Editorial

Michael Ackermann

Mario Vargas Llosa hat in einigen Romanen den Zusammenstoß der dominanten Mischkultur der Nachkommen der spanischen Eroberer mit den indigenen Kulturen in den peruanischen Andengebieten beschrieben. In einem Klima wechselseitigen Unverständnisses herrschen Verachtung und Gewalt. Vargas Llosa hat in einer Vielzahl von Essays dagegen auch die positiven Seiten der "Globalisierung" hervorgehoben. Ein Widerspruch oder gar eine neoliberale Täuschung? Vargas Llosa sieht sich als einen Antinationa-listen, der auch autochthone Kulturen nicht für widerspruchsfrei hält. Keine Kultur ruhe auf Dauer in sich selbst, ihr Zusammenstoß mit anderen Kulturen sei, trotz aller Ungerechtigkeiten, letztlich immer eine Befreiung, weil sie die Chance auf wechselseitige Akzeptanz, das gegenseitige "Erkennen", steigere. Einem solchen Prozess hätten sich etwa die herrschenden Eliten Perus lange verweigert – demgegenüber habe der Globalisierungsprozess zur Aufsprengung reaktionärer Staatsmuster beigetragen, und damit verliere auch die Idee exklusiver Identität an Boden. "Die Vorstellung einer ,kollektiven Identität‘ ist ein ideologischer Mythos und der Nährboden des Nationalismus. Für viele Ethnologen stellt die kollektive Identität nicht einmal in archaischen Gemeinschaften ein Abbild der Wirklichkeit dar", deshalb würden sich auf lange Sicht die "individuellen Unterschiede ... immer gegenüber den kollektiven Eigenschaften durchsetzen" (Die Welt, 16.3.01). Das gelte im Übrigen auch für die viel beschworene "Amerikanisierung". Die Dominanz des Englischen sei zwar unaufhaltbar, es nehme aber auch das Erlernen von anderen Sprachen wieder zu. Auch die Migrationsbewegungen konterkarieren demnach eine "Einheitsentwicklung". Als Beispiel dienen Vargas Llosa die USA selbst. Angesichts von 25 bis 30 Millionen Spanisch sprechenden Menschen musste etwa der Wahlkampf auch auf Spanisch geführt werden.

Die Ergebnisse des neuesten Zensus in den USA unterstützen eine Argumentation, die ihre Hoffnungen im Kampf gegen Nationalismus und Ethnizismus auf das Wachstum der "Hybridkulturen" und Mischidentitäten setzt. Jacob Heilbrunn berichtet (SZ, 23.3.01), dass die hispano-amerikanische Bevölkerung in den USA um 58 Prozent, die asiatische um 48 Prozent angestiegen ist. Und "der vielleicht interessanteste Aspekt des Zensus ist die Tatsache, dass sieben Millionen Befragte mehr als eine rassische Kategorie ankreuzten und 15,4 Millionen die Kategorie ,eine andere Rasse‘. Das ist wichtig, weil es an den Kern der Annahme rührt, Rassen seien einfach zu identifizieren." Eine Annahme, die das amerikanische Zensus- Bureau in der Vergangenheit etwa dadurch unterstützte, dass es nur fünf offizielle Rassen kannte. Diese Unterteilungen machten die affirmative action-Politik länger schon fragwürdig. Nun sieht Heilbrunn eine Chance, dass "trotz sporadisch ausbrechender Brandherde ,Rasse‘ als Thema erlischt ..."

Man muss diesen Optimismus nicht teilen, aber man sollte die Bedeutung solcher Entwicklungen wie in den USA nicht unterschätzen. In ihnen drückt sich das Spannungsverhältnis aus, das den Globalisierungsprozess offensichtlich durchzieht. Während also Uschi Eid im Abschlussbericht der "World Commission on Dams" eher ein ermutigendes Zeichen für die Chancen einer internationalen Kooperation erkennt, in der die "Entwicklungsländer" nicht mehr nur Opfer sind oder am Rande stehen (S. 38), treiben Peter Mosler (S. 40) die Folgen der Globalisierung um: Hungerkatastrophen, Wüstenbildung, Flüchtlings-elend, Rechtlosigkeit. – Die "Janusköpfigkeit" der Globalisierung bildet schon seit längerem eine Unterströmung vieler Kommune-Artikel, und auch der Widerstand gegen sie weist immer wieder neue Facetten auf (Sascha Müller-Kraenner: "Brief aus Washington", S. 36). Die Widersprüche dieses Prozesses zu erkennen und zu gewichten, ist vielleicht das größte Problem in einer Situation, in der "Eindeutigkeit" suggeriert oder verlangt wird. Diese aber gibt es beispielsweise auch in der Immigrationspolitik nicht, weil sie verschiedenen Einflüssen – verstärkte Einwanderung bei gleichzeitiger Tendenz zu innerer Abschottung – unterliegt. Dies führt Harry Kunz in seinem Artikel (S. 16) über die Lage der ausländischen Jugend in der Bundesrepublik vor Augen, während Mojmir Krizan an dem noch jungen Staatsangehörigkeitsgesetz die "völkischen Elemente" kritisiert (S. 22).

Flüchtlinge und Migranten gehören zu den Schlechtestgestellten in der Gesellschaft. Gerade sie muss ein neues Grundsatzprogramm der Grünen – so Axel Honneth im "Thema" dieser Ausgabe – in den Mittelpunkt eines Gerechtigkeitsbegriffs stellen, der bei anhaltender Unübersichtlichkeit und zunehmender Unsicherheit in vielen ethischen Fragen keinesfalls obsolet ist.

Die "Balkanpolitik" der westlichen Staaten ist mit Unübersichtlichkeit noch zurückhaltend beschrieben. Durch anhaltende Inkonsequenz leistet sie einem Extremismus in Mazedonien und Kosovo Vorschub. Die AutorInnen unseres "Südosteuropa"-Teils bestehen dagegen auf einer präzisen historischen Verantwortung, die das Abkommen von Dayton vor fünf Jahren verfehlte.

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Zeitschrift Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur.

Kühl-Verlag (Frankfurt/Main)

Ausgabe April 2001 (19. Jg., Heft 4/2001)