Bücherfenster (II):

Ein Hauserwerb

Joscha Schmierer

Welche Vielfalt von Motiven und Themen schlägt Richard Swartz in diesem kompakten Roman an! Da gibt es das spezifisch istrische Motiv des Wetters mit seinen harten Nordwinden im Winter und den heftigen Sommerstürmen aus dem Süden, mit seiner betäubenden Sonne und Hitze, dann die Anspielungen auf die Geschichte Istriens mit den italienischen Eroberungen und den jugoslawischen Beschlagnahmungen. Das Haus, das zu erwerben sich der Mann der Erzählerin plötzlich in den Kopf gesetzt hat, ist, seit es vor zweihundert Jahren gebaut wurde, immer im Familienbesitz geblieben. Doch mit den Staaten wechseln die Namen. Der Anwalt in Buzet, der nach den Eigentumsverhältnissen an dem leer stehenden Haus in Pelegrin gefragt wird und es wohl selbst gern besitzen würde, klärt auf: "Seit zweihundert Jahren gehören das Haus und die Familie Bartolovic zusammen, und jetzt wollen Sie diesen Umstand ändern, nur weil das Haus zufällig leer steht und Sie sich aus irgendeinem Grund in den Kopf gesetzt haben, es zu kaufen. Aber was wissen Sie überhaupt von dem Haus? Leer? Freilich. Aber bevor es leer gestanden hat, wurde es immer von einem Bartolovic oder einem Bartolo bewohnt. Keiner weiß mehr, seit wie vielen Generationen, und auch nicht, wer es von wem übernommen hat und warum, nur dass es immer ein Bartolovic oder ein Bartolo war, verstehen Sie, was ich sage? Und auch wenn keiner mehr weiß, wer auf wen folgte oder die Anzahl der Eigentümer korrekt angeben kann, ändert das nichts, was das Haus betrifft, sagte der Anwalt, wir haben uns nur an diese beiden Namen zu halten, Bartolovic oder Bartolo. Das ist alles, was wir über das Haus wissen müssen. Und dass sich keiner der Eigentümer vom anderen trennen lässt, macht alles so viel einfacher, sagte Anwalt Franjo. Es vereinfacht die Sache für uns, weil es so ist, als hätte das Haus zweihundert Jahre nur einen einzigen Besitzer gehabt ..."

Oder eben gar keinen, weil ein Haus sich selbst gehört, jedenfalls aber von keinem Fremden erworben werden kann. Und der, den der Rechtsanwalt hier anredet, ist ein Fremder in der Gegend. Damit haben wir ein weiteres Motiv der Erzählung: Die Landschaft, das Dorf, die Einheimischen verschließen sich gegen Leute, die von außen kommen und da hilft es auch nicht viel, wenn sie eingeheiratet haben, wie das Objekt von Franjos Belehrung. "Glauben Sie ja nicht, dieser eine oder keiner könnte jemals durch einen neuen, unbekannten Eigentümer ersetzt werden, sagte er, durch einen, der kein Bartolovic oder Bartolo wäre. Unmöglich, ganz ausgeschlossen. Hier bei uns ist es das Blut, das zählt, sagte der Anwalt, jus sanguinis, fügte er hinzu, und Blut gibt es schon mehr als genug in dem leeren Haus, sagte Franjo, aber das Blut der Familien Bartolovic oder Bartolo, nicht das Ihre."

Die all das erzählt, ist die Frau des Kaufsüchtigen. Sie muss für ihn aus dem Italienischen und ins Italienische übersetzen, als sie schließlich in Triest die juristischen Eigentümer ausfindig gemacht haben. Beim Besuch in Triest weitet sich die Erzählung zu einer doppelten Ehegeschichte aus, der Geschichte des verkaufenden und des kaufenden Ehepaars. Da verschränken sich die Krankengeschichten der Männer und die Reibereien zwischen den Paaren. Wir hören die Geschichte eines schreibenden Postbeamten und folgen gespannt den Streitereien, ob der kränkelnde Beamte bei einem Besuch in Pisa fast ohnmächtig wurde, nachdem er den Turm bestiegen hatte, oder ob er, wie seine Frau sagt, gar nicht ganz hochgekommen ist. Und was hatte es mit dem befreundeten Postbeamten auf sich, der Signor Antonio dazu ermutigte, an einem Wettbewerb um die schönste Tiergeschichte teilzunehmen und ihn völlig durcheinander brachte, indem er ihm zur Anregung Kafkas "Verwandlung" auslieh?

Die Erzählerin wiederum ist in ständiger Sorge um ihren Mann: dass er sich gegenüber den Einheimischen daneben benimmt und dass er völlig durchdreht in seiner Jagd auf das Haus. Schließlich hat alles damit angefangen, dass der Mann, "mein Schatz", in einer istrischen Mondnacht plötzlich die Mauer zum Nachbargrundstück überstieg und das Haus in ersten Augenschein nahm. Die Hände hat er sich an den Glasscherben zerrissen, die in den Mauerfirst eingelassen sind. Völlig zerschunden und erschöpft, aber vollends besessen kam er zurück. Ihm zuliebe wird die Frau ihn bei seiner Jagd unterstützen, obwohl sie weiß, was mit dem Kauf auf die beiden zukommt und eigentlich dagegen ist. Und danach erst, wenn Wände heraus gehauen werden sollen, die doch zu dem Haus gehören? Hat er ein Recht darauf? Und wie wird die Geschichte mit Dimitrij, einem anderen Fremden, weitergehen? Wie lange wird Beppo den Alkohol überleben, den er seit dem Tod seiner Mutter in sich hineinkübelt. Und wird Pater Sverko die Rechte, den Garten zu beernten, die er sich über die Jahre herausnehmen konnte, je wieder abtreten?

Das Buch ist eine Ehrfurchtsbezeugung an das Haus in Istrien, für das so viele Anstrengungen auf sich genommen werden müssen, vor allem aber eine Liebeserklärung an die Frau, die diese Anstrengungen geteilt und seinen Kauf unterstützt hat, obwohl sie viel lieber in ihrem eigenen, kleineren Haus nebenan geblieben wäre. Zum Dank wird ihr die Geschichte der ihr unheimlichen Obsession in den Mund gelegt. Sie hat den Überblick behalten. Das Vergnügen liegt ganz beim Publikum.

Joscha Schmierer

Richard Swartz, Ein Haus in Istrien, Roman. Aus dem Schwedischen von Verena Reichel, München (Hanser Verlag) 2001 (178 S., 29,80 DM)

 

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Zeitschrift Kommune. Forum für Politik, Ökonomie, Kultur.
Kühl-Verlag (Frankfurt/Main)
Ausgabe April 2001 (19. Jg., Heft 4/2001)