Markus Hesse, Bastian Lange

Kreative Industrien

Magma und Mantra der Berliner Stadtentwicklung

Spontaneität und Kreativität sollen den Strukturwandel der postindustriellen Stadt auf dem Weg in die Wissensökonomie befeuern und die eher trübe Vergangenheit der fordistischen Industrie überwinden helfen. Doch stimmen die Häufigkeit, die konzeptionelle Unbestimmtheit und mitunter triviale Oberflächlichkeit, mit der (wahlweise) das Leitbild der kreativen Stadt, der kreativen Milieus oder ebensolcher Industrien als belastbare Option für die Zukunft beschworen wird, durchaus verdächtig. Dieser Beitrag nimmt sich die Stadt Berlin als Bühne, als empirischen Fall.

Es ist keineswegs ausgemacht, dass aus der spezifischen Verbindung von Kunst und Kommerz, von Kreativität und Wertschöpfung, die in der Diskussion um eine kreative Ökonomie ausgemacht wird, gleich eine allgemeine Rezeptur für die Stadtentwicklung gewonnen werden kann. Es könnte auch ein Mantra sein, das nur eine kurze Lebensdauer hat. Fraglich ist selbst die These, dass die Stadt der »Ort« der kreativen Ökonomie und ihrer sozial-kulturellen Milieus sei. Nirgendwo sonst als in Berlin lässt sich die ganze Bandbreite des kreativen Tuns besser beobachten, von der Modemesse Bread & Butter über Universal Music zur Internetökonomie mit ihren schein-autonomen, aber oft prekären Arbeits- und Ausbeutungsverhältnissen. Berlin ist schließlich auch das Labor für Versuche, die kreative Ökonomie stadtpolitisch und planerisch voranzubringen und ihre Netzwerke an spezifischen Orten zu binden – auf dass ein Teil der geschöpften Werte in der Stadt verbleibt.

Die Kreativwirtschaft in Berlin

Berlin versteht sich in jüngster Zeit als »arm, aber sexy« und als kreative Metropole schlechthin. Die reichhaltige Kulturwirtschaft der Stadt, definiert man sie in Anlehnung an EU-Standards, umfasste im Jahr 2002 über 18570 zumeist kleine und mittelständische Unternehmen mit einem Umsatz von über 8 Milliarden Euro (siehe Tabelle 1). Dies entspricht einem Anteil von rund 11 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Berliner Wirtschaft.

Zwischen 1998 und 2004 ist die absolute Anzahl der Unternehmen in diesem Sektor um rund 4000 gestiegen, meist Neugründungen von Mikrounternehmen (rd. 18 %). Vor allem die Teilmärkte Software (+ 1280 Unternehmen/ + 109 %), Presse- und Buchmarkt (+ 1120 Unternehmen/ + 31 %) Film- und Fernsehwirtschaft (+ 312 Unternehmen/ + 25 %) und Musikwirtschaft (+ 300 Unternehmen/+ 26,5 %) verzeichneten starke Zuwächse, während sich die Zahl der Architekturbüros deutlich verringerte ).

Räumlich betrachtet ist die Kreativwirtschaft, auf den ersten Blick, zentrenaffin. Ein großer Teil der Berliner Unternehmen siedelt innerhalb des S-Bahnrings. Ausnahmen bilden nicht nur historisch gewachsene Standorte wie Berlin-Adlershof, das innenstadtnahe RBB-Gelände am Berliner Funkturm oder der Standort Potsdam-Babelsberg. Wissensbasierte »Strategieräume« der Stadt sind aber nicht nur die »hippen« oder »coolen« locations von Berlin-Mitte. Auch im früheren Arbeiterbezirk Tempelhof-Schöneberg gibt es vorhandene Potenziale kreativer Industrien und Dienstleistungen, die ausgebaut werden sollen. Rückgrat dieser Aktivitäten ist die Potsdamer Straße, südlich angrenzend an den Potsdamer Platz. Dieses Areal ist heute Standort von über 400 Unternehmen aus dem Feld der Medienwirtschaft, die beiderseits der Straße ansässig sind.(1) Die zentrale Lage der Straße wenige Kilometer vom Potsdamer Platz entfernt sowie relativ günstige Gewerbemieten machen sie für die Mehrzahl der Unternehmen attraktiv, für die ein hot spot in Mitte oder am Spreeufer in Friedrichshain kaum erschwinglich wäre.

Die Potsdamer Straße ist zugleich Gegenstand von städtebaulicher Sanierungsplanung und Quartiersmanagement. Ein Teil des Schöneberger Nordens, den die Straße durchmisst, gilt als benachteiligtes Stadtquartier, in dem Billigläden, Dönerbuden und Leerstand sowie Fluktuation im Einzelhandel die Kulisse prägen. Die Potsdamer Straße strahlt insofern wenig Flair aus. In diesem Teilraum lebt eine hohe Zahl von Transfereinkommensbeziehern und Personen mit Migrationshintergrund. Das Quartiersmanagement Schöneberger Norden wurde vom Senat beauftragt, Maßnahmen zur Verbesserung der örtlichen Lebensbedingungen zu leisten.

Die Verbindung aus kreativer Ökonomie und sozialräumlichem Handlungsbedarf steht in starkem Kontrast zu den prototypischen Quartieren der Kreativen und bildet insofern eine ungewöhnliche Arena für die Stadtpolitik. Seit 2005/2006 arbeitet die Wirtschaftsberatung des Stadtbezirks Tempelhof-Schöneberg an der Förderung eines Netzwerks von Medienunternehmen, die an der Potsdamer Straße und ihrem Umfeld angesiedelt sind. Als Potenzial dieses Standorts gilt die Mischung alter (Zeitung, Buch/Verlag, Film) und neuer (Web, Advertising) kreativer Unternehmen und Unternehmer. Andererseits entspricht der hohen Dichte an Unternehmen vor Ort bisher noch nicht das, was die Forschung solchen Konzentrationen unterstellt und die Politik für ausbaufähig hält: ein Cluster zu sein, das sich durch enge Verflechtungen, eine hohe Kommunikationsdichte und sodann besondere Produktivität auszeichnet. Dies ist hier bislang noch nicht der Fall, die Etablierung eines echten Netzwerks stellt eine zentrale Aufgabe der Wirtschaftsförderung dar.

Dazu wurden eine Reihe von Aktivitäten gestartet, um das Netzwerk miteinander bekannt zu machen, wie ein Unternehmensstammtisch, Messen und Vorträge.(2) Mit diesen Aktivitäten, die durchaus ein modernes Verständnis politischer Steuerung erkennen lassen, zeichnet sich die Wirtschafts- und Standortpolitik zugleich durch eine gewisse Bodenständigkeit aus. Ob der Standort damit ein nachprüfbar ausbaufähiges kreatives Potenzial aufweist, bleibt abzuwarten. Die Potsdamer Straße und das avisierte Netzwerk bieten zweifellos eine interessante Strategie, die auch Kompensation für die wirtschaftlichen und sozialräumlichen Strukturprobleme dieses Stadtbezirks verspricht. Allerdings ist die kreative Ökonomie der Potsdamer Straße vorerst nur eine Option – noch ohne Garantie auf Einlösung der damit verbundenen Hoffnungen.

Kreative Profession = kreative Ökonomie?

Einer der populären Stichwortgeber der kreativen Ökonomie ist der US-amerikanische Ökonom Richard Florida (Florida 2005). Seine These ist zugespitzt, dass Städte und Regionen nur dann erfolgreich in einer globalisierten Ökonomie überleben können, wenn sie in der Lage sind, die hochqualifizierten und zugleich mobilen »kreativen« Wissensarbeiter anzuziehen. Bewerten diese Akteure Standorte als attraktiv, löst dies Aufmerksamkeit und Zuwanderung aus. Der »kreativen Klasse« werden die Entwicklung und unternehmerische Umsetzung von symbolischen Innovationen zugeschrieben. Aufgrund der Beobachtung, dass sich einige der als Technologie- und »New Economy«-Regionen gehandelten Standorte durch hohe Anteile gleichgeschlechtlicher Lebensweisen auszeichnen, formulierte Florida die Faktorkombination der »3 T’s« – Talent, Technologie und Toleranz – als mitentscheidend für den Erfolg dieser Städte.

Worum geht es bei der Kreativwirtschaft genau? In Berlin umfasst sie den erwerbswirtschaftlichen Sektor und damit alle Unternehmen und Selbständigen, die kulturelle Güter produzieren, vermarkten, verbreiten oder damit handeln (Senatsverwaltung 2006). Ebenso werden Tätigkeiten dazugerechnet, die Kulturgüter bewahren und dabei auf Gewinnerzielung ausgerichtet und in einer privaten Rechtsform organisiert sind. Außerdem zählen gewerbliche Betriebsteile öffentlich finanzierter Kulturinstitutionen wie Museumsshops und -cafés zum erwerbswirtschaftlichen Sektor dieses Segments (siehe Tabelle 2). Dieses Spektrum von Tätigkeiten und Berufsgruppen deutet an, dass sich die kreative Ökonomie kaum trennscharf erfassen lässt.(3) Die Hauptunterschiede liegen vor allem in der Spannbreite und der unterschiedlichen Reichweite ihrer Erfassung. Nicht zuletzt erschwert die föderale Struktur der deutschen Statistik eine einheitliche Definition, so dass nationale und internationale Vergleiche erschwert werden. Auf der Grundlage der amtlichen Wirtschaftssystematik (WZ) werden nach Schätzungen von Ertel (Ertel 2006, S. 18) allein circa 25 Prozent der Erwerbstätigen in der Kreativwirtschaft damit nicht erfasst; es handelt sich dabei vor allem um Selbstständige sowie nicht umsatzsteuerpflichtige Personen.(4)

Kreativen Berufsfeldern wird in jüngster Zeit von der Politik eine zukunftsweisende Rolle zugewiesen, gerade als Treiber und Motor für die auf kreativem Wissen und Innovationen basierenden neuen Ökonomien. Bereits 1998 hatte der Soziologe Heinz Bude mit der »Generation Berlin« versucht, den diskursiven Boden für eine neue professionelle Gruppe zu bestellen. Diese werden auch als »neue kulturelle Unternehmer« oder »Culturepreneurs« (Lange 2007) angesprochen. Vermittelt über diese neuen Akteure sollte sich eine politische Modernisierungspraxis gerade in der strukturell offenen Stadt Berlin anbahnen sowie im ganzen Land. Flankiert durch den globalen Bedeutungsgewinn der urbanen Kreativwirtschaft erklärt sich ihre städtische Funktion zum einen als lebensweltliche Einbettungsstruktur und Anker für kreative Wissensmilieus, zum anderen als Chance zum Aufbau einer darin angelegten Berufskarriere. Das neu geschaffene Schlagwort »Creative Industries« ist also auch Ausdruck des Versuchs von Politikern, Investoren, Forschern und Wirtschaftsfachleuten, innovative Märkte und neue Arbeitsformen sowie Arbeitsplätze zu identifizieren. Wie groß dieses Potenzial ist, hat Scott beispielhaft unter anderem anhand von Hollywood gezeigt (Scott 2005; 2006).

Während Richard Florida die Potenziale der kreativen Klasse hervorhob und deshalb eine erhebliche Resonanz jenseits der Fachwelt erfuhr, sind die sozioökonomischen Schattenseiten dieser Entwicklung weniger offensichtlich. Für Peck (Peck 2005) hat Floridas Agenda einen eindeutig neoliberalen Beigeschmack. Und in der Tat: Im Licht der sozioökonomischen Strukturkrise verweist das Schlagwort eines »neuen Unternehmertums« zum einen auf individualisierte Existenzstrategien oder Ausgrenzung aus sozialen Arbeitskontexten (McRobbie 2005). Zum anderen hebt es aber auch das gekonnte Ausbalancieren zwischen staatlichen Transferzahlungen, kurzfristigen Jobs sowie Selbstständigkeitsstrukturen hervor, die von immer mehr jungen Akteuren aus dem Bereich der Kulturproduktion praktiziert werden (müssen) (Banks/Lovatt u. a 2000; Verwoert 2003). In Berlin spitzte sich diese Strukturformation in Begriffen wie »neues Prekariat« und »urbane Penner« im Jahr 2006 zu: Hochqualifiziert und zugleich geringe Einkommen mit hohen Bindungen an studentische oder subkulturelle Milieus kennzeichnen das stilistische role-model des neuen »Berliner Selbstunternehmers«. Die Selbstbeschreibung ihrer nicht notwendigerweise kommerziellen Tätigkeit: Wir nennen es Arbeit (Friebe/Lobo 2006).

Hinter dieser Selbstertüchtigungssemantik zeichnet sich ein neuer Modus der Wissensökonomie ab, der radikal auf kurzfristigen Kreativinnovationen, definitiven Arbeitsflexibilitäten und immensen Anforderungen der Selbstorganisation basiert, sich aber zugleich auf minimalen sozialen Sicherungssystemen sowie dünner Kapitaldeckung entfaltet. Dieser selten anerkannte und wahrgenommene Modus einer »Berliner Ökonomie« erfährt Relevanz bei der Wirtschaftsförderung sowie auf der Imageebene der Stadt: Buzzwords wie »Capital of Talents« oder »Young Creative Industries« sollen – ähnlich wie in anderen Metropolregionen – Dynamik und Potenziale Berlins andeuten (Lange 2005). Politische Entscheidungsträger befördern letztlich mit neuen Images des Städtischen nicht nur die Attraktivität der Stadt als Erlebnisraum, sondern auch deren damit verbundene instabile Beschäftigungsverhältnisse von gleichwohl hochqualifizierten Akteuren.

Die Stadt als »Ort« der urbanen Kreativökonomien

Mit der Entstehung von neuen Medien und Kulturproduzenten verbindet sich die Beobachtung, dass diese Milieus spezifische Raumansprüche haben und diese an bestimmten Orten vorfindbar sind. In den 1980er-Jahren waren diese Orte idealtypisch Technologiezentren, High-Tech-Business-Parks oder ähnliche Standorte, meistens orientiert am Erfolgsmodell Silicon Valley. Prototypisch sind und waren in besonderer Weise die so genannten kreativen Districts großer Städte, etwa Los Angeles, San Francisco und New York City (vor allem Manhattan) in den USA sowie Paris, London oder München und Berlin in Europa. Solcherart urbane Affinitäten der kreativen Milieus wurden seither in einer größeren Zahl von Fallstudien nachgewiesen, in einem breiten Spektrum von traditionellen Sektoren wie dem Verlagswesen bis hin zur Produktion von Internet-content. Damit wurde auch die These von der Aufhebung räumlicher Differenz durch neue IuK-Technologien scheinbar widerlegt: »Das Internet, in seinen Anfangszeiten noch der Schrecken alles Lokalen, verbrüdert sich mit Orten.« (Friebe/Lobo, S. 161)

Zur Erklärung dieser Prozesse werden verschiedene Ansätze diskutiert. Zum einen beruht die räumliche Konzentration oder Ballung bestimmter ökonomischer Aktivitäten auch heute noch auf Kostenvorteilen aufgrund kurzer Wege und vielseitigen Angeboten vor Ort. Dies wurde schon in klassischen Theorien zur Stadtentwicklung so herausgestellt.(5)

In jüngerer Zeit haben sich die Rahmenbedingungen für solche Prozesse überlagert, wirtschaftliche und wissensbasierte Transaktionen sind nicht mehr dauerhaft auf räumliche Nähe angewiesen, sondern können dank Transport und Telekommunikation über große Entfernungen hinweg organisiert werden. Gleichwohl hat sich der Anfangsverdacht von der Auflösung alles Räumlichen im Mahlstrom der nivellierenden Technologien (noch) nicht bestätigt. Dass es vielmehr eine anhaltende Tendenz zur Ballung von kreativen, künstlerischen wie auch technologieintensiven Tätigkeiten gibt, wird in neueren Ansätzen mit dem Vorhandensein spezifischer Netzwerke und Verflechtungsstrukturen erklärt. Dabei spielen vor allem solche Beziehungen und Bezüge eine Rolle, die implizites Wissen (tacit knowledge) bereitstellen, das nicht ohne Weiteres auf formalisierten Märkten zu erwerben ist. Vielmehr sind hierfür schwach formalisierte und informelle Netzwerke von Bedeutung. Um deren Knotenpunkte verorten sich auch die sozialen Milieus: »Decisions by both employers and artists interact to build artistic enclaves.« (Markusen/Schrock 2006, S. 1682)

Richard Florida hat diese Ansätze um eine weitere Komponente ergänzt: den soziokulturellen Blick auf die Träger dieser Aktivitäten. Seiner Meinung nach sind es die »Kreativen« selbst, die als Motor von Stadtentwicklung und einer Bedeutungsveränderung von Orten wirken. Denn Kreative sammeln sich nicht da, wo Jobs sind, sondern an den attraktiven Wohn- und Lebensorten und den Zentren des kulturellen Lebens, die ihnen Verwirklichungsoptionen bieten. Verbunden mit neuen Wertvorstellungen, Lebensstilen und Konsumgewohnheiten führt dies zur Herausbildung neuer nationaler wie urbaner Geografien sowie zu veränderten Raumnachfragen in den Innenstädten. Städte, so Florida (Florida 2002, S. 224), sollen nicht allein den privaten Raum (erster Ort) mit dem Ort der Arbeit (zweiter Ort) verbinden, sondern verstärkt einen dritten Ort anbieten: Kommunikative Interaktions-, inspirierende Vergemeinschaftungs- und stimulierende Bildungsräume. Die Erzeugung einer kritischen Masse, dem so genannten Buzz an coolen locations, wird als Anziehungskraft für weitere Zielgruppen (Kreative, Geldgeber) und damit als indirekt innovationsfördernd verstanden.

Das Vorhandensein von engmaschigen interaktionsreichen Produktionsfeldern in urbanen Kontexten gilt heute als zentrales Kennzeichen von Metropolen. Unternehmerische Kreative sind im Wesentlichen darauf angewiesen, wie sie zugleich an der Herstellung dieser Räume arbeiten. Um die Qualität und performativen Fähigkeiten ihrer innovativen immateriellen Güter zu überprüfen, müssen sie diese auf »informellen Märkten« platzieren und einer (Teil-) Öffentlichkeit zeigen: Das vollzieht sich im Galerie-, Club-, Kunst- und Modebereich. Aufgrund ihrer individuellen Wahrnehmungs- und sozialen Handlungsressourcen sind die so genannten Kreativen in der Lage, örtliche Gestaltungsoptionen zu realisieren, Orte »herzustellen« und soziale Verdichtungsarbeit zu leisten. Ihre temporären Mikroräume geben Aufschluss über die unternehmerischen, sozialen und kommunikativen Organisationsweisen. Von diesen urbanen Ankern lassen sich Praktiken der sozialen und kommunikativen Erschließung von Märkten sowie die Formierung von kreativen Milieus ableiten. Dabei basieren die Werte der Kreativen auf Selbstverwirklichung, Individualität, Autonomie sowie Kreativität. Ihre Praxis konstituiert sich, wie dies die Bremer Geografin Ilse Helbrecht formuliert hat, nach der Devise, »that the place gives me space«: Bespielung, Inszenierung und Codierung von Räumen sind Ausdruck des Bedarfs zur Verdichtung wenig formalisierter Sozial- und Unternehmensbeziehungen, gleichzeitig prägen sie städtische Quartiere.

Diese neue Art von neuer Ökonomie hat nicht nur eine Affinität zu soziokulturellen Milieus der Metropole. Sie siedelt sich auch heute faktisch innerhalb der Großstadt in ganz bestimmten Räumen an. Prototypisch hierfür sind dann codierte innerstädtische »Szene«-Distrikte, gentrifizierte und ästhetisierte Altbauquartiere mit einem hohen Lifestylefaktor (sowie Kaffeebars mit W-LAN), aber auch umgebaute Hafen- oder Gewerbestandorte mit ihren großzügigen Lofts und Ateliers, in denen die Vorstellung von raumgreifenden Tätigkeiten sprichwörtlich ihren Platz finden kann. Preiswerte Mieten haben hier ihren besonderen Wert und machen Städte wie Berlin attraktiv – gerade auch für eine Klientel, die oft unter prekären Randbedingungen arbeitet und sich übliche Großstadtmieten kaum leisten kann. Günstige Mieten gibt es zwar auch in Wanne-Eickel, nicht aber das kreative Umfeld Berlins!

Kommt es zur Vernetzung?

Die kreative Klasse ist derzeit in Stadtpolitik und -forschung angesagt. Auf den ersten Blick erscheint dieser Begriff sowie das damit assoziierte Konzept attraktiv, denn es verbreitet den Glanz des Modernen, Selbstbestimmten und Technologischen. Auf den zweiten Blick werden die Schwierigkeiten dahinter sichtbar. Was ist eindeutig als »kreativ« definierbar? Stimmt der Zusammenhang zwischen Kreativität und Metropole im Kontext der Globalisierung? Schon empirisch wurde Florida hier ein vereinfachtes, fast naives Weltbild unterstellt (Scott 2006). Auch ist die sozio-ökonomische Ambivalenz der kreativen Wissensökonomie nicht zu unterschätzen: Prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen sind zentraler Bestandteil dieses Konzeptes, wenn auch vom Glanz der Avantgarde überdeckt. Schließlich ist die Förderung der kreativen Klasse durch die Politik unsicher und unbestimmt: »The hard news for civic leaders is while they can, and must, do whatever is in their power to cultivate creativity, there is now way of knowing where the creative sparks will ignite.« (Peck 2005, S. 762)

Diese Ungewissheit als Rahmenbedingung gilt auch für die nach eigenem Gusto kreative Metropolis Berlin. Selbst das öffentlich sehr präsente Bild der »Filmmetropole Berlin« ) kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Berlin auf diesem Gebiet noch deutlich hinter München und Köln liegt. Nur gelegentlich kann sich Politik im Glanz von Events wie der Berlinale schmücken. Im Tagesgeschäft dominiert der Versuch, aus dem dynamisch wachsenden, aber mengenmäßig noch bescheidenen Segment der kreativen Ökonomie ein wirtschaftliches Standbein zu entwickeln. Dies ist eine Aufgabe, die strategisches Handeln, Mut zum Experiment und Bereitschaft zur Kooperation privater und öffentlicher Akteure (miteinander wie untereinander) voraussetzt. Und vermutlich bedarf es auch einer kreativen Klasse im öffentlichen Sektor, die diese Vernetzung in die Hand nimmt.

1

Dazu gehört ein breites Spektrum von Unternehmen der Film- und Fernsehbranche, Grafik, Design und Layout, IT sowie Werbung, Marketing und PR; auch der Tagesspiegel als großes Westberliner Zeitungshaus ist an der Potsdamer Straße ansässig.

2

Regelmäßig werden Betriebe am Standort besucht; der Ausbau lokaler Verflechtungen soll die Marktposition der Betriebe verbessern. Ein »location scout«, im Filmbusiness für die Auswahl der passenden Örtlichkeit für Aufnahmeszenerien zuständig, soll zwischen Gewerberaumleerstand und umzugswilligen Unternehmen vermitteln. Eine gemeinsame Vermarktungsplattform des Standorts soll eine bessere Außenwahrnehmung ermöglichen. Dazu wurde das neue Logo der »mstreet« entworfen, deren Profil und Schnittmenge das räumlich konzentriert angesiedelte Medienbusiness ist (www.medienportal-berlin.de).

3

Diese extrem heterogene Gruppe unter dem Dach der »kreativen Klasse« unzulässig vereinfacht zu subsumieren ist ein wesentlicher Kritikpunkt an Richard Floridas prägnanter These (vgl. Markusen 2006).

4

Laut Statistik der Künstlersozialkasse für das Jahre 2006 haben die dort registrierten und im Kern ihrer Tätigkeit kreativ arbeitenden Mitglieder ein Durchschnittseinkommen von 10<|>814 Euro. (www.kuenstlersozialkasse.de)

5

Die Grundlogik dieses Phänomens hatte der Ökonom Alfred Marshall bereits Ende des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Begriff der industrial atmosphere gekennzeichnet. Und natürlich waren es historisch gesehen schon immer die Städte und großen Zentren, in denen Kreativität und Wissen geschöpft wurden, in denen das stattfand, was Georg Simmel »Geistesleben« nannte. Die Lektüre stadtgeschichtlicher Werke, wie zum Beispiel Jürgen Mantheys Buch über Königsberg, vermittelt eine Vorstellung davon, dass Gelehrtenszenen und Wissensmilieus nicht nur am Ort von Akademia, sondern in aller Regel in der städtischen Gesellschaft gebunden und lokalisiert waren (Manthey 2005).

Literatur:

Banks, Mark/Lovatt, Andy u. a. (2000): »Risk and trust in the cultural industries«; in: Geoforum 31, Vol. 4, S. 453–464

Ertel, Rainer (2006): »Daten und Fakten zur Kulturwirtschaft«; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 34-35, S. 17–23

Florida, Richard (2002): The Rise of the Creative Class: And how it’s transforming Work, Leisure, Community and Everyday Life, New York: Basic Books

Florida, Richard (2005): The Flight of the Creative Class, New York: Routledge

Friebe, Holm/Lobo, Sascha (2006): Wir nennen es Arbeit: die digitale Bohème oder: Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung, München: Heyne

IBB/Investitionsbank (2007): Berlin aktuell. Filmmetropole Berlin, Berlin: IBB

Lange, Bastian (2005): »Socio-spatial strategies of Culturepreneurs. The example of Berlin and its new professional scenes«; in: Zeitschrift für Wirtschaftsgeographie (Special Issue: Ökonomie und Kultur) 49, Vol. 2, S. 81–98

Lange, Bastian (2007): Die Räume der Kreativszenen. Culturepreneurs und ihre Orte in Berlin, Bielefeld: Transcript Verlag

Manthey, Jürgen (2005): Königsberg: Geschichte einer Weltbürgerrepublik, München: Hanser

Markusen, Ann/Schrock, Greg (2006): »The artistic dividend: Urban artistic specialisation and economic development implications«, in: Urban studies 43, Vol. 10, S. 1661–1686

McRobbie, Angela (2005): »Wie man in Londons kreativen Kleinunternehmen über die Runden kommt«; in: Beate Binder/Silke Göttsch u. a. (Hrsg.): Ort–Arbeit–Körper. Ethnografie Europäischer Modernen, Münster: Waxmann, S. 81–96

Peck, Jamie (2005): »Struggling with the Creative Class«; in: International Journal of Urban and Regional Research 29, Vol. 4: S. 740–770

Scott, Allen J. (2005): On Hollywood : the place, the industry, Princeton: Princeton Univ. Press

Scott, Allen J. (2006): »Creative Cities: Conceptual Issues and Policy Questions«; in: Journal of urban affairs 28, Vol. 1, S. 1–18.

Senatsverwaltung (2005): Kulturwirtschaft in Berlin. Entwicklung und Potenziale 2005, Berlin: Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in Berlin

Senatsverwaltung (2006): Berlin – Stadt des Designs, Berlin: Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen in Berlin

Verwoert, Jan (2003): »Unternehmer unserer Selbst«; in: Jan Verwoert (Hrsg.): Die Ich-Ressource. Zur Kultur der Selbst-Verwertung, München: Volk, S. 57–66

 

Aus: »Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, Ausgabe 2/2007