Editorial

Akbar Ganji hat den Charakter des Mullah-Regimes – noch vor der Wahl Ahmadinejads – mit Rückgriff auf Max Weber und Juan Linz als »sultanistisch« bezeichnet. Dabei differenziert der iranische Dissident zwischen dem »absolutistischen Sultanismus« der geistlichen Führung mit großen Vollmachten hinsichtlich der Apparate und einem gemäßigten, »nicht-totalitären Sultanismus« der Regierung, die über einen durch die Führervollmachten wesentlich eingeschränkten Aufgabenbereich verfügt. Den Iran bezeichnet er in Bezug auf die innere Unterdrückung »schlimmer als den ehemaligen Ostblock und Jugoslawien«. Einen demokratischen Übergang durch freiwillige Übergabe der Macht hält Ganji unter den gegebenen Bedingungen für unwahrscheinlich. Um dem Problem des Übergangs auf die Spur zu kommen, dekliniert der Popper-Anhänger die Zeitgeschichte von Portugal bis Georgien durch; für die Bürgerrevolution ist »Gewalt die rote Linie der republikanischen Demokraten«. Über die Reformer, von denen wenig übrig geblieben ist, denkt er nach: Entscheidend ist nicht, wie viele, sondern dass Menschen für Demokratie und Freiheit kämpfen. Der Gedanke einer Demokratisierung von außen taucht bei Ganji gar nicht auf.

Osteuropa hat sich mit seinen demokratischen Revolutionen nahezu gewaltlos von seinen kommunistischen Regimes und dem übermächtigen Moskauer Oberherrn befreien können. Bis heute haben die USA in diesen Ländern viele Sympathien, unter anderem weil sie die Dissidenten während des Kalten Krieges immer unterstützten, auch in scheinbar aussichtslosen Zeiten. Havel, Konrad, Michnik und Co. waren in Europa bei vielen Politikern, die lieber mit kommunistischen Staats- und Gewerkschaftsführern »pragmatisch« verkehrten, lange als Spinner verschrien. West- und Osteuropa haben noch heute Mentalitätsprobleme miteinander, während die USA immer noch von ihrem Bonus zehren können. Das sollte einer Osteuropa-Spezialistin wie Condoleezza Rice zu denken geben. Sind die 75 Millionen Dollar, die die Regierung für die Förderung der Demokratie im Iran haben möchte, ein Schritt in diese Richtung? Oder sind es, wie seinerzeit in Afghanistan, wieder nur großteils Tarngelder für militärische und Geheimdienst-Unternehmen?

Nicht in der Bush-Doktrin, die inzwischen von so prominenten einstigen Befürwortern wie Francis Fukuyama abgelehnt wird, sondern in Ganjis Ausführungen liegt ein Schlüssel für den Iran. »Soft Power, nicht Hard Power, ist das notwendige Mittel, um weltweit Demokratie und Entwicklung zu fördern«, ist die Conclusio des Professors der John Hopkins University aus seiner Kritik am falschen Konzept der Bush-Regierung. Andere Kulturen und Religionen respektieren, die Herzen und Köpfe gewinnen, den harten Kern der Terroristen ausschalten, den freiheitsliebenden Menschen dabei helfen, ihre Despoten zu stürzen, sie beim nation building auf Grundlage der Menschenrechte unterstützen – hier könnten sich Ganji und Fukuyama treffen.

Allerdings sind Analogien zwischen den ehemaligen Ostblockstaaten und dem Iran beschränkt. Über Warschau oder Prag wachte immer auch der Kettenhund in Moskau. Auch die Kernreaktoren Polens oder der CSSR hatte der Kreml unter Kontrolle. Über die Ayatollahs wacht zwar etwas ungleich Größeres, nämlich Allah, doch wird dieser nach Belieben politisch instrumentalisiert. Die iranischen Gottesherrscher sind unberechenbar in ihren expansiven Absichten, alle Muslime zu vereinigen. Unberechenbar sind auch ihre Atompläne. Sogar Chinas dezente Warnungen hat die iranische Führung in den Wind geschlagen. Inzwischen ist selbst für einen so zähen Unterhändler wie IAEA-Chef El-Baradei klar, dass zu viele, darunter ganz eindeutige Fakten vorliegen, die die militärische Nutzungsabsicht der Atomkraft bestätigen. Deshalb hat er die Akte Iran an den UN-Sicherheitsrat weitergeleitet.

Der Iran, so die neue Sicherheitsstrategie der USA, »könnte die größte Einzelbedrohung der Vereinigten Staaten sein«. Die militärische Option ist im Maßnahmenset der US-Regierung enthalten. Doch der Iran ist eine andere Dimension als der Irak, wo die USA derzeit in einer prekären Lage stecken. Auch findet in der US-Gesellschaft ein Militärschlag gegen den Iran bei weitem nicht die Zustimmung wie vor Jahren gegen den Irak. Die Bush-Regierung könnte womöglich eher um eine »Libysierung« der Krise bemüht sein – und, auf lange Sicht, vielleicht um einen regime change von innen. Bestimmt kann die Atomkrise nicht schnell gelöst werden. Immerhin wäre ein Atomprogramm im Rahmen eines demokratischen Iran eine noch ferne, doch womöglich vernünftige Perspektive. Daher wird sie stets auf die geistlichen Sultane massiven Druck machen, und das kommt auch der inneren Opposition zugute.

In den letzten Wochen hat der alarmistische Ton vieler Medien islamophobe und antiamerikanische Stimmungen angeheizt. Zu Klarheit hat er wenig beigetragen. Den Vogel schoss eine völlig verwirrte Retrolinke ab, die, so Oskar Lafontaine, den Terrorismus in Washington bekämpfen will. Man muss sich mit Bushs Politik nicht gemein machen, wenn man daran erinnert, wie die heutigen den Terror unterstützenden Machthaber in Teheran gerade die Linken massakriert haben.

Balduin Winter

»Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, 2/2006