Roee Rosen
Hitlers Geliebte,
im Führerbunker
und im Jenseits
Ein bebilderter
Vorschlag für ein Virtual-Reality-Drehbuch,
das nicht verfilmt
werden soll.
Deutsch von Heidi
Zerning
1. Szene: Das Warten
Sehr geehrte Besucherin,
sehr geehrter Besucher,
sobald Sie den Helm, den
Ganzkörperanzug und die Sensoren -- alle auf dem neuesten Stand der Technik --
angelegt haben, werden Sie sich im Bunker unter der Reichskanzlei befinden, und
zwar im Wohnzimmer des Führers. Es ist Ende April 1945. Die unterirdischen Räumlichkeiten
sind mit allem Komfort ausgestattet, wenn auch etwas schmucklos. Das Krachen
der Bombendetonationen wird von schalldichten Wänden gedämpft, aber Sie spüren
die Einschläge durch die Druckwellen, die die Räume erschüttern und auch Ihren
Körper erfassen. Ihr Liebster wird gleich kommen. Sie gehen ins Badezimmer, um
sich frisch zu machen.
Sie schauen in den
Spiegel, Sie beugen sich vor, und Sie erblicken zum ersten Mal sich selbst. Sie
sind blond, Ihr Gesicht ist noch jung, Ihr Teint rein und rosig, Ihr Busen
prall. Sie wirken sehr sympathisch. Niemand, der nicht liebend gern in Ihrer
Haut stecken würde, doch für Sie ist es vollkommen selbstverständlich: Ich bin
ich.
Er verabscheut Schminke.
Ebenso Parfüm. Eine duftlose Sauberkeit darf nur leichte Körpergerüche
andeuten. Das ist Ihnen gründlich eingetrichtert worden, und so kommt Ihnen
diese Naturbelassenheit nahezu normal vor. Ihr Körper funktioniert reibungslos.
Nie auch nur die leiseste Spur von eingerosteten Gelenken oder rumorenden Gedärmen.
Sie könnten Ihr Spiegelbild ewig betrachten, doch unwillkürlich wenden Sie sich
ab und gehen ins Wohnzimmer.
Sie setzen sich in den
schwarzen Ledersessel gegenüber der Tür und warten. Ihr Blick wandert von der
aufgeschlagenen Illustrierten in Ihrem Schoß zum Flur. Auf den Seiten Bilder
von schmucken verwundeten Soldaten und fröhlichen Bauernmädchen; am Ende des
Flurs die schwere Eisentür.
Sie sind nicht aus
Deutschland und wundern sich, dass Sie ohne weiteres eine deutsche Zeitschrift
lesen? Aber das ist kein Wunder: Deutsch ist Ihre Muttersprache, denn Sie sind
Eva Braun.
2. Szene: Die Ankunft
Erregung ergreift Ihren
Körper, denn Sie hören draußen Schritte. Als er die Tür aufmacht, stockt Ihnen
beim Anblick seines kleinen Schnurrbarts der Atem. Dieses wohlbekannte Attribut
wirkt auf Sie, da Sie nicht nur Eva sind, bedrohlich, fast abscheulich. Aber
alles um den Schnurrbart herum ist sehr gewinnend. Er kommt mit herzlicher Wärme
auf Sie zu, das Lächeln müde, die Arme ausgebreitet, um Sie an sich zu ziehen.
Vergessen Sie nicht: Sie sind Eva. Als Hitler Sie in die Arme schließt, wird
Ihnen schwarz vor Augen, Sie fühlen sich ganz von ihm umfangen. Sie bekommen
weiche Knie, als die Barthaare dieser berühmten kleinen Gesichtszier Ihr Ohr
und Ihren Nacken kitzeln. Sie delektieren sich an dem säuerlichen Schweißgeruch
eines alten Mannes, der aus seiner maskulinen Uniform in Ihre Nase dringt. Sie
haben noch nicht vergessen, dass sein Schweiß bis vor kurzem sehr angenehm
roch, alle Absonderungen seines Körpers zeugten stolz von seiner rein
vegetarischen Ernährungsweise. Nie auch nur ein Hauch von Verfall. Dieser neue
beißende Geruch, der schwabbelige Bauch, die erst vor kurzem entstandenen männlichen
Hängebrüste, sie alle sind die bitteren Früchte der weltweiten Niederlage. Während
Sie es genießen, von seinem Schnurrbart gekitzelt zu werden, wird Ihnen etwas
bewusst, das Sie stolz macht: Sie sind das ganz besondere Heiligtum dieses ganz
besonderen Mannes, Ihres Liebsten.
3. Szene: Die Machtausübung
Er schreit am Telefon
jemanden an. Es hat etwas mit dem Nachschub von Waffen und Munition zu tun, mit
dem Alter neuer Soldaten, die rekrutiert werden sollen, um den Vorstoß des
Feindes aufzuhalten, Kindersoldaten, die in den Tod geschickt werden.
Obwohl Deutsch Ihre
Muttersprache ist, haben Sie Probleme mit dem konkreten Sinn der Wörter. Aber
auf den kommt es auch gar nicht an. Wichtig sind allein sein Zorn, seine Vision
und seine Macht. Die Welt außerhalb des Bunkers, die sklavisch auf Ihren
Liebsten hört, verblasst dahinter. Seine Macht ist verstörend, verbreitet Angst
und Schrecken: Es gibt kein besseres Sinnbild dieser Macht als die drohend
hervortretenden Adern in seinem Hals.
Das Anschwellen dieser
Blutgefäße ist ein Furcht einflößendes Zeichen. Diese mächtigen violetten
Schlangen zucken und pochen unter der faltigen, schlaffen, grauweißen Haut,
ziehen sich zusammen und erweitern sich, während er in den Hörer brüllt und
spuckt. Diese Blutbahnen kennen ihre wundersame Macht, Sie jedoch betrachten
die Zornesadern, diese eigenständigen Lebewesen, mit ganz besonderer Zärtlichkeit.
Denn wenn Sie wollen, können Sie den Finger ausstrecken und sie streicheln. Das
wird sie zähmen, und dann werden sie schnurren wie gesättigte Kätzchen.
4. Szene: Das Bett
Die Erschütterungen
durch einschlagende Granaten und detonierende Bomben hören auch nachts nicht
auf. Die Wirkung auf Sie ist unterschiedlich. Es gibt lange Zeitspannen, da
wird Ihr Körper von panischer Angst heimgesucht, Ihre Blase verkrampft sich, es
hämmert in Ihren Schläfen, bis Sie keinen klaren Gedanken mehr fassen können
und Ihre Muskeln Ihnen den Dienst versagen. Doch dann wieder, ebenso regelmäßig,
überkommt Sie eine tiefe Ruhe, als seien Sie hypnotisiert, betäubt, wie ein
Kleinkind vom Schaukeln der Wiege.
Sie liegen mit offenen
Augen auf der Seite. Vor Ihnen hebt und senkt sich Adolfs Rücken. Die bläulich-weiße,
fleckige Haut ist dicht von kräftigen schwarzen Haaren bedeckt, die sich mit
einlullender Regelmäßigkeit aufrichten und neigen, wie Bäume in einem künstlichen
Wald. Zwischen den Bäumen weist der Boden rosige Risse auf, dunkle Porenlöcher,
braune Pilze, aus denen es stachlig sprießt, und diese Landschaft bewegt sich
in einem langsamen, stetigen Rhythmus. Ihr Blick ruht auf seinem Rücken, Ihr
Kopf ist völlig gedankenleer. Plötzlich dreht er sich im Schlaf zu Ihnen um.
Sein Arm hebt sich, um Sie zu umfassen. Sie schauen unverwandt auf diesen Arm,
der immer näher kommt, der immer größer wird, der über Ihnen schwebt wie ein
riesiger dunkler Balken aus Fleisch und sich schließlich auf Sie niedersenkt,
so dass Ihnen schwacher Körpergeruch in die Nase steigt. Er füllt jetzt Ihr
ganzes Blickfeld, eine Nahaufnahme in Zeitlupe, bis Sie das schwere Gewicht des
schläfrigen Arms auf Ihrem Hals spüren und Ihnen das Atmen schwer wird.
Gefällt es Ihnen, dieses
Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, dieser Hauch seines Geruchs, diese schläfrige,
süße Last, deren lebendige Wirklichkeit stärker ist als die Detonationen und
alles andere aus Ihrem Bewusstsein verdrängt, diese intime Beanspruchung Ihres
Körpers, die ein wenig an Zahnweh erinnert?
5. Szene: Der Traum
Was Sie jetzt sehen, ist
unverkennbar ein Traumbild. Eva schläft, und Sie träumen ihren Traum. Aber
woher kommt diese perverse Szene, die so stark ist, dass Sie sie als einen
wiederkehrenden Traum erkennen, obwohl Sie zum allerersten Mal als Eva
schlafen? Noch während Sie sich diese Frage stellen, sehen Sie etwas anderes:
Eva erinnert sich an eine wahre Begebenheit, vielleicht zur Erklärung. Es ist
diese herrliche Nacht im Jahre 1939, in der er Sie im Scherz bat, Ihnen beim
Urinieren zuschauen zu dürfen, gleichsam, als wollte er den siegreichen
Einmarsch in Polen mit einer frivolen Demonstration seiner Allmacht krönen,
sich den Genuss einer bescheidenen Unanständigkeit gönnen. Sie zogen sich
splitternackt aus, zeigten stolz Ihre rosigen Brustwarzen her, stets
aufgerichtet wie zwei wachsame Fühler, Ihren elfenbeinglatten Bauch, Ihren goldenen
Venushügel mit dem perfekt symmetrischen Haarwuchs, der nie die Schere
brauchte. Er saß auf einem kleinen Schemel vor der offenen Tür, die Beine mit
den hohen Stiefeln übereinandergeschlagen, den Mund zu einem schiefen Lächeln
verzogen. Sein Gesicht war versteinert, aber Sie wussten genau, dass sich
dahinter höchste Erregung verbarg, da sein linkes Augenlid ein wenig zuckte.
Aber ist das die wahre
Quelle Ihres Traumbildes? Denn in jener Nacht '39 behielt er die Uniform an,
wandte schließlich den Blick ab, als er den ersten durchsichtigen Tropfen an
einem gekräuselten Haar zwischen Ihren Schenkeln aufblitzen sah, wohingegen das
Traumbild keinerlei Anzeichen von Scham, Zurückhaltung oder Ironie aufweist.
Im Traum ist er unter
Ihnen, mit weit offenem Mund starrt er andächtig Ihre Scheide an. Sie blicken
auf sein Gesicht herunter, während Ihre Schamlippen sich langsam senken, um
seinen aufgerissenen Mund zu küssen. Sie betrachten das Antlitz des Diktators
zwischen Ihren kräftigen Schenkeln, es wirkt in seinem Eifer fast kindlich. Sie
pressen Ihre prachtvollen, üppigen Schamlippen auf die dünnen Lippen seines
Mundes. Gleich werden Sie Ihren Harn fließen lassen und die gelbliche
Ausscheidung spenden wie ein Gottesgeschenk.
6. Szene: Tränen
Es ist kaum zu glauben,
aber Sie rechnen überhaupt nicht damit, sterben zu müssen. Sie haben immer auf
seine Macht vertraut, über Leben und Tod entscheiden zu können, eine so
uneingeschränkte Macht, dass es schien, als hätte er mit dieser Verfügungsgewalt
über den Tod anderer, von der er so ausgiebig Gebrauch machte, für Sie beide
eine Insel der Gesundheit und der Unsterblichkeit geschaffen. Sein Umgang mit
dem Tod anderer war erfindungsreich und schöpferisch, und schöpferische Kraft
ist der Urquell des Lebens. Es ist wahr: Sie sind seit Jahren nicht beim Arzt
gewesen. Ihre reine Haut. Die Haut ist das Papier, auf das der Körper seine
Beschwerden schreibt, und die Ihrige ist makellos. Nicht einmal der anstehende
Selbstmord hat darauf Spuren hinterlassen. Ihr Selbstmord ist bis ins Kleinste
geplant worden, feierlich wie ein Festakt; und doch schienen diese
Vorbereitungen nichts Endgültiges zum Ziel zu haben. Erst jetzt können Sie sich
dem Anblick der schwarzen Pistolenmündung nicht mehr entziehen. Erst jetzt, als
Ihnen bewusst wird, dass Ihr Lebensentwurf zu einem vorzeitigen Ende verurteilt
ist, spüren Sie heiße Tränen langsam über Ihr Gesicht laufen, sie bahnen sich
einen Weg wie zwei große Schnecken. Noch nie haben Tränen sich so lebendig
angefühlt.
Der Teil von Ihnen, der
nicht Eva ist, verweigert sich noch stärker dem Tod. Wie kann Sterben simuliert
werden? Und welcher Teil von Ihnen soll durch diese Simulation den Tod
erleiden? Wird das Leben, nachdem die Eva in Ihnen gestorben ist, noch so sein,
wie es vorher war? Wie wird es sein, das Leben nach dem Tod, das Leben nach dem
Tod im Leben? Und woher die Betrübnis, die Verzweiflung, wo doch der
Nervenkitzel dieses Schauspiels seinen absoluten Höhepunkt erreicht haben
sollte?
Der Teil von Ihnen, der
nicht Eva ist, wird derart ergriffen, dass er ebenfalls weint. Und so
vermischen sich auf Ihren Wangen zwei Sorten von Tränen, zwei verschiedene
Spuren des Leids.
7. Szene: Der Schuss
Bevor er schießt, presst
er mit der Besessenheit der Verzweiflung seine Lippen auf die Ihren, seine Hand
umklammert Ihren Hinterkopf. Seine Lippen sind so ausgetrocknet, dass sie alle
Ihre Körperflüssigkeiten aufzusaugen scheinen. Ein unangenehmer Geruch liegt in
der Luft, wahrscheinlich von Urin, aber Sie möchten es lieber nicht wissen. Er
drückt den Lauf an Ihre Schläfe.
Sie möchten die Augen
zukneifen, aber Ihre Lider gehorchen Ihnen nicht. Wie gelähmt starren Sie ihn
an. Und was sehen Sie? Wie viel Liebe kann sich ein Schoß bewahren, der zur
Unfruchtbarkeit verurteilt ist?
Der Schuss bringt Ihre
Trommelfelle zum Platzen und hinterlässt unheimliche Stille, mehr als Stille:
vollkommene Lautlosigkeit. Ein roter Vorhang schiebt sich vor Ihr Gesichtsfeld:
Ihr eigenes Blut, nehmen Sie an. Sie merken, Sie sind noch da, jedenfalls etwas
von Ihnen, aber es ist anderswo: Da ist einmal das Ich, dem ein Ende gemacht
worden ist, und dann ist da noch ein anderes geisterhaftes Wesen. Ein Funken
von Bewusstsein, aufflackernde sprachlose Gedanken irgendwo nicht weit fort:
das Spottbild eines Geistes, das hässliche, verkrüppelte, mechanische Zerrbild
eines Geistes, das immer noch behauptet, Ihr Ich zu sein. Aber sogar dieser klägliche
Mechanismus reicht über Sie hinaus, ist Ihnen überlegen, was bedeutet, dass es
ein drittes, noch reduzierteres, noch erbärmlicheres Ich geben muss.
Hat er sich erschossen?
Die Geschichtsschreibung behauptet, ja, aber dort, wo jeder jedem misstraut, wo
jeder jeden verrät, versagt die Geschichtsschreibung. Ist auch er diesem demütigenden
Prozess unterworfen?
8. Szene: Engelsflügel
Ist es zu fassen? Sie
fliegen, Sie können fliegen! Die kindliche Vorstellung von Toten, die aus ihrem
Körper heraustreten, sind fast zutreffend! Das Abheben, das Schweben, der Flug.
Nur das Gefühl, ganz leicht zu sein, auf einem Engelspfad durch die Luft
gewirbelt zu werden, ist außerordentlich unangenehm. Schwerelos und körperlos
zu werden hat nicht mit sich gebracht, leicht, luftig und formbar zu sein.
Vielmehr fühlen Sie sich, als sei Ihre Substanz so verdünnt, dass das leichteste
Gas auf Sie enormen Druck ausübt. Allein die Reibung macht aus dem winzigsten
Gegenstand ein teuflisches Foltergerät. Zwar besitzen Sie keinen Körper im üblichen
Sinn mehr, aber das ausgezehrte, verschwindend kleine Wesen, zu dem Sie
geworden sind, wird von all dessen Nöten, Schmerzen und Qualen heimgesucht.
Sie werden wie ein Hund
an der Leine durch die Luft gezerrt. Die rasende Geschwindigkeit raubt Ihnen
den Atem, droht, Sie zunichte zu machen. Sie spüren, wie Ihre Haut zerschunden
wird, obwohl Sie gar keine Haut mehr haben, Sie empfinden die körperlichen
Qualen als echt, obwohl Ihr Körper fort ist. Sie spüren sogar Ihre nicht mehr
vorhandenen Geschlechtsteile vor schmerzhaftem Verlangen brennen. Sie sehnen
sich danach, dass die Engel Sie trösten, zu Ihnen sprechen, sich zu erkennen
geben: Sie sind doch schließlich nur ein Kind, ganz allein, ohne Mutter, ohne
Freunde, ohne Liebsten. Weiter und weiter geht es, über die Dächer hinweg, bis
Sie plötzlich in den Hauptbahnhof von Mailand hinuntertauchen.
9. Szene: Wachs
Warum sollten die
himmlischen Mächte verfügen, dass Sie auf Ihrem Weg in das Leben nach dem Tode
ein heruntergekommenes Wachsfigurenkabinett in einem Bahnhof besuchen? Die
Schaufenster sind wie bei Sexshops mit großen Plakaten bedeckt, die das Innere
verbergen und zugleich dessen Unterhaltungswert anpreisen. Einige der
Superlative scheinen es darauf anzulegen, Sie zu verhöhnen. Wem sind zur
Beschreibung dieser verstaubten Vergnügungsstätte Sätze wie >Das haben Sie
im ganzen Leben noch nicht gesehen!< eingefallen? Dem Teufel, weil er genau
weiß, dass Ihr Leben vorbei ist? Und sollen Sie es als persönliche Beleidigung
auffassen, wenn diese toten Puppen >lebensecht< genannt werden?
Sobald Sie drinnen durch
die spärlich beleuchteten Räume gleiten, merken Sie: wahrscheinlich sind Sie im
schlechtesten Wachsfigurenkabinett der Welt gelandet. Alles um den schmalen
dunklen Gang und die jämmerlichen Gestalten herum ist mit einer dicken
Schmutzschicht bedeckt. Die Wachsbildner müssen Zyniker gewesen sein! Hinter
diesen grausam unzulänglichen Konterfeis kann nur böse Absicht stecken! Mehrere
amerikanische Präsidenten stehen dicht beieinander, sie grinsen wie
Horrormasken und tragen altmodische Anzüge, die von Ihnen als Herrenmode der
siebziger Jahre registriert werden. Jimmy Carters Strohhaare reichen bis weit über
die Ohren, er ist dünn wie ein hungernder Häftling, und sein Lächeln wirkt
trotz der dicken Schicht scharlachroten Lippenstifts schwindsüchtig. Ronald
Reagan sieht aus wie der sterbende Rock Hudson. Lediglich ein gewaltiger
Schnurrbart und ein kleiner roter Stern auf der Brust verraten, dass die
bullige, aus undefinierbarem Dreck grotesk geformte Gestalt niemand anders als
Josef Stalin sein soll, ausgestattet mit trüben schwarzen Glasaugen und zwei
dunklen Hählen am Ende der Nase. Neben einem staubbedeckten Neil Armstrong hat
sich eine ganze Heerschar von Päpsten und Bischöfen zusammengefunden, alle in
zerschlissenen falschen Samt gekleidet, zu unterscheiden sind sie nur an der
Leibesfülle und an der Verteilung künstlicher Gesichtsbehaarung.
Und dann sehen Sie vor
sich das Lebende Bild, um dessentwillen Sie hergebracht worden sind. Es zeigt,
wie Sie und Adolf Selbstmord begehen. Der Bunker erinnert an eine verlassene
Lagerhalle, sein einziger Schmuck ist eine rote Hakenkreuzfahne aus glänzendem
Acryl. Der Wachsbildner hat das Problem, Ihrem Abbild hnlichkeit zu
verleihen, geschickt umgangen: Sie liegen bäuchlings auf dem Fußboden, die Arme
und Beine ausgestreckt, Ihre Haare verdecken Ihr Gesicht, nur eine Schläfe, an
der viel Plastilinblut klebt, ist sorgfältig freigelassen. Ihre stocksteifen Brüste
berühren den Fußboden, ohne im geringsten die spitzkegelige Form einzubüßen,
wodurch der Eindruck entsteht, dass Ihr Leichnam ein Stückchen über dem Boden
schwebt. Adolf hält immer noch die Pistole in der Hand. Sein Gesicht ist
ebenfalls verborgen, sein Kopf ruht zwischen seinen Armen auf dem Schreibtisch,
an dem er zusammengebrochen ist, aber er ist unverkennbar: Aus seinem Ellbogen
ragt die Nasenspitze mit dem charakteristischen Schnurrbart hervor, wie eine
auf ein Kissen gebettete Reliquie. Die Szene wird von einem roten Lämpchen
belebt, das an dem Telefon neben Adolfs Kopf aufblinkt, als sei Alarm ausgelöst
worden.
Ihre erste Reaktion ist
Verblüffung. Darüber, dass man aus der gloriosen Laufbahn dieses Mannes, der
seinen Feinden (und jeder ist inzwischen sein Feind) als herzlos und
entmenscht, als grausames Ungeheuer gilt, ausgerechnet diesen Augenblick gewählt
hat, der selbst seinen Opfern Mitleid einflößen muss.
Dann überkommt Sie maßlose
Wut. Sie begreifen, dass jeder halbwegs vernünftige Mensch bei dem abstrusen
Anblick in schallendes Gelächter ausbrechen würde, dass die unfreiwillige Komik
Ihres Todes pornographische Gelüste befriedigt. Sie begreifen, dass diese Szene
den Höhepunkt des Museums bildet, dass diese scheußlichen Puppen ein gewisses
Eigenleben führen und über sich ergehen lassen müssen, gleichzeitig
vergewaltigt und verhöhnt zu werden.
Dann erfasst Sie
panische Angst. Es muss Schweiß sein, was da an dem bisschen, das Sie noch
sind, herunterläuft.
10. Szene: Das Warten
Keine Frage: Sie sind
auf dem Weg in die Hölle, aber warum?
Während Sie darauf
warten, dass Ihre persönlichen Folterinstrumente eingerichtet werden, schauen
Sie sich einige der anderen Sünder an. Besonders faszinierend ist eine Gruppe
zweidimensionaler Menschen, die an ihren sündigen Gliedern aufgehängt worden
sind: Haare, Genitalien, Brüste, Zungen.
Sie erkennen mit einigem
Entsetzen, dass die Hölle offenbar einem berühmten Gemälde entstammt.
Woran werden Sie aufgehängt
werden? Welche Ihrer Körperteile sollen zerhackt, zerstückelt, verbrannt
werden? Was in Ihrem eifrigen Bemühen, die vollkommene Gefährtin zu sein, in
Ihrem Leben stiller Harmonie, das der freiwilligen Unterwerfung geweiht war,
verdient ewige Bestrafung und Verdammnis?
Eine Tür geht auf. Es
erscheint Hirrohisho, der riesige koreanische Masseur. Legen Sie sich hin,
schließen Sie die Augen, genießen Sie seine wundertätigen Finger auf Ihrem Rücken,
verbannen Sie alle Gedanken aus Ihrem Kopf, kosten Sie die angenehmen Berührungen
aus, entspannen Sie sich. Die Hölle ist nur Lug und Trug, Hirrohisho dagegen
ist echt. Nichts für ungut. Sie sind niemand anders als Sie selbst. Bitte besuchen
Sie uns wieder.