Dazu tritt die Öffentlichkeit nachträglich als Bürge der Schuldner ein und streckt Mittel zur Begleichung der Fälligkeiten vor – es können gar nicht genug sein. Zum Eintreiben der Schuld wird eine »europäische Wirtschaftsregierung« als Integrationsfortschritt dargestellt. Kurz: die Euroländer machen sich zu Zwangsvollstreckern »ihrer« Banken, und die politische Linke sekundiert. Hat jemand den falschen Film eingelegt?

Die Verwirrung der deutschen Grünen ist keine böse Absicht, sondern Ideologie: Was auch immer schiefläuft, Deutschland ist schuld, und die Antwort ist immer Europa. Die Argumentation geht ungefähr so: Weil bei uns die Löhne niedrig, die Südeuropäer arm und durch den Euro ohne Abwertungsmöglichkeit sind, haben deutsche Exporte die südeuropäischen Wirtschaften überrollt, was zur massiven Verschuldung einiger Länder führen musste. Nun sei es daher nur recht und billig, dass Deutschland sie entschulde. Gleichzeitig müsse dieses System in einer europäischen Transferunion dauerhaft verankert werden.

 

Warum es sich nicht um eine Euro-Krise handelt

Bemerkenswert an dieser Argumentation ist zunächst, dass in ihr kleinere Geberländer wie die Niederlande, Finnland oder das ärmste Land der Währungsunion, die Slowakei, gar nicht vorkommen. Hat jemand die Handelsbilanzen Hollands, Finnlands et cetera geprüft? Und wenn »arm = Handelsdefizit = Verschuldung« gilt, hätte dieser Logik gemäß dann nicht auch die Slowakei Opfer der Währungsunion sein müssen? Der öffentliche Schuldenstand dieses Landes aber ist der niedrigste in der Eurozone.

Die obige Argumentation erklärt auch nicht, warum die südeuropäischen Regierungen in die Währungsunion wollten, und zwar so, dass zwei Länder (Griechenland und Italien) dafür ihre offiziellen Statistiken fälschten; dass Deutschland auf eine große Eurozone hinausgewollt habe, lässt sich ja kaum argumentieren. Vielmehr gilt, dass kleine Ökonomien stärker von solcher Marktintegration profitieren als große. Das andere Motiv wird klar, wenn man die Zinsen für öffentliche Anleihen vor dem Beschluss zur Währungsunion vergleicht; in allen südeuropäischen Ländern lagen diese um mehrere Prozentpunkte über den deutschen. Von dem Prestigegewinn eines Beitritts in die Eurozone erhoffte man sich zu Recht eine Entlastung bei der Bedienung des meist bereits hohen Schuldenstandes.

In der Folge glichen sich die Zinsen in der Tat – zusätzlich unterstützt von der Stabilitätsorientierung der EZB – auf niedrigstem Niveau an. Vor dem Hintergrund der nun fehlenden Inflations- und Abwertungsmöglichkeit dieser Länder stieg der deutsche Kapitalexport in diese Region, wo er einen Wirtschaftsboom mitfinanzierte. Zwar zog der Konsumanstieg auch Exporte nach, aber insgesamt stagnierte die deutsche Wirtschaft: Im Jahre 2008 lag das deutsche Pro-Kopf-Einkommen nur noch knapp über dem europäischen Durchschnitt. Deutschland als Hauptprofiteur der Währungsunion zu bezeichnen ist somit nicht haltbar.

Gleichwohl wurde die Gunst der Stunde nicht zur Haushaltskonsolidierung genutzt. Die jetzt eingeklagte europäische Solidarität gilt zugunsten von Ländern, die allesamt eine geringere Staatsquote haben als Frankreich oder Deutschland; Irlands Abgabenquote liegt bei gerade mal 30 Prozent, etwas mehr als die Hälfte der dänischen; sein Wohlstand ist – wie der Luxemburgs, Heimat des Mustereuropäers Jean-Claude Juncker – auf Steuerarbitrage gegründet. Zudem erhalten die südeuropäischen Länder besonders hohe Mittel aus dem europäischen Haushalt und weisen überwiegend eine niedrige Sparquote auf – in Griechenland waren es 2008 nur 0,5 Prozent des BIP.

Nach dem Platzen der Blase ist guter Rat teuer. Klar ist erst einmal, dass die öffentlichen Defizite fast aller Industrieländer reduziert werden müssen – ganz besonders, und in dieser Reihenfolge, die in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien – aber auch bei uns. Diese Länder werden nach einer Dekade künstlicher Expansion nun unvermeidlich auf mehrere Jahre bestenfalls stagnieren, während in Deutschland und einigen Nachbarländern wieder stärker investiert wird. Die Handelsbilanzungleichgewichte gehen daher bereits deutlich zurück.

Mit der nun einsetzenden erneuten Ausdifferenzierung der Risikoaufschläge auf staatliche Anleihen auf und über das Vor-Euro-Niveau hinaus sind die Bonitätsrisiken einiger Euroländer zusätzlich gestiegen – eine Teufelsspirale droht. Bonität wird aber nicht durch zusätzliche Darlehen verbessert, sondern nur durch schnelle und ernsthafte Konsolidierungsmaßnahmen; wie erwähnt besteht hierfür nicht nur auf der Ausgaben-, sondern auch auf der Einnahmenseite erheblicher Spielraum.

Dies zeigt, dass es sich heute nicht um eine durch Spekulanten verursachte »Attacke auf den Euro« oder gar eine »Eurokrise« handelt, sondern um eine Schuldenkrise. So wenig wie sie durch den Euro entstand, so wenig würde auch ein Ausstieg Griechenlands oder Irlands aus dem Euro die Schmerzen lindern: Ob externe oder interne Abwertung – real bleibt sich der Effekt gleich: Schrumpfung. Und eine unerwartete externe Abwertung käme für ausländische Gläubiger real auf nichts anderes heraus als auf eine teilweise Schuldabschreibung.

Die notwendige Kontraktion wird aber den relativen Schuldenstand schnell erhöhen – im Falle Griechenlands werden 200 Prozent des BIP schnell näher rücken, wobei es sich überwiegend um Auslandsschulden handelt. Wer noch an eine vollständige Rückzahlung glaubt, sollte J. M. Keynes’ Studie von 1919 zum Versailler Vertrag lesen: »But it is evident that she (damals Deutschland, heute Griechenland) cannot and will not furnish the allies with a contribution ... Those allied ministers who have told their peoples that she can, have certainly deceived them for the sake of allaying for the moment the misgivings of the European peoples as to the path along which they are being led.« Früher oder später wird es zur Umschuldung kommen müssen, aus Darlehen werden Zuschüsse werden; je länger es bis dahin dauert, desto teurer wird es für die Geber werden, finanziell wie innenpolitisch; das ist der Bundesregierung ebenso klar wie (hoffentlich) der Opposition.

Der schwierige und lange Pfad Griechenlands zurück zur Stabilität über eine interne Abwertung bedarf zudem eines größeren nationalen Konsenses als eine externe Abwertung. Sie wird zur politischen Unmöglichkeit, wenn sie im Namen der Rückzahlung von Schulden an »Europa«, oft verstanden als »Deutschland«, zu geschehen hat. Keynes: »Economic privation proceeds by easy stages, and so long as men suffer it patiently the outside world cares little … Then man shakes himself and the bonds of custom are loosed. The power of ideas is sovereign, and he listens to whatever instruction of hope, illusion or revenge is carried to him on the air« – das Sein bestimmt das Bewusstsein.

 

Warum der Rettungsschirm ungerecht ist

Die amerikanische Subprime-Krise hatte vor allem deutsche, britische und irische Banken betroffen. Um eine breitere Ansteckung des Bankensystems zu verhindern, unternahmen diese Länder zum Teil teure Rettungsmaßnahmen und verstaatlichten einzelne Banken. Die öffentliche Schuldenkrise in Europa wurde allerdings auf massiven Druck Präsident Sarkozys anders behandelt: Das Paradigma einer spekulativen Attacke auf den Euro wurde bemüht, als »außergewöhnliches Ereignis« gemäß Art. 122 des AEUV, »das sich der Kontrolle (des betroffenen Mitgliedsstaates) entzieht«. Dagegen war das Land Berlin noch 2006 vor dem Bundesverfassungsgericht mit seiner Klage auf fiskalische Rettung durch den Bund gescheitert unter anderem mit der Begründung, damit würde sonst »eine nicht durch objektive Aufgaben erzwungene übermäßige Ausgabenpolitik eines Landes honoriert, was sich ebenfalls offenkundig außerhalb der Zwecke des bundesstaatlichen Finanzausgleichs« bewege.

Die Kursentwicklung des Euro lässt derweil keine Schlüsse darüber zu, ob die Rettungsaktion der Euroländer die Märkte eher beruhigt oder beunruhigt hat; beides lässt sich argumentieren und trotz einer leichten Schwäche bleibt der Euro mit circa 1,30 US-Dollar nach wie vor überbewertet (Stand 2000: 1 Euro << 1 US-Dollar).

Warum also das Wort von der »Eurokrise«? Es geht allein um einen Aufschub der unvermeidlichen Haushaltskonsolidierung in Südeuropa – und anderswo. Honi soit qui mal y pense: Französische Banken sind proportional doppelt so stark in den vier Problem-Ländern engagiert wie die deutschen. Bei der Haftung über den Rettungsmechanismus sind allerdings alle Euro-Länder gleichmäßig mit rund acht Prozent ihres BSP engagiert (BRD: 220 Mrd., FR: 170 Mrd. Euro). Italien, dessen Banken nur drei Prozent an den im Ausland gehaltenen griechischen Anleihen halten, muss 18 Prozent des Bail-outs finanzieren, während England, kein Euroland, aber doppelt so stark engagiert, fast nichts beiträgt. Während Deutschland – auch in der britischen Presse – Zögerlichkeit und Geiz vorgehalten werden, streiten die Nicht-Euro-Länder England und Schweden für Einsparungen beim EU-Haushalt um ganze 0,25 Prozent Punkte.

Die Finanzmärkte sind Zukunftsmärkte; eine energische Haushaltskonsolidierung kann – außer vielleicht im Falle Griechenlands – Zweifel über die Bonität einiger Schuldner recht schnell wieder beseitigen. Mit klareren Signalen in dieser Richtung könnten sich Spanien und Portugal durchaus in Sicherheit bringen: bei einem Schuldenstand von nur etwas über 65 Prozent wäre Spanien ähnlich wie Großbritannien schon längst kein Thema mehr. Aber provoziert eine plötzliche Konsolidierung nicht eine Nachfragelücke und Arbeitslosigkeit? Muss der Staat gegensteuern? Dieses Argument greift zu kurz, denn hier ist ja gerade das staatliche Defizit die Ursache der Krise und der gestiegenen Zinsen!

Stattdessen gibt es noch immer Kommentare wie diese: Das Haushaltsdefizit sei im vergangenen Jahr nach vorläufigen Zahlen auf weniger als 7,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zusammengeschrumpft, so der portugiesische Ministerpräsident Sokrates. Damit sei das Sparziel für 2010 übertroffen worden. Das sei »ein hervorragendes Ergebnis für Portugal«. 2009 hatte der Fehlbetrag 9,3 Prozent betragen. »Es wäre leichter, wenn wir ausländische Hilfe bekämen, weil die Anpassung dann nicht so abrupt wäre«, so ein Direktoriumsmitglied der portugiesischen Notenbank.

Wie bitte? Die Konsolidierung um zwei Prozent ist ein gutes Ergebnis? Man möchte keine »zu abrupte« Anpassung und sich lieber zusätzlich verschulden? Wenn die portugiesische Regierung keine externe Hilfe in Anspruch nähme, wäre es ihr belassen, sich als Schuldner selbst zu diskreditieren und höhere Zinsaufschläge zu provozieren. Wer jedoch einen Zusammenbruch der europäischen Finanzmärkte befürchtet und daher einen vorwiegend durch andere finanzierten Rettungsmechanismus verlangt, aus dessen Munde ist solche Laxheit unerhört. Kein Wort darüber in den europäischen Medien oder von der Europäischen Kommission – Solidarität als Einbahnstraße.

Nun sind gegenseitige Schuldzuweisungen zwischen den Mitgliedsstaaten oder die zum Teil herabwürdigenden Kommentare, unter anderem in der deutschen Presse, natürlich nicht hilfreich. Es wäre Aufgabe der Europäischen Kommission gewesen, klare Orientierung zu geben. Leider hat sie es bis heute versäumt, sich in überzeugender Weise zum Anwalt der unfreiwillig in Haftung genommenen Bürger zu machen. Stattdessen glaubt der Präsident der Europäischen Kommission noch immer, die Krise sei letztlich spekulativ verursacht und ließe sich mit einer Aufstockung des Rettungsfonds beheben. Der Verdacht liegt nahe, für Barroso bestimme das Heim das Bewusstsein. Es ist das Gefühl, solcher Inkompetenz ohnmächtig ausgeliefert zu sein, das der Debatte hierzulande die Spitze gibt.

 

Der Rettungsschirm kauft Zeit – und verschwendet sie

Der europäische Rettungsfonds war als Antwort auf eine von Spekulanten ausgelöste Krise konzipiert. Auf den Bluff der Märkte müsse man nur mit genügend Geld zurückbluffen. Die realen Ursachen der Vertrauenskrise treten aber immer deutlicher zutage. Das heißt, wer nun viel Geld in die Hand nimmt, riskiert auch, es zu verlieren. Das birgt gefährliche Anreizverzerrungen, wie das Beispiel Irlands zeigt: Statt einer deutlichen Erhöhung der Steuern hat die Regierung das Problem dem Euro-Rettungsschirm überwälzt und vertagt. Ausländer werden jetzt zu den Hauptinteressenten an einer Konsolidierung. Das ist der Kern des Projektes der sich jetzt abzeichnenden europäischen Wirtschaftsregierung. Dies ist aber kein Fortschritt, sondern undemokratisch. Die Drohung des »Durchregierens« durch eine europäische Wirtschaftsregierung ist nicht nur unrealistisch, sondern birgt einen Anreiz zum »Outsourcen« des politischen Risikos notwendiger Konsolidierungspolitik. Nationale Politiker bekommen Anreize, sich zu Verteidigern nationaler Interessen gegen »Deutschland und Europa« aufzuschwingen.

Europa sollte diese Rolle nicht anstreben. Weise ist, wer dem Freund das Notwendige gibt und es sogleich abschreibt. Aus Partnern werden nun aber Gläubiger und Schuldner. Innereuropäischer Streit um die Rückzahlungen ist nicht auszuschließen. Obwohl die Bundesregierung ja im Gegensatz zu Präsident Sarkozy kein vorrangiges Interesse an einer Lösung im Euro-Rahmen hatte, macht gerade sie sich jetzt im europäischen Bewusstsein als »europäischer Hegemon« angreifbar. Wenn Frau Merkel in der Neujahrsansprache stolz verkündet, Deutschlands Einfluss in Europa sei im letzten Jahr gestiegen, so hört man diese Zeitbombe ticken. Schlimmer noch: Mit dem Bail-out der europäischen Banken werden Europa und Deutschland unweigerlich für die notwendig nun erfolgende Stagnations- oder Schrumpfungsphase verantwortlich gemacht werden.

Die politische Klasse wird ihr Krisenmanagement seit April 2010 nicht dauerhaft als alternativlos darstellen können. Die zum Teil abzuschreibenden Mittel der europäischen Rettungsfonds werden erst noch zu erbringen sein, typischerweise durch den Verzicht auf ökologische und soziale Politiken: »Sparen für Europa« ist nirgendwo ein Wahlkampfgewinner. Politische Gewinner sind die gegenwärtig in Europa regierenden Konservativen, die heutige Probleme auf nachfolgende Regierungen überwälzen und sich zudem als Verteidiger »nationaler Interessen« profilieren. Es bleibt völlig unverständlich, warum die Grünen einen so massiven Ressourcentransfer zugunsten der europäischen Banken dulden – geradezu beschwört – und damit den Spielraum für soziale und ökologische Politik weiter reduziert.

Kurz: Der Rettungsschirm verschleppt die Konsolidierung, da er falsche Anreize für Politiker setzt. Sobald Abschreibungen auf die Rettungsfonds anstehen, wird die europäische Solidarität, die ja durchaus in Ansätzen vorhanden ist, in den Gläubigerländern diskreditiert sein – nicht zuletzt aufgrund der Unehrlichkeit der Politik. Es ist nicht zu übersehen, dass die politischen Risiken des Bail-outs damit mindestens so hoch zu bewerten sind wie die finanziellen.

 

Neuanfang fördern statt Konkursverschleppung finanzieren!

Es gilt nun, die Glaubwürdigkeit der Europapolitik zu retten, indem die Alternativen offen benannt werden. Wie Griechenland neue Anleihen mit Frist nach Ende des Rettungsfonds begeben soll, kann heute niemand erklären. Die Darlehen an Griechenland sind daher als das zu benennen, was sie in Wirklichkeit sind: zum Teil verlorene Zuschüsse. Der Übergang zum neuen, ab 2013 in Kraft tretenden »Europäischen Finanzmarktstabilisierungsmechanismus – EFSM« wird einen neuen Glaubwürdigkeitstest der öffentlichen Finanzen mit sich bringen. Die Märkte werden dies vorwegnehmen. Während für Griechenland eine Umschuldung als ausgemacht gilt, sind allerdings Irland, Portugal und Spanien überhaupt nicht bankrott. Ohne schnelle und glaubwürdige Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung werden sie sich aber nicht mehr lange halten können. Wer Griechenland eine ungleich härtere Konsolidierung verordnet, muss sich auch selbst etwas abverlangen. Folgende Schritte sind daher dringend geboten:

  Statt sich auf die Anhebung des Rettungsfonds zu konzentrieren, muss die Europäische Kommission auf die konkursgefährdeten Länder einwirken, schnell die Glaubwürdigkeit ihrer öffentlichen Finanzen zu stärken und sich gegen eine griechische Umschuldung abzusichern.

  Die sogenannte Solidarität mit Griechenland muss in eine »Solidarität mit den Griechen« überführt werden: Europäische Kommission und IWF müssen mit Griechenland Vorbereitungen für einen geordneten Konkurs im Frühjahr treffen, der zu einer Teil-Entschuldung führen muss. So weit wie möglich sollten die Prinzipien des neuen Post-2012-Mechanismus Anwendung finden (debt-equity swap, etc.).

  Die EU (und nicht etwa nur die Eurozone) muss Griechenland bei seinem Neuanfang helfen und beispielsweise einem Bankenrun durch eine angemessene Mindestgarantie für Bankeinlagen entgegenwirken. Hierzu müssen für Griechenland im EU-Haushalt bis 2013 reservierte Mittel, insbesondere Strukturfonds, in ungebundene Zuschüsse gewandelt und sofort ausgezahlt werden (2011/13 kumuliert etwa 4 bis 6 % des BSP). Zudem sollten bei Bedarf aus dem griechischen Rettungsfonds verbleibende Mittel genutzt werden.

  Die EZB ist mittlerweile die europäische Bad Bank. Der gezielte Kauf öffentlicher Subprime-Anleihen für über 100 Milliarden Euro ist keine Geld- sondern Fiskalpolitik. Damit verstößt sie gegen ihren Auftrag und verwirkt ihre Legitimation als unabhängige Institution. Diese Aktivität muss sofort eingestellt werden.

  Die Idee europäischer Anleihen (Eurobonds oder »Blue Bonds« und »Red Bonds«) zur schmerzlosen Lösung des Schuldenproblems ist Hokuspokus: Blue Bonds konzentrieren das Glaubwürdigkeitsrisiko öffentlicher Schuldner auf andere Bonds desselben Emittenten (eben die »Red Bonds«), die damit unverkäuflich werden. Auch Eurobonds stellen nur eine Verschleierung und damit eine Verschiebung des Problems dar.

  Eine europäische »Wirtschaftsregierung« sollte näher definiert werden. Es gibt keinen Anlass, aufgrund einer durch übermäßige Schulden verursachten Krise zu einer Transferunion auf Kosten der solider wirtschaftenden Mitgliedsstaaten überzugehen. Die stärkere Rolle Europas muss auf die Verbesserung der Transparenz öffentlicher Finanzen konzentriert werden, um einer erneuten Fehleinschätzung der Märkte über ihre Nachhaltigkeit vorzubeugen. Ein europäisches »Durchregieren« bei exzessiven Defiziten schafft falsche Anreize und ist ohnehin unnötig, wenn – gemäß dem neuen Rettungsmechanismus ab 2013 – eine Zahlungsunfähigkeit nicht mehr ausgeschlossen wird.

  Der neue, ab 2013 geltende Mechanismus sollte als EU-Mechanismus definiert werden und alle Mitgliedsstaaten einschließen, etwa auch über eine stärkere Abwicklung über den EU-Haushalt. Die Mitgliedsstaaten sollten unabhängig von ihrer Euro-Zugehörigkeit und gemäß den jeweiligen Engagements ihrer Banken an seiner Finanzierung beteiligt werden. Dasselbe Prinzip muss auch für die von der Kommission nun angedachte nachträgliche Bankenbeteiligung gelten: Vorsichtige und risikofreudige Institute dürfen nicht gleich behandelt werden; das wäre nicht nur unfair, sondern würde auch den Wettbewerb zugunsten letzterer verzerren.

  Europa wartet auf den Moment, an dem die EU-Kommission dem Bürger die Schulden- und Bankenkrise sowie die notwendigen Maßnahmen in verständlichen Worten – und nicht als Sachzwang – erklärt. Die Abschreibung der bisherigen Hilfen und eine Bürgerhilfe für Griechenland sind als finanziell und zeitlich begrenzte Aktionen besser erklärbar als die fortgesetzte Hilfe ohne Aussicht auf Erstattung. So muss auch die Öffentlichkeit in England, Schweden und anderen EU-Ländern für ihre Verantwortung sensibilisiert werden.

Freiwilligkeit und gleiches Maß

Dem oben Gesagten mag man entgegenhalten, es sei zu stark von einem nationalen Blickwinkel geprägt. Dies gilt aber notwendig für jeden Beitrag zu diesem Thema. Gerade die deutsche Geschichte lehrt uns, Ideologie nicht über Common Sense zu stellen. So ist es zwar politisch korrekt, im Zweifel »mehr Europa« zu fordern; nichts ersetzt aber ein eigenes Urteil.

Der unvoreingenommene Betrachter wird schnell zum Schluss kommen, dass die Schuldenkrise als Gründungsmythos eines neuen Europas völlig ungeeignet ist, schon weil er erzwungen ist. Wenn Staaten über ihre Verhältnisse leben, Banken sich verspekulieren und in dieser eigentlich privatwirtschaftlichen Angelegenheit Steuerzahler nachträglich zu Bürgen der Schuldner aller Banken dieser Welt werden, ohne dass die öffentliche Hand, wie sonst üblich, nennenswertes Eigentum an den Geretteten erhält, dann schadet dies Europa. Die deutsche Opposition wird daher ihrer Rolle als Anbieter politischer Alternativen zurzeit nicht gerecht. Linken und rechten Populisten wird damit die Tür weit geöffnet; der Boden für eine grundlegende Verschiebung des politischen Diskurses zuungunsten nachhaltiger und europäischer Politik wird bereitet.

In der Politik ist das Erreichte nie als sichere Plattform anzusehen: Das Mehr riskiert immer, das Erreichte wieder einzureißen. Das politische Risiko des jetzt eingeschlagenen Weges besteht darin, dass er gerade hierzulande eine heftige politische Gegenreaktion erzeugen wird, die – ähnlich wie die Finanzmärkte – übersteuern und in der sich Deutschland wieder einmal selbst isolieren könnte. Die Zerbrechlichkeit Europas nimmt mit wachsender Integration zu. Was für Freundschaften gilt, stimmt auch für Europa: Freiwilligkeit und gleiches Maß sind die Garanten ihres Bestands.

 

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 1/2011