Makedonien: Ohne demokratisches Kosovo keine Stabilität

Dunja Melcic

Nach dem Abschluss des Dayton-Abkommens 1995, das man zu den sonderbarsten Friedensverträgen der Diplomatie-Geschichte zählen kann, zogen die politischen Eliten "des Balkans" jeweils ihre eigenen Lehren. Denn das Dayton-Abkommen bedeutete eine Art Zäsur für das Jahrzehnt des Zerfalls von Jugoslawien: Für einige Beteiligte war es die Zeit einer Zwischenbilanz, die letztendlich die vorangegangenen Kriege in Slowenien, Kroatien und Bosnien-Herzegowina zu einer Etappe machen sollte. Das hängt vor allem damit zusammen, dass aus der Erfahrung mit dem Krieg falsche Lehren gezogen wurden, und dies hängt wiederum nur zum Teil damit zusammen, dass das Dayton-Abkommen ein verantwortungsloses Pfuschwerk ist.

Milosevic, dem klar war, dass er trotz der – skandalösen – Anerkennung der Republika Srpska den Krieg verloren hatte, meinte, im Schatten von Dayton – das ihm Kosovo gleichsam auslieferte –, wenigstens dort reinen Tisch machen zu können. Diese Geschichte ist reichlich bekannt. In den meinungsbildenden Kreisen der Kosovo-Albaner verbreitete sich eine andere "Lehre": In deren Wahrnehmung hatten die "Kroaten den Krieg gewonnen", die Serben besiegt. Vergleichendes Fantasieren war angesagt. Es wurde aus bruchstückhaften Kenntnissen der Geschichte des Krieges im Norden und in Opposition zur gewaltfreien Politik in Kosovo – hinter der die Mehrheit der Albaner stand – der Schluss gezogen: Was zählt, ist allein der bewaffnete Kampf. Nur so und nur dann werde man von der Außenwelt, also vom "Westen", ernst genommen. Ich möchte damit die realen Umstände der Aggression, den Würgegriff des Belgrader Polizeistaats in Kosovo sowie die Umstände einer wenig erfolgreichen Politik Rugovas und folglich die legitimen Motive des Widerstands der Kosovo-Albaner nicht in Frage stellen. Es geht nur darum, auf das Denkmodell hinzuweisen, das die Fantasie und die Handlungsziele von immer mehr Albanern prägt. Denn die einfache Formel – nur mit dem bewaffneten Kampf ziehen wir das Interesse der Welt auf uns – wird weit über den Kreis jener hinaus, die mit Waffen kämpften, für gut befunden, und sie scheint prima facie zu stimmen. Ja, die Ereignisse in Mazedonien, die Reaktionen, die seitens der EU, der NATO und der aufgeschreckten Außenminister auf den Terror der angeblichen neuen albanischen "Befreiungsarmee" erfolgten, konnten und können als Beweis für die Richtigkeit dieses Denkmodells genommen werden. Sobald man die Logik dieses Paradigmas näher betrachtet, erkennt man jedoch, wie schief es ist. Sie drängt die komplizierten gesellschaftlichen und politischen Ziele in den Hintergrund und lässt nur reduzierte Formen eines "nationalen Interesses" gelten. Die Kosovo-Albaner hatten ein Recht auch auf bewaffneten Widerstand gegen die serbische Repression, gegen Vertreibungs- und Vernichtungspraktiken, die die Gesellschaft und eine Zukunft in Demokratie zerstörten. Man kann allerdings mit ziemlicher Sicherheit ausschließen, dass die UCK diesen Kampf gewonnen hätte. Die Formel, wonach der Griff zur Waffe die Befreiung des Kosovo brachte, eignet sich bestens zum Verwischen der Lagen, Verantwortungen und der eigenen Fehler. Die Mängel dieses "bewaffneten Kampfes" waren offensichtlich, sie gipfelten in der Tatsache, dass die UCK in keiner Gegend des Kosovo im Stande war, die Zivilbevölkerung vor dem Terror serbischer Streitkräfte zu beschützen. Auch wenn der UCK eine gewisse Legitimation zuerkannt wurde, war der politische Kampf der Kosovo-Albaner die eigentliche Basis für die Möglichkeit einer Einmischung der internationalen Gemeinschaft in den Konflikt. Die Waffen und die Gewalt, welche die Aufmerksamkeit der Welt auf Kosovo lenkten, waren jene der Serben und es war die Aussicht auf ihren furchtbaren Sieg und dessen destabilisierende Folgen für die ganze Region, die die NATO zum militärischen Handeln zwang.

Die Anhänger der Philosophie der Gewalt als dem Mittel zur Anerkennung der staatlichen Unabhängigkeit wurden bezeichnenderweise erst nach dem überwältigenden Sieg der Partei Rugovas bei den Kommunalwahlen im Oktober 2000 besonders aktiv. Auch in Mazedonien richten sich nun die gewaltsamen Aktionen der bewaffneten Albaner zunächst gegen die demokratischen Entscheidungen ihrer Landsleute. Sie schaffen damit eine derart eskalierende Stimmung, in der es so aussehen soll, als wären die politischen Repräsentanten Mazedoniens (incl. jenen aus den albanischen Parteien) diktatorisch eingesetzt und nicht bei demokratischen Wahlen frei gewählt worden. Angesichts der Tatsache, dass der mazedonische Präsident Trajkovski mit den ausschlaggebenden Stimmen des albanischen Bevölkerungsteils gewählt wurde, ist es hier geradezu lächerlich, für irgendwelche Rechte der Albaner mit Mörsern kämpfen zu wollen.

Wahrscheinlich haben die Militanten mit ihren Übungen in mazedonischen Bergen in erster Linie das Kosovo vor Augen. Die "Kollateralschäden" einer Strategie, die den Westen das Fürchten lehren sollen, könnten allerdings in dem prekären Nebeneinanderleben der Albaner und Mazedonier in Mazedonien irreparabel werden. In einer ironischen Wendung der Geschichte könnte dieser falsche Kampf – der sich zuerst gegen eine Stadt wie das mehrheitlich von Albanern bewohnte Tetovo richtete – bei den verwirrten westlichen Statthaltern des Kosovo vielleicht doch noch für Durchblick sorgen: Dass etwa in Kosovo allgemeine Wahlen und der Aufbau von Institutionen umgehend stattfinden müssen. Denn ohne ein demokratisches und unabhängiges Kosovo wird es keine Stabilität in der Region geben.

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Zeitschrift Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur.

Kühl-Verlag (Frankfurt/Main)

Ausgabe April 2001 (19. Jg., Heft 4/2001)