Balduin Winter

Editorial

Das Klima macht Dampf. Energiesparen, wurde auf der Technologiemesse Cebit in Hannover betont, ist auch in der High- Tech-Branche angekommen. Besucher wie Aussteller wurden allerdings auch mit Zahlen des Bundesumweltamtes konfrontiert: Der Stand-by-Betrieb von PC bis Videorecorder in Deutschland verbraucht 22 Milliarden

Kilowattstunden im Jahr – die Leistung von vier Atomkraftwerken – und erhöht die CO2-Emissionen um 14 Millionen Tonnen. Hier liegen Vergeudungs- und Sparpotenziale, eingebettet in der Komplexität jenes gigantischen Prozesses akkumulativer Vernutzung der energetischen Reserven der Erde, der an der Klimaerwärmung maßgeblich beteiligt ist. Noch von anderer Seite geriet die Branche in die Kritik. Die Münchner Ratingfirma Oekom Research beanstandet, dass Firmen wie Nokia, Motorola oder Giant Wireless bei Zulieferern einkaufen, die mit neun Cent pro Stunde noch unter dem chinesischen Mindestlohn und bei völlig menschenunwürdigen Bedingungen produzieren lassen. Die Ratingfirma, auch mit ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit befasst, spricht von Mangel an Verantwortung gegenüber der Gesellschaft. Und das Freiburger Öko-Institut merkt an, dass kein Verbraucher mit gutem Gewissen das digitale Leben genießen könne.

Die Manager eigentlich auch nicht. Aber mit Verantwortung und Moral in der globalen Wirtschaft ist es eine komplizierte Sache. Konkret weisen Konzerne wie Siemens oder Sony alle Vorwürfe von sich – sie könnten nicht alle Lieferketten von zehn, zwölf Zulieferern kontrollieren, sie hätten keinen Einfluss auf chinesische Sozialstandards, man verhalte sich neutral der Politik des Landes gegenüber. Die »Neutralität« der Manager von Microsoft oder Siemens ist, wie man weiß, allerdings eine Sache. Eine andere Sache ist jene, worauf Adam Smith, die »unsichtbare Hand« relativierend, seinerzeit hinwies: »Alle, die jemals vorgaben, ihre Geschäfte dienten jemals dem Wohl der Allgemeinheit, haben meines Wissens niemals etwas Gutes getan.«

Verantwortung, Profit, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Marktkonkurrenz, Ökologie, Rationalität sind Flöhe, die zusammen in den Sack der Globalisierung sollten. Nicht nur häufen sich Beispiele, wie das eine das andere auszuschließen scheinen: Profit und Gerechtigkeit etwa? Immerhin zeichnet sich auch in der US-Debatte eine Distanzierung von neoliberalen Positionen ab. Milton-Friedman-Verehrer Paul Krugman widmet in der New York Review of Books dem verstorbenen Vorbild einen Nachruf, worin er den Monetaristen als »Ignatius von Loyola« bezeichnet, der gegen John Maynard Keynes, den »Martin Luther der Volkswirtschaft« zur Gegenreformation aufgerufen habe. Nun aber, so Krugman, bedürfe es einer Gegen-Gegenreformation.

Sein Kollege Bruce Scott von der Harvard Business School definiert den Kapitalismus als ein System, das »zwei Hände« haben muss, eine unsichtbare und eine sichtbare in der »ausdrücklichen Gestalt von Regierung und Bürokratie«. Adam Smith schrieb sein Werk zu einer Zeit, als es um die Emanzipation des Marktes vom Staat ging und es noch keine marktdominanten Monopole gab – die »unsichtbare Hand« als regulierende Wirkung des Eigeninteresses war konstitutiv für diesen frühen Liberalismus. Scott misstraut ihr jedoch in der Phase der Globalisierung. Nicht unbegründet, wie eine Studie über Desinformations-Kampagnen angeblich unabhängiger Think Tanks aufzeigt, die von ExxonMobil 16 Millionen Dollar für »wissenschaftliche Arbeiten« zum Klimawandel erhielten – eine auch von der Bush-Administration gepflegte Methode.

Denn die Globalisierung hat die Welt noch nicht so flach gemacht, wie der brillante Kolumnist der New York Times, Thomas Friedman, sie in seinem Metaphernbuch darstellt. Lawrence Summers, Finanzminister unter Bill Clinton, und der Yale-Ökonom Robert Shiller sprechen von einer weltweiten Klassenspaltung zwischen der neuen »cosmopolitan class«, die jetsettet, mit den neuen Technologien umgeht, Sprachen kann, und den »locals«, den Globalisierungsverlierern. Harvard-Ökonom Pankaj Ghemawat bezeichnet in einer empirischen Studie die heutige Lage als »Semiglobalisierung«. Friedmans zehn (Web-)Ereignissen, die die Welt flachgescheibt haben, stellt er die »Zehn-Prozent-Annahme« gegenüber: In den wichtigsten wirtschaftlichen Bereichen (Direktinvestitionen, Patente, Aktienanlagen ...) beträgt der globale Anteil in der Regel zehn Prozent oder weniger; der Löwenanteil der Weltproduktion wird weiterhin lokal erwirtschaftet. Auch Joseph Stiglitz sieht schwere Verwerfungen und fordert »einen neuen globalen Gesellschaftsvertrag«.

Es gibt eine sichtbare Spreizung zwischen den Versprechungen der ökonomischen Globalisierung und ihrer Realität. Sie kulminiert in der existenziellen Problematik der Klimaerwärmung, die immer noch fast ausschließlich in ihrer ökonomistischen Verkürzung betrachtet wird: Statt über den im Menschheitsinteresse notwendigen Kurswechsel zu diskutieren, wird gefeilscht. Dagegen hält

Roland Schaeffer in diesem Heft eine »Kultur der Klimafreundlichkeit«. Denn technologisch (und finanziell) möglich ist, wie Detlef Matthiessen anhand der Erneuerbaren Energien zeigt, der Ausstieg aus dem fossilatomaren Zeitalter.

Aus: »Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, Ausgabe 2/2007