Mechthild Veil

Aufholbewegung in der Familienpolitik?

Modelle Schweden und Frankreich und die deutschen Defizite

 

 

Auf dem Hintergrund der Erfahrungen im europäischen Ausland werden im Folgenden die aktuellen familienpolitischen Neuorientierungen reflektiert. Während Frankreich für eine geburtenfördernde und laizistische Familienpolitik steht und Schweden für eine Gleichstellungspolitik – beide Länder haben eine vergleichsweise hohe Geburtenrate –, hat das Festhalten an einem traditionellen Bild von Familienpolitik Deutschland in die Sackgasse geführt. Nicht nur in der Kinderfrage.

Familienpolitische Debatten erleben in der bundesdeutschen Öffentlichkeit gegenwärtig neue Impulse: Es ändern sich parteipolitische Besetzung von Themen, Begründungszusammenhänge und parteiübergreifende Konvergenzen und Divergenzen. Was etwa die SPD als Wahlkampfthema letztes Jahr einbrachte – ein einkommensabhängiges Elterngeld – wird eine CDU-Familienministerin in der großen Koalition umsetzen. Parteiübergreifend setzt sich die Erkenntnis durch, dass Familienpolitik in Deutschland nicht Schritt gehalten hat mit dem gesellschaftlichen Wandel und den Bedürfnissen berufstätiger Frauen und junger Familien. Offensichtlich gibt es einen Modernisierungsrückstand. In welche Richtung gehen die Aufholbewegungen? Welche Leitbilder, welche Geschlechterbilder sollten Grundlage familienpolitischen Handelns werden? Soll Familienpolitik mehr Kinder oder mehr Arbeitsplätze in Privathaushalten produzieren? Eine neue Familienrhetorik mischt die Akteure und ihre Themen zwar auf, wodurch Bewegung in festgefahrene Fronten kommt, gleichzeitig nährt sie Vorbehalte einer wiederum zu engen Reichweite und der Funktionalisierung.

Wohin die Ressourcen fließen – ein Strukturvergleich

Motor für die gegenwärtige familienpolitische Aufholbewegung in Deutschland ist die Diskrepanz zwischen den im EU-Durchschnitt hohen monetären Aufwendungen und den demgegenüber geringen Geburtenzahlen. Wenn das Kriterium für eine erfolgreiche Familienpolitik die Anzahl der Geburten darstellt, dann ist deutsche Familienpolitik wenig effizient.(1)

Im europäischen Vergleich fällt auf, dass der deutsche Staat nicht unbedingt weniger in Familien investiert als seine europäischen Nachbarn, sondern dass die Prioritäten anders gesetzt werden

Übersicht 1: öffentliche Ausgaben für Familienpolitik als Prozent vom Bruttosozialprodukt im Jahr 1998

Land

Geldtransferzahlungen

Dienstleistungsausgaben

Insgesamt

Deutschland

1,93

0,80

2,73

Schweden

1,63

1,68

3,31

Frankreich

1,46

1,23

2,69

Quelle: OECD, Labour Market and Social Policy-Social Expenditure Statistics of OECD Member Countries

Insgesamt liegt Deutschland mit seinen Ausgaben für Familien im Mittelfeld zwischen Frankreich und Schweden. Während Schweden jedoch Familien gleichermaßen mit Geld- als auch Dienstleistungen unterstützt, Frankreich etwas mehr Wert auf Geldleistungen legt, setzt in Deutschland Familienpolitik zu 71 Prozent auf Geldleistungen, nur 29 Prozent der Ausgaben gehen in Dienstleistungsstrukturen. In international vergleichender Perspektive gilt Deutschlands Familienpolitik allgemein als transferlastig und unterentwickelt im Ausbau einer familienfreundlichen Infrastruktur (vgl. 7. Familienbericht).

Im Vergleich zu Schweden und Frankreich zahlt Deutschland das höchste Kindergeld, und zwar für jedes Kind.

Übersicht 2: Kindergeldzahlungen in Deutschland, Schweden und Frankreich (2005)

Kinderanzahl

Deutschland

Schweden

Frankreich*

für: 1 Kind

154 €

113 €

-

      2 Kinder

308 €

225 €

115,07 €

      3 Kinder

462 €

338 €

262,49 €

     4 Kinder

641 €

451 €

409,91 €

     5 und...Kinder

+ 179 € pro Kind

563 €

+ 147,42 € pro Kind

In Deutschland erhält eine Familie mit zwei Kindern hierzulande gegenüber einer französischen Familie mit zwei Kindern ein fast drei Mal so hohes Kindergeld und gegenüber einer vergleichbaren schwedischen Familie ein um rund ein Drittel höheres Kindergeld. Trotz des großzügigen Kindergeldes werden in Deutschland, bezogen auf die Gesamtbevölkerung, jedoch weit weniger Kinder geboren als in Schweden und Frankreich: 2004 betrug die Kinderzahl pro Frau in Deutschland durchschnittlich nur 1,3 gegenüber 1,8 in Schweden und 1,9 in Frankreich (nach Island und Irland derzeit die höchste in der EU).

Spiegelbildlich zu den hohen monetären Aufwendungen in Deutschland ist die Infrastruktur für Kinderbetreuung, insbesondere für Kinder unter drei Jahren, im Vergleich zu Schweden und Frankreich unterentwickelt (siehe Tabelle 3: »Kinderbetreuungseinrichtungen«).

Es erstaunt wenig, dass eine gering entwickelte Infrastruktur der Kinderbetreuung mit relativ geringen Erwerbsquoten von Müttern (nicht unbedingt von Frauen) einhergeht und umgekehrt, dass staatlich geförderte stabile Kinderbetreuungsstrukturen die Erwerbsbeteiligung von Müttern erleichtern helfen. Auch das zeigen die vergleichenden Strukturdaten (siehe Schaubild 1 »Erwerbstätigenquote von Frauen«).

Obwohl diese empirischen Tatsachen einer interessierten Öffentlichkeit durchaus bekannt sind und die Sozialwissenschaften kontinuierlich gründlich recherchiertes Material liefern, halten sich auf der politischen Ebene hartnäckig Annahmen, die dem entgegenstehen, wie zum Beispiel:

– Hohe monetäre Leistungen fördern Geburten.

– Eine hohe Frauenerwerbstätigkeit sei verantwortlich für niedrige Geburten.

– Der Staat habe sich auf die Rolle des Zahlmeisters zurückzuziehen und dürfe in die Kleinkindbetreuung nicht gestaltend eingreifen.

– Familie und Kindererziehung seien am besten vor der Gesellschaft abzuschotten.

Die in Deutschland weit verbreitete Voreingenommenheit gegenüber einer gestaltenden Rolle des Staates in der Familienpolitik beruht auf Erfahrungen mit totalitären Regimes und macht auch nur dort einen Sinn. Diese Erfahrungen musste etwa die schwedische Gesellschaft nie machen. Die häufig unterstellte Korrelation von sinkenden Geburtenraten und steigender Frauenerwerbsarbeit hingegen hatte lediglich in der Vergangenheit eine empirische Grundlage. Die französische Ökonomin Béatrice Majnoni d’Intignano(2) geht in diesem Zusammenhang von einem Drei-Phasen-Modell der Entwicklung der Geburtenraten in Europa aus:

Eine traditionelle Phase mit einer hohen Geburtenrate und geringer Frauenerwerbstätigkeit im klassischen Industriezeitalter, bevor Verhütungsmittel frei auf dem Markt zu erhalten waren.

Eine Übergangsphase mit steigender Frauen-Erwerbsarbeit und sinkenden Geburtenraten, die Ende der 1960er-Jahre begann und in den Mittelmeerländern – und auch in Deutschland – noch vorherrschend ist. Und die moderne Phase mit einer stabilen hohen Frauenerwerbstätigkeit und stabilen Geburtenraten. In dieser Phase befinden sich die nordischen Länder und Frankreich seit 1990.

Majnoni d’Intignano geht davon aus, dass alle Länder diese drei Phasen durchlaufen werden, mit dem Unterschied, dass lediglich Länder, die es erwerbstätigen Frauen ermöglichen, Beruf und Familie zu verbinden, Geburtenraten aufweisen, die das demografische Gleichgewicht erhalten.

Schweden: Familienpolitik für mehr Geschlechtergerechtigkeit

Schwedische Familienpolitik muss im Kontext einer Gesellschaft gesehen werden, die auf Vollbeschäftigung und auf Teilnahme aller Bürger am Arbeitsmarktgeschehen beruht.(3) Seit den 1970er-Jahren gilt das Leitbild einer Erwerbsarbeitsgesellschaft, mit beinahe gleich hohen Erwerbsquoten von Männern und Frauen und von Frauen mit und ohne Kinder. Dem schwedischen Staat geht es jedoch nicht nur darum, möglichst viele Mütter für die Erwerbsarbeit freizustellen, indem für die (Klein-)Kindbetreuung Ressourcen, Strukturen und pädagogische Konzepte bereitgestellt werden, sondern auch um explizite Gleichstellungspolitik im öffentlichen und privaten Bereich. Väter sollen sich stärker an der Familienarbeit und Mütter stärker an der Erwerbsarbeit beteiligen. In Schweden erfahren deshalb erwerbstätige Eltern viel und Hausfrauen-Ehen wenig Unterstützung. Weil das Leitbild der Geschlechterdemokratie konsensfähig ist, akzeptiert die schwedische Gesellschaft auch ungleiche Ressourcenverteilungen als gerecht, wenn sie diesem Ziel dienen. Ein Beispiel hierfür ist das Konzept des Elterngeldes.

Schweden ist eines der wenigen Länder in der EU, das sehr früh, bereits im Jahre 1974, alle Familienleistungen, die sich nur an Frauen wenden, wie zum Beispiel der Mutterschaftsurlaub, zu Gunsten geschlechtsneutraler Leistungen aufgegeben hat. Statt Muttergeld und Mutterschaftsurlaub gibt es Elterngeld und Elternurlaub. Denn es ist oder sollte Aufgabe beider Elternteile sein, Kindererziehung und beruflichen Einsatz gemeinsam auszubalancieren. Damit sich solch ein kultureller Wandel tatsächlich vollziehen kann, »hilft« der Staat nach: Er tritt als Pädagoge gegenüber Männern und Frauen auf und schreibt vor, wer für welche Zeit welchen Part in der Kindererziehung übernimmt. Gleichzeitig definiert der Staat Kindererziehungszeiten als soziales Risiko, weil sie zu Berufsunterbrechungen führen und damit zu Lohneinbußen. Der Familienpolitik kommt somit die sozialpolitische Aufgabe zu, erziehungsbedingten ausgefallenen Lohn zu ersetzen. Dies geschieht durch ein Elterngeld als Lohnersatzleistung.(4)

Als wichtig wird auch das enge Zeitbudget erwerbstätiger Eltern erkannt. Berufstätige Eltern leiden unter Zeitmangel und haben Probleme, Berufsleben mit Kindern zu managen. Deshalb gewährt der Staat Eltern das Recht, ihre täglichen Arbeitszeiten um maximal zwei Stunden (ohne Lohnausgleich) bis zum 8. Lebensjahr ihrer Kinder zu reduzieren. Die hohen Geburtenraten in Schweden werden vor allem auf diese Praxis zurückgeführt.

Französische Familienpolitik: Geburtenfördernd und laizistisch

Traditionelle französische Familienpolitik ist bevölkerungspolitisch orientiert und steht in guter republikanischer Tradition für laizistische Werte. Der bevölkerungspolitische Akzent zeigt sich in der Ausgestaltung der Familienleistungen, die bis Anfang der 1980er-Jahre vor allem Familien mit drei Kindern unterstützten. Viele Familienleistungen, auch das Kindergeld, wurden zunächst erst ab dem dritten Kind gezahlt. Erst mit dem Regierungsantritt von Mitterand 1981 erhielten auch Familien mit zwei Kindern Kindergeld. Gegenwärtig wird die Ausweitung auf Familien mit einem Kind diskutiert. Ein weiteres Merkmal, die laizistische Ausrichtung, zeigt sich darin, dass Ehe und Familie weniger ordnungspolitisch betrachtet werden als in Deutschland, was unter anderem zu einer Gleichbehandlung von ehelichen und nicht ehelichen Geburten führt sowie zu einer Unterstützung von Alleinerziehenden. Hinzu kommt ein Mutterbild, das als laizistisch bezeichnet werden kann. Familienleistungen sollen nicht dazu dienen, die »natürliche Rolle« von Müttern im häuslichen Rahmen finanziell abzusichern, sie sind vielmehr auf das Kindeswohl und die Geburtenfreudigkeit hin ausgerichtet. Kinder sollen nicht darunter leiden, wenn beide Eltern erwerbstätig sind. Deshalb übernimmt der Staat als der bessere, weil dem republikanischen Laizismus verpflichtete Pädagoge Verantwortung für sie und schafft Kinderkrippen und Vorschulen (écoles maternelles) für die 3- bis 6-Jährigen, die als Bestandteil des staatlichen Schulsystems gebührenfrei sind (gezahlt wird nur für die Kantine).

Leitbild französischer Familienpolitik ist die Zweiverdiener-Familie. Anders als in Schweden begründete sich dieses moderne Leitbild ursprünglich nicht aus Gleichstellungsstrategien, sondern leitete sich aus der republikanischen Tradition ab, die von der Arbeitsmarktteilhabe aller, also auch der Frauen, ausgeht (oder ausging). Die Integration der Französinnen in den Arbeitsmarkt erfolgte historisch gesehen nicht durch Betonung der Geschlechterdifferenzen und einem damit verbundenen Gerechtigkeitsdiskurs, sondern vielmehr durch ihren anerkannten Status als citoyenne. In dieser Indifferenz gegenüber Geschlechterdifferenzen liegt bis heute die Stärke und zugleich auch Schwäche französischer Familienpolitik, die sich ursprünglich ebenfalls indifferent gegenüber Rollenzuschreibungen verhalten hat. Erst in jüngster Zeit hat die Regierung Leistungen an Familien mit finanziellen Anreizen für Frauen (Väter) zum Berufsausstieg sowie zur Berufsunterbrechung verbunden.(5)

Die derzeitige konservative Regierung hat die Anspruchsvoraussetzungen auf das erste Kind ausgeweitet und damit den Anreiz (für Mütter) auf Reduzierung ihres beruflichen Engagements verstärkt. Im Kontrast dazu steht der weiterhin geplante Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen und die Unterstützung zur Einstellung von Tagesmüttern. Eine gut ausgebaute Infrastruktur von öffentlichen Krippen (Ganztagseinrichtungen) bietet Plätze für cirka ein Drittel der unter Dreijährigen an (die Nachfrage ist stärker als das Angebot). Gleichzeitig unterstützt der Staat durch monetäre und fiskalpolitische Leistungen die Einstellung von »registrierten« Tagesmüttern.(6)

All diese Maßnahmen zusammen gelten als materielle Basis für die starke Geburtenfreudigkeit in Frankreich.

Erfahrungen in Deutschland

Modernisierungsrückstände ... Das gegenwärtige Dilemma deutscher Familienpolitik lässt sich auf die theoretischen Grundlagen bei der Einführung des Familienlastenausgleichs in den Fünfzigerjahren zurückführen, die zu einem normativ überhöhten Familienbild und einer ebenso überhöhten Mutterrolle beigetragen haben. Die restaurativen 1950er-Jahre beherrschten die Vorstellung von Ehe und Familie als einer Einheit. Die Ehe galt als der Normalfall des Zusammenlebens und als erster Schritt zur Familiengründung und wurde mit Art. 6 Abs. 1 GG unter den besonderen Schutz des Staates gestellt. Diese Gleichsetzung von Ehe mit Familie, verbunden mit einer gleichzeitigen Privilegierung der Ehe und Diskriminierung anderer Lebensformen (als Konkubinat), beruhte auf der christlichen Soziallehre. Aufgabe der Familienpolitik könne es nicht sein, mit ihren Leistungen »das Konkubinat zu prämieren«.(7) Die Auffassung, dass »freie Verbindungen in moralischer Beziehung nicht erwünscht seien«, reichte bis in die Reihen der nicht unter Religionsverdacht stehenden KPD. Erst mit den neuen sozialen Bewegungen, wie der 68er-Bewegung, der Ökobewegung und später der Partei der Grünen, vor allem aber der neuen Frauenbewegung, formierte sich Kritik, und es entwickelte sich langsam ein neues Verständnis von Familie, in der nicht mehr vorrangig die Institution, sondern die einzelnen Familienmitglieder gesehen werden.

... widerstreitende familienpolitische Gerechtigkeitsprinzipien ... Die Leistungen der Familienpolitik, auch Familienlastenausgleich genannt, bedienen zwei sich widerstreitende Gerechtigkeitsprinzipien. Der Familienlastenausgleich im engeren Sinne besteht aus dem nach sozialpolitischen Kriterien gewährten Kindergeld und aus steuerlichen Entlastungen über Kinderfreibeträge und aus dem Ehegattensplitting im Einkommenssteuerrecht. Das Kindergeld – für alle gleich und lediglich nach der Anzahl der Kinder differenziert – entspricht der Logik des Sozialrechts, Kinderfreibeträge hingegen der Logik des Steuerrechts. Diese Verquickung von Sozialrecht und Steuerrecht – der duale Familienlastenausgleich – produziert somit zwei sich widerstreitende Gerechtigkeitsvorstellungen: Steuergerechtigkeit und Bedarfsgerechtigkeit. Die Steuergerechtigkeit zielt auf einen Ausgleich über Steuern, der als horizontaler Lastenausgleich bezeichnet wird, weil innerhalb einer Einkommensklasse umverteilt wird, sodass sich Familien mit Kindern steuerlich nicht schlechter stellen als Bezieher gleich hoher Einkommen ohne Kinder. Das Gerechtigkeitskriterium ist das der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (in Form hoher Steuerzahlungen) von Familien. Je höher das Einkommen, desto stärker wirken die Entlastungen. Demgegenüber beruht das Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit auf einem vertikalen Lastenausgleich, der nach sozialpolitischen Gerechtigkeitskriterien zu Gunsten unterer Einkommensklassen umverteilt. Das Kindergeld folgt dem Prinzip der Bedarfsgerechtigkeit.

Den alltäglichen Empfindungen von gerecht und ungerecht entspricht am ehesten die Bedarfsgerechtigkeit, da sie etwas mit Bedürftigkeit und sozialen Notlagen zu tun hat. Steuergerechtigkeit dagegen ist den meisten Menschen nur schwer vermittelbar. Denn nach diesen Vorstellungen gilt als gerecht, wenn diejenigen mit hohen Einkünften und hohen steuerlichen Belastungen für ihre Kinder steuerlich mehr entlastet werden als Familien mit niedrigem Einkommen. Zugespitzt könnte Steuergerechtigkeit als Alimentierung von standesgemäßem Kindesunterhalt durch den Staat bezeichnet werden. Im dualen Familienlastenausgleich prallen diese unterschiedlichen Gerechtigkeitsvorstellungen aufeinander und perpetuieren somit die alte Frage, welche Logik in der Familienpolitik Vorrang haben solle, das Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit oder das der sozialen Gerechtigkeit. Dieser »Streit«, der auch vor dem Bundesverfassungsgericht ausgetragen wird, bindet Ressourcen und erschwert es, diese auf ein kohärentes familienpolitisches Leitbild hin zu bündeln.

Das Ehegattensplitting ist Ausdruck einer ehe-orientierten Familienpolitik und damit ein wesentlicher Modernisierungsrückstand, denn er konserviert das überholte Leitbild eines männlichen Familienernährers und federt dieses ökonomisch ab. Am stärksten profitieren Ehen mit nur einem und zwar hohem Einkommen (siehe Kasten).

Auch diese Fehlsteuerung blockiert Ressourcen für Reformen zum Beispiel für eine bessere Infrastruktur in der Kinderbetreuung oder, ganz allgemein, für mehr Hilfen zur Bewältigung des Alltags berufstätiger Eltern. Eine stärkere Unterstützung von Zweiverdiener-Familien würde den familienpolitischen Orientierungen der EU entgegenkommen, die von dem Modell des »adult worker model« ausgeht, das heißt dass Erwachsene (ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen) für ihre Existenzsicherung aufzukommen haben, mit staatlicher Unterstützung für die Kinderbetreuung.

... und Aufholbewegungen ... Seit der Jahrtausendwende kann von einer familienpolitischen Aufholbewegung im Sinne von Anpassungsleistungen an veränderte Realitäten und Mentalitäten gesprochen werden, die auf das schwedische Vorbild zurückgehen. Erinnert sei an die Reform des Erziehungsgeldgesetzes im Jahre 2000, die es ermöglichte, die dreijährige Erziehungszeit zwischen den Eltern zu splitten und durch einen Rechtsanspruch auf gleichzeitige Teilzeitarbeit attraktiver zu machen.(8) Eine weitere Reform des Bundeserziehungsgeldgesetzes (2002) verstärkte den Anreiz, die bezahlte Elternzeit auf ein Jahr zu verkürzen. Im Rahmen der Hartz-Gesetze wiederum wurde das Thema der Kinderarmut virulent, die mit einer neuen Kinderzulage zusätzlich zum Kindergeld bekämpft werden soll (2005). Das Erbe der rot-grünen Koalition – Ausbau von Kindertagesstätten und eine Politik der runden Tische – kann ebenfalls als eine wichtige Strategie zum Umsteuern bezeichnet werden.

Gegenwärtig beschleunigen sich die Aufholbewegungen – doch in welche Richtung, mit welchen Zielen? Darüber finden heftige Auseinandersetzungen statt, die sich vor allem an zwei Gesetzesvorhaben festmachen: an der steuerlichen Behandlung von Kinderbetreuungskosten und an einer Neuorientierung des Elterngeldes.

Unter dem Motto »Privathaushalte schaffen Arbeit« hat die große Koalition einen Gesetzesentwurf auf den Weg gebracht, der die steuerliche Behandlung der Betreuungskosten neu regeln soll, sodass vor allem erwerbstätige Eltern entlastet und Privathaushalte zur Beschäftigung von Tagesmüttern ermuntert werden. Diese durchaus schlichte Idee, nämlich die Vereinbarkeitsleistungen erwerbstätiger Eltern zu honorieren, soll äußerst kompliziert umgesetzt werden. Vorgesehen ist die Subventionierung erwerbsbedingter Betreuungskosten bis zum 14. Lebensjahr des Kindes, in Höhe von zwei Drittel der Aufwendungen, begrenzt auf 4000 Euro jährlich. Die Ausgaben sollen zukünftig wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten absetzbar sein.(9) Von diesem Gesetz erwarten die einen Beschäftigungsanreize in Privathaushalten, die als Arbeitgeber aufgewertet werden sollen. Zu dieser Gruppe gehört unter anderem der CDU-Generalsekretär Volker Kauder, wenn er sagt: »Es geht um den Haushalt als Arbeitgeber und nicht um klassische Familienpolitik.«(10) Familienministerin Ursula van der Leyen hingegen möchte wohl eher Familienpolitik betreiben und mit diesem Vorschlag die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nach dem Vorbild Frankreichs erleichtern.

Der zweite umstrittene Gesetzesentwurf setzt die bisherigen Reformen zum Erziehungsgeld fort und radikalisiert diese. Erziehungsgeld und Erziehungszeiten sollen zu einer Angelegenheit der Eltern und nicht mehr nur der Frauen werden. Der Staat tritt als Pädagoge auf und greift mit einem System von Belohnung und Bestrafung ein: Das Elterngeld soll auf 12 Monate beschränkt werden, wovon zwei Monate exklusiv den Vätern vorbehalten sind . Nehmen diese den »Vaterurlaub« nicht in Anspruch, verfallen die zwei Monate, ähnlich wie in Schweden. Weiterhin ist geplant, das bisherige pauschalierte Erziehungsgeld auf eine Lohnersatzleistung umzugestalten, in Höhe von 67 Prozent des Nettoentgeltes, maximal bis monatlich 1800 Euro. Hiermit soll für Väter ein Anreiz geschaffen werden, sich zumindest für zwei Monate ausschließlich der Kindererziehung zu widmen. Die ersten Kritiker formieren sich bereits und wollen das Bundesverfassungsgericht bemühen, um den Staat aus der innerfamiliären Arbeitsteilung herauszuhalten (was übrigens beim Ehegattensplitting nicht kritisiert wird). Denn was in anderen Ländern, etwa den nordischen, möglich ist, wird in Deutschland noch lange nicht akzeptiert.

Insbesondere mit dem Vorhaben zum Erziehungsgeldgesetz hat sich die Regierung weit aus dem Fenster gehängt. Mit der Umsetzung beider Vorhaben würde die bundesdeutsche Familienpolitik langsam an EU-Standards und an nordeuropäische Verhältnisse anschlussfähig werden, also auf der Grundlage modernisierter Leitbilder von Zweiverdiener-Familien operieren, Väter in die Pflicht nehmen und den Staat nicht nur als Zahlmeister, sondern auch als wesentlichen familienpolitischen Akteur akzeptieren.

Der föderale Kontext

Auf dem Hintergrund europäischer Erfahrungen sind die jüngsten familienpolitischen Vorstöße in Deutschland wenig revolutionär. Mit der Durchsetzung dieser beiden Gesetzesvorhaben würde hierzulande »normal« werden, was etwa in Frankreich und in den nordischen Ländern seit langem praktiziert wird: die Bündelung der Familienleistungen zur Unterstützung erwerbstätiger Eltern. Bezogen auf die innerdeutschen Realitäten und Mentalitäten jedoch würde ihre Realisierung eine familienpolitische Wende einleiten, die mit nicht zu unterschätzenden Strukturproblemen fertig werden müsste. Denn im Unterschied zu den hier behandelten Ländern ist die Bundesrepublik ein föderales Staatswesen, das eine föderale Familienpolitik praktiziert. Je nach Bundesland, mit ganz unterschiedlichen parteipolitischen und religiösen Bindungen, verschieben sich die familienpolitischen Koordinaten. Überlagert wird diese föderale Vielfalt noch durch den Ost-West-Gegensatz mit seinen kulturellen Differenzen in den Leitbildern und im Konzept von Mutterschaft.

Die neuen Bundesländer setzen weiterhin auf öffentliche Betreuungsstrukturen und halten, trotz der hohen Arbeitslosenzahlen auch von Frauen, an einer flächendeckenden Infrastruktur fest, während das Land Bayern etwa weiterhin die Kleinkindbetreuung in der Familie fördert. Die Bundesrepublik präsentiert also derzeit einen Flickenteppich in der staatlich geförderten Kleinkindbetreuung, mit starkem Gefälle zwischen Ost und West.(11)

Ähnliche Differenzen zeigen sich in der Haltung gegenüber Ganztagsschulen und insgesamt gegenüber der Rolle des Staates in der Familienpolitik. Gegenüber der zentralstaatlichen Ebene sind die Kompetenzen der Länder und auch der Kommunen bisher groß genug– und werden mit der anstehenden Reform des Föderalismus nicht geringer – um eine kohärente Politik mit konsensfähigen geschlechterpolitischen Leitbildern zu blockieren. Auseinandersetzungen um die Zukunft des Föderalismus sind demnach eng verknüpft mit der Frage, in welche Richtung sich eine »neue« Familienpolitik entwickeln wird. Für eine familienpolitische Wende ist es deshalb wichtig, dass die demokratische Legitimation auf der Länder- und Kommuneebene nicht in kleinlichen Streit zwischen vormodernen Landesfürsten abgleitet.

Kasten: Antiquiertes Splitting

Derzeit erreicht eine Einverdiener-Ehe mit einem Jahreseinkommen in Höhe von 120000 Euro allein durch das Splitting eine Steuerminderung von rund 11500 Euro. Die geringste Unterstützung erhalten »moderne« Ehen mit zwei ungefähr gleich hohen Einkommen, im Familienrecht als Partnerehen bezeichnet. An der Ausgestaltung des Ehegattensplitting zeigt sich, dass Annahmen der Familienpolitiker in den Fünfzigerjahren, Ehe sei mit Familie gleichzusetzen, nicht mehr zutreffen. Denn ein Viertel des Splittings kommt Paaren zugute, deren Kinder entweder nicht mehr im Elternhaushalt leben (weil sie über 18 Jahre alt sind) oder die gar keine Kinder erzogen haben. Durch das Splitting überbewertet Familienpolitik die Ehe und unterbewertet Familie im weiteren Sinne. Der Staat hat mit dem Splitting Steuerausfälle von rund 20 Milliarden Euro, diese Summe entspricht den jährlichen Ausgaben für Kindergeld und Kinderfreibeträge.

1)So argumentiert auch der 7. Familienbericht, der demnächst veröffentlicht werden soll.

2) Majnoni d’Intignano (1999) hatte in einem Bericht des Wirtschaftsrates (Conseil d’analyse économique) über wirtschaftliche Aspekte der Gleichheit von Männern und Frauen (Egalité entre femmes et hommes: aspects économiques) diesen Punkt herausgearbeitet.

3) Vgl. Ingrid Jönsson (2002): »Vereinbarkeit von Berufs- und Familienleben in Schweden«, in: WSI-Mitteilungen, H. 3, S. 176–183; Mechthild Veil (2003): »Kinderbetreuungskulturen in Europa: Schweden, Frankreich, Deutschland«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, H. B44, S. 12–22.

4) Der Elternurlaub beträgt 18 Monate: 12 Monate als Lohnersatz, in Höhe von 80 % des letzten Einkommens. Von den 12 Monaten sind 2 Monate ausschließlich für Väter und 2 Monate ausschließlich für Mütter. Nach dem Motto »choose it or loose it« verfallen diese Zeiten, wenn sie nicht in Anspruch genommen werden. Weil auch in Schweden Frauen weniger als Männer verdienen, erhalten sie während des Elternurlaubs durchschnittlich ein geringeres Elterngeld als Väter. Die Gesellschaft akzeptiert diese Ungleichbehandlung, um Väter anzuspornen, sich verstärkt an der Erziehung ihrer Kinder zu beteiligen und um das soziale Risiko des Lohnausfalls zu begrenzen. Väter erhalten zusätzlich einen bezahlten Vaterurlaub für die ersten 10 Tage nach der Geburt ihrer Kinder.

5) Für Mütter mit zwei und mehr Kindern in den 1980er-Jahren ein spezielles Erziehungsgeld bei Berufsunterbrechung in Höhe von monatlich rund 500 Euro, eine attraktive Alternative für Geringverdiener oder für arbeitslose Frauen.

6) Im Unterschied zu Deutschland gibt es Hilfen nur für »registrierte Tagesmütter«, um Schwarzarbeit zu verhindern. Diese müssen gewisse Qualitätskriterien erfüllen und sozialversichert sein. Doch können die Beiträge, die unbürokratisch von den Familienkassen berechnet und eingezogen werden, den Haushalten teilweise oder ganz erlassen werden: für Haushalte mit einem Jahreseinkommen bis zu gut 36000 Euro Einkommen zu 75<|>%, für Einkommen, die darüber liegen, zu 50 %. Da nur ca. 50 % der Haushalte überhaupt Einkommenssteuern zahlen, sind für Einkommensklassen in den unteren Bereichen pauschale Zuzahlungen zu den Betreuungskosten vorgesehen. Die jetzige konservative Regierung beabsichtigt, die Anzahl der 450000 registrierten Tagesmütter in kurzer Zeit auf 600000 zu steigern und gleichzeitig die Ausgaben für Krippenplätze bis 2008 um 7,5 % zu erhöhen.

7) So Mackenroth in seiner bahnbrechenden Schrift Reform der Sozialpolitik durch einen deutschen Sozialplan, 1957.

8) Die Reform kam dem Bedürfnis vieler Frauen nach mehr Flexibilisierung entgegen, indem etwa die Möglichkeit geschaffen wurde, die Erziehungszeit, bei erhöhtem Elterngeld (Budgetierung), auf ein Jahr zu verkürzen.

9) Kompliziert wird es, weil Betreuungskosten für Kinder bis zum 6. Lebensjahr erst ab einem Selbstbehalt von jährlich 1000 Euro steuerlich absetzbar werden.

10) FAZ, 22.1.06.

11) So hält etwa Bayern (außer München) eine Betreuungsquote von Null bis unter fünf Prozent für Krippenkinder für ausreichend, während in den fünf neuen Bundesländern diese Quote durchgehend bei 20 und mehr Prozent liegt.

Übersicht 1: öffentliche Ausgaben für Familienpolitik als Prozent vom Bruttosozialprodukt im Jahr 1998

Land

Geldtransferzahlungen

Dienstleistungsausgaben

Insgesamt

Deutschland

1,93

0,80

2,73

Schweden

1,63

1,68

3,31

Frankreich

1,46

1,23

2,69

Quelle: OECD, Labour Market and Social Policy-Social Expenditure Statistics of OECD Member Countries

Übersicht 2: Kindergeldzahlungen in Deutschland, Schweden und Frankreich (2005)

Kinderanzahl

Deutschland

Schweden

Frankreich*

für: 1 Kind

154 €

113 €

-

      2 Kinder

308 €

225 €

115,07 €

      3 Kinder

462 €

338 €

262,49 €

     4 Kinder

641 €

451 €

409,91 €

     5 und...Kinder

+ 179 € pro Kind

563 €

+ 147,42 € pro Kind

 *Frankreich ist eines der wenigen Länder in der EU, das für das erste Kind quasi kein Kindergeld zahlt, worin sich eindrucksvoll die demografische Ausrichtung französischer Familienpolitik zeigt.

Tabelle 3: Kinderbetreuungseinrichtungen in Deutschland, Schweden und Frankreich (Jahr???)

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Quellen: Für Schweden und Frankreich: Birgit Fix: Kindertagesbetreuung in Frankreich, Finnland und Schweden; in: Martin R. Textor: Kindergartenpädagogik – Online-Handbuch, www.kindergartenpädagogik.de, März 2006; für Deutschland: Deutsches Jugendinstitut (2002): Zahlenspiegel. Daten zu Tageseinrichtungen für Kinder, München.

Schaubild 1: Erwerbstätigenquote von Frauen im Alter von 20 bis 49 Jahren mit und ohne Kinder
(unter 12 Jahren in Deutschland, Schweden, Frankreich und EU, 2003)

* In Schweden wird in der Statistik nicht nach Müttern bzw. kinderlosen Frauen unterschieden, hier besteht kein relevanter Unterschied. Die Säulen stehen für die allgemeine Beschäftigungsquote von Frauen zw. 20 und 64 Jahren im Jahr 2003.

Quelle: für EU/25, Deutschland und Frankreich: Aliaga, Christel (2005): Bevölkerung und Lebensbedingungen, Statistik kurz gefasst, Nr. 4, S. 1; für Schweden: www.eu.datashop.de

 

 

»Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, 2/2006