Nationalsozialismus und Stalinismus als totalitäre Systeme

Thesen zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Diktaturvergleich

Armin Pfahl-Traughber

Die Diskussion um das Schwarzbuch Kommunismus hat die Frage nach den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Kommunismus und Nationalsozialismus als totalitäre politische Systeme zum Gegenstand von Kontroversen gemacht. Dabei wurde und wird die Debatte überlagert von politischen Deutungen und Instrumentalisierungen. Unser Autor unternimmt dagegen eine systematische Analyse von Gemeinsamkeiten und Unterschieden, um eben die Debatte der ideologischen Vereinnahmung durch beide Seiten im Sinne der Erkenntnisförderung über Strukturen und Verlaufsformen politischer Systeme mit totalitärem Herrschaftsanspruch zu entziehen.

Vergleiche sind methodische Verfahren mit einem offenen Ergebnis, sie bedeuten im Gegensatz zu einem sowohl im Alltagsleben als auch in der Wissenschaft verbreiteten Eindruck keineswegs eine Gleichsetzung. Es kommt jeweils darauf an herauszufinden, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Objekten der Untersuchung bestehen. Daraus können sowohl Erkenntnisse über Besonderheiten gewonnen als auch Zuordnungen zu Typen vorgenommen werden. Statt das methodische Verfahren des Vergleichs an sich zu problematisieren, sollte das Augenmerk vielmehr auf die dafür gewählten Kriterien gelegt werden. Sie sind vorwiegend begründungspflichtig und offenbaren insbesondere die beim jeweiligen Vergleich als besonders bedeutsam angesehenen Prioritäten; darüber, nicht über die Komparatistik an sich, lohnt die konstruktive Auseinandersetzung. Hinsichtlich des Vergleiches von Kommunismus und Nationalsozialismus bilden diese Kriterien der Herrschaftsanspruch und die Herrschaftspraxis, was sich jeweils aus der Gegnerschaft beider politischer Systeme zu Demokratie, Konstitutionalismus, Menschenrechten und Pluralismus ergibt. Das normative und primäre Bekenntnis zu diesen Werten soll hier erkenntnisleitend für die komparative Betrachtung sein. Eine demgegenüber bestehende Position, die die Untersuchung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden mit dem Hinweis auf die unterschiedliche soziökonomische Grundstruktur der beiden Gesellschaften verweigert, mag in sich schlüssig sein, hätte aber auch zu begründen, warum dererlei Aspekten der Vorrang vor Werten wie etwa der Demokratie oder den Menschenrechten eingeräumt wird.

Für einen sinnvollen Vergleich bedarf es darüber hinaus aber auch noch der Reflexion darüber, inwieweit eine diesbezügliche Analyse zweier oder mehrerer Objekte sachlich angemessen und inhaltlich sinnvoll ist. Letzteres stellt sich indessen als Problem, wenn quantitative Dimensionen in einen vergleichenden Zusammenhang gebracht werden. So hieß es etwa in der Einleitung zum Schwarzbuch Kommunismus: "Die Fakten zeigen ... unwiderleglich, dass die kommunistischen Regime rund hundert Millionen Menschen umgebracht haben, während es im Nationalsozialismus rund 25 Millionen waren" (Courtois 1998, 27). Diese Aussage wirkte wie eine Art Hitparade der unmenschlichsten Diktaturen mit den meisten Todesopfern. Lässt man sich indessen auf die makabre Methode der vergleichenden Betrachtung von Todesopfern ein, dann müssen auch zwei grundlegende Unterschiede hinsichtlich der diesbezüglichen Potenziale beider politischer Systeme benannt werden: Der Nationalsozialismus herrschte zwölf Jahre und hatte in den ersten sechs Jahren eine sich geographisch auf das "Großdeutsche Reich" bezogene Machtbasis, die im Laufe des Zweiten Weltkriegs auf größere Teile Europas in unterschiedlichem räumlichen wie zeitlichen Maße ausgedehnt wurde. Demgegenüber herrschte oder herrscht der Kommunismus allein schon in den geographisch größten Ländern China und Sowjetunion nicht nur über einen weitaus längeren Zeitraum, sondern auch über eine weitaus größere Bevölkerung. Allein von daher sind bilanzierende und gleichsetzende Gegenüberstellungen von Todesbilanzen nicht nur makaber, sondern auch inhaltlich und methodisch unangemessen.

Es stellt sich aber auch die Frage, inwieweit politische Systeme vor dem Hintergrund unterschiedlicher politischer Kulturen in den jeweiligen Ländern miteinander verglichen werden können. Von daher ist denn auch das unterschiedliche Entwicklungsniveau der zu untersuchenden Gesellschaften des Kommunismus und Nationalsozialismus für die Auffassung von der Unangemessenheit eines diesbezüglichen Vergleiches bemüht worden, worauf etwa der Historiker Hans-Ulrich Wehler hinsichtlich des deutschen Nationalsozialismus verwies: "Deshalb sind die west-, nord- und südeuropäischen, die nordamerikanischen Staaten als Mitglieder des okzidentalen Kulturkreises für den tragfähigen Vergleich die in erster Linie zu berücksichtigenden Referenzgesellschaften. ... der riesige Abstand, der die okzidentalen Staaten von der relativen Rückständigkeit Rußlands, insbesondere während des Bürgerkriegs und der Stalinära, trennte", dürfe nicht "stillschweigend minimiert werden ..., um einen korrekten Vergleich fingieren zu können" (Wehler 1988, 131). Hinsichtlich der hier unter vergleichenden Gesichtspunkten zu untersuchenden besonderen Vorkommnisse in den politischen Systemen des nationalsozialistischen Deutschland und der stalinistischen Sowjetunion stellt sich die Frage, welche Kriterien die Zuweisung beider Länder zu unterschiedlichen Graden des zivilisatorischen Evolutionsniveaus bedingten. Wehler gibt darüber keine nähere Auskunft, sondern beschränkt sich auf knappe Verweise, ohne eine nähere inhaltliche Begründung zu liefern.

Dies gilt auch für die gewählte Kategorie des Zivilisationsniveaus als Ebene für vergleichende Betrachtungen, denn hier könnte man sehr wohl auch den Gesichtspunkt des politischen Systems benennen. Als solche unterschieden sich Nationalsozialismus und Stalinismus sowohl von demokratischen Verfassungsstaaten als auch von traditionellen Diktaturen, da sie sich beide dem modernen Totalitarismus zurechnen lassen und sowohl über ihre pseudo-demokratische Legitimation als auch über das Ausmaß von Herrschaftsanspruch und -praxis einem gemeinsamen Typus zugerechnet werden können. Hinzu kommt, dass sie nicht nur zeitgleich als politische Systeme existierten, sondern auch eine teilweise kooperative, teilweise konfliktreiche Beziehung in Form des Hitler-Stalin-Paktes und des Krieges zueinander hatten. Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet ist ein Vergleich im Sinne der Forderung nach historischer Angemessenheit durchaus möglich, bedingt er doch auch keineswegs notwendigerweise die von Wehler befürchtete Ignoranz gegenüber fundamentalen Unterschieden zwischen den Objekten der komparativen Analyse. Darüber hinaus gilt es zu berücksichtigen, dass sich Vergleiche nicht nur auf die gesamtgesellschaftliche Dimension in Gestalt des kulturellen Entwicklungsniveaus oder der politischen Herrschaftsstruktur beziehen müssen, also auf die makrosoziologische Ebene. Sie können sich sehr wohl auch auf einzelne gesellschaftliche Bereiche wie etwa die Existenz und Funktion von Lagern beziehen, also auf die mikrosoziologische Ebene. Auch hier dürften vergleichende Betrachtungen zu Erkenntnisgewinnen sowohl bezogen auf Besonderheiten als auch auf Ursachen beitragen.

Dabei sollte aber in der Tat nicht der konkrete historisch-gesellschaftliche Kontext bezogen auf die politische Kultur des jeweiligen Landes ignoriert werden, lassen sich daraus doch auch spätere Entwicklungen – zumindest teilweise – erklären: Der Kommunismus entwickelte sich in Russland, aber auch in China, Kuba oder Nordkorea in politisch und wirtschaftlich rückständigen Ländern, die durch das Vorhandensein von armen bäuerlichen Gesellschaften und der Dominanz der Agrarwirtschaft sowie dem Mangel an Traditionen der Demokratie, des Pluralismus und der Rechtsstaatlichkeit gekennzeichnet waren. Demgegenüber kam der Nationalsozialismus an die Macht in einer ökonomisch insgesamt weit fortgeschrittenen Gesellschaftsordnung, die langjährige rechtsstaatliche Traditionen, aber auch ein unterentwickeltes demokratisches Bewusstsein aufwies. Von daher entstanden die kommunistischen Systeme denn auch aus der Ablösung autoritärer Regime heraus, während der Nationalsozialismus aus der Krise eines demokratischen Verfassungsstaates heraus an die Macht kam. Gerade darin bestand der vielfach beschworene "deutsche Sonderweg": In keinem anderen wirtschaftlich entwickelten demokratischen Staat kam es in der Folge von ökonomischen und sozialen Umbrüchen zur Ablösung der parlamentarischen Demokratie durch ein totalitäres Regime, worin eben auch ein nicht zu unterschätzender Unterschied für das Entstehen des kommunistischen und nationalsozialistischen Regimes zu sehen ist.

Veranschaulicht werden kann dieser Aspekt etwa anhand der gesellschaftlichen Bedeutung der Gewalt: Jahrhunderte der Leibeigenschaft und autokratischen Herrschaft hatten die Menschen daran gehindert, das Bewusstsein von Bürgern zu entwickeln. Von dieser Sklavenkultur zum Despotismus der Bolschewiki lässt sich denn auch eine kontinuierliche Linie ziehen. "Wohl war es eine Tragödie des Volks", so der Historiker Orlando Figes, "eine Tragödie jedoch, die das Volk mit heraufbeschworen hat: Es wurde von der Tyrannei seiner eigenen Geschichte in die Falle gelockt. ... Wenn man eine Lektion aus der russischen Revolution hätte ziehen müssen, dann die, dass das Volk es nicht geschafft hatte, sich zu emanzipieren, plötzlich über sich selbst zu bestimmen, sich von Herrschern zu befreien und Bürger zu werden" (Figes 1998, 855). In dieser Hinsicht besteht denn auch eine Parallelität zur politischen Kultur des damaligen Deutschland bezüglich des unterentwickelten demokratischen Bewusstseins, aber nicht so sehr hinsichtlich der doch selbst im Wilhelminischen Kaiserreich ausgeprägteren Tradition des formalen rechtsstaatlichen Denkens. Sie erklärt auch teilweise, warum die Umbrüche in Deutschland auch aufgrund ihrer formalen Legalität mit weitaus weniger Gewaltanwendung verbunden waren, währenddessen in Russland während der Revolution Grausamkeiten von Anhängern und Gegnern des alten Regimes an der Tagesordnung waren. "In Russland herrschte eine Kultur, in der man Macht nicht in Begriffen von Recht, sondern von Zwang und Vorherrschaft verstand" (Figes 1998, 856).

Vor dem Hintergrund des unterschiedlichen Ablaufs der Machterlangung der Bolschewiki und der Nationalsozialisten – einerseits gewalttätiger Staatsstreich, andererseits Ergebnis einer Wahlentscheidung – erklärt sich auch das unterschiedliche Ausmaß der Anwendung des Terrors und die unterschiedlichen Motive dazu. So offensiv die Bolschewiki in den Phasen des Bürgerkrieges den "roten Terror" als für sie legitimes Mittel des Ringens um die Macht und deren Stabilität nutzten, so darf die Motivation dazu nicht im unbedingten Willen zu diesem Mittel gesehen werden. Bei allem fanatischen Willen Lenins, die politische Herrschaft um nahezu jeden Preis erlangen zu wollen, setzte man keineswegs Gewalt und Terror losgelöst von den konkreten historischen Rahmenbedingungen als bewusste und geplante politische Methode ein. "Der Terror brach von unten aus und war von Anfang an ein integraler Bestandteil der sozialen Revolution. Die Bolschewiki förderten den Massenterror zwar, aber sie schufen ihn nicht" (Figes 1998, 556). Demgegenüber wandten die Nationalsozialisten in der Phase unmittelbar nach der "Machtergreifung" Gewalt nicht primär an, um gegen konkurrierende politische Kräfte vorzugehen, sondern um ihre dominierende und alleinige Macht zu sichern. Militanz und Terror dienten nicht in erster Linie der Erlangung der Macht, was über das Verfahren der Wahl und Koalitionsbildung geschah und in dieser Form auch weitgehend akzeptiert wurde. Vielmehr wurden sie in wellenartigen Schüben genutzt, um Stück für Stück den Prozess der gesellschaftlichen Ausdehnung der Herrschaft noch voranzutreiben.

Dabei standen den Nationalsozialisten keine wirklich relevanten Gegner gegenüber und selbst wenn es starke oppositionelle Kräfte gab, spielten diese ihr politisches Potenzial nicht gegen die neuen politischen Machthaber aus. Es gab eben 1933 keinen Bürgerkrieg – und demnach auch keine Bestrebungen zum Sturz Hitlers durch eine Revolution oder einen Staatsstreich. Selbst die KPD initiierte keine diesbezüglichen Aktionen, was sie noch gegenüber der parlamentarischen Demokratie in der Weimarer Republik mit kläglich gescheiterten Aufstandsbemühungen mehrmals versucht hatte. Hinzu kam, dass die überwiegende Mehrheit der "alten Elite" die Nationalsozialisten zwar skeptisch betrachtete, ihre Ziele aber nicht nur duldete, sondern auch indirekt unterstützte. Demgegenüber befanden sich die Bolschewiki 1917 und danach in einem Bürgerkrieg nicht nur gegen das zaristische Regime und dann die Februar-Regierung, sondern auch nach dem Staatsstreich vom Oktober noch weitere Jahre in gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den unterschiedlichsten politischen Kräften, seien dies die "weißen" Truppen ehemaliger zaristischer Generäle, aufständische Arbeiter und Bauern, frühere Bündnispartner wie die Sozialrevolutionäre oder ausländische Interventionskräfte. So kam es denn auch zu einem gegenseitigen Aufschaukeln von Gewalt und Terror, worin eben gerade auch die Ursachen für die zahllosen Todesopfer zu sehen sind.

Das kompromisslose Agieren der Bolschewiki in jener Zeit wurde und wird in der mit ihnen sympathisierenden Literatur mitunter mit dem Hinweis auf die konkreten historisch-politischen Rahmenbedingungen zu entschuldigen versucht, hätte doch nur so eine kommunistische Regierung an die Macht gelangen und sich dort stabilisieren können. Eine innere Logik erhält eine solche Argumentation aber nur dann, wenn die von den Bolschewiki angestrebte "Diktatur des Proletariats" als eine vom Lauf der Geschichte her zwingend notwendige Entwicklung angesehen wird, wobei man das historische Recht auf seiner Seite wähnt und demgemäss rücksichtslos gegen die Feinde der Revolution vorgehen kann. In dieser Auffassung artikuliert sich eine ideologische Einstellung, die zwar keine inhaltlichen, aber sehr wohl strukturelle Gemeinsamkeiten mit der des Nationalsozialismus aufweist. Auch dieser glaubte sich durch eine metaphysische Instanz wie die "Geschichte" oder das "Schicksal" dazu bestimmt, eine von den angeblichen Feinden der "deutschen Volksgemeinschaft" in und außerhalb des Landes gereinigte Gesellschaftsordnung aufzubauen. Gerd Koenen dazu: "Im wahnhaften, utopischen Ziel einer Säuberung und Homogenisierung der Gesellschaft nach politischen, sozialen oder rassistischen Kriterien besteht die Singularität des Stalinismus wie des Nationalsozialismus, die sie von allen anderen bis dahin bekannten Regimen und Gesellschaftsformationen der menschlichen Geschichte abgehoben hat" (Koenen 1998, 271). Es handele sich, so Koenen weiter, hierbei aber um eine Parallelität, nicht um eine Identität. Dies gilt zweifellos für die ideologische Ausrichtung und konkrete Umsetzung der Homogenisierung von Gesellschaft, nicht aber für den dabei erhobenen strukturell identischen Anspruch eines identitären Verhältnisses von Regierenden und Regierten.

Mit diesem Hinweis kann und soll nicht unterschlagen werden, dass sich beide politische Strömungen ideologisch in mehrfacher Hinsicht unterschieden: Bereits auf der rein formalen Ebene gab es gravierende Differenzen, wies doch der Kommunismus eine in sich geschlossene Doktrin im Sinne eines theoretischen Systems auf, während der Nationalsozialismus eher ein diffuses und in sich widersprüchliches Konglomerat von weltanschaulichen Ideen präsentierte. Inhaltlich unterschied man sich ebenso voneinander, was allein schon an den Gegensatzpaaren Nationalismus – Internationalismus und Rasse – Klasse mit ihren auch unterschiedlichen Implikationen für die jeweilige reale Politik ablesbar ist. Und ebenso verschieden waren die jeweiligen positiven wie negativen Zielgruppen beider politischer Strömungen: einerseits das "Proletariat" und die "Bauern" gegenüber der "Bourgeoisie" und dem "Adel", andererseits die "Arier" und "Volksgenossen" gegenüber den "Juden" und "Untermenschen". Insofern verbietet sich auch jegliche inhaltliche Gleichsetzung, etwa im Sinne der Parole "Rot gleich Braun". Gleichwohl lassen sich vergleichende Betrachtungen anstellen, welche sich aber nicht auf die ideologische Ausrichtung, sondern auf deren strukturelle Prägung beziehen müssen, wozu etwa der gemeinsame Absolutheits- und Ausschließlichkeitsanspruch gehörten. Dieser erklärt auch teilweise das Fehlen eines ideologieimmanenten Pluralismus, das sich etwa im Vorgehen gegen den "sozialrevolutionären" Flügel der NSDAP in den Jahren 1933/34 zeigte und in den Phasen des "großen Terrors" während der so genannten Säuberungswelle in der zweiten Hälfte der Dreißigerjahre in der Sowjetunion (vgl. Conquest 1992; Weber/Mählert 1998). Insgesamt überwog bei der Binnenverfolgung mit Abstand aber das Vorgehen kommunistischer Regime gegen tatsächliche und scheinbare kommunistische Kritiker (vgl. Riegel 1990).

Sosehr sich Gewalt, Repression und Terror aus der gesellschaftlichen Umsetzung des jeweiligen ideologischen Ausschließlichkeitsanspruches beider Systeme ergaben, nahmen diese angesichts der unterschiedlichen Gegebenheiten in den jeweiligen Ländern aber auch unterschiedliche Ausrichtungen und Grade an. Während die Bolschewiki unter Lenin und Stalin primär gegen Angehörige des eigenen Volkes vorgingen, seien dies soziale Schichten wie Adel, Bauern, Bourgeoisie und Kulaken oder politisch Andersdenkende wie Konservative, Liberale, Sozialisten, Anarchisten, später aber auch massiv gegen Kommunisten, richtete sich die Diktatur der Nationalsozialisten zwar ebenso nach innen, was die Diskriminierung von Juden oder das Vorgehen gegen demokratische Organisationen bezeugt, orientierte sich primär aber nach außen, wofür die Verfolgung und Vernichtung von Juden und Slawen als "Untermenschen" im Verlauf des Zweiten Weltkriegs steht. Die Ursachen für diese unterschiedliche Zielrichtung von Gewalt und Unterdrückung hängen mit dem Anspruch an das Ausmaß von politischer Herrschaft und dem unterschiedlichen Grad des gesellschaftlichen Grundkonsenses zusammen. In den Jahren nach 1933 hatte sich die überwiegende Mehrheit der Deutschen mit dem Regime abgefunden oder stimmte ihm gar begeistert zu; oppositionelle Kräfte waren ins Exil gegangen oder blieben im Land weitgehend inaktiv. Von daher bedurfte es auch keiner ständigen Repression der Bevölkerung gegenüber, wie dies zeitlich parallel in der Sowjetunion geschah. Wenn der Nationalsozialismus, so noch einmal Gerd Koenen, "weniger totalitär war, dann weil er auf eine höhere Zustimmung, aktivere Beteiligung und größere Komplizenschaft der deutschen Gesellschaft rechnen konnte" (Koenen 1998, 27).

Dies hing – trotz des Bruches mit den Prinzipien des wohl von Großteilen der Bevölkerung eher ungeliebten demokratischen Verfassungsstaates der Weimarer Republik – auch damit zusammen, dass sich der Nationalsozialismus nicht zu Unrecht in einer gewissen politisch-kulturellen Tradition der deutschen Geschichte sehen konnte und auch im weitgehenden Einklang mit den gesellschaftlichen Eliten stand. Eine gewisse Skepsis führte denn dann auch nicht zu politischer und sozialer Opposition, was in Russland sowohl unter Lenin als auch unter Stalin anders war. In den Phasen des Bürgerkrieges mussten sich die Bolschewiki gegen politische Kräfte und danach gegen soziale Kräfte durchsetzen. Dabei konnte man sich offenbar zu keinem Zeitpunkt einer breiten und wirklichen gesellschaftlichen Akzeptanz erfreuen, was denn auch das höhere Maß an binnengesellschaftlichem Terror als im Nationalsozialismus mit erklärt. Hinzu kommt, dass das Ausmaß der politischen und sozialen Veränderungen in der Sowjetunion auch weitaus höher als in Deutschland war, bedenkt man allein die grundlegenden inhaltlichen, institutionellen und personellen Wandlungen in den Bereichen Elite, Kirche, Militär, Soziales und Wirtschaft. Gerade der grundlegende Bruch mit den bisherigen Gegebenheiten in diesen Bereichen zog offene Opposition oder verdecktes Unbehagen nach sich und nötigte mangels gesellschaftlicher Akzeptanz denn auch zu einer stärkeren totalitären Beherrschung der Gesellschaft und einem höheren Ausmaß des Terrors gegenüber der eigenen Bevölkerung als im Nationalsozialismus.

Demgegenüber bestand in der Form der Vereinnahmung des Staates durch politische Bewegungen wiederum eine Gemeinsamkeit beider Systeme: Der Anspruch nicht nur zur totalitären Beherrschung der Gesellschaft, sondern als deren Voraussetzung auch der des Staates führte zur Erosion des Staates als einer auf formalen Rechtsnormen beruhenden Regierungs- und Verwaltungsform. Die Anbindung von staatlichem Handeln an Normen und Regeln wurde tendenziell durch die Dominanz von Maßnahmen und Willkür abgelöst, was für den Nationalsozialismus etwa den Politologen Ernst Fraenkel von einem Übergang vom "Normenstaat" zum "Maßnahmenstaat" (vgl. Fraenkel 1974) oder den Politologen Franz L. Neumann vom "Behemoth" (vgl. Neumann 1977) im Sinne eines Unstaates sprechen ließ. Ähnliche Herrschaftspraktiken waren auch unter Lenin und besonders unter Stalin in der Sowjetunion üblich, nahmen allerdings nach dem Tod von Letzterem zugunsten der Anbindung von Regierungspolitik an gewisse formale Rechtsnormen wieder ab. Angesichts der mit Willkürherrschaft zusammenhängenden Strukturlosigkeit von totalitärer Herrschaft lässt sich berechtigterweise die Frage stellen, ob hier überhaupt noch von einem Staat gesprochen werden kann und die Formulierung "totalitärer Staat" nicht einen Widerspruch in sich darstellt.

Wichtigster Akteur der Willkürherrschaft war jeweils der Führer, um den herum sich ein Personenkult als charismatische Figur entwickelte. Auch hierbei bestehen zwischen beiden politischen Systemen auffällige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede hinsichtlich der ideologischen Immanenz. Der Hitler-Kult war dem Nationalsozialismus bereits in der Frühphase als politische Bewegung eigen, wovon als äußeres Zeichen die Einführung des Hitlergrußes innerhalb der NSDAP 1926 zeugt. Nach 1933 kam es dann nicht nur zu einem Erstarken einer derartigen Verherrlichung der Person Hitlers, sondern auch zu einer Institutionalisierung dieses Kultes im Führerstaat, verbunden mit seiner alltäglichen Gegenwart in Gestalt von Bildern, Kitschartikeln oder Straßenbenennungen. Dabei waren ihm gleich mehrere Funktionen eigen: Er bot Identität und Orientierung, bildete einen Integrations- und Loyalitätsfaktor und war Organisationsprinzip sowie emotionale Triebkraft (vgl. Kershaw 1980). Ein ähnlicher Personenkult existierte auch in der Sowjetunion unter Stalin (vgl. Stölting 1997) und wurde rückwirkend in der Geschichtsdarstellung auf Lenin übertragen (vgl. Ennker 1997). Der gravierende Unterschied zum Nationalsozialismus bestand dabei aber darin, dass sich derartige Auffassungen nicht vor dem Hintergrund von ideologischen und organisatorischen Gegebenheiten im Kommunismus von selbst ergaben, sondern konstruiert werden mussten, was angesichts des Mangels an einem natürlichen Charisma bei Stalin und der Ablehnung des Personenkultes durch Lenin auch notwendig war. Von daher verwundert es auch nicht, dass nach Stalins Tod der Personenkult in der Sowjetunion zwar nicht gänzlich verschwand, aber zugunsten einer Rückbildung zur kollektiven Führung stark zurückging, wodurch sich zeigt, dass derartige Formen charismatischer Herrschaft in der Sowjetunion eher ein phasenweiser Auswuchs, aber kein systemimmanentes Element waren.

In der mit dem Personenkult verbundenen Erhebung einer Führerfigur zu einer Art "Lichtgestalt" artikulierte sich exemplarisch noch eine andere Gemeinsamkeit der politischen Herrschaft in beiden politischen Bewegungen und Systemen: die Verwendung religiöser Elemente bei gleichzeitiger Religionsfeindlichkeit. Exemplarisch veranschaulichen lässt sich dies etwa anhand des Verständnisses der jeweiligen Ideologie als charismatische Sendungs- und Heilslehre, durch die Bezeichnung von programmatischen Werken als "Bibel" oder "Evangelium", anhand von religiösen Prozessionen ähnlichen Massenaufmärschen oder der Verwendung religionsähnlicher Rituale und Symbole. Der Politologe Hans Maier hat darin auch die besondere Anziehungskraft des Totalitarismus gesehen: "Viele Aktivisten, viele Helfer und Mitläufer totalitärer Parteien verstanden ihren Dienst nicht als Anti-Religion, sondern als Religion, sie waren Täuflinge einer neuen Kirche, einer neuen Rechtsgläubigkeit. ... Ohne diesen religiösen ... Eifer ist vieles nicht zu erklären ... die hohe Loyalität und Gehorsamsbereitschaft vieler, die nicht allein aus Terror und Angst erklärt werden kann, die Unempfindlichkeit gegenüber Kritik und Zweifeln, das Gefühl eine historische Mission zu erfüllen, die Gefolgschaftstreue und Leidensbereitschaft und vieles andere mehr." Neben dieser Mobilisierungsfunktion verband sich damit aber auch noch eine Legitimationsfunktion zur Absicherung von Herrschaft: "Ebenso richtig ist freilich das andere: dass die Anführer der totalitären Bewegungen religiöse Elemente ausschließlich als Mittel zum Zweck benutzen – mit dem Ziel, die eigene Legitimationsbasis zu verbreitern und Fremdlegitimationen religiöser Art, die sie nicht kontrollieren konnten ... auszuschalten" (Maier 1995, 18; vgl. auch Maier 1996; Maier/Schäfer 1997). Angesichts des Fehlens einer transzendentalen Dimension und der Fixierung auf das Diesseits sollten aber Nationalsozialismus und Stalinismus nicht als "politische Religionen" bezeichnet, sondern lediglich von deren Verwendung von religiösen Elementen gesprochen werden (vgl. Pfahl-Traughber 1998c).

Der Hinweis auf die in beiden politischen Systemen vorhandenen Lager beziehungsweise Konzentrationslager darf nicht zur Ignoranz gegenüber der Bedeutung, Funktion und Wirkung dieser führen, denn Lager ist nicht gleich Lager, und zwar sowohl jeweils im Kommunismus als auch im Nationalsozialismus, gewesen. Die wichtigste Unterscheidung, "die die Forschung im Bereich der KZ-Problematik erkennen muss, ist diejenige zwischen der Sklaverei, also der geistigen und leiblichen Versklavung der Menschen, nebst den ... tödlichen Folgen für zahllose Häftlingssklaven, und den Völker-, Massen- oder auch Einzelmorden, die alleiniger Zweck und nicht die Folgeerscheinung einer eigentlich beabsichtigten Versklavung sind" (Kaminski 1990, 30). Insofern können auch nicht alle nationalsozialistischen Lager einem gemeinsamen Typus zugeordnet werden: Es gab Lager, in denen Häftlinge primär interniert wurden, mitunter auch verbunden mit Folterungen und Tötungen, allerdings nicht im systematischen Sinne. Und es gab Lager, die primär der Vernichtung von Menschen dienten, wofür Auschwitz das bekannteste Beispiel ist. So viele Gemeinsamkeiten zwischen Auschwitz und dem GULAG hinsichtlich ihres Charakters als Repressionsinstrument in diktatorischen Systemen bestehen, so handelte es sich bei beiden in diesem ganz entscheidenden Punkt um unterschiedliche Lagersysteme. Der GULAG wies eine Doppelfunktion auf: einerseits als machtpolitisches Instrument zur Gesellschaftsveränderung und Herrschaftssicherung, andererseits als Faktor im sowjetischen Wirtschaftssystem zur Arbeits-, Bevölkerungs- und Siedlungspolitik (vgl. Stettner 1996).

Von daher können diese sowjetischen Lager zwar mit einigen nationalsozialistischen Lagern, aber nicht mit den Vernichtungslagern vom Typ Auschwitz, Belzec, Chelmno, Majdanek, Sobibor und Treblinka gleichgesetzt werden. Die dortigen Ereignisse können denn auch weiterhin als historisch singulär bezeichnet werden, allerdings ergibt sich diese Einschätzung nicht aus einer stereotypen Beschwörung, sondern dem analytischen Vergleich. Er zeigt, dass es in der Geschichte immer wieder systematische Massenmorde gab, gleichwohl die Art und Weise ebenso wie der historische Kontext erst diese Besonderheit ausmacht. Die NS-Judenmorde waren historisch einzigartig, so der Historiker Eberhard Jäckel, "weil noch nie zuvor ein Staat mit der Autorität seines verantwortlichen Führers beschlossen und angekündigt hatte, eine bestimmte Menschengruppe einschließlich der Alten, der Frauen, der Kinder und der Säuglinge möglichst restlos zu töten, und diesen Beschluss mit allen nur möglichen staatlichen Machtmitteln in die Tat umzusetzen" (Jäckel 1987, 118). Ergänzend müsste noch der hohe bürokratische, systematische und technologische Grad bei der Umsetzung der Massenmorde genannt werden. Demgegenüber lässt sich keine Maßnahme des leninistischen oder stalinistischen Regimes mit dieser Vernichtungspolitik gleichsetzen. Die mitunter von rabiaten Vertretern der Bolschewiki eingeforderte Vernichtung der Bourgeoisie bezog sich primär auf deren Existenz als Klasse, schloss auch deren physische Vernichtung mitunter ein, allerdings handelte es sich hier nicht um die hauptsächliche Zielsetzung, die weitaus stärker mit Deklassierungen, Deportationen und Inhaftierungen verbunden war.

Von daher trägt inhaltlich auch nicht die etwa im Schwarzbuch Kommunismus behauptete Gleichsetzung von "Klassen-Genozid" und "Rassen-Genozid". Unabhängig davon, dass der erstgenannte Begriff einen Widerspruch in sich birgt und das gemeinte Phänomen in der Forschung als "Soizid" bezeichnet wird, unterschlägt eine solche Identifizierung auch einen für das jeweilige Opfer ganz entscheidenden Unterschied. Dies gilt auch für die eben dort gemachte Aussage: "Der Tod eines ukrainischen Kulaken-Kindes, das das stalinistische Regime gezielt der Hungersnot auslieferte, wiegt genauso schwer wie der Tod eines jüdischen Kindes im Warschauer Ghetto, das dem vom NS-Regime herbeigeführten Hunger zum Opfer fiel" (Courtois 1998, 21). Dem ist zweifelsohne zuzustimmen, gleichwohl unterschlägt die beide Situationen gleichsetzende Betrachtung, dass das "ukrainische Kulakenkind" überleben konnte und nicht anschließend einer systematischen Vernichtung ausgeliefert war, während das "jüdische Kind" im Warschauer Ghetto" zwar ebenfalls überleben konnte, anschließend aber ein Opfer des Holocaust geworden wäre. Insofern muss auch der Auffassung des Historikers Horst Möller vom "roten Holocaust" widersprochen werden: Die von ihm gewählte Begriffsverbindung stellt eben keine Analogie (vgl. Möller 1999, 11), sondern eine formale Gleichsetzung dar, denn die Formulierung erweckt den Anschein, als handele es sich um ein gleichartiges Ereignis lediglich unter anderen politisch-ideologischen Vorzeichen.

Insofern kann auch das mitunter als "Hunger-Holocaust" bezeichnete (vgl. Conquest 1988, allerdings nur in der deutschen Übersetzung des Titels), offenbar staatlich geduldete massenhafte Verhungern von Ukrainern zwischen 1929 und 1932 mit der gewollten und systematischen Massenvernichtung der Juden nicht gleichgesetzt werden. Ursache der um die sieben Millionen Menschen das Leben kostenden Hungersnot waren die staatlich angeordneten, weit überhöhten Getreide-Beschlagnahmeziele, die trotz der sich abzeichnenden Folgen für die Bevölkerung mit dem Wissen von Stalin und hoher Funktionäre durchgesetzt wurden. Nachdem die einsetzenden Todesfälle rapide anstiegen, versuchte man sowohl innerhalb als auch außerhalb der Sowjetunion das Vorhandensein dieser Hungersnot aus politischen Gründen um des Ansehens des Regimes willen zu vertuschen. Gleichzeitig wurden aber auch keine Hilfsmaßnahmen gegen das Massensterben eingeleitet und auch keine diesbezüglichen Ressourcen in die entsprechenden Gebiete gebracht. So weit herrscht weitgehender Konsens in der Literatur zum Thema. Die Frage, inwieweit es sich hier um eine von Stalin künstlich erzeugte Hungersnot zur Brechung der ukrainischen Unabhängigkeitsbewegung handelt, wird demgegenüber kontrovers diskutiert. Während etwa einerseits von der "größten, gezielt gegen ein Volk gerichteten Megatötung des 20. Jahrhunderts" (Heinsohn 1998, 178) die Rede ist, geht man andererseits davon aus, dass die Maßnahmen des sowjetischen Regimes eher daran orientiert gewesen seien, "eine unbeabsichtigte wirtschaftliche Krise und Hungersnot zu bewältigen, als eine derartige Krise bewusst herbeizuführen, um eine bestimmte Gruppe zu bestrafen" (Tauger 1998, 164). Eine eindeutige Klärung dürfte erst bei neueren Erkenntnissen möglich sein. Indessen bekennen auch die Anhänger der Auffassung von der "Terror-Hungersnot", dass Stalin "die Hungersnot von Anbeginn geplant hat" (Conquest 1988, 398). Genau in diesem Punkt, der systematischen Planung und Umsetzung, besteht aber ein gravierender Unterschied zum Holocaust der Nationalsozialisten.

Ähnlich notwendige Unterscheidungen sind auch hinsichtlich der Bedeutung und Wirkung des hitlerschen und stalinschen Antisemitismus zu machen. So verblüffende ideologische Gemeinsamkeiten es etwa von Letzterem mit Ersterem gibt, sei es hinsichtlich der Diffamierung eines angeblichen "Kosmopolitismus" oder der Propagierung von verschwörungstheoretischen Auffassungen, darf doch nicht ignoriert werden, dass der Antisemitismus im Nationalsozialismus ein wichtiger Bestandteil, im Stalinismus indessen lediglich eine Begleiterscheinung von Ideologie und Praxis war. Differenziert benannte auch der Publizist Arno Lustiger die Differenzen: "Hitler proklamierte den Antisemitismus offen – Stalin wagte es nie, sich völlig von der internationalistischen Tradition ... zu lösen. Es gab noch in den schlimmsten Zeiten der stalinistischen Judenhetze rhetorische Distanzierungen vom Antisemitismus. Nur indem er Juden ... zu ‘Zionisten’ umtaufte, konnte er sie ideologiekonform verfolgen. Man könnte einwenden, dies nützte den Opfern nichts. In Wirklichkeit rettete dieser Unterschied viele. ... Stalin wollte die jüdische Kultur und das Nationalbewusstsein der Juden vernichten, Hitler die Juden als Volk. Betrieb Letzterer einen Genozid, so blieb Ersterer auf der Stufe eines ,Kulturzids‘ mit mörderischen Mitteln stehen. Wir haben keinen Anhaltspunkt, dass Stalin für die Juden Gaskammern, Erschießungskommandos, Vernichtung durch Arbeit oder andere Verbrechen plante, wie sie unter deutscher Herrschaft bereits Wirklichkeit geworden waren" (Lustiger 1998, 298 f.).

Bilanziert man die vorgenommenen vergleichenden Betrachtungen so lässt sich eine weitgehende Gemeinsamkeit im Herrschaftsanspruch und in der Herrschaftspraxis beider politischer Systeme auf der formalen Ebene feststellen. Sie bestanden negativ in der Ablehnung von Gewaltenteilung, Individualismus, Liberalismus, Menschenrechten, Parlamentarismus, Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit und positiv im ideologischen Absolutheits- und Ausschließlichkeitsanspruch, der Homogenisierung und Militarisierung der Gesellschaft sowie der Herrschaft durch Repression und Willkür – und dies jeweils verbunden mit der affirmativen Mobilisierung der Individuen. Diese formalen Gemeinsamkeiten beider politischer Systeme rechtfertigen es auch, sie unabhängig von historischen Verlaufsformen und ideologischen Unterschieden einem gemeinsamen Typus politischer Herrschaft zuzuordnen, nämlich dem Totalitarismus, womit sich Nationalsozialismus und Stalinismus sowohl von demokratischen Verfassungsstaaten als auch autoritären Regimen unterscheiden (vgl. Jesse 1993 sowie Jesse 1996, Seidel/Jenker 1968, Wippermann 1997). Damit sollen und können indessen nicht die erwähnten Unterschiede hinsichtlich der Ideologie, Objekte, Rahmenbedingungen und Verlaufsformen der Repression ignoriert werden, womit sich eben auch eine inhaltliche Gleichsetzung ebenso verbietet wie das Aufrechnen von jeweiligen Untaten. Bei einem inhaltlich legitimen Abstrahieren von diesen Besonderheiten und der Konzentration auf die identischen Herrschaftsansprüche und -praktiken können totalitarismustheoretische Annahmen denn auch weiterhin als gültig betrachtet werden, wenngleich die klassischen Ansätze (Hannah Arendt, Carl Joachim Friedrich, Eric Voegelin) einer dringenden Erneuerung und Weiterentwicklung vor dem Hintergrund der neueren Erkenntnisse der Kommunismus- und Nationalsozialismusforschung bedürfen.

Dies gilt insbesondere für einen wichtigen Punkt: Bei der Totalitarismustheorie handelt es sich lediglich um eine Typusbezeichnung für eine bestimmte Variante politischer Herrschaft, womit lediglich eine formale Kennzeichnung vorgenommen wird, aber nicht die Entwicklung eines politischen Systems erklärt werden kann. Einen solchen Anspruch stellt indessen die Totalitarismustheorie bislang auch noch nicht, gleichwohl muss sie sich mit diesbezüglichen Aspekten auseinandersetzen und nicht nur statische, sondern auch dynamische Aspekte mit einbeziehen. Dazu gehört auch die unterschiedliche Verlaufsform der Herrschaft von Nationalsozialismus und Stalinismus: Während das erstgenannte System angesichts der militärischen Niederlage im Zweiten Weltkrieg von den militärischen Gegnern von außen zerschlagen wurde, löste im zweiten Fall der Tod des Diktators einen Rückgang des Ausmaßes totalitärer Herrschaft aus, bei Beibehaltung der Strukturen, um dann erst Jahrzehnte später von innen heraus als politisches System zu zerfallen. Darüber hinaus sollte eine notwendige Erneuerung und Erweiterung der Totalitarismustheorie nicht nur die Herrschaftsstrukturen von "oben", sondern auch deren Auswirkungen "unten" berücksichtigen, womit sich die notwendige Erweiterung der Totalitarismustheorie als Lehre über politische Regime mit einer Gesellschaftstheorie verbinden sollte. Solche notwendigen Erneuerungen können sich aber nur aus einem Diskussionsklima heraus ergeben, welches die mehr politisch motivierte selektive Sicht der Dinge, verbunden mit der Präsentation der angeblich richtigen Gesinnung auf beiden Seiten, zugunsten einer inhaltlich differenzierten und methodisch breiter angelegten Auseinandersetzung mit primär wissenschaftlichem Anspruch überwindet.

Literatur:

Conquest, Robert (1988): Ernte des Todes. Stalins Holocaust in der Ukraine 1929-1933, München

Conquest, Robert (1992): Der große Terror. Sowjetunion 1934 – 1938, München

Courtois, Stéphane (1998): Die Verbrechen des Kommunismus, in: Courtois u. a. 1998, S. 11-43.

Courtois, Stéphane u. a. (1998): Das Schwarzbuch des Kommunismus. Unterdrückung, Verbrechen und Terror, München

Ennker, Benno (1997): Die Anfänge des Leninkults in der Sowjetunion, Köln

Figes, Orlando (1998): Die Tragödie eines Volkes. Die Epoche der russischen Revolution 1891 bis 1924, Berlin

Fraenkel, Ernst (1974): Der Doppelstaat, Frankfurt/M.

Heinsohn, Gunnar (1998): Lexikon der Völkermorde, Reinbek

"Historikerstreit" (1987): Die Dokumentation der Kontroverse um die Einzigartigkeit der nationalsozialistischen Judenvernichtung, München

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Zeitschrift Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur.

Kühl-Verlag (Frankfurt/Main)

Ausgabe März 2001 (19. Jg., Heft 3/2001)