Balduin Winter

 

Democracy building ...

 

Ereignisse & Meinungen

 

Vor »simplifizierten Weltsichten« warnte anlässlich einer Rede in Mainz Edward Said und bezeichnete die derzeitige US-Regierung als »eine Hand voll elitärer Zivilisten«. Doch solle man nicht jenen politischen Entwurf unterschätzen, der von ihnen »gegenüber der gesamten arabischen und islamischen Welt formuliert wurde, eine Sicht, in der Terror, Präventivschläge und einseitig herbeigeführte Regimewechsel – gestützt vom bombastischsten Militärhaushalt aller Zeiten – die Grundlage für jene Ideen abgibt, die endlos und bis zur Erschöpfung von den Medien diskutiert werden, welche sich selbst die Rolle zugeteilt haben, so genannte Experten hervorzubringen, die die generelle Regierungspolitik bestätigen ... Reflexion, Diskussion, rationale Auseinandersetzung, moralische Grundsätze, die auf der Vorstellung beruhen, dass die Menschen ihre Geschichte selbst in die Hand nehmen müssen, sind durch abstrakte Ideen ersetzt worden, die einem amerikanischen oder westlichen Sonderstatus huldigen, die Bedeutung eines historischen Kontexts verunglimpfen und andere Kulturen mit höhnischer Verachtung verurteilen.« (Welt, 13.9.02) Said geht nicht nur mit der US-Regierung, sondern auch mit den arabischen und muslimischen Ländern scharf ins Gericht, die sich darauf konzentrieren, ihre eigenen Bevölkerungen zu unterdrücken, gegen säkulare Ideen abzuschotten und nichts als Erstarrung, Frustration und hilflose Wut zu verbreiten. Aber zu glauben, einfach militärisch in die Region hineingehen und aufräumen zu können, sei blauäugig und missachte die alten Kulturen des Orients.

Prominente Kritiker einer Invasion gibt es auch in den USA zuhauf, man kennt die Haupteinwände. Richard Rorty spricht die Frage des »Danach« an, wenn er sich in einer Polemik gegen Ronald D. Asmus, Exberater Clintons, wendet: »Ich befürchte, eine solche Maßnahme, wenn man sie als eine Art geostrategisches Heilverfahren versteht, wäre weitaus schlimmer als die Krankheit, die sie zu bekämpfen vorgibt.« (FR, 25.2.) Ein anderer Einwand ist die Beurteilung der Bedrohung. So sieht Zbigniew Brzezinski im Irak »keine unmittelbare Bedrohung für die globale Sicherheit« (FR, 20.2.) und warnt vor Nordkorea. Außerdem verweist er – und das wird jetzt in der US-Debatte öfter angesprochen – auf die beschämende Dialogschwäche der Bush-Regierung, deren »Wie-du-mir-so-ich-dir-Polemik ... ebenso erniedrigend wie destruktiv« sei.

 

Was neben den Präliminarien zum Krieg gegen den Irak Fachzeitschriften und Feuilletons beschäftigt, ist die Debatte um die Demokratisierung des Nahen und Mittleren Ostens. Dieser Diskurs wird in den amerikanischen Medien schon seit längerem geführt; hier zu Lande ist er erst Anfang des Jahres wieder in die Öffentlichkeit gerückt. Das mag zwei Gründe haben. Zum einen steht man in Europa im Allgemeinen den Möglichkeiten einer Demokratisierung in arabischen und islamischen Staaten deutlich skeptischer gegenüber als in den Vereinigten Staaten; zum anderen ist der konkrete Diskurs von vornherein verengt durch die politische Vorgabe seitens der US-Regierung. Denn es geht nicht um verschiedene Möglichkeiten und Wege einer Demokratisierung, sondern um eine ganz bestimmte Vorgangsweise, die auf – eben auch in der National Security Strategy festgeschriebene – militärische und politische Stärke baut, die »beispiellos und konkurrenzlos« ist; die auf eine Ideologie setzt, »diese Welt nicht nur sicherer, sondern auch besser zu machen«. Hier gibt es »unsere Feinde« und »unsere Freunde und Verbündeten« – durch die Hintertür ist in die »neue« Weltordnung das bipolare Weltbild eingekehrt. Und das führende Zentrum dieser Macht definiert die Mittel seines Vorgehens, wobei für gewisse Maßnahmen mehr das Argument der Stärke als das Argument des Rechts zählt. Der Schweizer Völkerrechtsprofessor Daniel Thürer ist am »Testfall Irak« den Kernfragen völkerrechtlicher Legitimität nachgegangen (NZZ, 8.2.), wobei in den drei Kriterien »Rule of Law«, »Adäquanz der Mittel« und »Güterabwägung« die Erwägungen der US-Regierung bedenklich erscheinen.

Richard Rortys Rückzieher ist aber ohnehin weniger völkerrechtlichen Überlegungen geschuldet; wenn nur gewisse Unsicherheiten nicht einträten, wenn kein Islamismus auswuchert, wenn nicht 10000 US-Soldaten in den Wüstensand beißen müssen, dann, ja dann: »Wenn ich mit absoluter Gewissheit davon ausgehen könnte, dass nichts davon einträte und dass stattdessen dem Regimewechsel in Bagdad eine erfolgreiche Demokratisierung – erst in Irak und dann im ganzen Mittleren Osten – folgte, dann würde ich von ganzem Herzen eine Militärintervention befürworten.« Und zwar auch ohne UN-Mandat.

Es ließen sich jede Menge prominenter amerikanischer Stimmen anführen, die für die Invasion, für den Regimewechsel und für die Demokratisierung sind. Schon Clinton war zur Einsicht gelangt, das Problem lasse sich nur militärisch lösen. »Wir wollen ein paar Prinzipien verwirklichen: Der Irak soll als Staat intakt bleiben. Das Land darf keine Massenvernichtungswaffen mehr haben. Es sollte seine Nachbarn nicht mehr bedrohen oder destabilisieren. Und es sollte sich zu einem System entwickeln, in dem religiöse und ethnische Gruppen repräsentiert, eingebunden und geschützt sind,« stellte Rumsfeld seine Vision am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz dar (SZ, 10.2.). Ronald D. Asmus, der zu den Zielen Bushs geläuterte Demokrat, betet in seiner wortreichen Stellungnahme das bündige A und O der Regierung zum Irak mit zwei Erweiterungen nach. Er führt Milosevic an – «In moralischer Hinsicht erscheint Milosevic gegenüber Saddam Hussein wie ein Chorknabe« –, was er nicht weiter begründet. Strategisch unterscheidet es ihn von Saddam, dass er nicht über Massenvernichtungswaffen verfügte und nicht über Jugoslawien hinaus eine ganze Region beherrschen wollte. Das zweite Zusatzargument ist eines der Selbstermunterung: »Eine wachsende Zahl von arabischen Stimmen fordert die Demokratisierung und Modernisierung. Wenn man heute liberal gesinnte Araber fragt, was wir tun können, um dem Hass auf den Westen und vor allem auf die Vereinigten Staaten etwas entgegenzusetzen, dann erhält man fast immer die gleiche Antwort: Haltet euch endlich an die eigenen Werte, vertreibt die Doppelmoral aus eurer Politik, setzt die korrupten, auto- oder theokratischen Regime ab, anstatt sie für eure Zwecke zu gebrauchen – und helft uns, unsere Gesellschaften zu modernisieren und zu demokratisieren. Die Vereinigten Staaten stehen als letzte verbliebene Supermacht in der Verantwortung, sich selbst und der Welt gegenüber.«

 

Welch liberale Araber hat Asmus wohl  befragt, um zu dieser Antwort zu gelangen? »Heute lassen sich die Positionen arabischer Intellektueller nicht mehr eindeutig einer dieser beiden Denkströmungen zuordnen«, schreibt hingegen der ägyptische Politologe Amr Hamzawy (Zeit, 13.2.) und meint damit Konservative und Moderne. In seinem Aufsatz entwickelt er ein durchaus dem Westen zugewandtes Bild von reformorientierten Intellektuellen unterschiedlicher Strömungen, die »auf Demokratisierungsinitiativen aus der Zivilgesellschaft«, »Ausweitung der Partizipation« und »Ablehnung von Gewaltanwendung« hoffen. Doch stehen viele »Aber« im Weg, angefangen mit den Gefahren einer intervenierenden US-Politik bis hin zur westlichen Ignoranz gegenüber der spezifischen Kultur der Region. Ein anderer wiederum, der Schriftsteller Hussain Al-Mozany, Exiliraker, meint durchaus, »die Iraker haben es verdient, dass ein Befreiungskrieg für sie geführt wird« in Anbetracht des unendlichen Elends, in das Saddam Hussein das Land und die Menschen gestürzt hat. Eine militärische Besatzung kann er sich jedoch nicht vorstellen, stattdessen schlägt er ein »direktes UN-Mandat« vor (Welt, 15.2.). Skeptisch steht er einer Demokratisierung gegenüber, denn es fehlen alle Voraussetzungen, und es gibt im Irak nicht den »Bürger«, sondern nur den »Untertan«. Und es fehlt buchstäblich alles, was man für eine Demokratie braucht. Darin stimmt der Orientalist und Professor am Sarah Lawrence College, Fawaz A. Gerges, zu, der zu bedenken gibt, »wie tief verwurzelt die Verbundenheit mit Sekten, Stämmen und Ethnien im Irak ist. Es fehlt auch die Bereitschaft zur Demut und Nachdenklichkeit.« (FR, 19.2.)

Nicht ganz unmaßgeblich ist ein geopolitisches Argument, das der Nahostkorrespondent der NZZ vorbringt (15.2.): »Ein proamerikanischer Irak und die dortige Stationierung von stabilisierenden Truppenverbänden hätten zur Folge, dass die USA den Zugang zur Region nicht mehr von den zaudernden Herrschern am Golf erbitten müssten, sondern bis an die Grenzen potenziell unfreundlicher Länder völlig freien Manövrierraum hätten. Iran geriete in den Zangengriff zwischen die amerikanischen Truppen im Irak, in Afghanistan und Usbekistan, Syrien in ein proamerikanisches Dreieck zwischen dem Zweistromland, Israel und der Türkei, und Saudiarabien wäre von den amerikanischen Basen in Bahrain, Katar, Oman und in Israel umringt.« Das allerdings ergäbe für die Araber »bange Fragen«. Zwar fördere der demonstrative Gebrauch militärischer Macht zunächst den Einfluss der amerikanischen Weltmacht, »doch auf die Länge muss er genau jene Konfliktpotenziale nähren, welche er zu unterdrücken vorgibt«.

 

Die Lektüre der Aufsätze von Philip H. Gordon, Senior Fellow bei der Brookings Institution in Washington, lässt die Leichtfüßigkeit sowohl der Vor- als auch der Nachbeter der Regierung erahnen. Gordon ist ein profunder Kenner der transatlantischen Beziehungen und des Mittleren Osten, er hat im vergangenen Jahr eine viel beachtete Studie über »Bush’s Middle East Vision« publiziert. In einem neueren Aufsatz (»The Challenges of Political Reconstruction in Iraq«, Survival, Vol. 44, No. 3, Autumn 2002, p. 20) macht er auf die vielfältigen Probleme aufmerksam, die sich nach einem – vermutlich raschen – militärischen Erfolg stellen. Er entkräftet das Argument der Bush-Mannschaft, »dass ein demokratischer Irak ein leistungsfähiges Beispiel sein könnte, auf dem der politische Fortschritt in der restlichen Region gründen würde«. Washington habe nie, so Gordon, konkrete Ideen zur Durchsetzung der Demokratie im Irak vorgebracht; jeder wisse auch, dass »nation building« nicht unbedingt Präsident Bushs Lieblingsbeschäftigung sei. Es gibt keine demokratischen Traditionen, und es gibt für die USA eine »zentrale Spannung«: Eine den US-Interessen genehme irakische Regierung reflektiert nicht unbedingt die Interessen der Iraker. Umgekehrt kann eine Regierung als Repräsentantin der irakischen Bevölkerung wahrscheinlich nicht jene politische Linie einschlagen, die für Washington attraktiv ist. »Weiter gibt es die Auffassung, dass eine US-Invasion wenig dazu beiträgt, um demokratische Veränderungen anderswo im Mittleren Osten anzuregen. Eher ist es wahrscheinlich, dass eine Invasion in naher Zukunft die politische Öffnung der Region verzögern dürfte, da die Regierungen auf die Proteste ihrer Bevölkerungen mit verstärkter Unterdrückung reagieren werden.« – Gordon ist einer der wenigen, die wenigstens detailliert Ideen für die Zeit danach entwickeln, sein Szenario lässt auch erkennen, dass er politische, ethnische, religiöse und kulturelle Besonderheiten nicht nur sehr gut kennt, sondern dass er auch bemüht ist, das Besondere in einem Veränderungsprozess zu denken. Natürlich denkt er »westlich« – im Sinne der Einbeziehung des Post-Saddam-Iraks in den modernen Zivilisationsprozess –, aber seine nicht-hegemoniale Peacekeeping-Perspektive entwirft er vor allem als Zukunftsbild eines muslimischen Staates. Darin kommen Dinge vor, von denen die Bush-Regierung nicht spricht, denn das ist ein komplizierter und langwieriger Weg, dessen Kosten unabsehbar und dessen Wirkungen unabschätzbar sind.