Thomas Rixen

Jenseits von Liechtenstein

Von der Notwendigkeit und der Schwierigkeit, das internationale Steuerrecht globalisierungsfest zu machen

 

 

Individuelle Steuerhinterziehung von Wohlhabenden und »Steueroptimierungen« multinationaler Unternehmen finden in einem Ausmaß statt, dass der öffentlichen Hand enorme Mittel entzogen werden. Ein veraltetes Steuersystem aus den 1920er-Jahren, die internationale Staatenkonkurrenz und intensives Lobbying maßgeblicher Wirtschaftsgruppen begünstigen diese Situation. Große Konzerne nehmen Sonderrechte in Anspruch, womit sie sich außerhalb der politischen Gemeinschaft stellen, deren Leistungen sie aber ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen – nicht zuletzt den Schutz des Privateigentums gewährleistet durch Steuern. Unser Autor legt auch Vorschläge gegen Steuerflucht, Steuervermeidung und schädlichen Steuerwettbewerb vor.

Der »Steuerkrieg« mit Liechtenstein rückt ein Thema ins Licht der Öffentlichkeit, das sonst selten auf den ersten Seiten der Tageszeitungen zu finden ist: die internationale Steuerpolitik. In der aktuellen Debatte geht es aber viel zu oft nur um den Bereich der illegalen Steuerhinterziehung durch wohlhabende Individuen.(1) Tatsächlich ist die illegale Steuerhinterziehung aber nur eine spezielle Variante eines größeren Problems, nämlich dem des internationalen Steuerwettbewerbs.

Steuerwettbewerb zwischen Staaten wird maßgeblich durch legale Steuerplanung beziehungsweise -optimierung von multinationalen Unternehmen angetrieben, die die Unterschiede zwischen nationalen Steuergesetzen ausnutzen. Der tiefere Grund dafür, dass dies möglich ist, liegt in der derzeitigen Verfassung des internationalen Steuerrechts. Im Einklang mit den Interessen der Regierungen, die es kreiert haben, schützt es die nationale Steuersouveränität in übertriebenem Maße: Jede Regierung kann ihr nationales Steuersystem ohne Berücksichtigung der Auswirkungen auf andere Staaten eigenständig gestalten.(2) Dies schließt beispielsweise auch die Freiheit ein, besonders niedrige Steuerlasten für ausländische Investoren festzulegen oder ihnen die Eröffnung von Briefkastenfirmen zu gestatten – wodurch legale Steuerplanung ermöglicht wird. Oder eben die Freiheit, sich ein striktes Bank- und Steuergeheimnis zu geben und sich zu weigern, mit anderen Staaten Informationen über ausländische Steuerzahler auszutauschen – was die illegale Steuerhinterziehung begünstigt. Beides, illegale Steuerhinterziehung und legale Steuerplanung, hat also eine gemeinsame strukturelle Ursache, nämlich die gegenwärtige Struktur des internationalen Steuerrechts.

Der Status quo: Unechter Wettbewerb mit schädlichen Konsequenzen

Beim Steuerwettbewerb, so argumentieren seine Befürworter, können sich die Steuerzahler diejenigen Gemeinwesen aussuchen, in denen sie für ein von ihnen nachgefragtes Bündel an öffentlichen Gütern den günstigsten Preis für dessen Bereitstellung zahlen. Dadurch würden die Staaten untereinander um die effizienteste Bereitstellung der öffentlichen Leistungen konkurrieren, wovon wiederum alle profitierten. Die Struktur des real existierenden Steuerwettbewerbs entspricht allerdings nicht dieser Idealvorstellung, weil Steuerzahler die Möglichkeit haben, ihren Wohn- sowie Produktionsstandort und den Ort der Steuerzahlung zu entkoppeln.

Die Steuerzahler können dies zum Beispiel tun, indem sie ihr Vermögen in Steuerparadiesen anlegen und die entsprechenden Kapitaleinkommen in ihren Heimatländern dem Finanzamt verschweigen. Das ist illegal, aber es ist in der Praxis ungefährlich, da die Steueroasen in der Regel keine Informationen mit anderen Staaten austauschen. Der Wohnsitzstaat hat dann keine Handhabe, sein Steuerrecht durchzusetzen.

Aber auch auf ganz legalem Weg lässt sich die Entkopplung von tatsächlicher Residenz und Steuerresidenz erreichen. Multinationale Unternehmen können durch Techniken wie die Manipulation von betriebsinternen Transferpreisen oder die geschickte Wahl von Finanzierungsstrukturen ihre Verluste in »Hochsteuerländern« anfallen lassen und die Gewinne in »Niedrigsteuerländern«. Beispielsweise können sie ihre Finanzierungsströme steueroptimal gestalten, indem sie Eigenkapital durch Fremdkapital ersetzen. Eine andere Steuervermeidungstechnik besteht darin, die Spielräume, die bei der Festlegung von Transferpreisen in verbundenen Unternehmen bestehen, auszunutzen. Oft werden bei diesen Transaktionen Finanzierungsgesellschaften – besser bekannt als Briefkastenfirmen – eingesetzt, die ihren Sitz in Niedrigsteuerländern oder Steuerparadiesen haben. So ist es möglich, Gewinne steuerfrei oder -günstig in Steuerparadiesen anzusammeln, oder es werden Finanzströme durch sie hindurchgeschleust. Letzteres kann sich zum Beispiel lohnen, wenn man dadurch in den Genuss eines vorteilhaften Doppelbesteuerungsabkommens gelangt, zu dem man ansonsten keinen Zutritt hätte (»treaty shopping«). Alle diese Techniken haben gemeinsam, dass es dabei nicht um die Verlagerung realer wirtschaftlicher Aktivität geht, wie etwa die Tätigung von Direktinvestitionen an einem steuergünstigen Standort, sondern lediglich um ein Verschieben von Buchgewinnen und -verlusten.

Sowohl für die individuelle Steuerhinterziehung als auch für die unternehmerische Steuerplanung steht eine gut ausgebaute Infrastruktur zur Verfügung. Nach den traditionellen Prinzipien des internationalen Steuerrechts, dessen Ursprünge in den 1920er-Jahren liegen und die sich seitdem kaum geändert haben, steht es jedem Staat frei, sein nationales Steuerrecht so zu gestalten, wie es dieser für günstig hält. Etwa 15 Prozent aller Staaten haben sich für das Geschäftsmodell Steuerparadies entschieden. Weltweit gibt es also circa 40 Staaten mit extrem niedrigen oder Nullsteuersätzen und einem strikten Bank- und Steuergeheimnis, die sich weigern, mit anderen Staaten Informationen über ausländische Steuerzahler auszutauschen oder dies nur unter sehr restriktiven Bedingungen tun. Dabei handelt es sich fast ausnahmslos um kleine Staaten mit einer Bevölkerungszahl von meist unter einer Million.(3) Das Problem sind aber nicht nur die Steuerparadiese. Auch die großen, so genannten Hochsteuerländer bieten ausländischen Investoren besondere Steuervergünstigungen an, die inländischen Steuerzahlern nicht zustehen. Die Folge ist, dass die Staaten in einen Steuerwettbewerb untereinander und mit den Steuerparadiesen geraten. Sie konkurrieren dabei insbesondere um die Zuweisung von so genannten Buchgewinnen. Erst in zweiter Linie – da die Unternehmen zur Realisierung von Steuervorteilen ja gar nicht zur Produktionsverlagerung gezwungen sind – konkurrieren sie auch um reale Investitionen.

Sowohl bei der illegalen Steuerhinterziehung als auch bei der legalen unternehmerischen Steuerplanung – und darin liegt die zentrale Gemeinsamkeit zwischen beiden – verhalten sich die Steuerzahler als Trittbrettfahrer. Sie nutzen die steuerfinanzierte Infrastruktur (Straßen, Schulen, den Sozialstaat etc.) an ihrem Wohnsitz sowie ihrem Produktionsstandort, entziehen sich aber gleichzeitig einer fairen Beteiligung an deren Kosten.

Das Trittbrettfahrerverhalten hat für die meisten nationalen Steuersysteme spürbare Folgen. In allen europäischen Staaten sind in den letzten zehn bis 15 Jahren die nominalen Steuersätze – die für die Entscheidung von Unternehmen zur Gewinnverlagerung zentrale Größe – gesenkt worden. Im Gegenzug ist gleichzeitig die Steuerbemessungsgrundlage verbreitert worden, damit es nicht zu drastischen Steuerausfällen kommt. In der Tat liegt der wesentliche Effekt des Steuerwettbewerbs deshalb auch weniger in einem Rückgang der Steuereinnahmen, sondern vor allem in einer Veränderung der Struktur der Steuersysteme. Die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage führt dazu, dass die Steuerbelastung von hochprofitablen Investitionen sinkt, während weniger profitables oder »neues« Kapital stärker belastet wird. In der Praxis bedeutet dies, dass große multinationale Unternehmen entlastet werden, während kleine und mittelständische Unternehmen, die einen Großteil der Arbeitsplätze bereitstellen, stärker belastet werden.(4) Außerdem kommt es zu einer Überwälzung der Steuern von Kapital auf Arbeit und Konsum.(5)

Ein weiteres Problem, das in politischen Diskussionen bisher kaum eine Rolle gespielt hat, liegt darin, dass der Wettbewerb um Unternehmenssteuern zu einer Unterwanderung der Progression der persönlichen Einkommenssteuer geführt hat. Damit es den Steuerzahlern unmöglich gemacht wird, ihr persönliches Einkommen in Körperschaften zu »verstecken«, um in den Genuss von niedrigeren Steuersätzen zu gelangen, verfolgen viele Steuerpolitiker das Ziel, den Spitzensatz der persönlichen Einkommenssteuer und den Unternehmenssteuersatz möglichst eng beieinander zu lassen. Im Zuge der durch den Steuerwettbewerb gesunkenen Unternehmenssteuersätze ist deshalb ein Druck auf die Sätze der persönlichen Einkommenssteuer entstanden. Der Steuerwettbewerb macht es den Staaten deutlich schwieriger, ein progressives, auf Umverteilung zielendes Einkommenssteuersystem aufrechtzuerhalten.(6)

Dies alles zeigt: Auch wenn die Staaten kaum um reale Produktionsstandorte und Direktinvestitionen konkurrieren, hat der Steuerwettbewerb trotzdem sehr reale Auswirkungen auf die nationale Steuerpolitik.

Steuerwettbewerb als Gefangenendilemma

Angesichts dieser negativen Folgen könnte man eigentlich meinen, dass es ein überragendes gemeinsames Interesse daran gibt, den Steuerwettbewerb zu unterbinden. Das passiert allerdings nicht. Die strategische Situation, in der sich die Regierungen im Steuerwettbewerb befinden, entspricht dem so genannten Gefangenendilemma. Zwar wäre es für alle Staaten kollektiv vorteilhaft, wenn sie gemeinsame Regelungen gegen den Steuerwettbewerb vereinbarten. Allerdings stehen diesem kollektiven Interesse die individuellen Interessen der einzelnen Länder entgegen. Jede Regierung hat einen Anreiz, von einer etwaigen Vereinbarung abzuweichen, und sich so auf Kosten der anderen besser zu stellen. Effektiv regulieren ließe sich der Steuerwettbewerb deshalb nur durch verbindliche und sanktionsbewährte multilaterale Abkommen.

Insbesondere die Regierungen kleiner Länder haben aber im Steuerwettbewerb viel zu gewinnen. Durch eine Steuersenkung verlieren sie, da ihre inländische Steuerbasis sehr klein ist, nur wenig inländische Einnahmen. Diese Einnahmeausfälle werden aber deutlich überkompensiert durch die zusätzlichen Einnahmen, die sich aus der (günstigen) Besteuerung der aus dem Ausland angelockten Steuerbasis ergibt. Dieser Mechanismus kann erklären, warum alle Steuerparadiese kleine Staaten sind. Für große Länder stellt sich die Lage genau andersherum dar. Ihr Interesse an einer Regulierung des Steuerwettbewerbs ist im Prinzip größer.(7) Allerdings agieren sie im Kampf gegen schädlichen Steuerwettbewerb ambivalent. Zwar verlieren sie nur ungern ihre Steuereinnahmen an Steuerparadiese, andererseits wollen sie den »eigenen« multinationalen Unternehmen im Namen der Wettbewerbsfähigkeit nicht alle Steuerschlupflöcher verschließen – jedenfalls solange nicht sichergestellt ist, dass alle Staaten mitziehen.

Bisherige Regulierungsbemühungen sind unzureichend

Diese schwierige Interessenkonstellation zeigt sich auch in den bisherigen Bemühungen zur Regulierung des Steuerwettbewerbs. Zu oft haben sich die Regierungen in der Vergangenheit dem Problem individuell gestellt. In fast allen Industrieländern finden sich unilaterale Abwehrmaßnahmen, das heißt nationale Regelungen, die die Steuergesetze gegen Missbrauch absichern sollen. Dazu gehören zum Beispiel Begrenzungen des Zinsabzugs, Dokumentationspflichten von konzerninternen Verrechnungspreisen oder Beschränkungen beim grenzüberschreitenden Verlustausgleich. Natürlich ist es richtig, Maßnahmen gegen Steuerminimierung vorzunehmen. Allerdings werden rein national orientierte Maßnahmen nicht ausreichen. Das Problem ist, dass Steuerzahler mit einer Anpassung ihrer Steuervermeidungsstrategien darauf reagieren. So dreht sich eine Aufrüstungsspirale zwischen Steuerzahler und Staat, in der die Politik nur reagiert, aber nie agiert. Hinzu kommt, dass wirtschaftliche Interessengruppen unilaterale Maßnahmen gegen die Steuerminimierung mit dem Argument ablehnen, dass dies die Wettbewerbsfähigkeit des Landes gefährde. Im globalen Wettbewerb sind viele Regierungen für dieses Argument offen und begrenzen den Anwendungsbereich der unilateralen Abwehrmaßnahme von vorneherein sehr eng.(8) Ein unerwünschter Nebeneffekt ist, dass das Steuerrecht immer komplizierter wird – und der Steuerwettbewerb zwischen den Staaten trotzdem nahezu unverändert bestehen bleibt. Die Anreize, andere Staaten bei der Besteuerung zu unterbieten und ausländische Steuerbasis anzulocken, bleiben bestehen.

Neben den unilateralen Maßnahmen gab es auch vorsichtige Versuche zur internationalen Koordination, die aber bisher bestenfalls sehr kleine Fortschritte gezeitigt haben. Zwar haben die OECD und die EU Mitte der 1990er-Jahre Initiativen ins Leben gerufen, die das Ziel haben, so genannte schädliche Steuerpraktiken zu ächten. Allerdings ist der Erfolg dieser Initiativen gering. Dafür gibt es mehrere Gründe:

Zum einen leisteten die Steuerparadiese Widerstand. Ihre Regierungen brandmarkten die Vorschläge erfolgreich als übertriebene Attacke auf ihre nationale Steuersouveränität. Außerdem warfen sie den großen Industrieländern zu Recht vor, dass sie doppelte Standards anlegen. Einerseits wolle man die Steuerparadiese zwingen, ihre schädlichen Steuerpraktiken aufzugeben, andererseits seien sie aber auch nur widerwillig bereit, die Steuerprivilegien, die sie selber anbieten, abzuschaffen. Länder wie Großbritannien oder die USA unterhalten Finanzzentren, die eng verflochten sind mit der Offshore-Industrie. Gleiches lässt sich von den meisten Banken in den westlichen Industrieländern sagen.

Und tatsächlich zogen die USA nach dem Regierungswechsel von Bill Clinton zu George W. Bush, und nachdem wirtschaftsnahe Interessenvertreter erfolgreiches Lobbying betrieben hatten, ihre Unterstützung für das OECD-Projekt gegen schädlichen Steuerwettbewerb zurück. So kam es, dass die Pläne stark verwässert wurden. In der Folge ging es nur noch darum, einen effektiveren Informationsaustausch mit den Steuerparadiesen zu erwirken. Allerdings kann ein Informationsaustausch nur auf Anfrage und bei Vorliegen eines begründeten Anfangsverdachts erfolgen. Das bedeutet aber, dass die Steuerbehörden eigentlich vorher schon wissen müssten, wonach sie suchen. Für die Geschäftsmodelle der meisten Steuerparadiese stellt dies keine Gefahr dar. Liechtenstein, Andorra und Monaco erfüllen aber noch nicht einmal diese Anforderungen.

Hinzu kommt, dass der Informationsaustausch eigentlich nur den Bereich der Steuerhinterziehung von natürlichen Personen betrifft und die internationale Steuerplanung von Konzernen unberührt lässt.(9) Die Konzerne sind mit ihren Steueroptimierungsstrategien nicht auf die Vertraulichkeit von Steueroasen angewiesen. Sie würden im Zweifel womöglich sogar Transparenz von ihnen verlangen, damit gar nicht erst der reputationsgefährdende Verdacht entsteht, sie hätten etwas zu verheimlichen.(10) Beikommen könnte man der unternehmerischen Steueroptimierung nur durch eine »parametrische Koordination«(11) nationaler Steuerpolitiken. Darunter versteht man die Angleichung von nationalen Steuersystemen – also beispielsweise die Harmonisierung der Definitionen von Steuerbasen, die Festlegung von gleichen oder Mindeststeuersätzen oder zumindest das Verbot schädlicher Steuerpraktiken, beispielsweise der Möglichkeit zur Einrichtung von Briefkastenfirmen. Genau dies ist aber im Rahmen des OECD-Projektes nach der Intervention der USA ausgespart worden.

In der EU war man ein wenig erfolgreicher und hat einen Verhaltenskodex gegen schädliche Steuerpraktiken verabschiedet. Darin erklären sich die Staaten bereit, auf bestimmte Steuerpraktiken, die explizit auf ausländisches Kapital und Steuersubstrat zielen, ohne dass inländischen Unternehmen gleich gute Angebote gemacht werden, zu verzichten. Auch wenn der Kodex rechtlich nicht verbindlich ist, mussten die seit 2004 neu aufgenommenen Staaten diese Kriterien erfüllen. Außerdem beruft sich die Kommission auch in der Anwendung des rechtlich verbindlichen Beihilferechts auf den Kodex. Allerdings bleibt den Staaten die Möglichkeit erhalten, ihre Steuern beliebig tief zu senken, solange sie dabei nicht inländische gegenüber ausländischen Investoren benachteiligen.

Trotzdem nimmt selbst in der EU, dem am weitesten integrierten regionalen Wirtschaftsraum, die Steuerpolitik immer noch eine Sonderrolle ein. Steuerpolitische Entscheidungen auf EU-Ebene bedürfen der Einstimmigkeit und können somit von Profiteuren des Steuerwettbewerbs blockiert werden. So hat schon die Verabschiedung der Zinsbesteuerungsrichtlinie viele Jahre in Anspruch genommen. Dass sie sehr löchrig ist, zeigt sich gerade im Fall Liechtenstein, das die Richtlinie mit Hilfe so genannter Stiftungsmodelle umgeht. Wenn man sich dann noch vergegenwärtigt, dass die Verabschiedung der Richtlinie 2005 von den europäischen Finanzministern bereits als ein großer Erfolg verbucht wurde, dann wird deutlich, wie schwierig es werden wird, in Zukunft Fortschritte zu erzielen, wie die Bundesregierung sie jetzt in Aussicht gestellt hat.

Ein weiteres Beispiel sind die Pläne der EU zur Entwicklung einer Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage (GKKB), die bei richtiger Ausgestaltung einen Beitrag zur Verhinderung von Steuerplanung leisten kann. Eigentlich wollte die EU-Kommission bis zum Sommer einen Richtlinienvorschlag vorlegen. Inzwischen hat man sich aber entschieden, die Vorlage zu verschieben. Zu groß ist die Angst, dass das geplante Referendum über den europäischen Verfassungsvertrag in Irland – einem Land, das bisher vom Steuerwettbewerb profitiert hat – scheitert, wenn die Steuerpläne zum Gegenstand der öffentlichen Auseinandersetzung werden. Auch die deutsche Bundesregierung, die als eine Unterstützerin einer GKKB gilt, hat sich dem (jedenfalls öffentlich) nicht widersetzt. Wie will die EU eigentlich jemals zu einer politischen Gemeinschaft werden, wenn Sie ihren Bürgern noch nicht einmal die Möglichkeit gibt, mit der Forderung »No Taxation without Representation« für die notwendige Demokratisierung einzutreten?

Legal, illegal – schädlich

Bisher wurden also kaum Fortschritte bei der Reform der internationalen Steuerpolitik gemacht. Wenn man sich die Geschichte der Reformbemühungen vergegenwärtigt, ist aber auffällig, dass es leichter zu sein scheint, im Kampf gegen individuelle Steuerhinterziehung etwas zu erreichen als bei der unternehmerischen Steueroptimierung. Die bisherigen Bemühungen zu einer parametrischen Koordination der nationalen Steuerpolitiken sind allesamt gescheitert oder auf Eis gelegt worden. Gewisse, wenn auch immer noch unzureichende Fortschritte sind aber auf dem Gebiet der administrativen Zusammenarbeit und des Informationsaustauschs zwischen nationalen Steuerbehörden gemacht worden. Was sind die Gründe für diesen Unterschied?

Erstens nehmen wirtschaftsnahe Interessen erfolgreich Einfluss auf die Regierungen. Wie man etwa im Fall der USA und ihrer Rolle im OECD-Projekt gegen schädliche Steuerpraktiken erkennen kann, sind sie mit ihrem Argument des drohenden Verlustes der Wettbewerbsfähigkeit erfolgreich. Dass dieses Argument nur unter der (allerdings sehr realistischen) Annahme zählt, dass nicht alle relevanten Regierungen zur Kooperation gewonnen werden können, fällt angesichts kurzfristiger Wiederwahlinteressen nicht ins Gewicht.

Zweitens betrifft die administrative Kooperation nicht den engsten Bereich der nationalen Steuersouveränität. Die Regierungen können die wesentlichen Parameter ihrer Steuergesetze weiterhin selbst festlegen. Angesichts der vielfältigen und zwischen den Staaten durchaus auch unterschiedlichen Zielsetzungen, etwa sozialer oder ökologischer Art, die mit der Steuerpolitik verfolgt werden, wollen die Regierungen ihre Souveränität erhalten. Sie sehen sich ja auch entsprechender Forderungen ihrer Bürgerinnen und Bürger ausgesetzt. Zwar können sie diesen Forderungen in der Realität kaum nachkommen, weil sie in ihrer Politikautonomie durch den Steuerwettbewerb beschnitten sind. Das Festhalten an der formalen Steuersouveränität bringt ihnen also faktisch nur wenig. Trotzdem können die Regierungen aber gegenüber ihrem nationalen »Publikum« suggerieren, dass sie das Heft des Handelns in der Hand halten, wenn sie sich in ihr Steuersystem nicht hineinregieren lassen. Um dennoch zumindest das Schlimmste an Steuervermeidung und den Steuerwettbewerb zu verhindern intensiviert man, gewissermaßen als Substitut, die administrative Kooperation.

Zum Dritten gibt es einen Unterschied in der normativen Bewertung von individueller Steuerhinterziehung und unternehmerischer Steueroptimierung.(12) Die individuelle Steuerhinterziehung verstößt gegen geltendes Recht. Es ist unstrittig, dass man gegen Rechtsbrüche vorgehen muss. Da dies im Falle internationaler Steuerhinterziehung nicht alleine geht, sondern man auf die Mitarbeit von anderen Regierungen angewiesen ist, bemüht man sich darum, diese zu erhalten. Wie beschrieben, ist auch dies schon schwer genug. Da es sich aber kein Staat leisten kann, sich nachsagen zu lassen, dass er sein geltendes Recht nicht durchsetzt, wirft man viel politisches Gewicht in die Waagschale und erzielt auch gewisse Fortschritte. Anders sieht es bei der legalen Steuerplanung aus. Wenn man diese unterbinden will, muss man erst einmal die Regeln ändern. Dafür die Zustimmung von den Profiteuren des Steuerwettbewerbs zu erhalten, ist schwieriger als im Falle von Rechtsbrüchen, bei denen es »nur« um Amtshilfe bei der Durchsetzung bestehender Gesetze geht.

Es ist zwar nachvollziehbar, dass man in der Bewertung von Steuerhinterziehung und unternehmerischer »Steueroptimierung« Unterschiede macht: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. In Bezug auf eine Regulierung des schädlichen Steuerwettbewerbs macht die Unterscheidung aber keinen Sinn. Negative Folgen für das Steuersystem und die Verletzung der Steuergerechtigkeit sind auch beim (legalen) Unternehmenssteuerwettbewerb, wahrscheinlich sogar in höherem Maße, gegeben.

Internationale Kooperation tut Not

Egal ob Steuerhinterziehung oder »nur« Steueroptimierung – das steuerliche Trittbrettfahren ist kein Kavaliersdelikt. Auch das im Zusammenhang mit der Liechtensteinaffäre jetzt immer wieder vorgebrachte Argument, der Staat sei zu einem großen Teil an der Steuerhinterziehung selbst schuld, weil er seine Bürger über Gebühr belaste und das Steuerrecht zu kompliziert sei, kann das Trittbrettfahrerverhalten nicht rechtfertigen. Selbst wenn der Generalvorwurf gegen die bestehenden Regeln stimmte, dann steht es dem Einzelnen trotzdem nicht frei, sich individuell dem Zugriff des Staates zu entziehen, sondern er müsste sich politisch für eine Änderung der geltenden Regeln einsetzen. Der Trittbrettfahrer verweigert aber die Partizipation am Streit darüber, was eine gute und gerechte Steuerpolitik ist und nimmt stattdessen für sich selbst ein Sonderrecht in Anspruch, das es gar nicht geben kann. Er stellt sich außerhalb der politischen Gemeinschaft, deren Leistungen er aber trotzdem ganz selbstverständlich in Anspruch nehmen will und auf die er im Übrigen auch angewiesen ist: Ganz zu schweigen von vielen anderen öffentlichen Quellen privaten Reichtums und Wohlstands ließe sich ohne die Erhebung von Steuern nicht einmal der Schutz des Privateigentums, auf den er vertraut, gewährleisten.(13)

Der Kampf gegen das Trittbrettfahren darf sich aber nicht in moralischen Appellen erschöpfen, sondern es muss darum gehen, sich international auf bessere und effektivere Regeln gegen Steuerflucht, Steuervermeidung und schädlichen Steuerwettbewerb zu einigen. Die Vorschläge zur Lösung der Probleme liegen auf dem Tisch:

– die Einführung eines automatischen Informationsaustausches,(14)

– die Schaffung einer Gemeinsamen Konsolidierten Körperschaftssteuerbemessungsgrundlage (GKKB) in Europa(15)

– und weltweit,(16) die Verabschiedung eines verpflichtenden Verhaltenskodexes für multinationale Unternehmen zum Verzicht auf Steuerplanung(17)

– und die Verschärfung der EU-Zinssteuerrichtlinie.(18)

Es bietet sich derzeit eine günstige Gelegenheit, mit diesen Forderungen Gehör zu finden: Durch die Liechtensteinaffäre ist die Öffentlichkeit für internationale Steuerpolitik sensibilisiert. Im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf haben die demokratischen Kandidaten versprochen, den Missbrauch von Steuerparadiesen unterbinden zu wollen. Und schließlich hat sich auch die Bundesregierung in ihren aktuellen Äußerungen in bisher ungekanntem Maße öffentlich verpflichtet, echte Verbesserungen durchzusetzen. Wenn es den Staaten ernst ist mit der Regulierung des schädlichen Steuerwettbewerbs, müssen sie auch Fortschritte bei der parametrischen Steuerkoordination machen. Nur so lässt sich die legale unternehmerische »Steuerarbitrage« begrenzen.

Dazu müssen die Regierungen aber zunächst über ihren eigenen Schatten springen und zumindest einen Teil ihrer Steuersouveränität mit anderen Staaten teilen. Ein starker Staat ist unter Globalisierungsbedingungen derjenige Staat, der bereit ist, seine Souveränität mit anderen Staaten zu teilen, um seine substanziellen Ziele, nämlich die Gewährleistung von Frieden, Freiheit, Gleichheit und Solidarität, zu erreichen. Dafür braucht er Steuern!

1

Vgl. z. B. zuletzt Christian Kirchner: »Steueranspruch und Moral«, in: FAZ, 12.4.08, S. 11.

2

Vgl. Thomas Rixen: The Political Economy of International Tax Governance. Basingstoke: Palgrave Macmillan, Kapitel 4, im Erscheinen.

3

Dhammika Dharmapala, James R. Hines: »Which Countries Become Tax Havens?«, Working Paper 2006, http://ssrn.com/abstract=952721 (zuletzt aufgerufen am 10. April 2008).

4

Vgl. Andreas Haufler, Guttorm Schjelderup: »Corporate Tax Systems and Cross Country Profit Shifting«, in: Oxford Economic Papers, Bd. 52 (2000), S. 306–325 und Steffen Ganghof: »Konditionale Konvergenz. Ideen, Institutionen und Standortwettbewerb in der Steuerpolitik von EU- und OECD-Ländern«, in: Zeitschrift für Internationale Beziehungen, Bd. 12 (2005), S. 7–40.

5

Vgl. z. B. Peter Schwarz: »Does Capital Mobility Reduce the Corporate-Labor Tax Ratio?«, in: Public Choice Bd. 130, S. 363–380.

6

Vgl. z. B. Steffen Ganghof, Philipp Genschel: »Taxation and Democracy in the EU«, in: Journal of European Public Policy, Bd. 15 (2008), S. 58–77.

7

Deshalb ist der Steuerwettbewerb genau genommen ein asymmetrisches Gefangenendilemma. Vgl. dazu Sam Bucovetsky: »Asymmetric Tax Competition«, in: Journal of Urban Economics, Bd. 30 (1991), S. 167–181 und Thomas Rixen: »Steuern und Kooperation. Internationale Zusammenarbeit gegen schädlichen Steuerwettbewerb«, in: Stefan A. Schirm (Hg.): Globalisierung. Forschungsstand und Perspektiven. Baden-Baden: Nomos 2006, S. 77–98.

8

Keith Engel: »Tax Neutrality to the Left, International Competitiveness to the Right, Stuck in the Middle with Subpart F«, in: Texas Law Review Bd. 79 (2001), S. 1525–1607.

9

Theoretisch könnte man der Steuerplanung zwar auch durch unilaterale Regeln, unterfüttert durch zukünftig verbesserten Informationsaustausch, begegnen. Praktisch wird das aber wenig wirksam sein, da die Konzerne mit ihren gut ausgestatteten Steuerabteilungen umgehend die Schlupflöcher in jedem neuen Gesetz finden und nutzen werden.

10

Wie die Skandale um die amerikanischen Firmen Enron, Xerox und Tyco zeigen, sehen dies aber manche Manager anders und sind auch bereit, zu illegalen Methoden zu greifen. Vgl. Mihir A. Desai: »The Degradation of Reported Corporate Profits«, in: Journal of Economic Perspectives, Bd. 19 (2005), S. 171–192.

11

Michael Keen and Jenny E. Ligthart: »Information Sharing and International Taxation: A Primer«, in: International Tax and Public Finance, Bd. 13 (2006), S. 81–110.

12

Im Fall des Schraubenunternehmers Würth kann man diese Unterscheidung in der öffentlichen Meinungsbildung beobachten. Die Steueroptimierung der ihm gehörenden Firma gilt als akzeptabel, während seine Steuerhinterziehung als Privatperson streng verfolgt werden soll. Vgl. Uwe Jean Heuser: »Testfall Würth«, in: Zeit, 3.4.08.

13

Vgl. z. B. Stephen Holmes, Cass R. Sunstein: The Cost of Rights. Why Liberty Depends on Taxes, New York: W.W. Norton 1999, oder Liam Murphy, Thomas Nagel: The Myth of Ownership. Taxes and Justice, Oxford: Oxford University Press 2002.

14

David Spencer: »The Cost of Capital Flight«, in: Accountancy Business and the Public Interest, Bd. 4 (2006), S. 151.

15

Susanne Uhl, Thomas Rixen: »Unternehmensbesteuerung europäisch gestalten - mitgliedstaatliche Handlungsspielräume gewinnen. Gutachten für die Friedrich-Ebert-Stiftung«, 2007. www.fes.de/internationalepolitik/taxes (zuletzt aufgerufen am 10. September 2007).

16

Reuven Avi-Yonah, Kimberly A. Clausing: »Reforming Corporate Taxation in a Global Economy: A Proposal to adopt Formulary Apportionment.« The Hamilton Project, Brookings Institution, 2007. http://www.brookings.edu/papers/2007/06corporatetaxes_clausing.aspx (zuletzt aufgerufen am 10. April 2008), S. 21–22.

17

Murphy, Richard: »A Code of Conduct for Taxation«. Association of Accountancy and Business Affairs and Tax Justice Network, 2007. www.taxjustice.net/cms/upload/pdf/AABA-TR-Code_long.pdf (zuletzt aufgerufen am 23. Januar 2008).

18

Vgl. z. B. »Ein Anschlag auf die Demokratie«, Gemeinsame Erklärung von Attac Deutschland, Finnland, Flandern, Frankreich, Griechenland, Jersey, Niederlande, Österreich, Polen, Schweiz, Spanien und Ungarn vom 1. März 2008. www.attac.de/aktuell/presse/presse_ausgabe.php?id=847 (zuletzt aufgerufen am 4. März 2008); oder »Keine Hintertür für Steuerhinterzieher«, Beschluss der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen vom 11. April 2008. www.gruene-bundestag.de (zuletzt aufgerufen am 20. April 2008).

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 3/2008