Die Bilder von Toten, von Folter- und Demütigungspraktiken mussten einen erschrecken, überraschen mussten sie einen nicht. Denn Demütigungen und Unterwerfungspraktiken gehören, bis an den Rand der Menschenwürde, zum Armeehandwerk. Sie dienen der Herstellung funktionierender Kampfeinheiten, werden aber gemeinhin disziplinarisch eingehegt. Unter Kriegsbedingungen richten sich die aufgestauten Aggressionen nach außen. Wird zudem »der Feind« von einer Armeeführung dämonisiert, rassistisch abgewertet oder moralisch erniedrigt, darf man sich über Folter, Massaker und Erniedrigungen nicht wundern. »Trophäen-
Bilder« gab es auch im Zweiten Weltkrieg und Bilder von Massakern an der Bevölkerung prägten schließlich das Bild der Wehrpflichtarmee in Vietnam. Später behauptete die Führung der US-Armee, sie habe aus diesen Fehlern gelernt und ihre Berufssoldaten mit hohem Ethos ausgestattet.
Schon die Bilder von den Plünderungen in Bagdad, denen die
Besatzungssoldaten nicht Einhalt geboten, widersprachen dieser Annahme
praktisch. »Das ist nicht unser Job«, hieß es. Nichts konnte falscher sein. Die
Soldaten mögen mit dem Selbstbild einer »guten« Befreiungsarmee ausgestattet
worden sein, aber mit dem Optimismus, einer als fremd empfundenen Gesellschaft
zur demokratischen Ordnung zu verhelfen, war es offensichtlich schnell vorbei.
Der Nimbus von Ehre, Tugend und zivilem Verhaltenscodex (wenn es ihn denn gab),
verlor sich in aufreibenden Kämpfen und mit dem Einsatz von Söldnern und
»Spezialkräften«. Im Sichtfeld von sich moralisch überlegen fühlenden Männern
und Frauen (!) herrscht das Bild von einer verwilderten Gemeinschaft vor, die
es zu überwältigen gilt. Verschärfend kommt hinzu, dass »die Feinde«
offensichtlich von der eigenen Administration außerhalb bekannter
Rechtsvorstellungen gestellt wurden. Dies gehört zum Hintergrund von
sadistischen und pornografischen Bildern, in denen im Übrigen die Abgründe
einer »westlichen Zivilisation« sichtbar werden, die »das Böse« sehr wohl
selbst hervorbringt.
Welche Auswirkungen die grauenvollen Praktiken und Bilder in
den USA, im Irak und weltpolitisch haben werden, ist unabsehbar. Die
Entdeckung, Veröffentlichung und Anprangerung der Folterbilder zeigen
jedenfalls, dass die superioren USA in vielerlei Hinsicht »schwächer« sind, als
häufig angenommen wird. Das betrifft auch die Macht der Bilder. Paul Virilio
etwa vertrat im Kontext des zweiten Irak-Krieges die These, die elektronischen
Medien könnten ihr Publikum weltweit mit virtuell erzeugten Bildern eines »sauberen
Krieges« manipulieren und ruhig stellen. Spätestens mit dem Krieg in
Afghanistan und mit dem dritten Irak-Krieg ist die These von der umfassenden
Inszenierung eines Hightech-Krieges fragwürdig geworden.
Interessant ist auch, dass der ominöse »Embedded«-Journalismus
nur kurzzeitig »saubere« Bilder liefern konnte. Schon mit zur Schau gestellten
gefangenen und gedemütigten irakischen Soldaten erreichte man zu einem frühen
Zeitpunkt des Krieges das Gegenteil von dem, was beabsichtigt war. Mit dem harten
Besatzungsalltag aber ist die Vorstellung von einem »Embedded-Journalismus« an
ihr Ende gekommen. Ständig werden wir mit grauenhaften Informationen, Berichten
und Bildern des Krieges konfrontiert, und selbst wenn man sich an sie gewöhnen
oder sie verdrängen will, eine empfindsame und – auch das! –
sensationsorientierte Medienöffentlichkeit wühlt die Emotionen doch immer
wieder auf. Mit der Existenz von unabhängigen Sendern, wie etwa al-Jazeera,
wird die real existierende US-Bild-Maschine zudem mit einer schwer zu
kontrollierenden Medienrealität konfrontiert. Diese etabliert, über den
arabischen Raum hinaus, einen veränderten Deutungshorizont. Dass die USA unter
solchen Bedingungen den »Krieg gegen den Terrorismus« gewinnen oder gar einen
Krieg gegen weitere Länder der »Achse des Bösen« führen könnten, erscheint
ziemlich zweifelhaft.
Dass schließlich die Berichte und Bilder, die Dokumente und
Aussagen von vollzogenen Demütigungen und Folterungen nicht unterdrückt wurden
oder werden konnten, dass sie die US-Regierung schließlich unter enormen
inneren Druck setzen können, wirft wiederum auch ein bezeichnendes Licht auf
all die Verschwörungstheorien, die von einer Omnipotenz der USA ausgehen.
Die Erschütterung und Empörung angesichts der Bilder aus den
irakischen Gefängnissen erhellen noch etwas anderes. Die Sensibilisierung für
Menschenrechte gehört, jenseits einer oft kritisierten »Rhetorik«, für viele
Millionen zum Alltagsbewusstsein. Hinter diese Entwicklung kommt womöglich auch
eine US-Regierung nur schwer zurück, die das Gute und die Menschenrechte für
die Iraker ständig auf ihren Lippen trug und die doch nach und nach die
verschiedensten Manipulationen oder Lügen durch ihre Administration zugeben
muss. Auch ihre verbündeten Kräfte schwinden unter solchen Bedingungen nun
dahin. Hält das die US-Regierung von weiteren Alleingängen ab? Wenn dazu auch
eine vergrößerte Europäische Union beitragen könnte, wäre viel gewonnen. Wie
schwer dies, bei all den eigenen inneren Problemen, Europa fallen wird, dieser
Gedanke prägte auch den Bogen, den wir bei bei der Ausgestaltung dieses Heftes
zu ziehen versucht haben.