Rainer Kilb

Zur Integrationsfähigkeit von Großstädten

Quartiere, Migranten und Präventionen – ein Lob der Durchmischung

Bei genauerem Hineinsehen in die Abläufe der »dialektischen Integrations- und Segregationsmaschine Stadt« lassen sich über die Betrachtung von deren historisch gewachsener arbeitsteiliger Struktur ihre einzelnen Funktionen in den verschiedenen geografischen Teil-Räumen, schließlich ihre integrativen wie desintegrierenden Wirkungen herausarbeiten. Im Folgenden werden an einigen Beispielen die vorhandenen Segregationstypen daraufhin betrachtet, welche Impulse von ihnen für die Integrationsentwicklungen bei Migrantenfamilien und deren Kindern ausgehen.

Eine Stadt besteht aus unterschiedlichen Arten von Menschen; gleiche Menschen bringen keine Stadt zuwege.« (Aristoteles) Die Stadt oder die Metropole sei durch ihre Anhäufung von Differenz eine Integrationsmaschine an sich; diese Feststellung ist gleichermaßen von Gelehrten der Antike, von Stadtforschern wie auch von Politikern einschlägiger Couleur heute im Kontext von Integrationsbemühungen immer wieder zu vernehmen. Insbesondere Großstädte seien durch ihre überregionale und in der Regel international-globale Ausrichtung Zentren ökonomischer wie kultureller Austauschbeziehungen und deshalb zur Integration von Fremden besonders geeignet.

Schaut man genauer in besagte Integrationsmaschine hinein, so wird man erkennen, dass diese Maschine ein hochkomplexes Gebilde darstellt und häufig an vielen Stellen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten läuft, dadurch zwar chaotisch wirkt, gleichzeitig aber doch, wie von unsichtbarer Hand, nach einer ganz bestimmten Ordnung funktioniert. Chaotisches wie Geplantes halten sich dabei im günstigen Fall die Waage und vermitteln genau das, was wir an Großstädten lieben und gleichzeitig abstoßend finden: Solidarität und extreme Unterschiedlichkeit, Menschenmassen, körperliche Nähe bei gleichzeitiger Anonymität und Einsamkeit, Reibungen und Kollisionen, Durcheinander und kleine Armeen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, geordnete Verkehrsabläufe, Ungleichzeitigkeiten von Entwicklungen, Überreizung der Sinne und Abgestumpftheit, Gleichgültigkeit und Beliebigkeit, Arbeitsteilung und räumliche Trennungen. Häufig bleibt relativ unklar, weshalb sich städtisches Leben letztendlich in singulärer Form in jeder einzelnen Stadt herausbildet.

Die Städte in ihrer Vielzahl an Lebenswelten, an Gelegenheiten und perspektivischen Optionen, an Nischen dabei ausschließlich auf ihre integrativen Impulse zu reduzieren, wäre zu kurz gegriffen. Im Gegenteil, häufig gelingt Integration nur bei gleichzeitiger Exklusion des- oder derjenigen, die nicht innerhalb eines von der Mehrheit oder auch von den mächtigeren Gruppen definierten »normativen Korridors« unterzubringen sind. Städte bieten also einerseits Abspaltungs- und Trennungsmöglichkeiten räumlicher Art für lokale, ethnische, kulturelle wie soziale Milieus als auch Gelegenheiten zur Begegnung, im besseren Fall auch zu gemeinsamen Erfahrungen oder sogar zum Miteinander derselben an.

Ethnisch-kulturelle, religiös begründete und ökonomische Segregation in der Stadtentwicklung

Ethnische oder auch nationale, religiös begründete und kulturelle Segregation lässt sich seit der Antike nachweisen. Der griechisch-türkische Kunsthistoriker Spiro Kostof spricht von »Grenzen im Stadtinnern« (1993, S. 102) und differenziert zwischen Einmauerung als physischem Abtrennungsversuch und Diskriminierung und nicht materiellen Grenzen. Einmauerungen existieren bereits im hellenistischen Antiochia. Dort wurden die vom Land zwangsumgesiedelten einheimischen Syrer von den griechischen Siedlern durch Mauern abgetrennt.

Im Allgemeinen gibt es zwei Formen der räumlichen Segregation im Mittelalter: Die Fremden – also die reisenden Handelsleute, die durch Warentransporte und -verkäufe zu Wohlstand kommen – werden in spezifischen Gästehäusern einquartiert, um sie von den Einheimischen fernzuhalten. In den größeren Städten nennt man die Handelshäuser auch »Nationen«.

Eine weitere Segregationsform ist die ethnische und religionsspezifische. Die verschiedenen in den Handelsstädten anzutreffenden Ethnien lebten dabei in eigenen Vierteln wie etwa die Spanier in Neapel oder die Dalmatiner, Deutschen, Armenier oder Juden in Venedig. Das dortige jüdische Getto befindet sich in Insellage inmitten der Stadt; es konnte abends an den beiden Brückenübergängen abgeschlossen werden. Wenn nicht gleich auf Inseln verbannt, so sind die Viertel mindestens durch breite Straßen voneinander abgegrenzt. Dieses Prinzip wird später auf die Stadtgründungen in den Vereinigten Staaten übertragen. Dort findet sich Ende des 19. Jahrhunderts auch der Ursprung einer ökonomisch-ethnischen Segregation (etwa in Chicago). So verbannt man beispielsweise die häufig in Wäschereien beschäftigten Chinesen 1880 aus den Wohnvierteln, da die Wäschereien damals als öffentliches Ärgernis galten. Im Umfeld der schließlich außerhalb der Wohnviertel neu aufgebauten Wäschereien, die sowohl ökonomische als auch kommunikativ-soziale Funktionen in den Migranten-Communitys übernehmen, wachsen allmählich die »Chinatowns«.

Auch in Südostasien ist es üblich, dass eingewanderte Chinesen und Inder zur größten Bevölkerungsgruppe in den Küstenstädten aufstiegen und räumlich von den einheimischen Thais, Burmesen oder Vietnamesen (Saigon/Ho-Chi-Minh-Stadt, Hoi-Hang) getrennt leben. Ähnliches entwickelte sich in den kolonisierten Territorien in Südamerika, Afrika und Asien. In Deutschland finden wir ethnische Segregationsentwicklungen erstmals über die Ausgrenzungen der Juden, später durch Ansiedlungen von Hugenotten und Waldensern. Häufig vermischen sich frühzeitig ethnische Trennungen, die gleichzeitig auf ökonomischer Ungleichheit beruhen. So lebte die jüdische Unterklasse meist in kargen Unterkünften außerhalb der Stadtmauern.

Im späten Mittelalter – hier vor allem in Nordeuropa – wohnen die Wohlhabenden in stattlichen Häusern an den Hauptplätzen und den ausfallenden Handelsstraßen, die Handwerker und Tagelöhner eher an den Stadträndern oder in eigenen Vierteln. Im Wohnungsbau während der Industrialisierung folgen dann Klassentrennungen auf einer Parzelle. Die Besitzenden lebten in den unteren Geschossen der straßenseitigen Gebäude, Dienstboten, Tagelöhner, Arbeiter eher in den oberen Stockwerken oder den Hinterhofgebäuden. Später ziehen die Reichen in Landhäuser an die städtische Peripherie (z. B. in die Vordertaunusgebiete in der Rhein-Main-Region oder an die Bergstraße im Rhein-Neckar-Raum), weil die Lebensqualität durch industrielle Umweltbelastungen sinkt und die Vielzahl von zuziehenden Proletariern das Lebensgefühl der »höheren Stände« tangiert. Friedrich Engels beschreibt dies für die mittelenglische Industriestadt Manchester und spricht in diesem Fall von den »zwei Nationen« in der Stadt.

Die Stadterweiterungen der Gründerzeit, aber auch die großen Siedlungsprojekte der Weimarer Ära trennen im Folgenden Großbürger, Beamte und Arbeiter in jeweils eigenen Stadtarealen voneinander (z. B. Wien, Köln: »Belgisches Viertel«, Südstadt, industrialisierte rechtsrheinische Stadtteile oder Frankfurt am Main: Westend, Nordend, Ostend, Ernst-May-Siedlungen der Zwanzigerjahre).

Die im späten 19. Jahrhundert beginnende Subventionierung von speziellen Wohnsiedlungen für Arbeiter beschleunigen den Prozess der räumlichen Abgrenzung und Isolierung der sozialen Klassen und Schichten und legen die bauliche Grundlage der heutigen zerteilten modernen Stadt.

In der aktuellen großstädtischen Struktur spielt unter segregationsspezifischen und sozialräumlichen Aspekten vor allem die Verortung der meist »unterschichtigen« Migranten eine bedeutende Rolle. Während die erste Generation der damaligen meist jüngeren männlichen »Gastarbeiter« in den Sechziger- und Siebzigerjahren in speziellen Sonderunterkünften (Gastarbeiterheime, Jugendwohnheime, provisorische Unterkünfte) zeitlich befristet untergebracht war, treten diese im Zuge der Familienzusammenführungen und den nachfolgenden »unbefristeten« Arbeits- und Lebensperspektiven (ab den Siebzigerjahren) als gewöhnliche Nachfrager nach privaten oder öffentlich geförderten Wohnungen auf (vgl. Flagge 1999). Migrantenfamilien hatten aber mit in der Regel niedrigeren Einkommen und größeren Familien selten Zugang in die besseren oder durchschnittlichen Wohnlagen und siedelten sich gewissermaßen »marktsortiert« eher in typischen Arbeiterquartieren und Unterschichtwohngebieten an.

Städtische Segregationstypen und Integrations- und Desintegrationsimpulse

In der Regel finden sich in den Verdichtungsräumen acht infrastrukturell spezifische, baulich speziell ausgestaltete sowie jeweils wirtschaftshistorisch bedingte Typen von Segregationsquartieren, die beispielhaft über eine in Frankfurt am Main durchgeführte Stadtanalyse nachgewiesen werden konnten (vgl. Kilb 1998). Im Einzelnen fanden sich dort Wohnquartiere in den City- und Cityrandbereichen mit bevorstehenden oder zu erwartenden Nutzungsänderungen. Charakteristisch für diese Areale sind hohe Lärm- und Umweltbelastungen, hohe Anteile von Migranten in der Bevölkerung, eher kurzfristiger Verbleib der Bewohner zum Teil als »Übergangswohnen« in Asylen, Heimen, Billighotels und »Absteigen«. Über die gleichzeitig dort konzentrierten Konsumanhäufungen kommt es in diesen Quartieren zu einer direkten Konsum-Armutskonfrontation (a). Eine vergleichsweise ähnliche, aber abgeschwächte Struktur findet man in den subzentralen Kernbereichen der Agglomerationen, den eingemeindeten, früher eigenständigen Vorstädten sowie größeren Stadtteilen (b). Quartiere im Umfeld von Verkehrsdrehscheiben und Verkehrsmagistralen mit hohen Lärm-, Schmutz- und Umweltbelastungen, ebenfalls hohen Migrantenanteilen bilden einen weiteren Typus (c). Es folgen die traditionellen Industrie- und Arbeiterstadtteile sowie -siedlungen, bei denen im Zuge der Deindustrialisierung mittlerweile die verbindenden gemeinsamen Arbeitsstätten zunehmend entfallen (d). Großsiedlungen des sozialen Wohnungsbaus der Zwanziger-, Fünfziger- und Sechzigerjahre (e) sowie die Trabantenstadtteile der Sechziger- und Siebzigerjahre (f) stellen weitere Typen dar. Hochhaussolitäre und punktuelle Massenunterkünfte bilden einen atomisierten Typus, häufig als Aussiedlerunterkünfte und Asylunterkünfte genutzt, manchmal im Zuge selbst gewählter ethnischer Bezüge zu monokulturellen Einzelunterkünften generiert (g). Zuletzt müssen die traditionellen Segregationssiedlungen, also die früheren Obdachlosen-, Übergangssiedlungen, die Wohnwagensiedlungen, Bauwagen- und Containerdörfer erwähnt werden (h).

In diesen acht Quartierstypen wirken sich die augenblicklichen Prozesse sozialer Polarisierungen, sozialen Abstiegs, von mit der Deindustrialisierung verbundenen Milieuauflösungen, interkultureller Transformation und ethnischer Isolation wiederum je nach Gebietstyp differenziert aus. Betrachtet man die Prozesse in den acht Quartierstypen im Vergleich, so lassen sich mehrere Wirkungs- wie auch stadträumliche Vermittlungseffekte identifizieren.

Einige dieser Quartiere erweisen sich für ihre Bewohner gewissermaßen als Abspaltungsverstärker. Es sind die vornehmlich in sich geschlossenen gettoartigen Areale, die sich durch extern erfolgende Stigmatisierungen eher negativ verstärken, aber gleichzeitig eine »Vorhangwirkung« durch eine starke Selbstisolation der Bewohner entfalten können; man bleibt im Getto und sieht deshalb die »äußeren Welten« seltener. Es bildet sich häufig ein eigenes normatives wie auch ökonomisches »Überlebens-« und »Mithalte-System«. In solchen Quartieren wird gesellschaftliche Exklusion besonders deutlich. Bei heterogener multi-ethnischer Bevölkerungsstruktur intensiviert sich häufig soziale Desorganisation. Leben dagegen weniger zahlreiche unterschiedliche Ethnien zusammen, können sich eher Community-Effekte entfalten. Eine Integration innerhalb dieser Stadtteile ist dabei bei gleicher Lebenslage der Bewohner und bei geringerer Mobilität (vgl. Straßburger 2001) wahrscheinlicher. Dies hat aber nicht zwangsläufig eine Entstigmatisierung im gesamtstädtischen Rahmen zur Folge, sodass der Integrationsfaktor in der gesamtstädtischen Gesellschaft wieder zu relativieren wäre.

Eine zweite Wirkungsweise ist die als Konfrontationsverstärker. Durch unmittelbares Aufeinandertreffen von Konsumkonzentration und Benachteiligungslagen wie etwa in den Citylagen verstärken sich Konfrontations-, Polarisierungs- und Diskriminierungseffekte. In solchen Arealen dominieren ganz deutlich zum Beispiel die Eigentumsdelikte bei Kindern und Jugendlichen, die in ihren räumlichen Lebenswelten ständig mit Konsumstandards konfrontiert werden, zu denen sie materiell kaum legale Zugänge besitzen. Die soziale Kontrolle fällt auf Grund des wegen der Passantenströme besonders hohen Anonymitätsfaktors weg. Zwischen Migranten und Einheimischen bilden sich nur erschwert Gemeinwesenstrukturen heraus.

Ein dritter Wirkungstyp ist der eines Verunsicherungsverstärkers. In den traditionellen kleinbürgerlichen Arbeiterstadtteilen haben sich durch die Modernisierungs- und Globalisierungsprozesse extrem verunsichernde Entwicklungen ergeben. Starker Arbeitsplatzabbau im produktiven Sektor führen zu einer realen Reduktion körperorientierter Arbeitsweisen und vermutlich als Folge darauf zur gleichzeitigen Überhöhung körperlicher Stilisierung und Selbstinszenierung insbesondere in der jungen männlichen Bevölkerung. In solchen »absteigenden« und sich tendenziell auflösenden Milieus dominieren augenblicklich sehr stark Gewaltdelikte. In solchen Arealen sind im sozialen Zusammenleben ebenfalls eher Desintegrationstendenzen zu beobachten.

Letztendlich können sich Quartiere zu baulichen Desintegrationsräumen entwickeln. Solche Stadtgebiete besitzen kaum städtebauliche Akzente und Orientierungen. Es sind in der Regel Bebauungen längs der Verkehrsmagistralen ohne integrative Bezugskomponenten. Es treffen ungleichzeitig verlaufende Entwicklungen der BewohnerInnen mit ethnischer Heterogenität zusammen. Gewalt- und Eigentumsdelikte sind gleichermaßen überrepräsentiert und wirken entsolidarisierend und desintegrierend zugleich.

In einer Expertise zum Integrationspotenzial in unterschiedlichen Frankfurter Stadtteilen arbeitet Gaby Straßburger die integrationsfördernden Faktoren heraus: höheres Image des Quartiers, »multikulturelles Flair«, relativ ähnliche Lebenslage, hohe Nutzungen selbst organisierter Angebote in Vereinen sowie Bewohnerkontinuität.

In einer von uns 2003 durchgeführten Stadtteilanalyse im Wiesbadener Industrievorort Biebrich lassen sich ähnliche integrationsbegünstigende Faktoren herausarbeiten. Obwohl bei der Biebricher Wohnbevölkerung auf Grund spezifischer soziostruktureller Faktoren insbesondere bei Kindern und Jugendlichen von im Vergleich zum Wiesbadener Durchschnitt erhöhten Risikolagen ausgegangen werden konnte, bilden sich diese in aktuellen sozial-problematischen Verhaltensmustern weniger stark ab als zu erwarten gewesen wäre: Alltagsleben, soziale, kommunikative und atmosphärische Situation erscheinen nicht so beeinträchtigt, wie man dies eigentlich auf Grund der bestehenden Risikofaktoren hätte vermuten können. Nach den Interpretationen der über eine Schüler- und Cliquenbefragung erhaltenen Informationen scheint dies auf mehrere miteinander verbindend wirkende Faktoren zurückführbar zu sein. Zum einen bildet der Stadtteil Biebrich mit seiner historisch langfristig gewachsenen wirtschaftlichen und sozialen Struktur in einem überschaubaren und »begrenzten« Areal eine äußerst vielfältige kulturelle und soziale Einheit, in der zahlreiche unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen ihren Platz gefunden haben und traditionell lernen mussten, miteinander auszukommen. Die traditionelle Beschäftigung vornehmlich der ersten beiden Migrantengenerationen in den ortsansässigen beiden großen Industriebetrieben sowie der begleitend stattfindende Aufbau einer sozialen, kulturellen und privatwirtschaftlichen Infrastruktur fungierten hierbei vermutlich als Medium.

Auf diesen fortdauernden historisch-interkulturellen Integrationsprozess wirken sich insbesondere drei Faktoren positiv aus:

Ein urban geprägtes städtebauliches Zentrum mit lebendiger Geschäftswelt bildet ein Forum, eine »große Bühne« für informelle Begegnungen der unterschiedlichen Bewohnergruppen. Schlosspark und Rheinufer ergänzen diesen Kernbereich als »Nebenbühnen« und Erholungs- und Rückzugsbereiche. Darüber hinaus finden die einzelnen ethnischen, sozialen und kulturellen Gruppierungen ihre jeweils mehr oder weniger akzeptierten spezifischen »Rückzugsinseln« im Stadtteil. Diese Bereiche, zu denen etwa ethnische Kulturvereine, traditionelle Vereine, die freiwillige Feuerwehr, Gaststätten, Internet-Cafes et cetera gehören, stellen häufig das von den Betroffenen selbst gesteuerte Arrangement zwischen herkunftskulturellen und im Stadtteil dominierenden kulturellen Mainstream-Aspekten dar und bieten damit sukzessive erfahrbare Integrationsstufen an.

Zum anderen halten die Kindergärten, Schulen und sozialen Freizeitangebote (Kinder- und Jugendzentrum, Nachbarschaftszentrum usw.) gezielte methodisch-didaktisch aufbereitete interkulturelle Angebote vor, die die vorher erwähnten informellen Bezüge fördern, verstärken und teilweise »ritualisieren«.

Nicht zuletzt stellt sich die Netzwerkbildung über diverse Verbundsysteme von Stadtteilarbeitskreis, Vereinsring und das »Soziale-Stadt«-Programm als interkulturell vermittelndes und (selbst-)regulierendes Instrument dar.

Als einzige Einschränkung erweist sich ein in den demografischen Daten ersichtlicher Wegzug jüngerer und meist besser verdienender »deutscher« Familien. Hierdurch könnte mittel- und langfristig eine Schieflage in der bisher sozial ausgeglichen wirkenden Heterogenität der Bevölkerungsstruktur entstehen, die das Image »Ausländerstadtteil« nach innen und nach außen zu transportieren droht (vgl. Kilb 2003).

Insgesamt lassen sich über die beiden Studien die nachfolgenden günstigeren sozialräumlichen Aspekte für gelingende Integrationsprozesse identifizieren:

– nicht stigmatisierte, sondern städtebaulich aufgewertete Areale;

– städtebauliche Foren der Kommunikation und von gemeinsamen Aktivitäten;

– ähnlicher betrieblicher und wohnungsbezogener Erfahrungs- sowie Aktivierungshintergrund von »Deutschen« und »Migranten«;

– ähnlicher sozialer Status der (beiden) Gruppen;

– soziale und materielle Mischstrukturen in den jeweiligen »Communitys«;

– weniger kulturheterogene sozialräumliche Strukturen;

– gemeinsame kleinteilige sozialräumliche Geschichte;

– multikulturelle sozialräumliche Wirtschaftsstruktur in der unmittelbaren Versorgung.

Speziell im Kindes- und Jugendalter scheinen dabei mehrere sozialräumliche Kriterien integrationsbegünstigende Wirkungen zu entfalten. So spielt einmal die Vielfalt eines abgestuften Systems herkunftskultureller Orte des »Rückzugs« und parallel hierzu multikultureller Orte, die als Foren der Selbstdarstellung und -begegnung dienen können, eine Rolle. Darüber hinaus sind gemeinsame Orte der kulturellen Aneignung wichtig. Dies sind zum Beispiel zentralere Plätze, die gemeinsam erlebbar werden, etwa durch spezifische Personen oder durch erlebbare »Geschichten«. In Wiesbaden-Biebrich ist dies eine Freifläche im Einkaufszentrum, auf dem sich die verschiedenen Cliquen, Gangs und ethnischen Gruppen sowohl voneinander abgrenzen als auch vermischen konnten. In diesem Gemisch aus Näherkommen und Distanzierungen entstehen Geschichten und Legenden, die wiederum identitätsstiftende Funktionen für das Gemeinwesen an sich besitzen können. Es zeigt sich, dass gerade dieser multikulturellen Mischstruktur an den identitätsstiftenden Orten, Einrichtungen und Organisationen symbolische Bedeutung zukommt. Letztendlich war es eine miteinander abgestimmte interkulturelle Programmatik sozialräumlich ausgerichteter Institutionen wie den Kindertagesstätten, Schulen, Vereinen und Freizeitheimen sowie deren positiv besetzte Vermittlungsarrangements, die integrationsfördernd wirkten.

Welche Präventionsstrategien könnten geeignet sein?

Städtische Raumentwicklungen vermitteln und verfestigen desintegrierende Strukturen. Sie prägen deren unterschiedliche Ausformungen entscheidend mit, indem sie als Lernfelder, als Kontrast-Erfahrungsfelder, als Etikettierungs- und Verfestigungs- sowie als Räume mit desintegrierenden und desorientierenden Impulsen auf ihre Bewohner und Nutzer einwirken. Mediale und medial vermittelte allgemein gültige Konsumstandards können dabei noch die Kontrasteffekte zum Sozialraum selbst erhöhen.

Ursachen und Hintergründe, Entwicklungsformen und Gelegenheiten unterscheiden sich dabei erheblich und erfordern sozialraumadäquat differenzierte Präventionsstrategien und Ansätze, die im Folgenden kurz diskutiert werden. Dabei sollten sich die verschiedenen Maßnahmen an drei übergeordneten Zielen orientieren: Integration, Regelarrangements und Wohnumfeldgestaltungen. Unter diesen Zielkonturen könnten in den vier Segregationstypen spezifische Schwerpunktsetzungen erfolgen.

Im Typus »Gettoisierte Quartiere« müsste eine Quartiersaufwertung im gesamtkommunalen Kontext erfolgen. Dies wäre durch die Verlagerung subzentraler oder zentraler kommunaler Angebote und Dienstleistungen sowie interessanter stadtweiter kommerzieller Angebote wie zum Beispiel Sportstätten, Freizeitangebote, Kultur- oder auch Konsumangebote möglich. Beispiele hierfür mögen die Einrichtung einer Spielstätte des Schauspiels und Ausstellungsangebote des Ludwig-Museums in leer stehenden Industriehallen und der Bau eines überregionalen Einkaufszentrums auf einer Industriebrache in einem sozialen Brennpunkt Kalk in Köln, das von Gehry entworfene Guggenheim-Museum im Hafen Bilbaos oder das WM-Stadion in einer Pariser Trabantensiedlung sein.

Darüber hinaus sollten Verbindungen von Arbeits- und Ausbildungsprojekten mit Wohnumfeldverbesserungen mit aus arbeitslosen Jugendgangs oder peer-groups gebildeten Betriebs- oder Arbeitseinheiten erfolgen. Ein Beispiel hierfür ist die Gebäude- und Grünflächensanierung in sozialen Brennpunktsiedlungen wie etwa in der Ahornstraße in Frankfurt am Main durch ein Beschäftigungsprojekt eines stadtweiten Jugendhilfeträgers.

Zur internen Stabilisierung und zur Nachbarschaftsförderung eignen sich Gemeinwesenarbeitsprojekte nach dem US-amerikanischen »Leader-Modell«: das heißt Nutzung der vor Ort vorhandenen informellen »Hierarchie-Strukturen« als interner Regulations- und Vertretungsansatz nach außen. Solche vorhandenen Strukturen müssen teilformalisiert und damit aufgewertet werden und durch fachliche Begleitung häufig demokratisiert und damit von bisher unterdrückenden Impulsen »befreit« werden. Bei den häufig in ihrer Schullaufbahn gescheiterten Jugendlichen ginge es um individuelle cliquen- und zielgruppenorientierte Kompetenz- oder Talentförderung sowie um individuelles Mentoring in der Sozialarbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien.

Beim zweiten Typus »Armutslagen – Konsumkonzentration« sollten im Gegensatz zum Gettotypus städtebauliche »Nischen« und Rückzugsbereiche – durch baulich-räumliche Abtrennungen – entstehen, die zusammen mit gezielten lokalen Angeboten eine Alternative zum »konsumorientierten Streifzug« der Kinder und jugendlichen Bewohner darstellen. Und mit Hilfe von Sponsoringaktivitäten und Patenschaften sollten Jugendliche frühzeitig in arbeitsorientierter Form (Jobs, Praktika, Ausbildungsplätze) in die Betriebe im Quartier eingebunden werden. Der sekundären Prävention in Schulen und der Kindertagesbetreuung sowie der Kinder- und Jugendarbeit sollte große Bedeutung zukommen.

Die Bewohnerkinder und -jugendlichen sollten durch eigene Angebote tendenziell von problematischen extern wohnenden, die Citybereiche aber nutzenden Kindern und Jugendlichen wegorientiert werden. Dies kann nur gelingen, wenn für beide Gruppierungen separate sozialpädagogisch begleitete Hilfe-, Freizeit- und Kulturarbeit existiert. Die aufsuchende, mobile oder Straßensozialarbeit in einigen metropolitanen Zentren (Berlin, Hamburg, Köln, Frankfurt/M.) sind für eine solche »Arbeitsteilung« geeignet, wenn parallel hierzu ganztagsschulische Angebote für die dort lebenden Kinder existieren.

Im Typus »Verunsicherungs- und abstiegsbedrohte Stadtareale«, also den traditionellen Arbeiterquartieren, existieren meist noch traditionelle soziokulturelle Selbstorganisationsformen in Nachbarschaften, Vereinen und wirtschaftlichen Zusammenhängen. Diese gilt es zu stabilisieren, zu modernisieren und langsam für neue (Migranten-) BewohnerInnen zu öffnen. Gegebenenfalls sollten Selbsthilfepotenziale durch externe Anreize reaktiviert werden. Die bisherige soziokulturelle Infrastruktur sollte somit an die real bestehende neue Bewohnerstruktur mit Hilfe von Quartiersmanagementansätzen angepasst werden. In Schule und Jugendhilfeeinrichtungen erscheint gezielte Gewaltprävention auf der sekundären und tertiären Präventionsebene angemessen.

Im letzten Typus »Desintegrationsareale« sind zumeist abgrenzende und zentrifugal wirkende Kräfte dominant. Es fehlen häufig historisches Identitätsbewusstsein und bewährte Integrationsabläufe und Rituale, so dass es notwendig erscheint, eine neue soziokulturelle Infrastruktur aufzubauen. Dies kann durch ein Miteinander von Gemeinwesenarbeit und Quartiersmanagement erfolgen. Dabei sollten die bestehenden Community-Strukturen der häufig zahlreichen Migrantengemeinden als Ausgangspotenzial genutzt werden. Je nach Migrationsgeneration sind ethnospezifische und interkulturelle Foren und Kommunikationssettings angesagt. Regelarrangements und ein stufenförmiges Integrationskonzept (vgl. Gaitanides, Hamburger) scheinen hier notwendig zu sein. Bei Bedarf eignen sich auch interkulturelle Mediationsansätze zur Konfliktbearbeitung. Gerade an den Regelverstößen müsste die sozialpädagogische Quartiersarbeit ansetzen, um mittelfristig selbst organisierte Regelarrangements zwischen den Bewohnergruppen wachsen lassen zu können.

Insgesamt sollten sozialräumlich differenzierte Integrationsimpulse auch über die Stadtplanung an den vorhandenen Potenzialen und Ressourcen und nicht primär an den bestehenden Defiziten ansetzen. Dies kann auch häufig heißen, nichts Neues zu bauen oder zu planen, sondern gut und vital genutzte Architektur unabhängig von denkmalpflegerischen oder ästhetischen Dimensionen einfach nur bestehen zu lassen.

Im Falle neuer Planungen ist es fachlich mittlerweile unumstritten, betroffene Akteure aktiv in die Gestaltung und Konzeptionierung einzubinden und sie damit letztendlich zu befähigen, ihr Gemeinwesen eigenständig und dabei demokratisch zu regulieren. Um solche Prozesse in Gang zu setzen bedarf es flexibler und innovativer Institutionen, die nach dem Gegenprinzip dessen arbeiten, was Baecker für derzeit in Deutschland institutionstypisch erklärt, nämlich dass Institutionen Ansammlungen von feststehenden Lösungen seien, die nach geeigneten Problemen Ausschau hielten (Baecker 1994).

 

KASTEN/SPALTE

Städtischer Raum als Vermittler sozialer Ungleichheit

Shevky/Bell als Vertreter der Chicagoer Schule befassen sich schon in den Zwanzigerjahren mit den Zusammenhängen von sozialer Ungleichheit im und durch den städtischen Raum sowie dessen unterschiedlichen Nutzungsmöglichkeiten. Nach dem Modell ihres sozialökologischen Ansatzes überträgt sich soziale Ungleichheit in der Gesellschaft auf den städtischen Raum; heutige Segregationsmodelle von Häußermann (1999) oder Dangschat (2000) sehen den städtischen Raum in einer Mittlerfunktion von sozialer Ungleichheit, die sich durch die räumlichen Strukturen noch verfestige. Vor allem Sampson/Groves (1989) knüpfen in den Achtzigerjahren wieder an diesem Modell an und differenzieren hierbei zwischen exogenen Ursachen und verschiedenen Dimensionen sozialer Desorganisation.

Unter sozialer Desorganisation verstehen Shaw/Mc Kay (1931) die »mangelnde Befähigung eines Gemeinwesens, die für die Bewohner wichtigen gemeinsamen Werte zu erzeugen und soziale Kontrolle über das Territorium auszuüben«. Sämtliche Modelle gehen von einer bereits vollzogenen sozialen, ökonomischen, kulturellen und auch symbolischen (vgl. Bourdieu 1991) Ausdifferenzierung oder auch Spaltung des gesamtstädtischen Raumes aus und arbeiten vor diesem Hintergrund mit den zwei zentralen Kategorien »exogener Ursachen« wie etwa einem bereits dominanten niedrigen wirtschaftlichen Status, sozialen Risikofaktoren wie hohen Anteilen unvollständiger Familien, ethnischer Heterogenität, residenzieller Mobilität und anomischen Entwicklungen einerseits und struktureller Defizite sozialer Desorganisation andererseits. Hierzu zählen etwa geringe Intensitäten sozialer Netzwerke, fehlende Partizipation und/oder fehlende Kontrollimpulse gegenüber Aktivitäten jugendlicher Gruppen.

Eisner (1997) ergänzt die bisherigen Modelle hin zu einem prozessualen Muster: Städtische Räume, die als unsicher von ihren Bewohnern wahrgenommen werden – und dies sind insbesondere verwahrloste, gestaltlose oder unwirtliche Areale – entfalten soziale Rückzugswirkungen. Diese wiederum führen zu selektiver Entmischung und zu eher auf eigene Interessen hin orientierte Sozialkontrolle einzelner verbliebener Gruppen. Ein solcher Prozess residenzieller Segregation erschwert zunehmend die Integration; denn Integration wird letztendlich denen abverlangt, die selbst Probleme haben und räumlich über keine Alternativen verfügen. Segregation stellt sich somit sowohl als Herausbildung und als Verfestigung sozialer Ungleichheiten heraus (Dangschat 2000). Die höheren Delinquenzbelastungen unter Migranten etwa gerade in den Frankfurter Stadtteilen mit weniger, aber dadurch eher isoliert lebenden Migrantenfamilien ist Indikator dafür, dass integrativen und sozial-kontrollierenden Aspekten einer Community-Struktur eine entscheidende Bedeutung auch für die gesamte Stadtatmosphäre zukommen.

Rainer Kilb

 

KASTEN

Integrationsorte und -symbole einer Stadtgesellschaft

Neben stadtteilspezifischen Entwicklungsaspekten benötigen Städte Orte sowie Stadträume, Aktionen/Aktivitäten, Institutionen und Akteure, die über die Teilgruppierungen einer Stadtgesellschaft hinaus identitätsstiftende und für das Gemeinsame stehende sozial-kommunikative wie symbolische Impulse entfalten können. Unter symbolischen Aspekten betrachtet können dies etwa bauliche »Leuchttürme« wie etwa die Hochhausskyline in Frankfurt am Main oder historische Bauwerke wie der Kölner Dom sein. Sozial-kommunikative Kriterien erfüllen dagegen eher große Feste als überregionale Events, die durch ihren Bekanntheitsgrad schicht- und milieuübergreifenden Charakter besitzen. Eine solche Funktion kommt im Übrigen auch den Bundesliga-Fußballspielen zu. Diese gleichermaßen nach außen wie nach innen wirkenden »Leuchttürme« sind ebenso bedeutsam wie ganz spezifische urbane Knotenpunkte sowie Kulminationsorte, die eher nur im Binnensystem einer Stadtgesellschaft bekannt oder verankert sind und Impulse für Integrationsprozesse im Binnensystem einer Stadtgesellschaft entfalten können.

An einem Beispiel der Frankfurter Stadtentwicklungspolitik aus den letzten Jahren ist zu erkennen, wie fahrlässig in einer Zeit, in der die Großstädte um Investoren und private Investitionen buhlen, mit intern wirksamen Orten oder Bauwerken umgegangen wird. Der Frankfurter Planungsdezernent trat kurz vor seiner Wiederwahl mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit, die innerstädtische Kleinmarkthalle sowie ein in den Fünfzigerjahren in seiner Geschosshöhe behutsam in die verbliebene Altstadt integriertes Ensemble von Wohnungen und Geschäften zur Disposition zu stellen und durch »einer Metropole angemessene«, höhergeschossige Bauten zu ersetzen. Er glaubte offenbar, damit einen »großen Wurf« landen zu können und rechnete wohl kaum mit solch einem Sturm der Entrüstung, der ihm aus weiten Bevölkerungskreisen entgegenschlug. Weshalb hat dieser Mann insbesondere den emotionalen Bezug größerer Teile der Frankfurter Bevölkerung zur eher unspektakulär zweckmäßig gebauten Halle so falsch eingeschätzt und was ist es genau, was eine solch emotionale Bindung an eine Funktionshalle begründete ?

Frankfurt am Main war durch seine geopolitisch nach 1945 zentrale Lage und seine historisch gewachsene spezifische Funktion als Handels- und Messestadt für überregionale, später internationale Dienstleistungsfunktionen im Finanzbereich und im Verkehrswesen prädestiniert. Flughafen/Hauptbahnhof/BAB-Kreuzungen, Börse und Messe firmieren hierbei als wichtige Impulsgeber und führen insbesondere in den Wachstumsphasen seit den Sechzigerjahren zu einem im Vergleich zu anderen bundesdeutschen Agglomerationen rasanten Wachstum. Hierbei wächst die neue Finanz-Community besonders in den westlichen Innenstadtkern der alten Stadt hinein und mit dem damals eingeschlagenen Weg der Hochhausbebauung »über die Stadt« hinaus, wie es in den Achtzigerjahren die Filmemacherin Edith Lange treffend auf den Punkt brachte. Es folgen damit nicht nur ein Verdrängungsprozess der bisher dort lebenden und arbeitenden Bevölkerung, sondern auch eine externe, weitgehend durch Investoren dominierte Stadtentwicklung. Die »übrig gebliebene« Bevölkerung erlebt diesen Prozess subjektiv häufig als Überfremdung des eigenen Stadtteils. Die westlichen Teile der City werden zur eigentlichen Global-City; die lokalen und regionalen Stadtfunktionen reduzieren sich immer mehr auf den mittleren Teil der Altstadt und leben dort weiter, etwa über traditionelle Veranstaltungen wie den Weihnachtsmarkt auf dem Römerberg oder über traditionelle Versorgungseinrichtungen wie die Kleinmarkthalle. Letztere steht sowohl symbolisch, aber auch als historisch kontinuierlich gewachsener Mikrokosmos der Frankfurter Stadtgesellschaft mit einladend offenem und gerade nicht abweisendem oder gar ausschließendem Charakter für die Verbindung von lokal-regionalen und globalen Stadtfunktionen.

Es existieren nur wenige Orte in Frankfurt, an denen sich eine auseinander driftende und oftmals auch schon segregierte Stadtgesellschaft auf so engem Raum begegnet wie in dieser Halle. Die Halle bringt durch ihre Enge nicht nur verschiedene Menschen auf Tuchfühlung zueinander, die ansonsten vermutlich gar nichts miteinander zu tun hätten. Für eine ansonsten eher gespaltene Stadtgesellschaft entpuppt sich ein solcher Ort als einer der letzten wirklich integrativ wirkenden sozialen Räume. In dieser Halle vollzieht sich in der Umkehr von Spezialisierung, Polarisierung und daraus resultierender sozialer wie kultureller Entmischung eine gewisse Balance durch eine historisch über Jahrzehnte gewachsene Vermischung der Differenz.

Wie nahezu jede andere Metropole bleibt auch Frankfurt am Main durch fortlaufenden Stadtumbau gewissermaßen eine »pubertierende« Stadt, die sich ständig auf der Suche nach Identität, nach ihrem Selbst befindet. Das entwicklungspsychologische Dilemma der Pubertät liegt in einem zeitlich befristeten Auseinanderdriften von idealem (man spricht hierbei auch von adoleszentem Größenwahn) und realem Selbst. Erst über die allmähliche Annäherung beider Pole entfaltet sich letztendlich Identität. Zur Identitätsentwicklung benötigt eine Metropole nach innen wie nach außen wirkende Symbole. Für den realen Bezug stehen Orte wie die Kleinmarkthalle in ihrer Funktion als gleichermaßen versorgender wie kommunikativer Ort. Die in der Auseinandersetzung artikulierte Metaphorik von »Bauch« und/oder »Herz« der Stadt weist letztendlich auf die emotionale Bindung größerer Bevölkerungsteile zur Markthalle hin. In einer hochspezialisierten, ausdifferenzierten und sich ständig verändernden Gesellschaft kommt es gerade darauf an, solche »Übergänge« in der Form zu gestalten, dass sie ohne Risiken und Brüche von den Menschen zu bewältigen sind. Hierbei helfen gerade nicht nur die inszenierten Kulissen und Räume, sondern die behutsam gewachsenen Orte, die sich in langen Aneignungsprozessen als nützlich und nutzbar für eine Stadtgesellschaft erwiesen haben.

 

Literatur:

Baecker, D. (1994): Postheroisches Management. Ein Vademecum, Berlin

Benevolo, L. (1991): Die Geschichte der Stadt, Frankfurt am Main/New York

Bourdieu, P. (1991): »Physischer, sozialer und angeeigneter physischer Raum«, in: Wentz, M.: Stadt-Räume, Frankfurt am Main

Böhnisch, L./Münchmeier, R. (1987): Wozu Jugendarbeit?, Weinheim/München

Dangschat, J. (2000): »Segregation«, in: Häußermann, H.: Großstadt

Eisner, M. (1997): Das Ende der zivilisierten Stadt, Frankfurt am Main/New York

Flagge, I. (1999): Die Geschichte des Wohnens, Bd. 5, Stuttgart

Gaitanides, S. (1994): »Interkulturelles Lernen in einer Multikulturellen Gesellschaft«, in: sozialmagazin 2/1994

Hamburger, F. (1991): »Erziehung in der Multikulturellen Gesellschaft«, in: IZA 4/1991

Häußermann, H. (2000): Großstadt, Opladen

Heitmeyer, W. u. a. (1995): Gewalt, Weinheim/München

Kilb, R. (1998): »Arm dran in einer reichen Gesellschaft«, in: Frankfurter Rundschau

Kilb, R. (2002): »Kriminalität und sozialer Raum«, in: sozialmagazin

Kilb, R. (2004): Interessen von Jugendgruppen in Wiesbaden-Biebrich, Frankfurt am Main/Wiesbaden

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Aus: »Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, Ausgabe 2/2007