Editorial

Michael Ackermann

Die Versuchung liegt nahe, die hochgezogene Diskussion zur gewalttätigen Vergangenheit des Außenministers einzig als pure Medienkampagne zugunsten einer stochernden, haltlosen Opposition wahrzunehmen. Diese glaubte denn ja auch, sie könne aus der Fragestunde des Bundestages einen "Aufstand der Anständigen" machen. Der allerdings bekam nur den Charakter einer peinlichen "Generalabrechnung" mit einer entscheidenden Etappe der Bundesrepublik.

Gerade das aber machte auch Leute zornig, die sich keineswegs zu den Fans von Joschka Fischer oder der "Generation der 68er" zählen: "Man hat den Eindruck, daß es nicht darum geht, über die Gewalt von 1968 zu reden. Man hat den Eindruck, es gehe darum, in einer Gesellschaft, die endlich den ideologischen Frieden gefunden hat, neue Gewalt zu säen, neue Kriegs- und Frontlinien zu ziehen." Das Zitat stammt von Florian Illies (FAZ, 19.1.01), der einen mit seinem Label von der "Generation Golf" ganz schön nerven kann, aber hier doch ein Gespür für den unterschwelligen reaktionären "Sound" beweist, der in der Kampagne mitschwingt.

Diesen "Sound" muss auch Wolf Biermann empfunden haben. Was sonst könnte ihn veranlassen, in jener Zeitung, in der er seit kurzer Zeit an führender Stelle im Feuilleton wirkt, "Anmerkungen zur Vergangenheitsbewältigung von 1968" zu veröffentlichen, und dabei ganz explizit die Verantwortung des eigenen Hauses anzusprechen:

"Ausgerechnet die Zeitung ,DIE WELT‘ sollte sich nicht mit journalistischen Steinen aus dem Springer-Glashaus an der Steinigung Joschka Fischers beteiligen. Immerhin war es vor allem die Hetze in Springers ,Bild‘-Zeitung in den heißesten Zeiten des Kalten Krieges, die in Westberlin eine Stimmung in der Bevölkerung aufheizte, ohne die der junge Nazi Bachmann wohl kaum seine drei Kugeln in den Kopf von Rudi Dutschke geschossen hätte" (Die Welt, 19.1.01).

Wie Biermann schlug auch Alan Posener zuvor in einem Kommentar den Bogen zu den gesellschaftlichen Verhältnissen von damals, in denen es "einen Widerspruch zwischen Verfassungsanspruch und Wirklichkeit gab, einen Nachholbedarf an Zivilgesellschaft". Acht-unddsechzig sei dann ein Umweg geworden, den nun "einige Publizisten ... als einen einzigen Irrweg hinstellen. Waren aber die Fünfzigerjahre ein verlorenes Paradies – oder nicht auch eine muffige, verklemmte, eben nur scheinbar moralische Ära? Mit ihren Utopien haben die Achtundsechziger Unrecht gehabt. Aber, wie Rüdiger Safranski einmal sagte: ,Es gibt auch eine langweilige Art, Recht zu behalten‘" (Die Welt, 8.1.01).

Mit der "langweiligen Art" des Rechtbehaltens ist nicht nur bei Posener der "Sieg der Demokratie" gemeint, den die Achtundsechziger gerade im Scheitern weiter gehender Ansprüche erst bewirkt hätten. Für Posener sind es also unfreiwillig hervorgebrachte Ergebnisse, die positiv auf die Ausbildung einer "Zivilgesellschaft" in der Bundesrepublik wirkten. Hinter sie zurückzufallen käme dann also, und das fürchtet ja auch Illies, einer Re-Ideologisierung der Republik gleich.

Das ist der Strang der wohlmeinenden, durch linksliberalen Geist geprägten und von einem guten Ende her argumentierenden Interpretation der 68er-(Wirkungs-)Geschichte. Auf ihr besteht in dieser Ausgabe der Kommune auch Herbert Hönigsberger (S. 12/13), wenn er hervorhebt, dass die "irrende radikale Linke der Sechziger- und Siebzigerjahre sich selbst aus ihren Gewaltfantasien befreit" hat und mit Joschka Fischer nun vernünftigerweise auch das Symbol ihrer Selbstbefreiung verteidigen sollte.

Gerd Koenen (ab S. 6) sieht dagegen ein Problem in der mangelnden Selbstauskunft und Selbstvergewisserung über die Irrwege von 68 folgende, weil sie eine Angriffsfläche für nicht allein inquisitorische Befragungen böte. Die staatliche Gewalt knüppelharter Polizeieinsätze ist ihm eine zu dürftige Erklärung für den Weg eines Teils der Linken in die terroristische Gewalt oder in die "marxistischen Kostümierungen" der maoistischen Kaderorganisationen. In seinem ausführlichen Beitrag über das "Rote Jahrzehnt" findet er einen wesentlichen Grund für die überschießende Radikalität in der Neigung zur "narzisstischen Selbsterfindung" und Überhebung, deren Kontext und Komplexität noch weitgehend undurchschaut sei. Eine Selbstaufklärung aber ist dann nicht nur aus his-torischen Gründen nötig, sie ist auch zur Desillusionierung fällig. Eine solche Desillusionierung empfiehlt auch Gerd Held mit einem Abschied vom Beharren der 68er auf "einer Sonderrolle" (S. 18). Da wäre dann auch das Eingeständnis fällig, "dass sie einen Abschnitt ihres Lebens vergeigt haben".

Für Albrecht von Lucke (S. 14/15) aber steht nun aber gerade mit Joschka Fischer die Verkörperung des Erfolges eines krummen Weges der rot-grünen Regierung als Vizekanzler vor. Das Symbol Fischer ist ihm die Reibungsfläche wider eine "Deutungshoheit" der 68er-Generation, die damit die nachwachsenden Generationen geradezu nackt dastehen lasse. Neben den 68ern und danach – nur gähnende politische Leere. Diese Leere aber wird nach Eike Hennig (S. 24/25) schon jetzt mit einer grün-roten Politikgestaltung gefüllt, die die großen gesellschaftlichen Probleme (etwa BSE) nunmehr der Coolness von Dilettanten überlässt.

Allein die Spannweite der Analysen und Deutungen in dieser Ausgabe lässt  erahnen, wie notwendig eine weitere Diskussion in der Kommune ist. Denn es geht wohl um mehr als die Interpretation von "Vergangenheiten", es geht um die Zukunft "aufgeklärter Politik".