Rainer Emschermann
Sparen für Europas Banken
Wie aus EU-Partnern Gläubiger und Schuldner werden
Die »Eurokrise« nur ein Spekulationshype und das reiche,
exportwütige und hartherzige Deutschland der böse Bube der EU? Das alles ist
pure Ideologie. Tatsächlich ist es eine Schuldenkrise – und nicht alle kleinen
Länder sind verschuldet. Es müsste für die Hauptschuldner das Konkursverfahren
eingeleitet – und nicht ein immer teurer »Rettungsschirm« aufgezogen werden,
der den EU-Bürgern einmal noch schwer auf die Zehen fallen könnte. Was heute
vor sich geht, gleicht einer Zerstörung der Solidarität und ist eine Sackgasse
für die Integration.
Dies ist die
ökonomische Kurzgeschichte der Krise: Europäische Banken verstricken sich für
leichte Renditeaufschläge in fragwürdige Darlehensgeschäfte. Statt, wie in der
gerade vorausgegangenen Subprime-Krise, angeschlagene
Banken zu verstaatlichen, wird nun die unbedingte Verpflichtung der (dieses Mal
öffentlichen) Schuldner zur Rückzahlung der Darlehen verordnet. Dazu tritt die
Öffentlichkeit nachträglich als Bürge der Schuldner ein und streckt Mittel zur
Begleichung der Fälligkeiten vor – es können gar nicht
genug sein. Zum Eintreiben der Schuld wird eine »europäische
Wirtschaftsregierung« als Integrationsfortschritt dargestellt. Kurz: die
Euroländer machen sich zu Zwangsvollstreckern »ihrer« Banken, und die
politische Linke sekundiert. Hat jemand den falschen Film eingelegt?
Die Verwirrung der
deutschen Grünen ist keine böse Absicht, sondern Ideologie: Was auch immer schiefläuft,
Deutschland ist schuld, und die Antwort ist immer Europa. Die Argumentation
geht ungefähr so: Weil bei uns die Löhne niedrig, die Südeuropäer arm und durch
den Euro ohne Abwertungsmöglichkeit sind, haben deutsche Exporte die
südeuropäischen Wirtschaften überrollt, was zur massiven Verschuldung einiger
Länder führen musste. Nun sei es daher nur recht und billig, dass Deutschland
sie entschulde. Gleichzeitig müsse dieses System in einer europäischen
Transferunion dauerhaft verankert werden.
Warum es sich nicht
um eine Euro-Krise handelt
Bemerkenswert an
dieser Argumentation ist zunächst, dass in ihr kleinere Geberländer wie die
Niederlande, Finnland oder das ärmste Land der Währungsunion, die Slowakei, gar
nicht vorkommen. Hat jemand die Handelsbilanzen Hollands, Finnlands et cetera geprüft? Und wenn »arm = Handelsdefizit =
Verschuldung« gilt, hätte dieser Logik gemäß dann nicht auch die Slowakei Opfer
der Währungsunion sein müssen? Der öffentliche Schuldenstand dieses Landes aber
ist der niedrigste in der Eurozone.
Die obige
Argumentation erklärt auch nicht, warum die südeuropäischen Regierungen in die
Währungsunion wollten, und zwar so, dass zwei Länder (Griechenland und Italien)
dafür ihre offiziellen Statistiken fälschten; dass Deutschland auf eine große
Eurozone hinausgewollt habe, lässt sich ja kaum argumentieren. Vielmehr gilt,
dass kleine Ökonomien stärker von solcher Marktintegration profitieren als
große. Das andere Motiv wird klar, wenn man die Zinsen für öffentliche Anleihen
vor dem Beschluss zur Währungsunion vergleicht; in allen südeuropäischen
Ländern lagen diese um mehrere Prozentpunkte über den deutschen. Von dem
Prestigegewinn eines Beitritts in die Eurozone erhoffte man sich zu Recht eine
Entlastung bei der Bedienung des meist bereits hohen Schuldenstandes.
In der Folge glichen
sich die Zinsen in der Tat – zusätzlich unterstützt von der
Stabilitätsorientierung der EZB – auf niedrigstem Niveau an. Vor dem
Hintergrund der nun fehlenden Inflations- und Abwertungsmöglichkeit dieser
Länder stieg der deutsche Kapitalexport in diese Region, wo er einen
Wirtschaftsboom mitfinanzierte. Zwar zog der Konsumanstieg auch Exporte nach,
aber insgesamt stagnierte die deutsche Wirtschaft: Im Jahre 2008 lag das
deutsche Pro-Kopf-Einkommen nur noch knapp über dem europäischen Durchschnitt.
Deutschland als Hauptprofiteur der Währungsunion zu bezeichnen ist somit nicht
haltbar.
Gleichwohl wurde die
Gunst der Stunde nicht zur Haushaltskonsolidierung genutzt. Die jetzt
eingeklagte europäische Solidarität gilt zugunsten von Ländern, die allesamt
eine geringere Staatsquote haben als Frankreich oder Deutschland; Irlands
Abgabenquote liegt bei gerade mal 30 Prozent, etwas mehr als die Hälfte der
dänischen; sein Wohlstand ist – wie der Luxemburgs, Heimat des Mustereuropäers
Jean-Claude Juncker – auf Steuerarbitrage gegründet. Zudem erhalten die
südeuropäischen Länder besonders hohe Mittel aus dem europäischen Haushalt und
weisen überwiegend eine niedrige Sparquote auf – in Griechenland waren es 2008
nur 0,5 Prozent des BIP.
Nach dem Platzen der
Blase ist guter Rat teuer. Klar ist erst einmal, dass die öffentlichen Defizite
fast aller Industrieländer reduziert werden müssen – ganz besonders, und in
dieser Reihenfolge, die in Griechenland, Irland, Portugal und Spanien – aber
auch bei uns. Diese Länder werden nach einer Dekade künstlicher Expansion nun
unvermeidlich auf mehrere Jahre bestenfalls stagnieren, während in Deutschland
und einigen Nachbarländern wieder stärker investiert wird. Die
Handelsbilanzungleichgewichte gehen daher bereits deutlich zurück.
Mit der nun
einsetzenden erneuten Ausdifferenzierung der Risikoaufschläge auf staatliche
Anleihen auf und über das Vor-Euro-Niveau hinaus sind die Bonitätsrisiken
einiger Euroländer zusätzlich gestiegen – eine Teufelsspirale droht. Bonität
wird aber nicht durch zusätzliche Darlehen verbessert, sondern nur durch
schnelle und ernsthafte Konsolidierungsmaßnahmen; wie erwähnt besteht hierfür
nicht nur auf der Ausgaben-, sondern auch auf der Einnahmenseite
erheblicher Spielraum.
Dies zeigt, dass es
sich heute nicht um eine durch Spekulanten verursachte »Attacke auf den Euro«
oder gar eine »Eurokrise« handelt, sondern um eine Schuldenkrise. So wenig wie
sie durch den Euro entstand, so wenig würde auch ein Ausstieg Griechenlands oder
Irlands aus dem Euro die Schmerzen lindern: Ob externe oder interne Abwertung –
real bleibt sich der Effekt gleich: Schrumpfung. Und eine unerwartete externe
Abwertung käme für ausländische Gläubiger real auf nichts anderes heraus als
auf eine teilweise Schuldabschreibung.
Die notwendige
Kontraktion wird aber den relativen Schuldenstand schnell erhöhen – im Falle
Griechenlands werden 200 Prozent des BIP schnell näher rücken, wobei es sich
überwiegend um Auslandsschulden handelt. Wer noch an eine vollständige
Rückzahlung glaubt, sollte J. M. Keynes’ Studie von 1919 zum Versailler Vertrag
lesen: »But it is evident that she (damals Deutschland,
heute Griechenland) cannot and
will not furnish the allies with a contribution
... Those allied ministers who have told their peoples
that she can, have certainly deceived them for the sake of allaying for the
moment the misgivings of the European peoples as to the path along which they
are being led.« Früher
oder später wird es zur Umschuldung kommen müssen, aus Darlehen werden
Zuschüsse werden; je länger es bis dahin dauert, desto teurer wird es für die
Geber werden, finanziell wie innenpolitisch; das ist der Bundesregierung ebenso
klar wie (hoffentlich) der Opposition.
Der schwierige und
lange Pfad Griechenlands zurück zur Stabilität über eine interne Abwertung
bedarf zudem eines größeren nationalen Konsenses als eine externe Abwertung.
Sie wird zur politischen Unmöglichkeit, wenn sie im Namen der Rückzahlung von
Schulden an »Europa«, oft verstanden als »Deutschland«, zu geschehen hat. Keynes: »Economic privation proceeds by easy stages, and so long as men
suffer it patiently the outside world cares little … Then man shakes himself
and the bonds of custom are loosed. The power of ideas is sovereign, and he
listens to whatever instruction of hope, illusion or revenge is carried to him
on the air« – das Sein bestimmt
das Bewusstsein.
Warum der Rettungsschirm ungerecht ist
Die amerikanische Subprime-Krise hatte vor allem deutsche, britische und
irische Banken betroffen. Um eine breitere Ansteckung des Bankensystems zu
verhindern, unternahmen diese Länder zum Teil teure Rettungsmaßnahmen und
verstaatlichten einzelne Banken. Die öffentliche Schuldenkrise in Europa wurde
allerdings auf massiven Druck Präsident Sarkozys anders behandelt: Das
Paradigma einer spekulativen Attacke auf den Euro wurde bemüht, als
»außergewöhnliches Ereignis« gemäß Art. 122 des AEUV, »das sich der Kontrolle
(des betroffenen Mitgliedsstaates) entzieht«. Dagegen war das Land Berlin noch
2006 vor dem Bundesverfassungsgericht mit seiner Klage auf fiskalische Rettung
durch den Bund gescheitert unter anderem mit der Begründung, damit würde sonst
»eine nicht durch objektive Aufgaben erzwungene übermäßige Ausgabenpolitik
eines Landes honoriert, was sich ebenfalls offenkundig außerhalb der Zwecke des
bundesstaatlichen Finanzausgleichs« bewege.
Die Kursentwicklung
des Euro lässt derweil keine Schlüsse darüber zu, ob die Rettungsaktion der
Euroländer die Märkte eher beruhigt oder beunruhigt hat; beides lässt sich
argumentieren und trotz einer leichten Schwäche bleibt der Euro mit circa 1,30
US-Dollar nach wie vor überbewertet (Stand 2000: 1 Euro << 1 US-Dollar).
Warum also das Wort
von der »Eurokrise«? Es geht allein um einen Aufschub der unvermeidlichen
Haushaltskonsolidierung in Südeuropa – und anderswo. Honi
soit qui mal y pense: Französische Banken sind proportional doppelt so
stark in den vier Problem-Ländern engagiert wie die deutschen. Bei der Haftung
über den Rettungsmechanismus sind allerdings alle Euro-Länder gleichmäßig mit
rund acht Prozent ihres BSP engagiert (BRD: 220 Mrd., FR: 170 Mrd. Euro).
Italien, dessen Banken nur drei Prozent an den im Ausland gehaltenen
griechischen Anleihen halten, muss 18 Prozent des Bail-outs
finanzieren, während England, kein Euroland, aber doppelt so stark engagiert,
fast nichts beiträgt. Während Deutschland – auch in der britischen Presse – Zögerlichkeit und Geiz vorgehalten werden, streiten die
Nicht-Euro-Länder England und Schweden für Einsparungen beim EU-Haushalt um ganze
0,25 Prozent Punkte.
Die Finanzmärkte sind
Zukunftsmärkte; eine energische Haushaltskonsolidierung kann – außer vielleicht
im Falle Griechenlands – Zweifel über die Bonität einiger Schuldner recht
schnell wieder beseitigen. Mit klareren Signalen in dieser Richtung könnten
sich Spanien und Portugal durchaus in Sicherheit bringen: bei einem
Schuldenstand von nur etwas über 65 Prozent wäre Spanien ähnlich wie
Großbritannien schon längst kein Thema mehr. Aber provoziert eine plötzliche
Konsolidierung nicht eine Nachfragelücke und Arbeitslosigkeit? Muss der Staat
gegensteuern? Dieses Argument greift zu kurz, denn hier ist ja gerade das
staatliche Defizit die Ursache der Krise und der gestiegenen Zinsen!
Stattdessen gibt es
noch immer Kommentare wie diese: Das Haushaltsdefizit sei im vergangenen Jahr
nach vorläufigen Zahlen auf weniger als 7,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
zusammengeschrumpft, so der portugiesische Ministerpräsident Sokrates. Damit
sei das Sparziel für 2010 übertroffen worden. Das sei »ein hervorragendes
Ergebnis für Portugal«. 2009 hatte der Fehlbetrag 9,3 Prozent betragen. »Es
wäre leichter, wenn wir ausländische Hilfe bekämen, weil die Anpassung dann
nicht so abrupt wäre«, so ein Direktoriumsmitglied der portugiesischen
Notenbank.
Wie bitte? Die
Konsolidierung um zwei Prozent ist ein gutes Ergebnis? Man möchte keine »zu
abrupte« Anpassung und sich lieber zusätzlich verschulden? Wenn die
portugiesische Regierung keine externe Hilfe in Anspruch nähme, wäre es ihr
belassen, sich als Schuldner selbst zu diskreditieren und höhere Zinsaufschläge
zu provozieren. Wer jedoch einen Zusammenbruch der europäischen Finanzmärkte
befürchtet und daher einen vorwiegend durch andere finanzierten
Rettungsmechanismus verlangt, aus dessen Munde ist solche Laxheit unerhört.
Kein Wort darüber in den europäischen Medien oder von der Europäischen
Kommission – Solidarität als Einbahnstraße.
Nun sind gegenseitige
Schuldzuweisungen zwischen den Mitgliedsstaaten oder die zum Teil
herabwürdigenden Kommentare, unter anderem in der deutschen Presse, natürlich
nicht hilfreich. Es wäre Aufgabe der Europäischen Kommission gewesen, klare
Orientierung zu geben. Leider hat sie es bis heute versäumt, sich in
überzeugender Weise zum Anwalt der unfreiwillig in Haftung genommenen Bürger zu
machen. Stattdessen glaubt der Präsident der Europäischen Kommission noch
immer, die Krise sei letztlich spekulativ verursacht und ließe sich mit einer
Aufstockung des Rettungsfonds beheben. Der Verdacht liegt nahe, für Barroso bestimme das Heim das Bewusstsein. Es ist das
Gefühl, solcher Inkompetenz ohnmächtig ausgeliefert zu sein, das der Debatte
hierzulande die Spitze gibt.
Der Rettungsschirm
kauft Zeit – und verschwendet sie
Der europäische
Rettungsfonds war als Antwort auf eine von Spekulanten ausgelöste Krise
konzipiert. Auf den Bluff der Märkte müsse man nur mit genügend Geld
zurückbluffen. Die realen Ursachen der Vertrauenskrise treten aber immer
deutlicher zutage. Das heißt, wer nun viel Geld in die Hand nimmt, riskiert
auch, es zu verlieren. Das birgt gefährliche Anreizverzerrungen,
wie das Beispiel Irlands zeigt: Statt einer deutlichen Erhöhung der Steuern hat
die Regierung das Problem dem Euro-Rettungsschirm überwälzt und vertagt.
Ausländer werden jetzt zu den Hauptinteressenten an einer Konsolidierung. Das
ist der Kern des Projektes der sich jetzt abzeichnenden europäischen
Wirtschaftsregierung. Dies ist aber kein Fortschritt, sondern undemokratisch.
Die Drohung des »Durchregierens« durch eine
europäische Wirtschaftsregierung ist nicht nur unrealistisch, sondern birgt
einen Anreiz zum »Outsourcen« des politischen Risikos notwendiger
Konsolidierungspolitik. Nationale Politiker bekommen Anreize, sich zu
Verteidigern nationaler Interessen gegen »Deutschland und Europa«
aufzuschwingen.
Europa sollte diese
Rolle nicht anstreben. Weise ist, wer dem Freund das Notwendige gibt und es
sogleich abschreibt. Aus Partnern werden nun aber Gläubiger und Schuldner.
Innereuropäischer Streit um die Rückzahlungen ist nicht
auszuschließen. Obwohl die Bundesregierung ja im Gegensatz zu Präsident Sarkozy
kein vorrangiges Interesse an einer Lösung im Euro-Rahmen hatte, macht gerade
sie sich jetzt im europäischen Bewusstsein als »europäischer Hegemon« angreifbar. Wenn Frau Merkel in der
Neujahrsansprache stolz verkündet, Deutschlands Einfluss in Europa sei im
letzten Jahr gestiegen, so hört man diese Zeitbombe ticken. Schlimmer noch: Mit
dem Bail-out der europäischen Banken werden Europa
und Deutschland unweigerlich für die notwendig nun erfolgende Stagnations- oder
Schrumpfungsphase verantwortlich gemacht werden.
Die politische Klasse
wird ihr Krisenmanagement seit April 2010 nicht dauerhaft als alternativlos
darstellen können. Die zum Teil abzuschreibenden Mittel der europäischen
Rettungsfonds werden erst noch zu erbringen sein, typischerweise durch den
Verzicht auf ökologische und soziale Politiken: »Sparen für Europa« ist
nirgendwo ein Wahlkampfgewinner. Politische Gewinner sind die gegenwärtig in
Europa regierenden Konservativen, die heutige Probleme auf nachfolgende
Regierungen überwälzen und sich zudem als Verteidiger »nationaler Interessen«
profilieren. Es bleibt völlig unverständlich, warum die Grünen einen so
massiven Ressourcentransfer zugunsten der europäischen Banken dulden – geradezu
beschwört – und damit den Spielraum für soziale und ökologische Politik weiter
reduziert.
Kurz: Der
Rettungsschirm verschleppt die Konsolidierung, da er falsche Anreize für
Politiker setzt. Sobald Abschreibungen auf die Rettungsfonds anstehen, wird die
europäische Solidarität, die ja durchaus in Ansätzen vorhanden ist, in den
Gläubigerländern diskreditiert sein – nicht zuletzt aufgrund der Unehrlichkeit
der Politik. Es ist nicht zu übersehen, dass die politischen Risiken des Bail-outs damit mindestens so hoch zu bewerten sind wie die
finanziellen.
Neuanfang fördern statt Konkursverschleppung finanzieren!
Es gilt nun, die
Glaubwürdigkeit der Europapolitik zu retten, indem die Alternativen offen
benannt werden. Wie Griechenland neue Anleihen mit Frist nach Ende des
Rettungsfonds begeben soll, kann heute niemand erklären. Die Darlehen an
Griechenland sind daher als das zu benennen, was sie in Wirklichkeit sind: zum
Teil verlorene Zuschüsse. Der Übergang zum neuen, ab 2013 in Kraft tretenden
»Europäischen Finanzmarktstabilisierungsmechanismus – EFSM« wird einen neuen
Glaubwürdigkeitstest der öffentlichen Finanzen mit sich bringen. Die Märkte
werden dies vorwegnehmen. Während für Griechenland eine Umschuldung als
ausgemacht gilt, sind allerdings Irland, Portugal und Spanien überhaupt nicht
bankrott. Ohne schnelle und glaubwürdige Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung
werden sie sich aber nicht mehr lange halten können. Wer Griechenland eine
ungleich härtere Konsolidierung verordnet, muss sich auch selbst etwas
abverlangen. Folgende Schritte sind daher dringend geboten:
– Statt sich auf die Anhebung des Rettungsfonds
zu konzentrieren, muss die Europäische Kommission auf die konkursgefährdeten
Länder einwirken, schnell die Glaubwürdigkeit ihrer öffentlichen Finanzen zu
stärken und sich gegen eine griechische Umschuldung abzusichern.
– Die sogenannte Solidarität mit Griechenland
muss in eine »Solidarität mit den Griechen« überführt werden: Europäische
Kommission und IWF müssen mit Griechenland Vorbereitungen für einen geordneten
Konkurs im Frühjahr treffen, der zu einer Teil-Entschuldung führen muss. So
weit wie möglich sollten die Prinzipien des neuen Post-2012-Mechanismus
Anwendung finden (debt-equity swap,
etc.).
– Die EU (und nicht etwa nur die Eurozone) muss
Griechenland bei seinem Neuanfang helfen und beispielsweise einem Bankenrun
durch eine angemessene Mindestgarantie für Bankeinlagen entgegenwirken. Hierzu
müssen für Griechenland im EU-Haushalt bis 2013 reservierte Mittel,
insbesondere Strukturfonds, in ungebundene Zuschüsse gewandelt und sofort
ausgezahlt werden (2011/13 kumuliert etwa 4 bis 6 % des BSP). Zudem
sollten bei Bedarf aus dem griechischen Rettungsfonds verbleibende Mittel
genutzt werden.
– Die EZB ist mittlerweile die europäische Bad
Bank. Der gezielte Kauf öffentlicher Subprime-Anleihen
für über 100 Milliarden Euro ist keine Geld- sondern Fiskalpolitik. Damit
verstößt sie gegen ihren Auftrag und verwirkt ihre Legitimation als unabhängige
Institution. Diese Aktivität muss sofort eingestellt werden.
– Die Idee europäischer Anleihen (Eurobonds
oder »Blue Bonds« und »Red Bonds«) zur schmerzlosen
Lösung des Schuldenproblems ist Hokuspokus: Blue Bonds konzentrieren das
Glaubwürdigkeitsrisiko öffentlicher Schuldner auf andere Bonds desselben
Emittenten (eben die »Red Bonds«), die damit
unverkäuflich werden. Auch Eurobonds stellen nur eine Verschleierung und damit
eine Verschiebung des Problems dar.
– Eine europäische »Wirtschaftsregierung«
sollte näher definiert werden. Es gibt keinen Anlass, aufgrund einer durch
übermäßige Schulden verursachten Krise zu einer Transferunion auf Kosten der
solider wirtschaftenden Mitgliedsstaaten überzugehen. Die stärkere Rolle
Europas muss auf die Verbesserung der Transparenz öffentlicher Finanzen
konzentriert werden, um einer erneuten Fehleinschätzung der Märkte über ihre
Nachhaltigkeit vorzubeugen. Ein europäisches »Durchregieren«
bei exzessiven Defiziten schafft falsche Anreize und ist ohnehin unnötig, wenn
– gemäß dem neuen Rettungsmechanismus ab 2013 – eine Zahlungsunfähigkeit nicht
mehr ausgeschlossen wird.
– Der neue, ab 2013 geltende Mechanismus sollte
als EU-Mechanismus definiert werden und alle Mitgliedsstaaten einschließen,
etwa auch über eine stärkere Abwicklung über den EU-Haushalt. Die
Mitgliedsstaaten sollten unabhängig von ihrer Euro-Zugehörigkeit und gemäß den jeweiligen
Engagements ihrer Banken an seiner Finanzierung beteiligt werden. Dasselbe
Prinzip muss auch für die von der Kommission nun angedachte nachträgliche
Bankenbeteiligung gelten: Vorsichtige und risikofreudige Institute dürfen nicht
gleich behandelt werden; das wäre nicht nur unfair, sondern würde auch den
Wettbewerb zugunsten letzterer verzerren.
– Europa wartet auf den Moment, an dem die
EU-Kommission dem Bürger die Schulden- und Bankenkrise sowie die notwendigen
Maßnahmen in verständlichen Worten – und nicht als Sachzwang – erklärt. Die
Abschreibung der bisherigen Hilfen und eine Bürgerhilfe für Griechenland sind
als finanziell und zeitlich begrenzte Aktionen besser erklärbar als die
fortgesetzte Hilfe ohne Aussicht auf Erstattung. So muss auch die
Öffentlichkeit in England, Schweden und anderen EU-Ländern für ihre
Verantwortung sensibilisiert werden.
Freiwilligkeit und
gleiches Maß
Dem oben Gesagten mag
man entgegenhalten, es sei zu stark von einem nationalen Blickwinkel geprägt.
Dies gilt aber notwendig für jeden Beitrag zu diesem Thema. Gerade die deutsche
Geschichte lehrt uns, Ideologie nicht über Common Sense zu stellen. So ist es
zwar politisch korrekt, im Zweifel »mehr Europa« zu fordern; nichts ersetzt aber
ein eigenes Urteil.
Der unvoreingenommene
Betrachter wird schnell zum Schluss kommen, dass die Schuldenkrise als
Gründungsmythos eines neuen Europas völlig ungeeignet ist, schon weil er
erzwungen ist. Wenn Staaten über ihre Verhältnisse leben, Banken sich
verspekulieren und in dieser eigentlich privatwirtschaftlichen Angelegenheit
Steuerzahler nachträglich zu Bürgen der Schuldner aller Banken dieser Welt
werden, ohne dass die öffentliche Hand, wie sonst üblich, nennenswertes
Eigentum an den Geretteten erhält, dann schadet dies Europa. Die deutsche
Opposition wird daher ihrer Rolle als Anbieter politischer Alternativen zurzeit
nicht gerecht. Linken und rechten Populisten wird damit die Tür weit geöffnet;
der Boden für eine grundlegende Verschiebung des politischen Diskurses
zuungunsten nachhaltiger und europäischer Politik wird bereitet.
In der Politik ist
das Erreichte nie als sichere Plattform anzusehen: Das Mehr riskiert immer, das
Erreichte wieder einzureißen. Das politische Risiko des jetzt eingeschlagenen
Weges besteht darin, dass er gerade hierzulande eine heftige politische
Gegenreaktion erzeugen wird, die – ähnlich wie die Finanzmärkte – übersteuern
und in der sich Deutschland wieder einmal selbst isolieren könnte. Die
Zerbrechlichkeit Europas nimmt mit wachsender Integration zu. Was für
Freundschaften gilt, stimmt auch für Europa: Freiwilligkeit und gleiches Maß
sind die Garanten ihres Bestands.