Roland Schaeffer

Das Klima, die Dinge und die Menschen

Wie die Umweltpolitik die ökonomistische Sackgasse verlassen und ihre gesellschaftliche Kraft entfalten kann

Ein Kurswechsel in der Umweltpolitik steht an, aber die mutigen Schritte werden nicht gemacht. Zu sehr sei, so unser Autor, die Umweltkrise umdefiniert worden in ein »Subsystem Wirtschaft«, seien der Verabsolutierung des Marktes gesellschaftliche Ziele geopfert worden. Längst ist auch die Ökologie ökonomisiert. Strukturelle technische Fehlentwicklungen und ökologisch belastende Entscheidungen werden dem Verhalten der »Individuen« zugeschrieben. Dagegen muss eine »Kultur der Klimafreundlichkeit« entfaltet werden, die sozial gerecht, auch in staatlichen Dimensionen denkt und alle technologischen Möglichkeiten befragt und nutzt.

2007 – das müsste das Jahr des Kurswechsels werden. Die Berichte des IPCC und von Sir Nicolas Stern, eine bisher ungekannte Medienaufmerksamkeit, der politische Gezeitenwechsel in den USA, der ausgefallene Winter, ganze Serien von Temperaturrekorden – die Öffentlichkeit wartet darauf. Und doch sieht es nicht danach aus. Die deutsche Regierung nutzt die EU-Ratspräsidentschaft, um Emissionsbegrenzungen für die deutsche Automobilindustrie zu blockieren und mit diplomatischen Minimalkonsensen das Gesicht zu wahren. Die Energiewirtschaft plant zwei Dutzend neue Kohlekraftwerke. Die Bereitschaft der Bevölkerung, Opfer in Kauf zu nehmen, wenn es denn nur dem Klima hilft, geht ins Leere.

Dabei war der Staat ökologisch schon mutiger. Als vor rund zwanzig Jahren Schwefeldioxid- und Stickoxid-Emissionen die deutschen Mittelgebirge flächenhaft zu entwalden drohten und die hessischen Grünen in den Landtag eingezogen waren, verhandelte die SPD unter Holger Börner mit der neuen Gruppierung. Beim Thema Waldsterben behauptete die SPD, gestützt auf eine ministeriale Fachexpertise, dass nur – undenkbar – die Abschaltung der Kraftwerke helfen könne. Seitens der Grünen erklärte das Darmstädter Öko-Institut, mittels welcher Rauchgasreinigungstechnologien und zu welchen Kosten die Anlagen saniert werden könnten. Für den Ministerpräsidenten war die Angelegenheit geklärt. Er schloss sich der Grünen-Forderung an, eine Bundesratsinitiative für eine neue Großfeuerungsanlagenverordnung wurde vereinbart und im Bundestag beschlossen. Das Zeter und Mordio der Energiekonzerne verbuchte der Gewerkschafter als Bluff. Für ihn persönlich war klar, welche Rolle der Staat zu spielen hatte. Die bundesweite Entschwefelung und Entstickung der Großkraftwerke und später auch mittlerer Feuerungsanlagen sowie der später durchgesetzten Katalysatortechnik waren dann so erfolgreich, dass vielbeschäftigte Medienexperten das – dank politischer Intervention verhinderte – flächenhafte Waldsterben in Deutschland mittlerweile als Beispiel für apokalyptische Angstfantasien der Umweltbewegung zitieren.

Seit diesen Begebenheiten haben sich das Wissen über Umweltschäden und die Instrumente zu ihrer Verhinderung unendlich verfeinert. Nachhaltigkeitspläne und Mediationsprozesse wurden etabliert, neue Studiengänge und Öko-Audits erfunden. Aus der einfachen Gegenüberstellung von Staat und Wirtschaft ist ein komplexes Geflecht geworden, in dem Interessenverbände, echte und scheinbare Bürgerinitiativen, Medienverbünde, multinationale Firmen und Privatinteressen von Politikern undurchschaubar verwoben sind. Wen immer die Medien zu dringlichen Umweltproblemen befragen, niemand lässt sich in seiner Betroffenheit überbieten. Nur die Handlungsfähigkeit und die Bereitschaft von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft, sich den Problemen zu stellen, sind nicht gewachsen. Weshalb?

Waren für Börner technischer Fortschritt und Marktwirtschaft noch Mittel, die die Lebensqualität der sozial Schwächeren verbessern sollten, so sehen sich seine politischen Nachfahren als Teilnehmer eines »Standortwettbewerbes«, den sie als Stärkung »deutscher« Firmen auf dem Weltmarkt interpretieren. Wegen der Globalisierung gehe es um Positionierung nationaler »Champions« – auch wenn deren Bedeutung für Arbeitsmarkt und Wohlstand keineswegs so entscheidend ist, wie es auf den ersten Blick erscheint. Die Regierung hält deshalb – auch gegen die Meinung der überwältigenden Mehrheit der Regierten – ihre Lobbyarbeit für die deutsche Automobilwirtschaft für unverzichtbar, und der Umweltminister fordert die Weiterführung der Kohlesubventionen, weil nur so die »Technologieführerschaft« deutscher Firmen bei Kohleabbau- und Verbrennungstechniken erhalten werden könne. Mit anderen Worten: Deutsche Steuergelder für die Ruhrkohle-AG sollen die Kohlenutzung mittels deutscher Technologie in China verbilligen.

Was also hat sich in den letzten zwanzig Jahren verändert? Wie funktioniert ein öffentlicher Diskurs, der gleichzeitig entschlossenes Handeln gegen den Klimawandel fordert und Lobbyaktivitäten der zuständigen Politiker für die forcierte Klimazerstörung toleriert? Warum erscheint der Staat wie gelähmt, wo es darum geht, seine Potenziale zu entwickeln, damit die gesellschaftliche Zukunft gesichert werden kann?

Im Folgenden wird die These entwickelt, dass die Umdefinition der Umweltkrise in das »Subsystem Wirtschaft« zumindest teilweise dafür verantwortlich ist. Eine enge und individualistische Form des ökonomischen Modelldenkens, die die politische, soziale und kulturelle Rahmung des wirtschaftlichen Handelns ausblendet, hat die umweltpolitischen Denkweisen und Strategien neu fokussiert. Die Umweltbewegung hat dabei viele ihrer integrativen und mobilisierenden Fähigkeiten verloren. Und was die Regierungspolitik betrifft, so wird ihr durch diese (von ihr häufig selbst forcierte) Neustrukturierung des Feldes offenbar ein Teil der Legitimität entzogen, die sie benötigt, um die erforderlichen Maßnahmen durchzusetzen. Ergebnis ist ein klares Missverhältnis zwischen Krisensymptomen und praktischen Handlungen.

Die kritische Nachfrage richtet sich nicht gegen ökonomische Regulierungen als solche. Die Skepsis richtet sich gegen den Versuch, die Ökonomie an die Stelle der Politik zu setzen. Sie zweifelt an dem Versprechen, dem Gemeinwohl »ohne Schmerzen« und politische Konflikte zur Durchsetzung gegen die Partikularinteressen zu verhelfen – wenn denn nur die richtigen wirtschaftswissenschaftlichen Konzepte zum Zuge kommen. Sie richtet sich gegen die sozialen Nebenfolgen dieser Konzepte – und gegen das Warten.

Die Ökonomisierung der Ökologie und ihre politischen Folgen

Mit dem IPCC-Bericht und dem Gutachten des britischen Ökonomen Sir Nicholas Stern wurden der Weltöffentlichkeit eindrückliche Diagnosen der drohenden Klimagefahren vorgelegt. Zugleich hat Stern die ökonomischen Kosten des klimapolitischen Nichthandelns präsentiert. Seine Zahlen haben die öffentliche Meinung stark beeinflusst. Das Argument, Klimaschutz sei »zu teuer«, ist seither nicht mehr glaubwürdig.

Wie soll man die Unbewohnbarkeit ganzer Landschaften und das Verschwinden der in ihnen heimischen Kulturen und Naturschätze monetär bewerten? Mittels welcher Rechenverfahren vergleicht man die Kosten für die Überflutung ökonomisch »reicher« Gegenden, etwa Floridas, mit jenen von armen Ländern, etwa Bangladeschs? Gerade hier werden die Grenzen des ökonomischen Paradigmas sichtbar. Angesichts der dramatischen Ungleichheiten in der Weltgesellschaft und ihren Ökonomien können ökonomische Vergleiche, anstatt rationale Kriterien bereitzustellen, blinde Flecken erzeugen. Lassen sich die Belastungen der wegen ihrer naturnahen (und meist klimaneutralen) Lebensweise anfälligen Milliardenbevölkerungen der südlichen Länder in der Währung der reichen Länder, in Euro oder Dollar, überhaupt erfassen? Die ökonomische Dimension erfasst nur bestimmte Aspekte des menschlichen Zusammenlebens, und in diesem Fall wird das ausgeblendet, was eigentlich entscheidend ist: die Bewohnbarkeit des Planeten.

Der Klimawandel betrifft hier die Voraussetzungen von Ökonomie – und die Menschen- und Bürgerrechte. Dabei sind Staaten gefragt, jene modernen Staaten, deren zentrales Versprechen die Sicherheit von Leben und Eigentum ihrer Bürger ist, und deren Legitimität von ihrer Fähigkeit abhängt, für die Zukunft vorzusorgen.

Ebenso begrenzt wie ihre diagnostische Bedeutung ist der Nutzen ökonomischer Kategorien für Therapievorschläge. Gewiss, Stern argumentiert pragmatischer als viele deutsche Ökonomen – so fordert er eine Verdoppelung der staatlichen Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Aber auch er stellt ein internationales Regime aus Umweltsteuern und Emissionshandel in den Mittelpunkt seiner Lösungsvorschläge.

Die zugrunde liegende Argumentation ist seit langem bekannt. Das »Marktversagen« soll durch Veränderung der globalen Rahmenbedingungen korrigiert werden. Die bisher auf Menschheit und Natur abgewälzten Folgekosten der CO2-Produktion sollen in die Preise der Produkte integriert werden, so dass die Kunden künftig die »wahren Preise« der von ihnen konsumierten Güter und Dienstleistungen bezahlen müssen. Zu diesem Zweck sollen international Emissionszielmengen vereinbart werden, die dann auf nationaler Ebene entweder durch CO2-Handel oder durch Steuern sowie Abgaben durchgesetzt werden.

Soweit das Modell, das bei Ökonomen und Umweltfachleuten weitgehend Konsens ist – es liegt dem Kioto-Mechanismus ebenso zugrunde wie der Klimastrategie der EU. Doch sollte die Plausibilität der Argumentation hinterfragt werden. Schließlich hängt sehr viel davon ab, dass die im Modell postulierten Zusammenhänge in der Realität die vermuteten Wirkungen erzielen. Deshalb sind insbesondere die Erfahrungen zu prüfen, die bereits gemacht werden konnten.

In der Gerechtigkeitsfalle

Wenn der Markt sein eigenes Versagen heilen soll, braucht er Regulierungen, die dem Marktmechanismus nutzen. Schlichte staatliche Anweisungen, wie sie gegen das Waldsterben noch geholfen haben, sind längst aus der Mode. Staatliche Ver- oder Gebote, Infrastrukturinvestitionen, Beschaffungsvorhaben, Steuerprivilegien et cetera haben zwar ebenfalls erhebliche ökonomische Auswirkungen – schließlich gibt der Staat jeden zweiten Euro aus. Aber nachdem das Problem als »ökonomisches« definiert, Ökonomie als »Markt« bestimmt und die Korrektur des »Marktversagens« als ökonomisch korrekter Weg dargestellt wurde, werden solche Themen nur noch am Rande erwähnt. Zwar wäre vieles hier und jetzt zu ändern – aber das lenkt nur ab von dem Zaubermittel der »Integration der Umweltkosten in die Preise der Produkte«.

In Deutschland wurde dieses Mittel verbissen am Fall der Ökosteuer diskutiert. Denn obwohl diese »marktverträgliche« Lösung zunächst von allen Fachleuten, vom BUND über die Wirtschaftsweisen bis zum DIHT gefordert worden war, konnte sie, einmal implementiert, von teilweise denselben Akteuren als Hauptangriffshebel gegen die Umweltpolitik der rotgrünen Regierung genutzt werden.

Das hatte vor allem zwei Gründe: Zum einen weiß niemand, wie hoch die Umweltkosten tatsächlich sind, die integriert werden müssen (die dem Stern-Bericht zugrunde gelegten Studien nennen Größenordnungen, die sich um den Faktor 20 unterscheiden). Umweltsteuern sind bezüglich ihrer Höhe immer dem Vorwurf der Willkür ausgesetzt. Zum anderen ist die »Integration« sozial keineswegs neutral. Sozial schwächere Haushalte geben einen überproportionalen Anteil ihres Einkommens für Energie aus und werden von Energieverbrauchssteuern deutlich mehr getroffen. Während in den unteren Einkommensgruppen die Zusatzbelastung nur schwer zu verkraften ist, fehlt ihr in den oberen Regionen der Gesellschaft die behauptete Lenkungswirkung. Selbst drastisch erhöhte Benzinpreise hindern die »Reichen« nicht, die Umwelt weiter nach Belieben zu verschmutzen. Wer sich einen Mercedes S-Klasse oder einen 7er-BMW leisten kann, dem kann die Benzinrechnung egal sein.

Soziale Auswirkungen waren in den Diskussionen um die Ökosteuer allgegenwärtig. Trotz ihres (verglichen mit der Mehrwertsteuererhöhung zu Beginn 2007) geringen Volumens und trotz ihrer Verwendung für einen »sozialen Zweck« erwiesen sich die Legitimationsprobleme als derart gravierend, dass jeder Gedanke an weitere Erhöhungsschritte sich schließlich von selbst verbot. Die Dramatisierung der Klimaproblematik im Medienhype hat daran nichts geändert.

Ähnliches gilt für den zweiten ökonomischen Lenkungsmechanismus, den Handel mit »Emissionszertifikaten«. Dieser ist nur auf den ersten Blick eine Mengenbegrenzung für die CO2-Emissionen. Tatsächlich funktioniert er über die Erhöhung der Energiepreise – mit den dargestellten sozialen Nebenfolgen. Umweltpolitik wird so zum Spielball sozialpolitisch unterlegter, aber häufig völlig anders motivierter Machtauseinandersetzungen. Noch nicht einmal der Versuch, den Preisanstieg durch verschenkte Emissionszertifikate zu bremsen, hat ihr dabei im letzten Jahr geholfen. Die Unternehmen stellten die Zertifikate den Kunden in Rechnung, und da sie ihnen geschenkt worden waren, konnten sie die Anschaffungskosten als Gewinne verbuchen. Laut Schätzungen wechselten rund 10 Milliarden Euro im Namen der Umwelt, aber nicht zu ihren Gunsten, den Besitzer. Dabei erwies sich der Spielraum auf Seiten der Umweltpolitik als derart eng – und das konkrete Handling des Instrumentariums als derart komplex – dass von »effizienter« klimapolitischer Steuerung nicht die Rede sein konnte.

Ökonomie gegen Politik: Der Regulator ohne Legitimation

Dabei wird mit den bisher beschriebenen Nebenfolgen der ökonomischen Umdefinition der ökologischen Krisensymptome erst die Spitze des Eisberges sichtbar. Die Effizienz des Marktmechanismus verdankt sich, Adam Smith zufolge, dem Grundsatz, dass die einzelnen Markthandlungen, sofern sie legal zustande gekommen sind, von moralischen, sozialen oder politischen Bewertungen frei bleiben. Dabei hatte diese Entmoralisierung für die damals lebenden Menschen selbstverständliche, heute aber nicht mehr wirksame Voraussetzungen. So waren sie gar nicht in der Lage, die natürlichen Voraussetzungen der menschlichen Existenz ernsthaft zu gefährden. Und die »unsichtbare Hand« Gottes, der die Transformation von individuellem Eigennutz in kollektives Gemeinwohl zu verdanken war, hat im Zeitalter beschleunigter Globalisierung viel von ihrer Glaubwürdigkeit verloren.

Trotzdem ist das Grundprinzip unverändert: Eine Umweltpolitik, die moralisch-politische Anforderungen an das Handeln der Marktakteure formulierte, widerspräche deshalb den Effizienzforderungen des Marktes. Oder anders herum: Wer das Handeln der Akteure durch gesellschaftliche Normen beeinflussen will, kann nicht die Selbstregulierung des Marktes ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Denn dort ist jedes legale Handeln auch legitim. Umweltverschmutzung ist erlaubt, solange sie auf dem Markt bezahlt wird. Sie bedarf keiner weiteren Begründung.

Dabei kommt es nicht einmal darauf an, dass das Geld den wahren Besitzer des verkauften Gegenstandes erreicht. Die für den Klimawandel verantwortlichen Emissionen über den Markt zu regulieren bedeutet, dass Hersteller und Käufer so genannter »premium-segment«-Fahrzeuge – jener Autos also, die besonders teuer und emissionsintensiv sind – zusätzliche Preise für diese überproportionalen Emissionen zu entrichten hätten. Dadurch werden aber nicht die Betroffenen für den Raub ihres gemeinsamen Eigentums entschädigt. Ökosteuern generieren Einnahmen für die Industriestaaten, den von der Enteignung des globalen Gemeingutes Atmosphäre Hauptbetroffenen bieten sie keinerlei Ausgleich.

Es widerspricht der ökonomischen Logik des Markthandelns, solche Überlegungen anzustellen. Politisierung, Moralisierung und sonstige gesellschaftliche Beeinflussung haben auf dem Markt nichts verloren. Die Festlegung auf eine Umweltpolitik als Marktpolitik blockiert so die gesellschaftliche Debatte über die Legitimität von Konsumentscheidungen. Einmal entmoralisiert, kann das umweltrelevante Handeln nicht gleich wieder moralisch-politisch bewertet und gesteuert werden. Und es gilt als legitim, wenn Marktakteure ihre finanzielle Macht nutzen, um die Medien, die Öffentlichkeit oder ihre Kunden zu beeinflussen. Die Politik hingegen muss sich stets fragen lassen, wie sie eigentlich dazu kommt, sich in die »freie« Entscheidung der Marktakteure einzumischen. Die Ökonomisierung der Umweltpolitik tendiert so zur Zerstörung eben jener politischen Rahmenbedingungen, deren sie bei der ökologischen Regulierung des Marktes so dringend bedarf. Während also scheinbar die Macht der Öffentlichkeit ständig wächst, weil Nachhaltigkeit und Unternehmensethik zum guten Ton gehören, sinkt tatsächlich die Chance der Gesellschaft auf Einflussnahme.

So ist die Beurteilung von Handlungsstrategien und Ergebnissen inzwischen in immer winzigere Expertenrunden und (häufig von Interessentengruppen ganz oder teilweise abhängige) Forschungsinstitute abgedrängt worden. Die Einschränkung der Schwefeldioxid-Emissionen aus Großkraftwerken in den Achtzigerjahren mittels Grenzwerten und Verboten kam zwar ziemlich plump daher – aber sie war für jeden in ihren Kosten und Wirkungen nachvollziehbar. Dasselbe gilt für die Beendigung der FCKW-Emissionen durch internationale Vereinbarung im Montreal-Protokoll – auch hier wurde ein schlichtes Verbot festgelegt und gegen alle Unkenrufe über den Verlust von Hunderttausenden von Arbeitsplätzen und exorbitante Kosten auch durchgesetzt. Was wäre geschehen, hätte man sich auf ein Emissionshandels-Modell geeinigt?

Heute hingegen wird der Bau weiterer Kohlekraftwerke zwischen Umweltminister und Energieindustrie abgesprochen und damit begründet, dass das CO2 auf diese Weise billiger zu vermeiden sei als durch den Einsatz von Solar- oder Windenergie, weil die Effizienz der neuen Kraftwerke besser sei als die der alten – eine für Nicht-Ökonomen auf den ersten Blick unauflösbare argumentative Verstrickung. Das triviale Interesse, den Technologiewechsel hinauszuschieben und stattdessen die Kohlenutzung samt ihren Emissionen auf Jahrzehnte zu stabilisieren, verbirgt sich hinter dem Schleier der ökonomischen Fachsprache.

Einstweilen jedenfalls sind wir in Deutschland von den versprochenen klaren Rahmenbedingungen für CO2-arme Technologien weit entfernt. Weil die ökonomischen Akteure – im Gegensatz zu manchen Ökonomen – nicht darauf verzichten, den Faktor Macht in ihre Kalküle einzubeziehen, wird weiterhin massiv in Kohle investiert – eine dreiste Wette der Energiewirtschaft nicht nur gegen die Umwelt, sondern auch gegen die Politik insgesamt.

Internationale Regulierung – oder vagabundierende Verantwortung?

Die Integration der Umweltverantwortung in einen undurchschaubaren ökonomischen Regelungsmechanismus lässt am Ende niemanden mehr übrig, der tatsächlich zuständig ist. So gibt es auf die einfache Frage, wer für die Durchsetzung einer wirksamen Klimapolitik verantwortlich sei, keine Antwort. »Alle«. Gewiss. Aber wer konkret?

Dieses Problem zeigt sich spätestens in internationalen Verhandlungen. Allen Appellen und (Selbst-)Beschwörungen zum Trotz wird das Motiv, den »Weltmarkt« für Energie besser zu regulieren und den Übergang zu CO2-freien Technologien zu beschleunigen, durch ganz andere Impulse überlagert. So versuchen die Nationalstaaten, für »ihre« fast überall staatlich oder quasi-staatlich betriebenen Verschmutzerindustrien möglichst viel Zeit zu kaufen.

Dabei wäre die Aufgabe, ein internationales CO2-Regime zu etablieren, auch dann komplex genug, wenn alle »guten Willens« wären. Immerhin ist nach achtjähriger Ratifizierungspause das Kioto-Protokoll im letzten Jahr endlich in Kraft getreten. Aber selbst wenn es gelänge, im Konsens der rund 200 Verhandlungspartner ein CO2-Höchstmengenregime zu verabschieden, wäre dies nur ein allererster Schritt. Angenommen, es würde umgesetzt. Dann würden durch sinkende Nachfrage die Preise für fossile Energien zurückgehen – mit der Folge (die auch Sir Nicholas Stern fürchtet), dass die Nachfrage wieder steigt. Die nationalen Regierungen müssten also entweder hohe Importpreise oder -quoten festlegen (d. h. das mühsam etablierte ökonomische Steuerungsregime durch plumpe staatliche Intervention wieder abschaffen). Oder sie müssten nachregulieren und ihre Steuern oder Zertifikatpreise anpassen. Man kann sich, mit viel gutem Willen, vorstellen, dass – möglicherweise unter dem Eindruck katastrophaler Ereignisse – eine einschneidende globale Übereinkunft zustande kommt und dass sie anschließend wirksam in nationales Recht übersetzt wird. Die ständige Anpassung eines derartigen Regimes in den beteiligten Staaten – von Peking über Washington, Neu Delhi, Kairo und Nairobi bis nach Moskau dürfte auch die politische Fantasie großer Optimisten überfordern.

Fehlbelastung des politischen Systems

Dass der Staat mit der Sicherung der Umwelt überfordert sei, war ein zentrales Thema der umweltpolitischen Debatten der Neunzigerjahre.(1) Herausgekommen ist am Ende eher eine Fehlbelastung – schließlich werden die staatlichen Aktivitäten auf ein einziges »ökonomisches Instrument«, die Verteuerung des CO2-Ausstoßes, konzentriert – während sonstige Handlungsmöglichkeiten und gerade Stärken moderner Staaten und Gesellschaften aus dem Blick geraten.

In dem jetzt etablierten Setting hat sich die Umweltpolitik in einem gesellschaftsfernen Raum versteckt, aus dem heraus sie verwirrende Ratschläge in die Arena ruft, während der Staat mit überirdisch großen Anforderungen auf der einen und unterirdisch banalen nationalen Lobbyinteressen auf der anderen Seite allein bleibt. Anstatt die von überwältigenden Mehrheiten unterstützten ökologischen Ziele aktuell in eine Vielfalt von Politiken zu übersetzen, wartet die offizielle Umweltpolitik auf den einzigen großen Befreiungsschlag, derweil über Nebenfragen mit leidenschaftlichem Ernst gezankt wird.

So verfällt die Politik der Versuchung, das Notwendige so spät wie möglich zu tun. Auch das wird in einer kritischen Öffentlichkeit selbstverständlich bemerkt. Allerdings richtet sich die Kritik nicht gegen das politische Konzept selbst: Das religiös-utopische Potential der neoklassischen Weltformel und der darauf basierenden Argumentationen ermöglicht es, für jedes konkrete Scheitern »mangelndes Bemühen« verantwortlich zu machen.

Von den Grenzen der individuellen Entscheidung

Die Liste der Probleme, die durch die Reduktion von Klimapolitik auf die ökonomisch-technische Reparatur der Marktfunktionen entstehen, wäre nicht vollständig, wenn sie einen weiteren Aspekt moderner Gesellschaften außer Acht ließe – ihren Individualismus.

Gefragt, wie es dazu kommen kann, dass ganze Wirtschaftssektoren auf klimagefährdenden Technologien basieren und diese Richtung offenkundig auch nicht zu ändern beabsichtigen, verweisen die Unternehmensmanager schlicht auf ihre Kunden. Schließlich gehe es um die Erfüllung individueller Wünsche – und nicht darum, irgend jemand »etwas vorzuschreiben«. Ein Automobil- oder Luftfahrtunternehmen könne nun einmal nicht als moralische Anstalt agieren.

Tatsächlich waren ökonomische Prozesse indes nie – und sind auch heute nicht – auf individuelle Marktentscheidungen beschränkt. Vielmehr ist in der realen Ökonomie die Wahlentscheidung von Kunden auf wettbewerblich organisierten Märkten nur eines von vielen Elementen, zumal in jenen Sektoren der Wirtschaft, die besonders klimarelevant sind, die Energie, Auto- oder Flugzeugindustrie, von Markt nur mit großen Einschränkungen die Rede sein kann. Daneben wirken staatliche Regulierungen, historisch gewachsene Technologien und Infrastrukturen, institutionelle Arrangements und Eigentumsverhältnisse, kulturelle Tendenzen und soziale Veränderungen – um nur einige Schlagworte zu nennen.

Mit anderen Worten: So frei das Individuum in seiner Wahl ist, so sehr werden seine subjektiven wie objektiven Entscheidungsmöglichkeiten durch die Gesellschaft bestimmt. Und entgegen der geläufigen Aufforderung, jeder solle sich sein Energiesparprogramm persönlich aussuchen, dann wäre, wenn die Menschen sich »vernünftig« verhielten, das Problem gelöst, wird über Ressourcenverbräuche nur zu einem relativ kleinen Teil durch aktuelles Markthandeln individueller Käufer entschieden. Bevor die »Wünsche« der Kunden wirksam werden können, müssen komplizierte technische, soziale und kulturelle Bedingungen erfüllt sein.(2) Damit ein Elektrogerät, eine Jacke, ein Automobil oder eine Film-CD verkauft werden können, bedarf es eines hochkomplexen Ineinandergreifens von Erzeugungs-, Verteilungs- und Verbrauchsinfrastrukturen. Bei manchen Produkten nimmt »König Kunde« mit seinen Präferenzen fast unmittelbar Einfluss auf deren Gestaltung, bei anderen ist er der »Pfadabhängigkeit«(3) technischer Entwicklungen, der Inkompatibilität einmal durchgesetzter Technologien mit alternativen Möglichkeiten oder auch den mächtigen Eigeninteressen oligopolistisch organisierter Produzenten ausgeliefert.

500-PS-Fahrzeuge sind nicht einfach individuelle Wahnvorstellungen. Dahinter stecken die Traumproduktion mächtiger Industrieoligopole, die staatliche Bereitstellung von Infrastrukturen, Straßen ohne Geschwindigkeitsbegrenzung, eine entgleiste Mobilitätskultur, ein Patentrecht, das die Weiterentwicklung vorhandener Produktlinien nahe legt, direkte oder indirekte Subventionen und so weiter. Es gibt zahlreiche Kollektivfaktoren, die dazu beitragen, dass der angebliche »Individualist« auf dem beheizten Ledersessel vor allem als exemplarischer Repräsentant seiner Gesellschaft sitzt.

Wird die Konsumgesellschaft wirklich durch Preise gesteuert?

Leider hat die Umweltbewegung, aller kritischen Auseinandersetzung mit den Auswüchsen des Konsums zum Trotz, hier wenig soziale Fantasie entfaltet. Während die Industrie die Bedürfnisse ihrer Kunden bis in die feinsten Verästelungen erforscht, ihre Produkte ständig neu einkleidet und designt, um sie auf die jeweils letzten Trends auszurichten und jeden potentiellen Käufer von der »Bedürfnis«-Entstehung bis zum Neukauf des Modells fest an der Hand hält, begnügt sich die Umweltseite mit ein paar erratischen Behauptungen über Einsparungen und Funktionalität. An wen sie sich richten, wie sie dort ankommen und verstanden werden, welche konkreten Empfehlungen sie enthalten und ob es dem oder der Einzelnen glückt, sie umzusetzen, bleibt unklar.

Der Konsumforscher und Kunsthistoriker Wolfgang Ullrich hat in seinem glänzenden Buch Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur? dargestellt, wie es der kapitalistischen Gesellschaft gelungen ist, die Funktionalität zu transzendieren. Damit die Wirtschaft jenseits der materiellen Bedürftigkeit in Gang bleiben kann, muss es den Anbietern gelingen, ihren Gegenständen ein eigenes Leben einzuhauchen und sie in die Lage zu versetzen, mit ihren potenziellen Käufern zu kommunizieren. Moderne Konsumgegenstände erzählen eine Geschichte und versprechen ihrem Besitzer, daran teilzuhaben. Sie sind über lange Zeiten mit psychischen Strukturen und Glaubenssystemen verbunden, vermitteln gute Gefühle aller Art. Und dann kommen die Umweltschützer und sprechen über die Dingwelt der Konsumgesellschaft, als handele es sich um ein vorsoziales und vorkulturelles Reich der »instrumentellen Rationalität«. Kein Wunder, dass vieles von dem, was sie propagieren, einfach ins soziale Nichts fällt.

Ein schönes Paradox: Die scheinbar so angesagte umweltökonomische Steuerung glaubt sich in einer vorkonsumistischen Welt, in der allein der Geiz geil ist – während der Kunstgriff der entsprechenden Werbung gerade darin besteht, den Geiz des Käufers zu überwinden, indem sie an sein (kulturell bedingt) schlechtes Gewissen beim Kauf nicht wirklich benötigter Gegenstände appelliert und ihn damit beruhigt, dass der Kauf ein Akt der Sparsamkeit sei.

Raub des globalen Gemeineigentums und der »Preis« für CO2

Während der Anschein individueller Wunscherfüllung zum Kauf moderner Produkte gehört, scheint für deren unsympathische Nebenfolgen die Gesellschaft allein verantwortlich zu sein. Schließlich ist sie es, die nolens volens den in der Ausübung seiner persönlichen Freiheit tätigen Einzelnen auf die Folgen für das Gemeinwohl anspricht – eine Rollenverteilung, die sich in gesellschaftlichen und politischen Gegensätzen wiederfindet.(4)

Nebenfolgen sind immer komplex, sie zählen nicht zu den Gründen, einen Gegenstand zu beschaffen (allenfalls, ihn zu vermeiden), sie sind häufig schwer verständlich oder entziehen sich der Wahrnehmung. Es gibt zahlreiche Akteure, die ein Interesse daran haben, dass möglichst wenig von den Nebenfolgen gesprochen wird (in der Regel, weil sie mit den zugehörigen Produkten Geld verdienen), während es andere Akteure gibt, die aus völlig anderen Interessenlagen heraus die Kunden zu deren Vermeidung durch »Energiewechsel« oder zum Kauf effizienter Geräte motivieren möchten. Regulierungen, die Nebenfolgen in ein ökonomisches Regime integrieren, sind kontrollintensiv. Außerdem sind sie (wie das Beispiel der Abfallentsorgung zeigt) selbst in geordneten rechtsstaatlichen Verhältnisse stark korruptionsanfällig.

Mit dem Kaufakt fallen demnach zwei Vorgänge zusammen. Der Kunde vollzieht durch den Kauf eines Autos (bzw. der Vorstellung von einer Maschine, die ihn mit einem Traum verbindet, der zu ihm zu passen scheint) eine individuelle ökonomische Entscheidung – Wunsch gegen Geld. Zugleich übernimmt er ungewollt die Handlungsmacht über eine Emissionsmaschine, die zwar einen Teil des globalen Gemeineigentums an der Atmosphäre beansprucht, indem sie unbelastete Luft mit Schadstoffen auflädt, für diese Nebenfolge aber nicht bezahlt, schon gar nicht an die Betroffenen. Um den zweiten Teil der Transaktion zu einem ökonomischen Vorgang zu machen und der zweiten Maschine einen Preis zuzuschreiben, sind komplexe Umdeutungs- und Regulierungsprozesse notwendig. Dazu und zur Durchsetzung der Bezahlung bedarf es staatlicher oder staatsähnlicher Institutionen.

Schon deshalb kann der ökonomische Umgang mit Nebenfolgen keineswegs strukturanalog zu dem Umgang mit Produkten und Dienstleistungen behandelt werden, die »spontan« einen eigenen Wert besitzen, weil sie von vielen Kunden gewünscht werden und die deshalb den Staat nur zur Sicherung der Markttransaktionen brauchen. Sie ist ein Akt der Steuerfestsetzung, der staatlicher Kontrolle sowie demokratischer Legitimation bedarf.

Zu faul zum Sparen? Über die gesellschaftliche Natur materieller Artefakte

Noch aus einem zweiten Grund ist die Vorstellung, dass viele autonome Kunden durch plötzliche Einsicht auf umweltfreundliche Produkte umsteigen, dadurch die Hersteller zum Umdenken zwingen und am Ende die unerwünschten Nebenfolgen des wirtschaftlichen Prozesses aus der Welt schaffen, wenig realistisch.

Die gesellschaftliche Natur der materiellen Artefakte wehrt sich nämlich gegen ihre individualistische Umdeutung. Wolfgang Ullrich hat die Entwicklung der Konsumkultur als einen Prozess der ständigen Produktanpassung gedeutet, eine wissenschaftlich und mit allen Finessen moderner künstlerischer Kreativität unterstützte Interaktion mit den Kunden und ihren Wünschen – als Teil jenes kulturellen Prozesses, in dem die Gesellschaft sich selbst schafft. Die Hoffnung, eine Bewusstseinsveränderung könnte in einer Art kollektivem Big Bang diesen Prozess unterlaufen und neue, ökologische Funktionalitäten zum einzigen Auswahlkriterium machen, geht an diesem Vorgang vorbei. Der Videorecorder etwa ist ein kollektives Produkt. Er wird von gesellschaftlichen Institutionen in einem komplexen Prozess designt, gebaut, kontrolliert und in den Handel gebracht, und dieser kollektive Charakter bleibt auch dann erhalten, wenn er individuell benutzt und besessen wird. Die Aufforderung an den Nutzer, das Gerät jedes Mal per Knopfdruck ganz auszuschalten, um so die eingebaute Standby-Funktion zu umgehen, ist nichts weniger als eine Aufforderung, gegen die in dem Gerät materialisierte gesellschaftliche Vorstellung von Komfort und Funktionalität zu handeln – was im konkreten Fall bedeuten kann, dass mit dem Abschalten jedes Mal alle Programmierungen des Gerätes gelöscht werden. Ähnliches gilt für Appelle, das Auto stehen zu lassen oder die Heizung herunterzudrehen. Die Lebensbedingungen in modernen Industriegesellschaften sind auf die reflexionsfreie Funktionalität von Produkten und Infrastrukturen zugerichtet. Wer zuwiderhandelt, bricht nicht nur mit ihren kulturellen Implikationen, er braucht auch besondere Kompetenzen und hat den Preis in Form merkwürdiger Blicke, minderer Bequemlichkeit, ungeahnter Scherereien und zusätzlicher Kosten zu entrichten. Deshalb scheitern die meisten Menschen bereits bei dem Versuch, eine Energiesparlampe zu beschaffen: weil sie Spannung und Verbrauch verwechseln, der Eigenverbrauch der Netzteile für sie nicht erkennbar ist, weil die Birne nicht zur Lampe oder die Lampe nicht ins Wohnzimmer passt.(5)

Aber auch die Hersteller haben rationale Gründe, auf die Materialisierung einer Energiesparkultur durch die entsprechende Gestaltung der technischen Geräte zu verzichten. Sie müssten ihre alten, erprobten Verfahren und Produkte aufgeben und neue, teure und innovative Technik für Ziele einsetzen, die von den Kunden beim Kauf der Geräte als eines unter vielen Entscheidungskriterien bewertet werden. Davor scheuen sie meist zurück, solange sie nicht durch kontinuierliche öffentliche Aufmerksamkeit oder staatlichen Druck motiviert werden.

Ökologischer Fußabdruck: Ein analytisches Instrument führt politisch in die Irre

Den eigenen »ökologischen Fußabdruck« zu verkleinern – diese Quintessenz aller Appelle an die persönliche Verantwortung jedes Einzelnen ist demnach eine hoch komplizierte Angelegenheit. Und so wertvoll er als analytisches Instrument zum Beschreiben der ökologischen Nebenfolgen von Lebensformen sein mag, so problematisch wird er, wenn aus ihm eine gesellschaftliche Zuordnung der Verantwortung für diese Nebenfolgen abgeleitet oder gar praktische Konsequenzen gefolgert werden.

Die Größe des Fußabdruckes ist vor allem anderen von der Zugehörigkeit seines Verursachers zu einer bestimmten historischen Gesellschaft abhängig – eine Zuordnung, die der Einzelne nur begrenzt beeinflussen kann. Während dem Individuum sehr viel Verantwortung für das aufgebürdet wird, was es – häufig ohne es zu wissen – verursacht, entlässt der Verweis auf die Entscheidungsfreiheit der Kunden die Herstellerfirmen aus ihrer Verantwortung.(6)

Tatsächlich reichen in einer globalisierten und vernetzten Welt die Verantwortungslinien weit über Herstellerfirmen und -branchen hinaus. Es wäre daher zu fragen, ob einer Exportnation wie Deutschland nicht zumindest ein Teil der Nebenfolgen der von ihr in andere Länder verkauften umweltschädlichen Produkte und Technologien zugerechnet werden muss. Wenn Exportautos immer größer und Kohlekraftwerke immer billiger werden – sind dann nicht zumindest beide verantwortlich – der exportierende ebenso wie der importierende Staat?

Eine solche gesellschaftliche Technikverantwortung hätte Folgen. Wirtschaftliches und technisches Handeln müsste dann als gesellschaftlich und politisch verantwortlich angesehen werden. Die Gesellschaft hätte die ins »Wirtschaftssystem« externalisierte Verantwortung für ihre immer komplexeren technischen Artefakte vollinhaltlich zu übernehmen. Die Scheidung des gesellschaftlichen Denkens in »zwei Kulturen« käme an ihr Ende.

Gesellschaftliche Technikverantwortung

Die ganze Vielfalt staatlicher, gesellschaftlicher und individueller Handlungsmöglichkeiten gegen die Klimakatastrophe zu mobilisieren – darum müsste es gehen. Das ökonomische Instrumentarium gehört selbstverständlich dazu, nicht als utopische Formel für die Selbstregulierung einer künftigen Gesellschaft, sondern nach dem Prinzip von Versuch und Irrtum, hier und jetzt – und als selbstverständlicher Bestandteil politischer Entscheidungen.

Mit einer Rückkehr zum Glauben an die Allmacht des Staates hat das nichts zu tun. Wenn der Umweltökonom Lutz Wicke die angebliche Staatsgläubigkeit der gegenwärtigen Klimadebatte kritisiert und zur Abhilfe einen globalen Emissionshandel fordert, ist die Alternative falsch formuliert. Um Schadstoffemissionen über Preise zu regulieren, müssen die staatliche Handlungsfähigkeit größer und die Institutionen kompetenter sein als bei schlichten Ge- und Verboten. Schließlich wäre, um finanzielle Regelungen auf globaler Ebene durchzusetzen, eine globale staatliche Autorität notwendig – selbst die mächtige WTO würde mit ihren zahlreichen Vetomechanismen kaum genügen. So impliziert der Vorschlag (nach dem alten Grundsatz »no taxation without legislation«, dem Gründungsprinzip der Vereinigten Staaten von Amerika) die revolutionäre Forderung nach einem Weltstaat oder zumindest einem globalen Regulierungsmechanismus mit wirksamen Sanktionsverfahren. Oder aber, weil dergleichen nicht erkennbar ist, die Verschiebung auf später.

Auf dem Weg zum ökologischen Sozialstaat

Die Aufmerksamkeit könnte sich zunächst auf den Staat selbst richten. Die planerischen und kommunikativen Kompetenzen im öffentlichen und gemeinnützigen Bereich auszubauen, die intellektuelle Austrocknung der zuständigen Ministerien zu beenden, ihre Mittel für Forschung und Entwicklung zu verdoppeln – das wären erste Schritte. Inzwischen fehlen in einem der führenden Industriestaaten aktuelle Grundlagendaten, um über Tempolimit oder Feinstaubemissionen auch nur vernünftig debattieren zu können.

Auch die Entwicklung wirklich innovativer Technologien bedarf, so der internationale wissenschaftliche Konsens, staatlicher Unterstützung. »Je radikaler eine technische Innovation ist, desto ungewisser sind ihre produktionstechnische Machbarkeit, ihre ökonomische Rentabilität, ihre Chancen der Vermarktung, ihre Verträglichkeit mit den bestehenden Normen und ihre Akzeptanz bei Anwendern, Nutzern und betroffenen Bürgern. Angesichts dieses Ungewissheitszirkels liegt es nahe, dass der Staat in den frühen Phasen der Technikgenese die Kosten und Risiken, z. B. für alternative Energien oder schadstoffarme Fahrzeuge, übernimmt.«(7)

Unendlich entfernt (mindestens zwei EU-Verordnungsjahre, die bekanntlich länger sind als 12 Monate) sind wir von energetischer Transparenz der Märkte. Kennzeichnungspflichten für alle Energie verbrauchenden Geräte, Verbot von Standby-Schaltungen et cetera. Die Errichtung einer »Stiftung Energietest« könnte helfen – es gibt zahllose Möglichkeiten, durch die eine Regierung zeigen könnte, dass sie es mit dem Energiesparen ernst meint.(8)

Bisher fehlt es auch hier am Geld: Während die Kosten für die Markteinführung eines neuen Toyota-Modells von Branchenkennern auf weit über 50 Millionen Euro geschätzt werden, besteht das Effizienz- und Einsparmarketing aus ebenso wohlgemeinten wie unverständlichen Broschüren. Die Aids-Aufklärung erklärt und bewirbt seit Jahren vergleichsweise einfache technische Handhabungen (»passt auf jede Gurke«) – wie könnte die Vermittlung des technologischen Überganges aus dem fossilen ins postfossile Zeitalter aussehen?

Eine Regierung, der das Thema wichtig wäre, könnte auch mit der Beseitigung umweltfeindlicher ökonomischer Fehlregulierungen beginnen, von den milliardenteuren Steuerprivilegien für schwere Dienstwagen und Flugverkehr bis zur Entprivilegierung der Kohle gibt es dafür große Zustimmung in der Bevölkerung. Und die freiwerdenden Finanzmittel werden anderswo gebraucht.

Schließlich bedarf der Neu-, Um- und Ausbau von Verkehrs-, Energie- und Gebäudeinfrastrukturen staatlicher Initiative. Die Verkehrsinfrastrukturen am Kriterium der Klimafreundlichkeit auszurichten, die Infrastrukturmittel weg von Flugzeug, Binnenschiff und Straße zu lenken, das Bahnnetz in öffentlicher Verantwortung zu bewirtschaften, anstatt es, inklusive garantierter Subventionen, internationalen Investorengruppen zu übergeben, die Gleise nicht nur zu reparieren, sondern massiv auszubauen – all das wäre überfällig.

Nichts davon verschiebt die soziale Balance weiter zuungunsten der sozial Schwächeren, im Gegenteil. Und nichts von alledem bedarf globaler Übereinkünfte oder ist von der Zustimmung anderer Staaten abhängig. Bund, Länder und Kommunen können selbst entscheiden.

Wohl wahr: klimafreundliche Technologien und Lebensformen müssen sehr schnell global wirksam werden – schließlich entstehen derzeit in Asien wöchentlich bauliche Infrastrukturen vom Umfang der Stadt München. Was wäre da dringlicher, als sofort anzufangen? Und was Erfolg versprechender als eine Kombination von gelebtem Vorbild und Innovationsexport?

Kultur der Klimafreundlichkeit

Nicht nur die technischen Innovationen der letzten Jahre wecken die Hoffnung auf eine Bewältigung des Klimaproblems. Die Denkmöglichkeiten selbst haben sich erweitert. Wo Bedürfnisse kulturell werden, kann Kulturwandel praktische Auswirkungen haben. Moralisch-politische Erwägungen sind durch die Sachzwanglogiken in den Subsystemen moderner Gesellschaften keineswegs überholt. Tatsächlich spielen sie eine entscheidende Rolle. Dass die Atomkraft in Deutschland zu Recht als Sackgassentechnologie gilt, liegt nicht zuletzt daran, dass seit drei Jahrzehnten kaum ein begabter junger Mensch ihr mehr seine Lebensarbeit widmen will. Und dass wir heute Passivhäuser, Ein-Liter-Elektroautos und erneuerbare Energien haben, verdanken wir kleinen Gruppen von begabten Naturwissenschaftlern und Ingenieuren.(9)

Technisch neu an diesen Konzepten ist nicht, dass sie eine »neue Energiebasis« gefunden hätten. Im Gegenteil: Wo sich, wie beim Biosprit, lediglich das Verfahren der Energiegewinnung verändert, während die Nutzungsinfrastrukturen und die benötigten Energiemengen gleich bleiben, ist mit neuen, dramatischen Umweltschäden zu rechnen. Die Qualität des »regenerativen« Energiesystems ist nicht seine »Energiebasis«, sondern die Fähigkeit, bisher ungenutzte Umgebungsenergien zu nutzen, Netze zu steuern und Verbräuche zu minimieren. Grundlage dafür sind die modernen Informationstechnologien mit ihren Regelungsverfahren. Die klimafreundliche Gesellschaft ist insofern Teil und Konsequenz jenes revolutionären technologischen Prozesses, der die letzten Jahrzehnte bestimmt und dafür gesorgt hat, dass Milliarden Menschen als Arbeitnehmer und Kunden in den informationsgesteuerten Weltmarkt eingetreten sind.

Es spricht alles dafür, diese Verwandtschaft zwischen den Klimatechnologien auf der einen und den Informationsmedien sowie den kulturellen Strömungen der informationellen Gesellschaft auf der anderen Seite aktiv zu nutzen. Noch nie konnten Innovationen so schnell verbreitet werden. Schon jetzt wird die industrielle Gesellschaft mit ihren Wahrnehmungsstrukturen und ihrer Einteilung der geistigen Landkarten Schritt um Schritt zurückgedrängt. Neue Disziplinen sind im Entstehen: Dass gesellschaftliche Zusammenhänge durch Dinge vermittelt sind, wird abermals Thema der Sozialwissenschaften, und dass solche Dinge konkreter Beobachtung und Betrachtung bedürfen (und nicht in ein Getto der »Technikfolgenabschätzung« eingesperrt werden können), gelangt allmählich ins öffentliche Bewusstsein. Die von Wolfgang Ullrich geforderte – durchaus vorökologisch-kulturell gedachte – »Produktkritik« könnte (um auch hier nur ein Beispiel zu nennen) eine Ausprägung eines derart neuen Umgangs mit den uns umgebenden Dingwelten – und den Hinterwelten ihrer Nebenfolgen – werden.

Der Entscheidungs- und damit der Diskussionsbedarf sind enorm. Zu Recht ist umstritten, ob die »technischen« Mittel ausreichen, um die notwendigen Veränderungen zu erreichen, oder ob – etwa beim Flugverkehr – weiter gehende Einschränkungen und Verhaltensänderungen nötig sind. Dezentrale Initiativen und gesellschaftliche Verfahren der politischen Entscheidungsvorbereitung, wie sie in umweltpolitischen Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte entwickelt wurden, werden eine wichtige Rolle spielen.

Denn bisher weiß niemand, wie eine klimafreundliche Gesellschaft im 21. Jahrhundert aussehen kann. Aber vielleicht ist das ihre größte Stärke.

Dann ginge es darum, Neugierde auf eine Veränderung unserer Lebensweisen zu wecken. Wie stark sie ist, zeigt, um nur dieses Beispiel zu nennen, der Erfolg der Bio-Supermärkte in den letzten Jahren. Weder »es gibt keine Alternative« noch die alte Melodie »es muss, es muss« können eine solche Mobilisierung schaffen.

1

Das von Jänicke u. a. im Umweltbereich diagnostizierte »Staatsversagen« wurde in der Folge häufig von interessierter Seite dahingehend interpretiert, dem versagenden Staat seine Fähigkeiten weiter zu beschneiden. Vgl. Peter Christoff: »Green Governance and the Green State: Capacity Building as a Political Project«; in: Robert Paehlke/Douglas Togerson (ed.): Managing Leviathan. Environmental Politics and the Administrative State, Toronto (Broadview Press) 2005.

2

Vgl. Wolfgang Ullrich: Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur?, Frankfurt am Main (S. Fischer) 2006. Siehe auch Jörn Lamla/Sieghard Neckel (Hrsg.): Politisierter Konsum – konsumierte Politik, Wiesbaden (VS Verlag für Sozialwissenschaften) 2006.

3

Zur Pfadabhängigkeit technischer Entwicklungen vgl. die Zusammenfassung bei Werner Rammert: Technik-Handeln-Wissen. Zu einer pragmatistischen Technik- und Sozialtheorie, Wiesbaden 2007. Rammert bietet einen ausgezeichneten Einblick in den gegenwärtigen Stand der Techniksoziologie.

4

In der informationellen Moderne werden zahlreiche gesellschaftliche Gegensätze durch technische Artefakte materialisiert, die schließlich zu zentralen Symbolen der politischen Auseinandersetzung werden können – ein Vorgang, dem die politische Soziologie bisher keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt hat. Dabei besitzt die angeblich »technische« oder »instrumentelle« Rationalität z. B. der Stromerzeugungstechnologien das Potenzial für gesellschaftliche Verwerfungen bis hin zur Gründung neuer Parteien.

5

»Wir haben auf die harte Tour gelernt«, schreiben Meadows u. a., »wie schwierig es ist, in einem System, das Konsum erwartet, fördert und belohnt, ein materiell maßvolles Leben zu führen.« Was für die führenden Umweltexperten dieser Welt schwierig erscheint, ist für fast alle im Übrigen zu viel verlangt.

6

Wer einen »SUV« besitzt und seine private Ökobilanz verbessern möchte, kann das Fahrzeug zwar verkaufen. Daran, dass dieses Artefakt von nun an 15 bis 20 Jahre lang weiterfährt, bis es (vermutlich weit im Osten) irgendwann zusammenbricht, ist, nachdem es einmal das Licht der Welt erblickt hat, nichts mehr zu ändern. Es sei denn, der Erstbesitzer verschrottete ein fast neues Fahrzeug.

7

Werner Rammert, a. a. o. S. 25.

8

Wie weit wir davon entfernt sind, zeigt der Kauf einen trivialen Kühlschrankes. Effizienzklasse A sei dabei gefragt, ist landauf, landab zu lesen. Dabei ist der beste Standard längst die Effizienzklasse A++, aus dem A also ein C geworden. Wer, ohne Experte zu sein, sparen will, hat den Ärger garantiert.

9

Das erste Versuchs-Passivhaus stand, ebenso wie die erste deutsche Biogasanlage, deshalb an einem Ort, der sonst nicht als Hightech-Standort bekannt geworden ist: Bei Gorleben, im Wendland.

Aus: »Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, Ausgabe 2/2007