Michael Werz

Ein Konterrevolutionär

Wie John McCain in die republikanische Kandidatur stolperte

 

 

Während die Kandidaten-Kür der Demokraten die USA beschäftigt, steht der Kandidat der Republikaner schon fest. Doch der eigensinnige Außenseiter steht noch im Banne der Präsidentschaft von George Bush. Seine Positionen sind unklar und im eigenen Lager hat er viele Gegner. Kann es ihm überhaupt gelingen, die disparaten Teile der Partei zusammenzuführen?

Es ist eine Ironie des Schicksals, dass die Identifikation mit George Bush eine vielleicht unüberwindbare Barriere für die Kandidatur von John McCain darstellt. Fast die Hälfte aller Wähler haben Bedenken wegen der angeblich zu großen Nähe der beiden Parteifeinde. Da half auch nicht, dass McCain Ende April auf einer demonstrativen Reise an die »vergessenen Orte« des Landes das immer noch in weiten Teilen zerstörte New Orleans besuchte und die Bush-Regierung mit einer rhetorischen Attacke anging, die sich gewaschen hatte. George Bush hatte das Katastrophengebiet seinerzeit im Dienstflugzeug Air Force One in einer Höhe von achthundert Metern überflogen und sich dabei fotografieren lassen, wie er betroffen aus dem Fenster blickt. »Ganz offen gesagt«, erklärte McCain, »wenn ich Präsident der USA gewesen wäre, hätte ich eine Landung des Flugzeugs auf dem nächsten Luftwaffenstützpunkt angeordnet und wäre hierher gefahren.« Und er legte gleich nach: »Unqualifizierte Leute hatten das Sagen. Es gab eine vollkommene Fehlwahrnehmung der Katastrophe.« Damit war der Bush-Freund Michael D. Brown gemeint, verantwortlicher Unterstaatssekretär für den Katastrophenschutz. Kurz nach den Überschwemmungen hatte der Präsident den politischen Funktionär noch überschwänglich gelobt, zwei Wochen später war Brown wegen himmelschreiender Inkompetenz zurückgetreten.

New Orleans ist die Metapher für eine zerrissene republikanische Partei, deren politische Grundfeste in den vergangenen sieben Jahren von neokonservativen und korporatistischen Strömungen unterspült wurden. Nun soll ausgerechnet ein Kandidat den Dammbruch verhindern, den mit großen Teilen des republikanischen Establishments sowie dem Weißen Haus eine herzliche Abneigung verbindet und der nur gewann, weil die beiden Mitbewerber Mitt Romney und Mike Huckabee im Nominierungsprozess den Stimmenblock der Parteirechten spalteten.

Interessanterweise haben weder seine Geschichte als eigensinniger Außenseiter noch die rauen Absetzbewegungen John McCain bisher geholfen, sich vollends von der politischen Radioaktivität des Weißen Hauses zu befreien. George Bush hat inzwischen die schlechtesten Umfragewerte, die jemals gemessen wurden, und übernahm von seinem Vater den Titel des unpopulärsten Präsidenten in der neueren Geschichte der USA. Weniger als ein Drittel der Amerikaner hat im Frühjahr 2008 einen positiven Eindruck von der Republikanischen Partei. Allerdings ist die Person John McCain wesentlich beliebter als die Organisation, die er vertritt. Seine Popularität beruht auf persönlichem Respekt, seiner lange kultivierten Aura als unabhängiger und dickköpfiger Politiker, der sich von Partei und Weißem Haus keine Vorschriften machen lässt. Nach zwei Jahrzehnten im Senat säumen lädierte Parteifreunde seinen Weg. Im Jahr 2000 lieferte sich McCain eine verletzende Auseinandersetzung im republikanischen Nominierungskampf mit George Bush und spielte vier Jahre später sogar kurz mit dem Gedanken, als Kandidat für die Vizepräsidentschaft in die Wahlkampagne seines Freundes John Kerry einzutreten. Seit mehr als einem Jahrzehnt kämpft John McCain um seinen Platz im Weißen Haus, und nachdem er im vergangenen Herbst bankrott und ohne Unterstützung dastand, hätte niemand in Washington vermutet, dass er nun die Hoffnungen der Republikaner zu tragen hat.

Trotz seiner langen Senatskarriere gehört John McCain noch immer zu den unorthodoxen Erscheinungen in Washington. Er ist Außenseiter von Beginn an – geboren in der Kanalzone Panamas, wo sein Großvater John S. McCain damals den Marinestützpunkt kommandierte und sein Vater Offizier auf einem U-Boot war. Nach einer wilden und von Regelverstößen geprägten Jugend im Militär hat er die prägenden Erfahrungen während seiner fünfjährigen Gefangenschaft in einem Kerker der Vietcong gemacht, nachdem sein Flugzeug im März 1967 abgeschossen und er gefangen genommen worden war. Erst nach dem Schluss des Pariser Friedensvertrags von 1973 kam er frei. »Die Erinnerung an jene (in Indochina) und an das, was sie für Ehre und Land auf sich genommen haben«, sagte McCain in einer Rede vor Kriegsveteranen im August des Jahres 2000, »bringt mich dazu, in jedem potenziellen Konflikt nach dem Schatten von Vietnam zu suchen.« In diesem vereinfachenden Erfahrungstransfer aus Soldatenperspektive, die noch immer den »ehrenhaften Grund« des fatalen Waffengangs sucht, gehen die notwendigen historischen und politischen Differenzierungen schnell verloren. Ob John McCains bedingungslose Unterstützung des Waffenganges im Irak und seine kompromisslose Haltung hinsichtlich der Kriegsgründe damit zusammenhängen, ist schwer zu sagen, sicher ist allerdings, dass er sich mit diesen Positionen in der eigenen Partei isoliert. Vielen ist nicht nachvollziehbar, dass gerade er, der jahrelang in den Gefängnissen des Vietcong gequält wurde, immun und ungerührt bleibt angesichts der Zerstörungen, die der Irak-Krieg in der Region, aber auch an der US-Armee anrichtet. Man sagt ihm nach, nie aus dem Krieg nach Hause gekommen zu sein, und seine bevorzugte Lektüre in der eng bemessenen Freizeit scheint das zu bestätigen: Nicht die aktuellen Dossiers finden sein Interesse, sondern vor allem Militärgeschichte und politische Biografien. Seine Unterstützung des unpopulären Irak-Krieges und die Bemerkung, die USA müssten notfalls hundert Jahre dort bleiben, verunsichert nicht nur die eigenen Aktivisten. Sie bietet auch dankbares Material für eine millionenschwere Fernsehkampagne der Organisation MoveOn.org, die gerade begann. Thema: John McCain ist nichts als die Fortsetzung von George Bush unter anderem Namen. Gary Schmitt, einer der außenpolitischen Berater vom American Enterprise Institute, hält diese Zuspitzung für übertrieben und weist darauf hin, dass McCain »wie viele in seiner Generation, die in den Vietnamkrieg involviert waren« an diesen Erfahrungen festhält, aber bei anderen Konflikten wie im Libanon oder in Somalia »wesentlich zurückhaltender gewesen ist, was den Einsatz von Gewalt anging, als viele andere.«

Die Gemengelage ist unübersichtlich, und so wird inzwischen debattiert, ob es im McCain-Lager zu einem Ausscheidungswettbewerb zwischen den pragmatischen Außenpolitikern und einigen wenigen Neokonservativen kommen wird, die offensichtlich in den vergangenen Monaten an Einfluss gewonnen haben. Bob Kagan, der vielleicht wichtigste Intellektuelle unter den Neocons, schrieb Teile einer außenpolitischen Schlüsselrede, die McCain im März dieses Jahres in Los Angeles hielt und in der er sich als »realistischer Idealist« bezeichnete. Auch sein versierter und kluger außenpolitischer Berater Randy Scheunemann, Mitbegründer des berüchtigten »Komitees für die Befreiung des Irak«, hegt Sympathien für radikale Demokratie-Exporteure. In der Financial Times äußerte kürzlich Gideon Rachman seinen Unmut über neokonservativ anmutende Pläne McCains, eine Organisation der hundert führenden Demokratien unter Ausschluss Russlands und Chinas quasi als Konkurrenzveranstaltung zu den Vereinten Nationen ins Leben zu rufen. Der Kandidat beschwichtigt und erklärt, er müsse schließlich gegenüber einer Vielfalt von Positionen offen sein.

Die gegnerische Mannschaft im eigenen Lager besteht aus langjährigen Freunden und politischen Verbündeten wie dem einstigen Außenminister Colin Powell, seinem ehemaligen Stellvertreter Richard Armitage und Brent Scowcroft, nationaler Sicherheitsberater von Vater Bush, der sich 2002 die lebenslange Aversion des Sohnes mit seiner im Wall Street Journal öffentlich erklärten Ablehnung einer Irak-Invasion zuzog. Sie sind besorgt über die erneute Einflussnahme der erheblich geschrumpften Kommune überzeugter Neokonservativer und deren Überzeugung, die Welt mit allen Mitteln verbessern zu müssen. Es sind Traditionen, die mit denen des republikanischen Establishments konkurrieren und nach Auskunft des neokonservativen Gründervaters Irving Kristol auf »desillusionierte liberale Intellektuelle der Siebzigerjahre« zurückgehen.

Auf welche Seite sich John McCain letztlich schlagen wird ist unklar, besonders in der Außenpolitik gibt er sich zwar recht energisch, aber es lässt sich eine klare Linie erkennen. Gary Schmitt sagt, dass mit einer grundsätzlichen Revision der amerikanischen Außenpolitik nicht zu rechnen sei, weil nach den vielen Diskussionen über Militäreinsätze, Entwicklungshilfepolitik und Auftreten der USA seit den Neunzigerjahren eine »gewisse Reformmüdigkeit« eingetreten sei und man sich darauf konzentriere, »dass die Institutionen, die wir haben, so gut arbeiten wie möglich«. Weil McCain über dreißig Jahre außenpolitischer Erfahrung verfüge, sei er auch nicht in dem Maße auf Berater angewiesen wie Barack Obama oder George Bush, sagt Schmitt, »die vielen verschiedenen Berater sind bei ihm vor allem dazu da«, die eine oder andere »Lücke zu schließen«, aber die grundlegenden Entscheidungen würde McCain selbst treffen.

In der heiß debattierten Einwanderungsfrage zeichnet sich ebenfalls ein unübersichtliches Bild ab. Erst verdiente er sich Anerkennung und Respekt, nachdem er rigoros und gegen rechte Agitatoren in den eigenen Reihen für ein Reformgesetz eintrat, das Migranten ohne Aufenthaltspapiere den Weg in die Legalität eröffnet hätte. Das kostete ihn Unterstützung und drohte das Unternehmen Präsidentschaftskandidatur zeitweilig aus der Kurve zu tragen. Besonders seine enge Zusammenarbeit mit liberalen Ikonen wie Senator Ted Kennedy aus Massachusetts führte zu Reaktionen in der eigenen Partei, die zwischen Missmut und offener Aversion schwankten. Anne Coulter, die bekannteste Tele-Marktschreierin von Rechtsaußen, fuhr gar durch das Land und verkündete, sie würde eher Hillary Clinton wählen als diesen republikanischen Kandidaten.

In den vergangenen Monaten versuchte John McCain daher, verlorenes konservatives Terrain gut zu machen. Susan Martin, ehemalige Chefin der von Bill Clinton eingesetzten Kommission für Einwanderungsreformen, hält McCain zugute, dass er »die in der eigenen Partei unpopuläre Reform« bestehend aus »schärferen Kontrollmaßnahmen kombiniert mit einem neuen, zeitlich befristeten Arbeitskräfteprogramm« vorantrieb, vor allem weil dies eine »Lösung für die geschätzten zwölf Millionen Menschen gebracht (hätte), die illegal in den Vereinigten Staaten leben und arbeiten«. Doch ein republikanischer Kandidat, der nicht die eigene Partei hinter sich bringt, ist im November chancenlos. Als Migration in den Vorwahlen zu einem heißen politischen Thema wurde, hat sich McCain von dem sorgfältig ausgearbeiteten Gesetzeskompromiss distanziert und »tritt nun zuerst für Kontrollen und Zwangsmaßnahmen ein und stellt die Legalisierung hintenan«, so Susan Martin.

Doch selbst diese Dehnübungen haben ihm bisher wenig eingebracht. Als McCain nach seiner Nominierung vor der »Conservative Political Action Conference«, einer erzkonservativen Stammesversammlung in Washington sprach, wurde er ausgebuht. Man erinnerte sich nur zu gut, dass er Leuten, die lautstark die Deportation von zwölf Millionen Illegalen fordern, entgegengehalten hatte, dass »wir erstens keine zwölf Millionen Paar Handschellen haben« und zweitens sich die Frage stelle, »was wir als Nation darstellen, wenn wir Leute, die hierher kommen, um ihre Lebenssituation durch harte Arbeit zu verbessern, nicht willkommen heißen«. Das erinnert eher an die erste Rede zur Nation, die Theodore Roosevelt im Jahr 1901 hielt und in der er die schlechte Einwanderungsgesetzgebung beklagte. »Wir brauchen jeden ehrlichen und geschäftstüchtigen Einwanderer, geeignet amerikanischer Bürger zu werden, der hierher kommt, um hier zu bleiben.«

Die Republikanische Partei hat sich allerdings seit Anfang des Jahrhunderts verändert und seine instinktive Parteinahme für Einwanderer kostete John McCain Sympathien am rechten Rand, auch sein eklektisches Reformwesen im Senat hat ihm reichlich Abneigung eingebracht. James Dobson, einer der Wortführer rechter Evangelikaler, sprach ihm deshalb sogar ab, »ein Konservativer« zu sein. Mit keiner der vielen republikanischen Traditionslinien, die wichtig für Koalitionen der Wählermobilisierung und intellektuelle Auseinandersetzungen sind, ist McCain eindeutig identifizierbar. Der Autor Ari Berman schrieb in der liberalen Zeitung The Nation bereits vor einigen Jahren, dass McCains politische Überzeugungen »einem exotischen Cocktail von Teddy Roosevelt, Barry Goldwater und Ronald Reagan ähneln«, er sei ein Konservativer aus einer Ära, »bevor der Konservatismus durch Fundamentalismus und Korporatismus ruiniert« wurde. Bereits in dem höchst unterhaltsamen, aber politisch bizarren republikanischen Kandidatenfeld drückte sich die Zersplitterung der Partei aus. Sie droht wieder zu einer Sammlungsbewegung zu werden, deren Kern eine Koalition aus Anti-Steuer-Aktivisten, Waffenlobbyisten, Ideologen nationaler Sicherheit und jene umfasst, die darauf bestehen, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten.

Der Slogan vom »mitfühlenden Konservatismus« im ersten George-Bush-Wahlkampf war darauf ausgerichtet, diese nicht ausreichende Basis der Partei um unzufriedene Mittelschichtwähler zu erweitern. Das gelang 2000, aber die politischen Koordinaten änderten sich nach dem 11. September des darauf folgenden Jahres so grundlegend, dass jeder Versuch, die republikanische Partei ins gesellschaftliche Zentrum zu führen, von der Allianz neokonservativer Revolutionäre und kalter Krieger um Dick Cheney und Donald Rumsfeld erstickt wurde. Die Wahlen im Jahr 2004 konnten nur noch gewonnen werden, weil Angst zum Mittel der Politik gemacht wurde.

Mit John McCain betritt jetzt ein Mann das republikanische Geröllfeld, der gelegentlich zu libertärer Volkstümlichkeit neigt und auch noch wegen fehlender Wirtschaftskompetenzen reichlich Nervosität verursacht. Der Kandidat, der selbst zugab, von Ökonomie nicht viel zu wissen, vertritt im Wahlkampf einen hemdsärmeligen Wirtschaftliberalismus mit beschränkter Haftung. Auf dem konservativen Haussender Fox News machte McCain kürzlich seinem Ärger über die Millionengewinne von Finanziers bei der Übernahme der angeschlagenen Investmentbank Bear Stearns Luft und legte im Wall Street Journal noch einmal nach. »Empörend« sei es, wenn der Chef der bankrotten Bank »Millionen und Abermillionen Dollars in Aktien kassiere«. Damit macht er sich bei Unternehmern und im Finanzmilieu keine Freunde. Hinzu kommt, dass in den vergangenen Wochen der zunehmende Populismus insbesondere von Hillary Clinton ihn in einen unkomfortablen Wettbewerb um die besten Steuergeschenke für die sozialen Unterschichten gezwungen hat. Er, der wegen des faszinierenden demokratischen Vorwahlkampfes in den Medien kaum stattfindet, schlug vor, angesichts der hohen Benzinpreise die Bundessteuern während der Sommermonate auszusetzen.

Ob es John McCain gelingen wird, die disparaten Teile der Partei zusammenzuführen und bei der wichtigen Latino-Minderheit zumindest eine gewisse Unterstützung zu sichern, ist unklar. Die Zentrifugalkräfte sind immens. Während einige Teile der Republikaner sich mühsam mit dem Kandidaten aus Arizona anfreunden, suchen andere den Frontalzusammenstoß. Rush Limbaugh, einer der wichtigen konservativen Radiokommentatoren, der jeden Tag vierzehn Millionen Amerikaner erreicht (die meisten von ihnen im Stau auf dem Weg zu Arbeit), warf McCain gar vor, er würde »die republikanische Partei zerstören«, und betrieb eine schonungslose Kampagne gegen den eigenen Kandidaten.

Der Druck, sich als Konservativer geben zu müssen, kommt zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Denn zurzeit befindet sich die gesellschaftliche Stimmung in seltener Übereinstimmung mit dem Bedürfnis der politischen Eliten: Alle erwarten eine grundlegende Erneuerung. In der Kandidatur John McCains und seinem Versuch, es jedem recht zu machen, ist das epochale Dilemma der Republikaner eingeschrieben. Denn nicht er hat die konservative Partei verlassen, sondern sie ihn. Mit der viel beschworenen Ära Ronald Reagans verbindet die dysfunktionale und gespaltene Organisation nicht mehr viel. Auch darum steht der Außenseiter John McCain nun mitten im politischen Geschehen.

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 3/2008