Ralf Fücks

Die Zukunft des Kapitalismus

Zur Vereinbarkeit von Kapitalismus, Demokratie und Ökologie*

 

 

Wandel in Permanenz

Die Grundelemente kapitalistischer Produktionsweise sind schnell beschrieben: Privateigentum, Lohnarbeit, Markt und Wettbewerb, rastlose Verwertung und Akkumulation des Kapitals als Perpetuum mobile dieser Produktionsweise. Was wissen wir über den Kapitalismus, wenn wir das wissen? Wenig! Denn seine konkreten Erscheinungsformen und Funktionsweisen hängen entscheidend von dem politischen, sozialen, kulturellen, geografischen Kontext ab, in den die kapitalistische Produktionsweise eingebettet ist. So mannigfach sich diese Rahmenbedingungen unterscheiden, so viele Gesichter zeigt auch der Kapitalismus.

Der Kapitalismus, von dem Engels und Marx aus empirischer Anschauung geschrieben haben, also der »Manchester-Kapitalismus« Mitte des 19. Jahrhunderts, ist etwas völlig anderes als die verschiedenen Spielarten des Kapitalismus, mit denen wir heute konfrontiert sind. Der Kapitalismus hat ganz verschiedene Gesichter. So unterscheiden sich der wohlfahrtstaatlich eingebundene europäische Kapitalismus, der wiederum eine Vielzahl von Varianten aufweist, das angelsächsische Modell, die japanische Variante, der aus dem Staatssozialismus hervorgegangene Kapitalismus neuen Typs in Russland, wiederum anders in China, grundlegend hinsichtlich der Wirtschaftsverfassung, der Struktur des Arbeitsmarkts, im Verhältnis von Staat und Ökonomie, auch hinsichtlich der Staatsquote am Bruttosozialprodukt, das zwischen knapp 30 und über 70 Prozent differiert. Die Schlussfolgerung daraus ist:

? So sehr die kapitalistische Produktionsweise die Gesellschaft formt, so sehr wird ihre konkrete Gestalt umgekehrt von ihr geprägt.

? Institutionen sind wichtig: Der »politische Ordnungsrahmen«, Gesetzgebung, Steuersystem und Sozialverfassung führen zu unterschiedlichen Spielarten des Kapitalismus.

? Gerade weil diese Produktionsweise so variabel ist und weil Institutionen sie prägen, zählt Politik. Politik macht einen Unterschied. Das gilt auch im Zeitalter der Globalisierung. Die Rede von der vermeintlichen Ohnmacht der Politik gegenüber dem globalisierten Kapital ist zum guten Teil nur eine Ausrede für Politikversagen.

Der Kapitalismus erscheint heute nicht nur deshalb als alternativlos, weil er sich als eine zwar gefräßige, aber enorm produktive Wohlstands-Maschine erwiesen hat und immer noch erweist, wie ein Blick auf China zeigt. Dort kam es nicht zufällig mit dem Übergang zum Kapitalismus, zu Privateigentum, Markt und Gewinnorientierung zu einer Explosion des Reichtums, und zwar nicht nur an der Spitze. Die entscheidende Entwicklung ist die Herausbildung einer neuen Mittelklasse, die zwischen 200 und 400 Millionen Menschen umfasst. Es hat keinen Sinn, über die ökologisch ruinösen Folgen dieses Produktions- und Konsumbooms zu lamentieren: Der Aufstieg Chinas zeigt uns nur die Unhaltbarkeit unseres eigenen Wohlstandsmodells mit seinem exorbitanten Energie- und Ressourcenverbrauch. Das Wachstum in nachhaltige Bahnen zu lenken, ist eine Aufgabe, die sich für alle Industrienationen stellt, und an dieser Herausforderung wird sich die Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus erweisen.

Er war bisher gerade deshalb so erfolgreich, weil er sich einem Chamäleon gleich permanent wandelt und sich mit veränderten Bedingungen verändert. Mit anderen Worten: der Kapitalismus verkörpert als ökonomische Produktionsweise perfekt das Prinzip der Evolution. Mag Elmar Altvater in einer Neuauflage linker Zusammenbruchstheorien noch so sehr die finale Ressourcenkrise des Kapitalismus beschwören, ein Ende dieses Evolutionsprozesses ist nicht in Sicht. Der Witz an der Sache ist ja, dass der Kapitalismus jede Opposition in eine Inspiration verwandelt: Die sozialistische Opposition führte zum Sozialstaat, der libertäre Aufbruch von 1968 hat die kulturelle Modernisierung der Wirtschaft befördert, die Frauenbewegung führte zur Entdeckung der Frauen als Konsumentinnen und als Talentreserve für Unternehmen, und selbst die Kritik an der Verführungskraft der Werbung mündete in eine höhere Raffinesse der Marketingstrategien. Es spricht viel dafür, dass auch die Öko-Bewegung vor allem ein Innovationsmotor für die Herausbildung eines green capitalism sein wird.

Kapitalismus und Demokratie

Ich beginne mit einer kleinen biografischen Reminiszenz. Ich war Ende der Sechzigerjahre als Gymnasiast in einer kleinen pfälzischen Provinzstadt einer der Rädelsführer einer Schülerdemonstration gegen eine Wahlkundgebung der NPD, die damals in der Bundesrepublik eine ganze Reihe von Wahlerfolgen bei Landtagswahlen verzeichnete. Diese Demonstration haben wir organisiert unter dem Motto »Kapitalismus führt zu Faschismus, Kapitalismus muss weg!« Ich höre noch genau den Klang unserer Parolen durchs Megafon. Heute im Rückblick würde ich sagen: doppelter Irrtum, junger Mann ?

Erstens mit Blick auf den historischen Faschismus in Deutschland. Er war nicht das letzte Aufgebot des Großkapitals zur Rettung seiner Herrschaft, sondern eine eigenständige und eigenwillige Bewegung mit starken antikapitalistischen Elementen, in vielem ein totalitärer Zwilling des Bolschewismus. Gemeinsam war ihm der Hass auf das Bürgertum, auf die liberale Demokratie, die »dekadente« Zivilisation des Westens. Gemeinsam war ihm auch das Primat der Politik über die Wirtschaft, wenn auch in unterschiedlichen Formen. Das Nationalsozialistische war nicht bloß Demagogie. Wer sich intensiver für diesen Zusammenhang interessiert, dem sei das letzte Buch von Götz Aly empfohlen: Hitlers Volksstaat. Er zeigt eine ganze Reihe von Elementen des deutschen Faschismus, die eher in einem sozialistischen Kontext stehen: Renten- und Krankenversicherung, »Kraft durch Freude«, Ausbau der Berufsbildung, Aufstieg durch Bildung für die breiten Massen ? sofern sie Volksgenossen waren. Der Nationalsozialismus praktizierte auch Umverteilung im großen Stil, und zwar vom jüdischen Bürgertum und den unterworfenen Völkern des Ostens zu den deutschen Volksgenossen.

Dass Kapitalismus im Gegensatz zur Demokratie stehe, ist auch jenseits des deutschen Faschismus ein Irrtum. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Aufstieg des Kapitalismus und Aufstieg der Demokratie gehen in Europa seit der Renaissance Hand in Hand, von den italienischen Stadtrepubliken und den Hansestädten bis zum Siegeszug der demokratischen Republik, die maßgeblich von einer Allianz des städtischen Bürgertums mit dem Reformflügel der Arbeiterbewegung durchgesetzt wurde. Deutschland war als »verspätete Nation« eher ein Sonderfall. Hier haben große Teile des Bürgertums erst nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus ihren Frieden mit der Demokratie gemacht.

Eigentum und Freiheit

In der angelsächsischen politischen Kultur gibt es einen ausgeprägten Sinn für den Zusammenhang zwischen Eigentum (Property) und Freiheit (Liberty). Die demokratische Republik in Amerika entwickelte sich als eine Gesellschaft freier Eigentümer, die nicht damit zufrieden waren, Bourgeois zu sein, sondern Citoyen sein wollten, freie Bürger eines politischen Gemeinwesens, dessen gewählte Regierung keine absolute Gewalt über die Gesellschaft besaß. Hierzulande ist es ein eher verwegener Gedanke, dass Eigentum relative Unabhängigkeit und bürgerliches Selbstbewusstsein verleiht. Bei uns wird Eigentum allenfalls in Verbindung mit sozialer Sicherheit positiv besetzt, nicht als eine politische Kategorie im Kontext bürgerlicher Freiheit.

Die antikapitalistische Forderung nach Aufhebung des Privateigentums und Verstaatlichung der Produktionsmittel, der Schlachtruf des revolutionären Sozialismus, wurde als Fanal der Befreiung der Arbeiterklasse vorgetragen. Tatsächlich entpuppte sie sich als Ankündigung der totalen Unterwerfung der Gesellschaft unter die Allmacht des Staates. Aus einer demokratischen Perspektive ist deshalb nicht die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln zu fordern, sondern seine Verallgemeinerung. Die Parole muss lauten: »Eigentum für alle!«. Es geht um die Teilhabe am Produktivkapital der Gesellschaft durch systematische Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand.

Die Instrumente dafür sind bekannt: Von der Mitarbeiterbeteiligung am Unternehmensgewinn bis zum Investivlohn, also einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeberseite und Gewerkschaften, dass ein mehr oder weniger großer Teil der ausgehandelten Lohnerhöhungen nicht ausgezahlt wird, sondern in Investitionsfonds fließt, die von der Arbeitnehmerschaft kontrolliert werden. Wenn die bundesdeutschen Gewerkschaften dieses Modell bereits in den Siebzigerjahren angewandt hätten ? in einer Zeit, als es noch hohe Lohnerhöhungen gab ?, wäre die Arbeitnehmerschaft heute mit Abstand der größte Kapitaleigentümer in der Gesellschaft. Wenn die Beschäftigten Miteigentümer werden, erweitern sich auch ihre Mitentscheidungs-Möglichkeiten über Investitionen und Arbeitsbedingungen.

Ein anderes, utopisch klingendes Modell von Eigentum als Bürgerrecht kommt aus den USA: das Konzept des »Stakeholder Capitalism«. Auf die deutschen Verhältnisse übertragen sieht es vor, dass jeder Bürger mit dem Übergang zum Erwachsenenalter ein Startkapital von 60000 Euro erhält, steuerfinanziert aus Vermögens- und Erbschaftssteuern, also mit einer starken Umverteilungskomponente versehen. Ziel ist, der Chancengerechtigkeit auf die Sprünge zu helfen und jedem die Möglichkeit zu geben, sein Leben in die eigene Hand zu nehmen, also unabhängig von der sozialen Herkunft eine qualifizierte Hochschulbildung finanzieren zu können, Wohneigentum zu erwerben oder auch ein Unternehmen zu gründen. Dieses Modell verbindet das Prinzip Selbstverantwortung mit der Idee, dass in jeder Generation die Chancen wieder neu verteilt werden müssen, um der Verfestigung von Ungleichheit entgegenzuwirken. Das dahinterstehende Ideal ist allerdings nicht der allumfassende Versorgungsstaat, sondern eine Gesellschaft freier Bürger. Insofern ist es tatsächlich ein sehr amerikanisches Modell.

Welchen Weg man auch immer einschlagen will: Die Verwandlung von Lohnabhängigen in Miteigentümer ist auch eine Antwort auf die Globalisierung. Sie verstärkt die Standortbindung von Unternehmen und verbessert die Position von Arbeitnehmern im Verteilungskampf um das Volkseinkommen.

Globalisierung der Demokratie

Die historische Allianz von Kapitalismus und Demokratie setzt sich auch im Zeitalter der Globalisierung fort. Es ist eben kein Zufall, dass in den letzten Jahrzehnten eine weltweite Abenddämmerung despotischer Regimes eingesetzt hat. Eine Welle der Demokratisierung pflanzt sich um den Globus. Sie begann in den Siebzigerjahren mit der Ablösung der letzten autoritären Staaten in Westeuropa: Spanien, Portugal und Griechenland. Sie rollte über Lateinamerika, wo die brutalen, zum Teil mit amerikanischer Assistenz errichteten Militärdiktaturen fielen. Sie erreichte Asien (Indonesien, Philippinen, Taiwan), führte zum Ende des Apartheidregimes in Südafrika und mündete schließlich im Zusammenbruch der Sowjetunion und der demokratischen Revolution in Osteuropa.

Diese politischen Prozesse sind mehr als eine Parallelität zur ökonomischen Globalisierung. Die Einbeziehung in den Weltmarkt fördert Demokratisierungsprozesse auf ganz unterschiedlichen Ebenen. Sie führt zu einer höheren Qualifizierung, einem höheren Bildungsniveau in den Gesellschaften, sie befördert die Herausbildung einer qualifizierten Facharbeiterschaft, einer städtischen Mittelschicht und einer wachsenden wissenschaftlich-technischen Intelligenz in den jungen Industrienationen. Globalisierung bedeutet internationalen Austausch. Allein die Zahl der chinesischen Auslandsstudenten geht in die Hunderttausende, und auch wenn viele nicht zurückkommen, ist das ein demokratisches Ferment in der chinesischen Gesellschaft. Das Internet fördert den Zugang zu globaler Information. Einerseits ist es eine Triebkraft der Globalisierung, weil es die Verfügbarkeit von Informationen in Echtzeit ermöglicht und damit den globalen Handel mit Waren und Kapital beschleunigt. Gleichzeitig ist es eine kritische Ressource, weil es Zugang zu kritischen Informationen ermöglicht. Das Beispiel China zeigt, dass die Zensur auch auf das Internet ausgedehnt werden kann, es zeigt aber auch, dass das nie vollständig gelingt.

Globalisierung heißt auch weltweite Vernetzung von Nicht-Regierungs-Organisationen. NGOs spielen heute eine globale Wächterrolle im Hinblick auf Umweltzerstörung wie im Hinblick auf die soziale Praxis von Unternehmen. Was im brasilianischen Regenwald oder in einer vietnamesischen Fabrik geschieht, bleibt nicht länger verborgen: Es kann in Europa oder in den USA skandalisiert werden und Konzerne unter Druck setzen. Globalisierung führt letztlich zu einem gewachsenen Selbstbewusstsein der Gesellschaften, und das ist psychologisch die Basis für demokratische Reformen.

Es ist kein Zufall, dass die meisten autoritären Regimes, die sich noch halten können, vornehmlich von der Grundrente leben, einer vorkapitalistischen Form der Rendite, die sie aus ihrem Rohstoffreichtum ziehen. Es handelt sich um Staaten, die reich gesegnet und zugleich geplagt sind mit Öl, Erdgas oder Gold; Ressourcen, die es despotischen Regimes ermöglichen, ihren Machtapparat zu finanzieren und gleichzeitig die Gesellschaft ruhig zu stellen mit den Profiten, die aus den Rohstoffquellen fließen.

Werte und Wertschöpfung

Wie ist das Verhältnis von Moral und Profit? Und wie das Verhältnis von Kapitalismus und Nachhaltigkeit? Der Markt ist ökologisch blind und sozial rücksichtslos, so lautet ein Standard der Kapitalismuskritik. Humane und ökologische Werte stünden im Konflikt mit der privatwirtschaftlich organisierten Wertschöpfung. Die Globalisierung führe zu einem race to the bottom, einer weltweiten Dumping-Konkurrenz auf Kosten von Mensch und Natur. Diese Tendenz ist übrigens nirgendwo stärker als in den Ländern des autoritären Kapitalismus, der sich auf dem Boden eines autoritären Sozialismus entwickelt hat, in dem sich keine Zivilgesellschaft herausbilden konnte.

Kapitalismus ohne Demokratie ist ein Horror. Das ist wahr und das muss man bekräftigen. Aber ist diese Tendenz tatsächlich dominant? Oder entwickelt sich vor unseren Augen eine Konvergenz von Werten und Wertschöpfung, eine neue Spielart eines nachhaltigen Kapitalismus, für den Moral und Moneten kein unversöhnbarer Gegensatz mehr sind?

Einige Schlaglichter: Unter den Stichworten sustainable business (nachhaltige Unternehmensführung) und sustainable investment (nachhaltiges Investieren) registriert die Suchmaschine Google etliche Millionen Seiten. Darunter fallen zahllose Unternehmen, Verbände wie etwa das World Business Council for Sustainable Development, wissenschaftliche Institute und Hochschulen, Finanzdienstleister, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen, Publikationen und Konferenzen. Allein der bundesdeutsche Arbeitskreis für umweltbewusstes Management BAUM zählt 450 Mitgliedsunternehmen, und nicht nur kleine. Auf der Konferenz »Business for Social Responsibility«, die im letzten Herbst in Washington stattfand, versammelten sich über 1000 Manager und Wissenschaftler aus 40 Ländern, um über Themen wie ökologisches Management, Wirtschaft und Menschenrechte oder die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen zu diskutieren.

Mit gutem Gewissen Geld verdienen, so der Werbespruch eines Investmentfonds, ist das Leitmotiv für eine neue Generation von Anlegern. Allein in Europa sind etwa 500 Milliarden Euro in Fonds investiert, die ihre Anlagepolitik an mehr oder weniger strikten sozialen und ökologischen Maßstäben ausrichten. Die sustainable economy boomt. So stieg der Natur-Aktien-Index, der als Orientierung für grüne Geldanlagen gilt, in den letzten drei Jahren von 1500 auf über 3500 Punkte. Es zahlt sich offenbar aus, wenn Unternehmen ihre Umweltbilanz optimieren und auf soziale Mindeststandards achten.

Ein Pionier auf diesem Feld ist der OTTO-Versand, das größte Versandhaus Europas mit einem Umsatz von 14,5 Milliarden Euro und einem weltweiten Einkaufs- und Vertriebsnetz. Das Unternehmen legt jährlich einen Umwelt- und Sozialbericht vor, der die Ökobilanz und die sozialen Belange seines Geschäfts beleuchtet. An allen Unternehmensstandorten im In- und Ausland wird ein Umweltmanagementsystem praktiziert, das Einkauf, Transport und Verpackungen umfasst. Jährlich werden neue Entwicklungsziele gesetzt. Natürlich ist auch bei OTTO nicht alles Gold, was glänzt. Das Unternehmen bleibt Teil einer Konsumindustrie, die durch die schiere Masse der erzeugten und verbrauchten Güter die ökologischen Lebensunterlagen untergräbt. Und es bleibt gefangen in einem globalen Preiswettbewerb, der durch die Jagd der Kunden nach Billigangeboten angetrieben wird.

Dennoch machen Unternehmen wie OTTO einen entscheidenden Unterschied, sowohl für die Arbeitsbedingungen bei den Zulieferbetrieben wie für die Umweltbilanz. Selbst Konzerne wie Adidas oder Nike, die noch vor wenigen Jahren zu Recht am Pranger standen, weil sie in Vietnam oder China in Schwitzbuden mit brutalen Arbeitsbedingungen fertigen ließen, haben mittlerweile soziale Mindeststandards und ein Monitoringsystem für ihre Lieferanten eingeführt.

Ökologie ist vorausschauende Ökonomie

Was steckt hinter dieser Entwicklung? Sicher ist auch an der neuen Generation von Managern die grüne Welle der letzten 25 Jahre nicht spurlos vorübergegangen. Der springende Punkt aber ist, dass die Einbeziehung sozialer und ökologischer Ziele im eigenen Interesse moderner Unternehmen liegt. Es ist das Interesse an nachhaltiger, langfristiger Wertsteigerung, das sie zum Umdenken führt.

Zum Ersten und ganz banal geht es um Betriebswirtschaft im engeren Sinn. Ein effizientes Umweltmanagement reduziert den Rohstoffverbrauch, senkt den Energieverbrauch, vermeidet Abfälle, senkt also Kosten. Dieser Faktor wird umso wichtiger, je höher die Preise für Energie und Rohstoffe steigen. Wer bei der Ökoeffizienz vorn liegt, liegt im Wettbewerb vorn. Das Beispiel der Automobilindustrie zeigt anschaulich, wie die Entwicklung schadstoffarmer Dieselmotoren und alternativer Antriebstechniken wie der Hybridmotor einen Marktvorsprung verschafft.

Eine zweite Ebene des Eigeninteresses ist die Vermeidung ökologischer Störfälle, die Produktionsausfälle, Schadenersatz und Reparaturkosten nach sich ziehen. Ein dritter Faktor ist das moralische Kapital der Unternehmen, also ihre öffentliche Reputation. Gerade weltweite Marken wie Adidas oder Nestlé sind anfällig für Skandale. Sie sind umgeben von Wächterorganisationen, die öffentlich Alarm schlagen, wenn Betriebe gegen elementare zivilisatorische Standards verstoßen. Ist der Ruf eines Konzerns erst ruiniert, schlägt das auf Marktanteile und Gewinne durch. Umgekehrt steigert es den Wert von Unternehmen, wenn sie als verantwortungsbewusst und umweltfreundlich gelten. Das ist umso mehr der Fall, je näher sie am Thema Gesundheit operieren, etwa bei Nahrungsmitteln oder Kosmetika. Wer hier keine strikten Schadstoffkontrollen durchführt, riskiert fette Negativschlagzeilen und Umsatzeinbußen. Die bewusste Kaufentscheidung der Verbraucher ist ein mächtiger Hebel, um Unternehmen zu mehr ökologischen und sozialen Rücksichten zu bringen.

Schließlich spielt auch der menschliche Faktor eine neue größere Rolle in einer Wirtschaft, deren Erfolg mehr und mehr vom Wissen, von der Innovationsbereitschaft und Teamfähigkeit ihrer Mitarbeiter abhängt. Je stärker rein mechanische Tätigkeiten von komplexen Entwicklungs-, Produktions- und Serviceaufgaben abgelöst werden, umso wichtiger wird das Humankapital für die Wertschöpfung von Unternehmen. Qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen, sie an das Unternehmen zu binden und zu motivieren, wird zum entscheidenden Produktionsfaktor in der postfeudalistischen Ökonomie. Mit dem demografischen Wandel wird sich dieser Trend zumindest in Europa verstärken. Je knapper das Angebot an Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt der Zukunft wird, desto mehr müssen die Unternehmen ihren Mitarbeitern im Hinblick auf Arbeitsgestaltung und Entfaltungsmöglichkeiten bieten, umso mehr müssen sie die Talentreserven ausschöpfen, die vor allem bei Frauen und bei Migranten liegen. Deshalb sind Frauenförderung, familienorientierte Arbeitszeiten, Weiterbildungsprogramme, Beteiligung der Belegschaft am Unternehmensgewinn und diversity management kein Luxus, sondern ökonomische Notwendigkeit. Offene Märkte sind im Übrigen gut für Migranten, wenn man ihnen die Möglichkeit lässt, sozialen Aufstieg für sich und ihre Kinder durch eigene Anstrengung, durch harte Arbeit und diszipliniertes Lernen zu erreichen, statt sie möglichst vom Arbeitsmarkt fernzuhalten, wie wir das in Deutschland immer noch tun.

Leitbild grüne Marktwirtschaft

Die gute Nachricht lautet also: Ökologie und Ökonomie sind nicht unvereinbar, und die soziale Marktwirtschaft ist nicht notwendigerweise ein Auslaufmodell. Können wir uns deshalb beruhigt zurücklehnen und abwarten, bis der neue nachhaltige Kapitalismus die Oberhand über die alte Raubbauökonomie gewonnen hat? Mitnichten. Schon die bisherigen Fortschritte wurden in der Regel nur im Konflikt zwischen Politik, Bürgerinitiativen, VerbraucherInnen und Wirtschaft erreicht. So wäre Deutschland ohne das Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien nicht Weltmeister bei Wind- und Solarenergie.

Auf dem Weg in eine nachhaltige Wirtschaftsweise brauchen wir alle drei: Erstens eine kritische Öffentlichkeit, die Druck auf Politik und Unternehmen ausübt. Zweitens einen ökologischen Ordnungsrahmen für die Wirtschaft. Dazu gehören Steuerungsinstrumente wie der Handel mit Emissionsrechten, die die Ökologie in die Betriebswirtschaft einpflanzen, also Gewinne nicht mehr durch Raubbau an der Natur, sondern durch effizienten Umgang mit Ressourcen ermöglichen. Drittens globale Abkommen mit Mindeststandards zum Schutz der Umwelt und der Arbeitnehmerrechte, um dem Dumpingwettbewerb Grenzen zu ziehen.

Was ich hier vortrage, ist eine offene Wette. Es ist keine sichere Prophetie, dass es so und so kommen wird. Es ist ein eher optimistisches Szenario dessen, was möglich ist, statt wie die Schlange aufs Kaninchen auf die Globalisierung als ein vermeintlich unausweichliches Verhängnis zu starren. Der Brückenschlag zwischen Kapitalismus und Ökologie ist möglich, und wer auf diesem Weg vorangeht, wird ökonomisch und politisch die besseren Karten haben. Grüner Kapitalismus, oder etwas gefälliger: Grüne Marktwirtschaft ? das wäre ein neues Leitbild für die nächsten Jahrzehnte.

* Der Artikel basiert auf einem leicht gekürzten Vortrag an der Universität Cottbus am 7. Februar 2006

»Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, 3/2006