Michael Ackermann

Editorial

 

 

Ein unverbindlicher Mahnungston war es nicht, in dem der Bundespräsident sagte, »dass sich die internationalen Finanzmärkte zu einem Monster entwickelt haben, das in die Schranken gewiesen werden muss«. Wie das geschehen soll, wusste Köhler nicht zu sagen, doch so viel schon noch: »Wir waren nahe dran an einem Zusammenbruch der Weltwirtschaft.« Der ehemalige Chef des IWF wäre sich also einig mit dem Marxisten Robert Kurz, der den Kapitalismus schon länger vor einem Zusammenbruch stehen sieht? Sicher ist, dass den Entwicklungen des Finanzkapitalismus ein Element spektakulären Wettens innewohnt. Neben den Immobilienmärkten werden sie auch bei knappen Ressourcen und Lebensmitteln eingegangen. Je knapper das Gut, umso höher wird der Wetteinsatz. Den negativen Ausgang der Wette quittieren einige wenige mit steuerlicher Abschreibung, während ihn anderswo Hunderttausende mit dem Hungertod bezahlen.

Mit dem spekulativen Anteil des Finanzkapitalismus wird auch der systemische Zusammenhang von Klimawandel, Ernährungs- und Energiepolitik erneut sichtbar. Die Ausdehnung des westlichen Akkumulations-, Mobilitäts- und Ernährungsmodells hat Folgen. »Allein die Fleischerzeugung kostet mehr Energie und setzt daher mehr Kohlendioxid frei als der gesamte Autoverkehr in Deutschland«, konstatiert Josef H. Reichholf in seinem Essay »Wir sind die »Bio-Kolonialisten« (Die Welt, 7.5.08). Und er folgert: »Wir müssen zurück zu einem System der Landbewirtschaftung, das auf den eigenen Flächen das Nötige und das darauf Mögliche erzeugt. Wer auf gutem Getreideland Tierfutter anbaut oder Biomassepflanzungen fördert, damit man mit grünerem Gewissen weiterhin Auto fahren kann, darf nicht klagen über den Hunger in der Welt.«

Die Ausbreitung des Hungers und des Elends folgt den Spuren knapper Güter auf internationalisierten Märkten. Zuallerletzt ist der Hunger »Naturkatastrophen« geschuldet. So legen die Folgen eines Erdbebens in China neben dem Risiko für Menschen in tektonisch gefährdeten Gebieten auch die politischen und sozialen Defizite eines Systems bloß, welches im Weltmarkt mittlerweile einiges Gewicht hat. Für den Zyklon, der durch Birma raste, konnte das Militärregime nichts, für die nachfolgende katastrophale Behandlung der Bevölkerung allerdings sehr wohl. Sogleich wurden Forderungen laut, die Hilfe für die Menschen von außen mit Gewalt zu organisieren. Doch selbst die »Schutzverantwortung«, die sich die UNO 2005 nach der Kenia- Krise für Bevölkerungen auferlegt hat, wirkt papieren angesichts der Häufigkeit von Situationen, in denen »humanitäre Interventionen« für opportun gehalten werden könnten. Es gilt also nicht die Ausweitung der Diskussion um »humanitäre Interventionen« zu beklagen, vielmehr das Dilemma ihrer häufigen Undurchführbarkeit zu konstatieren. In Birma oder auch in Tibet geht es nicht »nur« um die Verwirklichung eines Weltbürgerrechtes der Freiheit unter westlichem Vorzeichen, sondern auch um die Durchsetzung sozialer Weltbürgerrechte. Die Militärregierung in Birma missachtet nicht nur Freiheits-, sondern auch soziale Rechte. Doch wer wollte oder könnte in Birma oder China gewaltsam eingreifen? Vornehmlich haben wir es eben doch mit einem Völkerrechtsdurchsetzungsproblem zu tun.

Der weitgehende Verzicht auf »gewaltsame Demokratisierung« rührt nicht nur aus einem Opportunitätsproblem. Das Problem ist grundlegenderer Natur, wie Christoph Möllers in Demokratie – Zumutungen und Versprechen (Wagenbach) ausführt. »Das Dilemma gewaltsamer Demokratisierung ist das Dilemma des demokratischen Revolutionärs. Es gibt keinen Zwang zur Freiheit. Anders als durch Selbstbestimmung ist Selbstbestimmung nicht denkbar. … Unsere individuelle Freiheit können wir über Grenzen mitnehmen, unser demokratisches Selbstbestimmungsrecht nicht. Das ist in einem Satz das Legitimationsproblem der Globalisierung. … Transnationale Freiheiten werden in der Regel von privilegierten Individuen und Unternehmen wahrgenommen.« Das bedeute jedoch nicht, »die Gesetze des Marktes als Schicksal zu verstehen, dem wir uns anzupassen haben. Liberal wäre es, Marktwirtschaft als Möglichkeit, vor allem als Resultat einer eigenen Entscheidung zu begreifen. Warum ist das wichtig für die Demokratie? Weil die Demokratie am Selbstbewusstsein von Individuen hängt, an die die demokratische Gleichheit anschließen kann, nicht am Selbstbewusstsein von Korporationen.«

Gerade gegen Korporationen müssen Veränderungen im Wertschöpfungsprozess als demokratisch regulierbar behauptet werden. Diesem Problem ist der »Schwerpunkt« dieses Heftes gewidmet. So votiert Dietmar Lingemann etwa dafür, dass Steuerpolitik »nicht länger die Wertschöpfung zum Ansatzpunkt zu machen« hat, »sondern die Wertaneignung. … Wertaneignung besteuern heißt überall dort zuzugreifen, wo aus dem großen Topf herausgenommen wird oder gesellschaftliche Verfügung wächst. Also Produktverbrauch (Mehrwertsteuer), Ressourcenverbrauch (Ökosteuern aller Art, Grundsteuern) und vor allem Kapitalzuwachssteuern … was der Akzeptanz von Steuern überhaupt zugute kommen dürfte. Auch die ökologische Ausrichtung des Gesamtsteuersystems wird so zu einem real erfüllbaren Kriterium.«

In: Kommune, Forum für Politik, Ökonomie, Kultur 3/2008