Michael Ackermann

 

Editorial

 

Die Bilder von Toten, von Folter- und Demütigungspraktiken mussten einen erschrecken, überraschen mussten sie einen nicht. Denn Demütigungen und Unterwerfungspraktiken gehören, bis an den Rand der Menschenwürde, zum Armeehandwerk. Sie dienen der Herstellung funktionierender Kampfeinheiten, werden aber gemeinhin disziplinarisch eingehegt. Unter Kriegsbedingungen richten sich die aufgestauten Aggressionen nach außen. Wird zudem »der Feind« von einer Armeeführung dämonisiert, rassistisch abgewertet oder moralisch erniedrigt, darf man sich über Folter, Massaker und Erniedrigungen nicht wundern. »Trophäen-

Bilder« gab es auch im Zweiten Weltkrieg und Bilder von Massakern an der Bevölkerung prägten schließlich das Bild der Wehrpflichtarmee in Vietnam. Später behauptete die Führung der US-Armee, sie habe aus diesen Fehlern gelernt und ihre Berufssoldaten mit hohem Ethos ausgestattet.

Schon die Bilder von den Plünderungen in Bagdad, denen die Besatzungssoldaten nicht Einhalt geboten, widersprachen dieser Annahme praktisch. »Das ist nicht unser Job«, hieß es. Nichts konnte falscher sein. Die Soldaten mögen mit dem Selbstbild einer »guten« Befreiungsarmee ausgestattet worden sein, aber mit dem Optimismus, einer als fremd empfundenen Gesellschaft zur demokratischen Ordnung zu verhelfen, war es offensichtlich schnell vorbei. Der Nimbus von Ehre, Tugend und zivilem Verhaltenscodex (wenn es ihn denn gab), verlor sich in aufreibenden Kämpfen und mit dem Einsatz von Söldnern und »Spezialkräften«. Im Sichtfeld von sich moralisch überlegen fühlenden Männern und Frauen (!) herrscht das Bild von einer verwilderten Gemeinschaft vor, die es zu überwältigen gilt. Verschärfend kommt hinzu, dass »die Feinde« offensichtlich von der eigenen Administration außerhalb bekannter Rechtsvorstellungen gestellt wurden. Dies gehört zum Hintergrund von sadistischen und pornografischen Bildern, in denen im Übrigen die Abgründe einer »westlichen Zivilisation« sichtbar werden, die »das Böse« sehr wohl selbst hervorbringt.

Welche Auswirkungen die grauenvollen Praktiken und Bilder in den USA, im Irak und weltpolitisch haben werden, ist unabsehbar. Die Entdeckung, Veröffentlichung und Anprangerung der Folterbilder zeigen jedenfalls, dass die superioren USA in vielerlei Hinsicht »schwächer« sind, als häufig angenommen wird. Das betrifft auch die Macht der Bilder. Paul Virilio etwa vertrat im Kontext des zweiten Irak-Krieges die These, die elektronischen Medien könnten ihr Publikum weltweit mit virtuell erzeugten Bildern eines »sauberen Krieges« manipulieren und ruhig stellen. Spätestens mit dem Krieg in Afghanistan und mit dem dritten Irak-Krieg ist die These von der umfassenden Inszenierung eines Hightech-Krieges fragwürdig geworden.

Interessant ist auch, dass der ominöse »Embedded«-Journalismus nur kurzzeitig »saubere« Bilder liefern konnte. Schon mit zur Schau gestellten gefangenen und gedemütigten irakischen Soldaten erreichte man zu einem frühen Zeitpunkt des Krieges das Gegenteil von dem, was beabsichtigt war. Mit dem harten Besatzungsalltag aber ist die Vorstellung von einem »Embedded-Journalismus« an ihr Ende gekommen. Ständig werden wir mit grauenhaften Informationen, Berichten und Bildern des Krieges konfrontiert, und selbst wenn man sich an sie gewöhnen oder sie verdrängen will, eine empfindsame und – auch das! – sensationsorientierte Medienöffentlichkeit wühlt die Emotionen doch immer wieder auf. Mit der Existenz von unabhängigen Sendern, wie etwa al-Jazeera, wird die real existierende US-Bild-Maschine zudem mit einer schwer zu kontrollierenden Medienrealität konfrontiert. Diese etabliert, über den arabischen Raum hinaus, einen veränderten Deutungshorizont. Dass die USA unter solchen Bedingungen den »Krieg gegen den Terrorismus« gewinnen oder gar einen Krieg gegen weitere Länder der »Achse des Bösen« führen könnten, erscheint ziemlich zweifelhaft.

Dass schließlich die Berichte und Bilder, die Dokumente und Aussagen von vollzogenen Demütigungen und Folterungen nicht unterdrückt wurden oder werden konnten, dass sie die US-Regierung schließlich unter enormen inneren Druck setzen können, wirft wiederum auch ein bezeichnendes Licht auf all die Verschwörungstheorien, die von einer Omnipotenz der USA ausgehen.

Die Erschütterung und Empörung angesichts der Bilder aus den irakischen Gefängnissen erhellen noch etwas anderes. Die Sensibilisierung für Menschenrechte gehört, jenseits einer oft kritisierten »Rhetorik«, für viele Millionen zum Alltagsbewusstsein. Hinter diese Entwicklung kommt womöglich auch eine US-Regierung nur schwer zurück, die das Gute und die Menschenrechte für die Iraker ständig auf ihren Lippen trug und die doch nach und nach die verschiedensten Manipulationen oder Lügen durch ihre Administration zugeben muss. Auch ihre verbündeten Kräfte schwinden unter solchen Bedingungen nun dahin. Hält das die US-Regierung von weiteren Alleingängen ab? Wenn dazu auch eine vergrößerte Europäische Union beitragen könnte, wäre viel gewonnen. Wie schwer dies, bei all den eigenen inneren Problemen, Europa fallen wird, dieser Gedanke prägte auch den Bogen, den wir bei bei der Ausgestaltung dieses Heftes zu ziehen versucht haben.