Peter Schyga

Natur in der politischen Ökonomie

Über die Notwendigkeit einer entropiekonformen politischen Regulierung

 

 

Schrankenlose Globalisierung, grenzenlose Machbarkeit? Die Unterwerfung der Natur für die Kapitalverwertung scheint ausgemachte Sache zu sein. Den modernen Ökonomen ist sie in ihrer Problematik gänzlich aus dem Blickfeld ihrer theoretischen Überlegungen geraten ? obwohl sie sich, wie unser Autor zeigt, nicht nur in vielfältiger Weise bemerkbar macht, sondern ein grundlegender und irreversibler Faktor menschlicher Seinsweise ist, untrennbar an die Endlichkeit von Energiesystemen mit niedriger Entropie gebunden.

Der globalisierte Kapitalismus gedeiht alternativlos, vermitteln zumindest die ideologischen Breitseiten des vorherrschenden neoliberalen Mainstreams in unserer wissenschaftlichen, politischen, kulturellen und medialen Welt. Doch noch so aufmunterndes Gerede und klapperndes Handwerk können nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit der Vollendung der Durchkapitalisierung der Welt eben kein zweites Goldenes Zeitalter anbrechen wird. Die zunehmende Ahnung von einer Begrenzung der ökologischen Belastbarkeit des Planeten durch die erstmals uneingeschränkt global herrschende Produktionsweise schleicht sich ins öffentliche Bewusstsein ein. Dabei gewinnen neben Showprogrammen à la Montreal ernsthaft nachdenkende Stimmen ? anders als noch vor Jahren ? zunehmend Gehör. Es geht um die Suche nach Alternativen zum/im Kapitalismus.

Vor bald einhundert Jahren hat Rosa Luxemburg entgegen der Orthodoxie in der nachmarxschen Theoriebildung neben den gesellschaftlichen Schranken auf die Grenzen der stofflichen Bedingungen von Akkumulation hingewiesen: »Die unaufhörliche Steigerung der Produktivität der Arbeit andererseits, als die wichtigste Methode zur Steigerung der Mehrwertrate, schließt die schrankenlose Nutzbarmachung aller von der Natur und der Erde zur Verfügung gestellten Stoffe und Bedingungen ein und ist an eine solche gebunden. Das Kapital verträgt in dieser Hinsicht seinem Wesen und seiner Daseinsweise nach keine Einschränkung. ... Die Frage nach den sachlichen Elementen der Kapitalakkumulation, weit entfernt, durch die sachliche Gestalt des kapitalistisch produzierten Mehrwerts bereits gelöst zu sein, verwandelt sich vielmehr in eine ganz andere Frage: Zur produktiven Verwendung des realisierten Mehrwerts ist es erforderlich, dass das Kapital fortschreitend immer mehr den gesamten Erdball zur Verfügung hat, um in seinen Produktionsmitteln quantitativ und qualitativ unumschränkte Auswahl zu haben.«(1) Die schrankenlose ? geografisch, politisch und materiell gemeint ? Unterwerfung der Natur hat sie in ihrer Untersuchung über Die Akkumulation des Kapitals als eine Grundbedingung von Mehrwertproduktion und Kapitalverwertung ausgemacht. Und eine weitere Erkenntnis deutete sich in ihrer Schrift an: Indem die globale Kapitalverwertung ihre Grenzen in den sachlich-materiellen Bestandteilen dieses Prozesses findet, werde er durch Schranken, die ihm die natürlichen Bedingungen menschlicher Reproduktion auferlegen, begrenzt. Das Bestreben des Kapitals, diese Schranken auszuweiten oder aufzuheben, das heißt Natur künstlich-technisch reproduzierbar zu machen, liege im Charakter seiner Verwertungsbedingungen. Und, so darf man hinzufügen: Deren Wesen ist Akkumulation, Wachstum ? von Kapital und Naturgebrauch, von Naturvernichtung. Vernichtung deshalb, weil die akkumulative Zunahme der Entropieproduktion gleichbedeutend mit der Erzeugung negativer Gebrauchswerte ist. Schädliche Emissionen sind ein Beispiel dafür, durch Bodenerosion oder Rodung verwüstete Regionen ein anderes.

Was ist Entropie?

»Energie kann aber nur so lange bereitgestellt werden, solange die Systeme mit niedriger Entropie existieren, deren freie Energie ausgenutzt werden kann. Diese Beobachtung hat direkte Implikationen für die ökonomische Theorie. Ökonomische Systeme bestehen aus komplexen Strukturen, die sich selbst dadurch erhalten, dass sie niedrige Entropie konsumieren. (Schrödinger 1944) ... wirtschaftliche Tätigkeit kann nicht nur als kontrollierte Umwandlung von Materie unter Einsatz von Energie bei Beibehaltung der Materialmasse verstanden werden. Ökonomische Aktivitäten schaffen vielmehr einen kontinuierlichen Strom an Entropie. Sie transformieren Zustände niedriger Entropie in solche mit hoher Entropie. Sie erzeugen dabei tiefgreifende Eingriffe in unsere natürliche Umwelt und können nur dadurch aufrechterhalten werden, dass ständig Potenziale niedriger Entropie ausgenutzt werden.«(2)

In einem Satz: Die Grenzen wirtschaftlichen Wachstums setzt die Natur, das Hinausschieben dieser Grenzen durch die Entwicklung ihrer Produktivkräfte durch den Menschen ebenso. Die dem Kapitalverhältnis innewohnende Grenzenlosigkeit steht also im Widerspruch zu den durch die Natur gesetzten Bedingungen von Produktion. Gleichwohl wird diese Tatsache im dominierenden Naturverständnis der Gegenwart und erst recht in der Theorie und Politik der Ökonomie verdrängt. Beides hat seine Grundlage im Beherrschungsparadigma der Aufklärung. Die Denkweise der Aufklärung formuliert die Anmaßung, Natur zunehmend beherrschen zu können und entsprechend zu handeln.(3)

Dies hatte seine verspätete erkenntnistheoretische Begründung im Reversibilitätsaxiom des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik gefunden. Jeder kennt ihn aus der Schule: Energie kann nicht gewonnen werden und geht nicht verloren, sie kann nur umgewandelt werden. Doch diese empirisch abgesicherte Tatsache beschreibt nur die halbe Wahrheit der Natur. Georg Picht prägte dazu den Satz: »Die neuzeitliche Naturerkenntnis zerstört die Natur. Warum zerstört sie die Natur? Weil sie die Natur nicht so erkennt, wie sie von sich aus ist.«(4) Konkret meint das: Die Beschreibung der Natur ist in zwei Sätzen der Thermodynamik zusammengefasst, nur beide zeigen, wie sie wirklich ist:

»Entropie stellt diejenige fundamentale Größe dar, durch welche man die ? für das gesamte Naturgeschehen gültige ? Irreversibilitäts-Problematik in den Blick bekommt, insofern die Entropie Kriterium und Maß von Reversibilität und Irreversibilität der Naturprozesse ist.«(5) Während der 1. Hauptsatz der Thermodynamik das Grundgesetz der Erhaltung der Energie formuliert, beschreibt der 2. Hauptsatz der Thermodynamik den Prozess, der bei der Umwandlung von Energieformen abläuft. Ein geschlossenes System neigt spontan zur Zunahme von Entropie bis zum energetischen Gleichgewicht, das heißt einem Temperaturausgleich. Dieser Prozess ist irreversibel, unumkehrbar und damit in der Zeit auf Zunahme von Entropie gerichtet, wird er nicht durch von außerhalb des Systems induzierte Energien beeinflusst. Bezeichnet man Entropie mit »S« und den zeitlichen Verlauf des Prozesses mit »t« ergibt sich: Die Gesamtentropieänderung (Ds/dt) ist abhängig vom Entropieaustausch des Systems mit der Umwelt und damit der Entropiezunahme des Systems. Dieser Prozess stellt sich also dar: Ds/dt = d(e)S/dt + d(i)S/dt. Während d(i)S/dt >> 0 ist, die innere Entropie also spontan zunimmt, kann der Entropiestrom D(e)S/dt auch ein negatives Vorzeichen haben, man bezeichnet das als Zustrom von Negentropie: »Die Entropieerzeugung ist ein Ausdruck irreversibler Änderungen, die sich innerhalb des Systems vollziehen.«(6)

Die Entropie ist diejenige naturwissenschaftliche Kategorie, die die tatsächlichen Abläufe in der Natur in ihrer Zeitgerichtetheit beschreibt. »Die Entropie als Maß für die Unordnung in einem System ist nun für ökologische Systeme genauso verwendbar wie bei nicht lebenden, um den Ordnungszustand, genauer, den Mangel an Ordnung zu fassen. Von Natur aus nimmt sie, das gilt auch für den Bereich des Lebens, ständig zu (2. Hauptsatz der Thermodynamik); dabei verringert sich die potenzielle Energie gleichermaßen. Soll ein lebendes System am Leben bleiben, muss dem Abfluss an potenzieller Energie, der einem Verschleiß gleichkommt, entgegengewirkt werden: Die Entropiezunahme im System muss durch ?Zustrom von Negentropie? (negative Entropie), oder besser Entropieexport, kompensiert werden«.(7) Die Potenziale niedriger Entropie, die Syntropieinseln, sind in Raum und Zeit begrenzt. Unsere einzige Quelle, die niedrige Entropie »erzeugt«, ist die Sonne. Das Entropiegesetz hat eine physikalische und eine soziale Dimension, genauso wie der erste Hauptsatz, nur mit anderer Aussage. Es beschreibt natürliche Prozesse zugleich quantitativ und qualitativ, indem mit ihm die Zunahme der den Menschen nicht mehr verfügbaren Energie und Materie definiert werden kann. Doch die soziale Dimension kommt in unserer Vorstellungswelt nicht vor.

Die Negierung der sozialen Dimension von Entropie

Das hat seinen tieferen Grund in der Eliminierung von Natur in den Sozialwissenschaften seit Adam Smith. Marx formulierte das smithsche Dilemma: »Nachdem die besonderen Formen der realen Arbeit wie Agrikultur, Manufaktur, Schifffahrt, Handel und so weiter der Reihe nach als wahre Quellen behauptet worden waren, proklamierte Adam Smith die Arbeit überhaupt, und zwar in ihrer gesellschaftlichen Gesamtgestalt, als Teilung der Arbeit, als einzige Quelle des stofflichen Reichtums oder der Gebrauchswerte. Während er hier das Naturelement gänzlich übersieht, verfolgt es ihn in die Sphäre des nur gesellschaftlichen Reichtums, des Tauschwerts.«(8)

Stofflicher Reichtum wird von Smith, so paradox es klingen mag, ohne eine ökonomische Kategorie Natur gedacht. Er war der Erste, der Natur aus dem Wertbildungsprozess ausgeklammert und versucht hat, den immer konkreten Akt des Umwandlungsprozesses von konkreter Natur mittels konkreter Arbeit als Wertbildungsprozess durch die Verausgabung menschlicher aber abstrakter Arbeit zu fassen. Hans Immler hat sein Denken wohl richtig zusammengefasst: »Von dem Augenblick an, bei dem das Ziel der Produktion die Vermehrung des abstrakten Werts wird, geraten Natur und Wert in einen fundamentalen Widerspruch: Derselbe Produktionsprozess versteht sich einerseits als abstrakter Wertvermehrungsprozess von der Natur losgelöst und unabhängig, ist aber andererseits als konkreter Arbeits- und Naturumformungsprozess doch wieder an physische Bedingungen gebunden. Als Verwertungsprozess von eingesetztem Kapital versucht er die Natur zu überwinden, als konkreter Produktionsprozess ist er auf die Kräfte der Natur angewiesen.«(9)

Smiths Abstraktion von singulären Formen der Stoff- und Energietransformation im Produktionsprozess, ein fundamentaler Fortschritt auf dem Weg zur Analyse von Wertbildung, den seine Nachfolger seit Jevons und Marshall schleunigst durch permanente Ignoranz verworfen haben, führte ihn aber zugleich zu der Vorstellung einer kreislaufprozessualen Ordnung ökonomischer Prozesse. Das Wesen dieser Vorstellung liegt in der Annahme von Reproduzierbarkeit. Er folgt damit Newton, als dessen Partner auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften er sich explizit sah. Das Wesen der newtonschen Methode ist es, Natur auf den Begriff zu bringen, das heißt in eine mathematische Formel zu kleiden um sie zu reproduzieren. Wissenschaft wird zur Technik, um natürliche Prozesse ihrer Umwelt zu entkleiden, sie entschlüsselbarer zu machen, was die Möglichkeit in sich birgt, Natur nicht nur nachzuahmen, sondern zu reproduzieren.(10)

Das Substitutionsparadigma der Ressourcenökonomie

In dem Maße, wie sich der Zugriff auf fossile Grundlagen von Produktion zunehmend als politisch und technisch problematisch erwies, nahm sich die politische Ökonomie des Ressourcenproblems an. Robert M. Solow, Nobelpreisträger von 1987, formulierte 1974 die »Lösung« des Problems erschöpflicher Natur. Bis heute gilt sie als ehernes Gesetz der Ressourcenökonomie, deshalb sei er hier ausführlich zitiert: »Ein Rohstoffvorkommen bezieht seinen Marktwert letztlich aus den Aussichten für den Abbau und Absatz. ... Da Rohstoffvorkommen die besondere Eigentümlichkeit aufweisen, dass sie keine Dividende erbringen, solange sie unter der Erde bleiben, muss im Gleichgewicht der Wert eines Rohstoffvorkommens mit einer Rate wachsen, die gleich dem Zinssatz ist. Da der Wert eines Vorkommens auch der Gegenwartswert der zukünftigen Verkäufe aus ihm ist, nach Abzug der Abbaukosten, muss der Eigentümer des Vorkommens erwarten, dass der Nettopreis des Erzes exponential mit einer Rate gleich dem Zinssatz ansteigen wird. Ist in der Bergbauindustrie Wettbewerb gegeben, spiegelt der Nettopreis den Marktpreis abzüglich der marginalen Abbaukosten für eine Tonne Erz wider. Wenn die Industrie mit konstanten Werten operiert, ist er gleich dem Marktpreis minus den Abbaukosten pro Stück beziehungsweise gleich der Gewinnmarge. Wenn die Industrie mehr oder weniger monopolisiert ist, was häufig in extraktiven Industrien der Fall ist, muss der Grenzgewinn ? Gewinn minus Grenzkosten ? wachsen und zwar erwartungsgemäß proportional mit dem Zinssatz. Das ist das grundlegende Prinzip erschöpfbarer Ressourcen.«(11)

Die elementaren Kriterien für menschliche Reproduktion, Natur und Zeit, werden mit dem Mittel der Diskontierung in Zins verwandelt und damit ihrer stofflich-energetischen Seite entkleidet. »Die Verteilung von Einkommen beziehungsweise Wohlfahrt zwischen den Generationen hängt von Vorkehrungen ab, die jede Generation für ihre Nachfahren trifft. Die Wahl der gesellschaftlichen Diskontierungsrate bedeutet letztlich eine politische Entscheidung über die Verteilung zwischen den Generationen. ... Die reine Theorie erschöpfbarer Ressourcen versucht uns mitzuteilen, dass, wenn erschöpfbare Ressourcen wirklich von Bedeutung sind, die Ausbalancierung von Gegenwart und Zukunft delikater ist, als wir gewöhnlich denken; die Wahl einer Diskontierungsrate kann eine große Bedeutung erlangen, so dass man ihr nicht allzu gleichgültig gegenüberstehen sollte.«(12)

Ökonomie als politischer Willensakt

Hier spricht er eine fundamentale Einsicht gelassen und wahrscheinlich ohne sich ihrer Bedeutung klar zu sein aus: Der gegenwärtige und zukünftige Umgang mit Natur (man muss seine Theorie nicht nur auf Rohstoffe beziehen, nach dem gleichen Diskontierungsprinzip funktioniert zum Beispiel der Emissionshandel seit Kyoto) entscheidet sich auf politischem Feld. Die Wahl der Diskontierungsrate trifft nicht, allen gegenteiligen Beteuerungen zum Trotz, einen Markt, sondern sie formuliert eine politische Willensentscheidung, abhängig von sozialen Machtverhältnissen. Aber um genau diese Einsicht, die ja etwa im täglichen politisch/militärischen Kampf ums Öl ihre Bestätigung findet, wieder ins Kapitalsystem zu integrieren, ihm damit marktgesetzliche Weihen zu verleihen, stellt er fest: »Schon ohne Bezugnahme auf irgendein technisches Instrumentarium ist offensichtlich, dass der Ernst des Ressourcenschöpfungsproblems in sehr bedeutender Weise von zwei Aspekten der Technologie abhängt: erstens von der Wahrscheinlichkeit des technischen Fortschritts und zweitens von der Leichtigkeit, mit der andere Produktionsfaktoren, insbesondere Arbeit und reproduzierbares Kapital, erschöpfbare Ressourcen in der Produktion substituieren können.«(13)

Technologie in Kombination mit Markt besitzt über alle Klassen- und Kulturschranken hinweg die Aura von Objektivität, Fortschritt, Wohlleben und Freiheit. Dagegen bleibt festzuhalten: Zu allen Zeiten im kapitalistischen Weltsystem (und nicht nur hier) war das Ressourcenproblem in erster Linie kein technisches, sondern ein politisch/gesellschaftliches ? eine Machtfrage. Politische und militärische Maßnahmen haben zu allen Zeiten den Zugang zu Ressourcen entschieden. In der Gegenwart besitzt zunehmend die Art und Weise der Nutzung von Ressourcen in erster Linie eine politische Dimension. Es hängt von gesellschaftlichen Willensentscheidungen und Machtkonstellationen ab, ob und wie welche Ressource genutzt beziehungsweise verbraucht oder kontaminiert wird. In der Praxis fällen Gesellschaften wie Individuen täglich solche politischen Entscheidungen. Sie erscheinen oft als objektive Marktmechanismen, weil sie über das Substitutionsparadigma an einen Marktpreis gebunden werden. Gleichzeitig wird so die prinzipiell folgenlose Machbarkeit dieses Willensaktes suggeriert. »Alles Relevante muss im Prinzip austauschbar (substituierbar) sein. ... (es) lässt sich beim heutigen, wenn auch noch so unvollkommenen ökologischen Kenntnisstand mit Sicherheit sagen, dass diese ökonomische Scheinwelt nicht die Realwelt ist. Die Begriffe der Komplementarität, der systemischen Zusammengehörigkeit, der Unentbehrlichkeit haben in der neoklassischen Routine keinen Platz. Sie spielen nicht einmal am Rand eine Rolle, geschweige denn im Zentrum, wo sie stehen müssten. Überall dort, wo die neoklassische Theorie begründeterweise der Verharmlosung ökologischer Zukunftsgefahren geziehen werden kann, zeigt ein näheres Hinsehen, dass dies auf ?substitution worship? zurückzuführen ist.«(14)

Positiv gewendet: Die Grenzen des Wachstums setzt die Natur. Schon vor geraumer Zeit hat Elmar Altvater diese Tatsache in eine griffige Formulierung gekleidet: »Der naturgegebene Prozess der Entropiesteigerung ist also mit dem sozialen Prozess der Gestaltung der Rate der Entropiesteigerung verwoben. Gegen physikalische Gesetze sozialen Widerstand zu mobilisieren, ist mehr als fruchtlos; aber das Entropiegesetz hat eine soziale Dimension und diese steht zur Disposition.«(15)

Das Angehen dieser sozialen Dimension ist eine vertrackte Angelegenheit. Der Klassengegensatz der kapitalistischen Gesellschaft stellt sich in der Eigentumsfrage. Die Interessengemeinsamkeit von Lohnarbeit und Kapital manifestiert sich im Produktivitäts- und Wachstumsparadigma kapitalistischer Akkumulation. Historisch hat diese Gemeinsamkeit den Klassengegensatz reformistisch gemildert. Die revolutionäre »Lösung« der Eigentumsfrage ist bekanntlich gescheitert, nicht zuletzt deshalb, weil der nahezu biblische Eifer, mit dem sich Lenin und Stalin oder Mao und ihre Nachfolger und Adepten die Erde untertan machen wollten, die Hybris wachstumstrunkener Naturbeherrschungspraktiken offen legte, weil sie nicht durch demokratisch legitimierte Politik, Ausdruck eines Gemeinwillens, eingedämmt werden konnte. Doch nicht nur historisches Versagen, das immer irgendwie erklärt und relativiert werden könnte, zeichnet eine bloße Änderung der Eigentumsverfassung als untaugliches Mittel, der sozialen Dimension des Entropiegesetzes zu genügen. Es mag vermessen klingen, doch ohne einen Paradigmenwechsel(16) im Umgang mit der Natur, das heißt einer Transformation der ökonomischen, sozialen und kulturellen Wertverhältnisse, wird sich das kapitalistische Akkumulationsregime zu einem Tanz auf dem Vulkan entwickeln. Ehemals antikapitalistisch-revolutionäre Hoffnungen und Visionen richteten sich am Kampf um die Verfügungsgewalt über das Kapital auf. Belehrt durch die Geschichte wandelte er sich in reformerische Verteilungsauseinandersetzungen ums Mehrprodukt. Doch solch Szenario wird in einer durchkapitalisierten Welt nicht mehr funktionieren. Nicht weil etwa in den Kernländern des Industrialismus dem Kapital nicht genug Reichtum zur Verteilung zur Verfügung stünde, nicht weil im großen Rund des Globus keine Bedürfnisse zu einem angemessenen Leben vorhanden wären, sondern weil die sachlich-stofflichen Bestandteile an Energie, Materie, belastbarer Luft und verbrauchbarem Wasser bei Aufrechterhaltung des gegenwärtigen Akkumulationsregimes für ein weltkollektives Überleben überhaupt nicht vorhanden sind. Es gibt nur die Alternative, durch gesellschaftlich organisierte individuelle Einsicht und gemeinsamen Willen den Produktivitäts- und Wachstumspakt zwischen Lohnarbeit und Kapital entropiekonform politisch zu regulieren oder sich mehr oder minder sehenden Auges politischen, sozialen und ökologischen Katastrophen, gegen die sich Ruanda oder New Orleans wie Sandkastenspiele ausnehmen, hinzugeben.

1

Rosa Luxemburg: Werke 5. Ökonomische Schriften, Berlin 1985, S. 306, (Herv. P. S.)

2

Gunter Stefan: »Ökologisch orientierte Wirtschaftsforschung heute: Was kann ein entropie-theoretischer Ansatz leisten?«; in: Frank Beckenbach (Hrsg.): Die ökologische Herausforderung für die ökonomische Theorie, Marburg 1991, S. 333, (Herv. P. S.)

3

Jürgen Habermas (»Die klassische Lehre von der Politik in ihrem Verhältnis zur Sozialphilosophie«; in: ders.: Theorie und Praxis. Sozialwissenschaftliche Studien, Darmstadt 1963, S. 32) formulierte zu diesem cartesianischen Paradigma: »Aber die Intention der Forschung selbst ist seit den Tagen des Galilei objektiv die: die Kunstfertigkeit zu erlangen, die natürlichen Vorgänge selbst so zu machen, wie die Natur sie hervorbringt. Theorie bemisst sich an der Fähigkeit der künstlichen Reproduktion natürlicher Prozesse. Im Gegensatz zur Episteme ist sie von ihrer Struktur her auf ?Anwendung? angelegt. Theorie gewinnt dadurch als ein neues Kriterium ihrer Wahrheit (neben der logischen Schlüssigkeit) die Gewissheit des Technikers: Wir erkennen einen Gegenstand, soweit wir ihn machen können.«

4

Georg Picht: Der Begriff der Natur und seine Geschichte, Stuttgart 1989, S. 10.

5

Ernst v. Weizsäcker (Hrsg): Offene Systeme I. Beiträge zur Zeitstruktur von Information, Entropie und Evolution, Stuttgart 1974, S. 10.

6

Ilya Prigogine, Isabelle Stengers: Dialog mit der Natur. Neue Wege naturwissenschaftlichen Denkens, München 1990, S. 127.

7

Karl-Heinz Kreeb: Ökologie und menschliche Umwelt, Stuttgart 1979, S. 91?92.

8

MEW 13, »Zur Kritik der politischen Ökonomie«, Berlin, S. 44.

9

Hans Immler: Natur in der ökonomischen Theorie, Teil 1: »Vorklassik-Klassik-Marx« und Teil 2: »Physiokratie-Herrschaft der Natur«, Opladen 1985, S. 169. ? Vgl. zudem ders.: Vom Wert der Natur, Teil 3: »Zur ökologischen Reform von Wirtschaft und Gesellschaft«, Opladen 1990.

10

»Newton beginnt seine ?Principa? mit einer Anzahl von Definitionen und Axiomen, die in einer solchen Weise miteinander verknüpft werden, dass etwas entsteht, was man ein geschlossenes System nennen kann. Jedem Begriff kann ein mathematisches Symbol zugeordnet werden, und die Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Begriffen werden dann dargestellt durch mathematische Gleichungen, die mit Hilfe dieser Symbole aufgeschrieben werden können. Das mathematische Abbild des Systems sorgt dafür, dass Widersprüche innerhalb des Systems nicht entstehen können. In dieser Weise werden schließlich die möglichen Bewegungen von Körpern unter dem Einfluss von Kräften durch die möglichen Lösungen eines Gleichungssystems dargestellt. Das System von Definitionen und Axiomen, das in einer Anzahl von mathematischen Gleichungen aufgeschrieben werden kann, wird dann als die Beschreibung einer ewigen Struktur der Natur aufgefasst, die weder von der besonderen Stelle, an der der Vorgang stattfindet, noch von einer besonderen Zeit abhängen darf, die also sozusagen unabhängig von Raum und Zeit ganz allgemein gilt. ... Die Wissenschaft der folgenden Periode glaubte, dass ihr nur die Aufgabe gestellt sei, Newtons Mechanik auf immer weitere Gebiete der Erfahrung anzuwenden.« Werner Heisenberg: Physik und Philosophie, Stuttgart 1984 (engl. 1958), S. 80?81. ? Man darf ergänzen. Für die Wissenschaft von der Ökonomie gilt das gleiche Prinzip, nur dass sie wegen der schwierigen Abgrenzung zwischen sozialer Wirklichkeit und mathematischer Formulierung ständig mit ceteris paribus-Bedingungen hantieren muss.)

11

Robert Solow: »Die Ökonomie der Ressourcen oder die Ressourcen der Ökonomie«; in: Horst Siebert (Hrsg.): Umwelt und wirtschaftliche Entwicklung, Darmstadt 1979, S. 314?315.

12

Ebd., S. 328 (Herv. P. S.).

13

Ebd., S. 329.

14

Ulrich Hampicke: Ökologische Ökonomie. Individuum und Natur in der Neoklassik, Opladen 1992, S. 134.

15

Elmar Altvater: Die Zukunft des Marktes, Münster 1991, S. 269.

16

Ich meine hier diesen Begriff im Verständnis von Thomas S. Kuhn (Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, Frankfurt am Main 1967), weil es um wirklich elementare, das Denken umwälzende Prozesse geht, die durchaus lange dauern können, bis sie sich durchsetzen.

»Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur«, 3/2006